Читать книгу Villa Heckel - T. D. Amrein - Страница 7
3. Kapitel
ОглавлениеAm Mittwochnachmittag ergab sich eine erste Spur im Fall des Leichenfundes vom Sonntag. Grünwald und Sieber hatten überall in Freiburg Suchplakate geklebt, jetzt hatte sich jemand gemeldet.
Er würde den Toten nur flüchtig kennen. Könne sein, dass er irgendwo in Merzhausen, ganz am Rand, wohnte. Die Adresse wisse er nicht, aber er war dort in der Gegend kürzlich mit einer Autopanne liegengeblieben. Derjenige, der ihm geholfen hatte, habe genauso ausgesehen, sagte der Mann aus.
Deshalb war am Donnerstag Klinkenputzen angesagt. Sieber mit Grünwald, Krüger nahm das „Küken“, die Nachfolgerin für Michélle Steinmann, mit. Das Küken hieß Nina Böhringer, war sechsundzwanzig, hatte sich schon seit Längerem für den Kriminaldienst beworben. Die letzten Jahre hatte sie bei der uniformierten Truppe verbracht. Trotz der paar Jahre Berufserfahrung war sie natürlich noch kein Ersatz für Michélle.
Grünwald und Sieber tuschelten heimlich, dass sie vermutlich eine Lesbe sei. Das kam jedoch eher daher, dass sie nicht so hübsch war wie Michélle und auf keinen ihrer Annäherungsversuche reagierte. Davon hatte Krüger allerdings noch nichts mitbekommen.
Systematisch suchten sie die Straßen ab, befragten die Anwohner.
Bisher ohne Erfolg. Krüger ließ die neu aussehenden Häuser aus, er ging davon aus, dass in ihnen vor allem kürzlich zugezogene Bewohner wohnten.
Ein leicht heruntergekommenes Haus, das trotzdem immer noch stattlich wirkte, mit offensichtlich großzügigem Grundstück, zog ihn magisch an. Nichts wies darauf hin, dass jemand zuhause war, außer dem Mietwagen, der so parkte, dass man ihn von der Straße aus nicht sehen konnte.
Nina klingelte mehrmals, dann zuckte sie mit den Schultern. „Keiner da, Chef!“
Krüger zog die Brauen hoch. „Der Mietwagen, damit muss doch jemand gekommen sein“, stellte er fest.
Nina schlenderte am Haus entlang und stieß plötzlich einen erstickten Schrei aus. Krüger lief los. Sie stand wie erstarrt vor einem offenen Fenster.
„Da… da drin liegt einer“, stammelte sie.
Vor wenigen Minuten waren sie an einer Arztpraxis vorbeigekommen. Krüger schickte Nina zurück, um den Mediziner zu holen. Sie, etwas blass, versuchte tapfer, sich nichts anmerken zu lassen. Deshalb bestand sie darauf, voll einsatzfähig zu sein. Außerdem sei das nicht ihre erste Leiche, es sei nur völlig unerwartet gekommen, deshalb habe sie geschrien. Behauptete sie zumindest. Krüger ließ sie gewähren. Immerhin war sie nicht zusammengeklappt.
Schon nach fünfzehn Minuten kehrte sie zurück. Mit ihr ein älterer Herr, der sich als Doktor Henschel vorstellte.
Krüger, in der Zwischenzeit durch das Fenster eingestiegen, hatte mit dem Schlüsselbund, das auf dem Tisch lag, die Haustüre aufgeschlossen, so dass der Doktor einfach eintreten konnte.
Der Tote lag auf dem Boden. Er schien keinerlei Verletzungen zu haben. Offenbar hatte ihn der Schlag beim Essen getroffen, die angefangene, einfache Mahlzeit ließ darauf schließen.
Die an einem Stuhl hängende Jacke enthielt eine deutlich herausragende, dicke Brieftasche mit mehreren tausend Mark sowie einen vorläufigen Ausweis auf den Namen Wolfgang Heckel, Jahrgang 1917. Das Bild wirkte neu, es stimmte absolut mit dem Gesicht des Toten überein.
Auf die Frage, ob er die Bewohner kenne, hatte der Arzt geantwortet, dass die letzte Besitzerin kürzlich verstorben sei und das Haus eigentlich leer stehen würde.
Der Doktor kam nach gründlicher Untersuchung zu dem Schluss, dass ein natürliches Ableben anzunehmen sei. Den Todeszeitpunkt konnte er nur schätzen, die Leichenstarre war schon wieder abgeklungen. Etwa drei Tage, so seine Vermutung. „Bewegt wurde die Leiche definitiv nicht, die Flecken sind scharf begrenzt, da bin sicher“, sagte der Doktor.
Krüger hatte seine Beobachtungen bisher nicht erwähnt. Zusammen mit der Leichenschau ergab sich ein schlüssiges Bild.
Wolfgang Heckel, immerhin schon neunundsiebzig, war einem Herzanfall erlegen. Eine Fremdeinwirkung ließ sich nicht feststellen.
Nina kam die auf die Idee, dem Doktor das Bild des Toten zu zeigen, nach dem sie suchten.
„Das ist Günther Zwiesel, einer meiner Patienten“, antwortete der Doktor, ohne zu zögern.
Krüger rief Grünwald und Sieber zurück, während Nina den Arzt zu seiner Praxis begleitete, um die Adresse von Zwiesel zu bekommen.
***
Die Wohnung Zwiesels gab nicht viel an Erkenntnissen her. Außer der Tatsache, dass nicht abgeschlossen war, eigentlich nichts Ungewöhnliches. Zwei Zimmer, eine Kochecke, die übliche Unordnung eines langjährigen Junggesellen. Zwiesel war seit Jahrzehnten geschieden, keine Kinder, das hatte der Arzt noch beitragen können.
Die Identifizierung des Toten war ein wichtiger Schritt. Jetzt konnte seine Vergangenheit durchleuchtet und nach einem Motiv gesucht werden. Auch nach einer ganzen Woche zeichnete sich nichts ab. Günther Zwiesel war ein absolut unauffälliger Mensch gewesen, keine Umtriebe, Ämter oder Mitgliedschaften. War es überhaupt jemandem aufgefallen, dass er nicht mehr lebte?
Ein Einkommen hatte er durch die Herstellung von Werkzeugstielen aus Holz erzielt, die er in einer winzigen Werkstatt im Untergeschoss seines Wohnhauses angefertigt hatte. Kein Job, um reich zu werden, es schien jedoch zum Leben gereicht zu haben.
Eine Beziehung nach der Scheidung ließ sich nicht finden. Ab und zu hatte er eine Eckkneipe besucht, nicht den Stammtisch, den benutzten nur regelmäßig erscheinende Gäste. Gesprochen hatte er höchstens mit der Bedienung, die nicht einmal seinen Namen wusste. Stets war er allein gekommen und auch wieder gegangen.
Und trotzdem: Günther schien jemanden so sehr gestört zu haben, dass er ihn erschossen hatte.
Krüger dachte an eine Verwechslung. Oder hatte Zwiesel irgendwas mitbekommen, das nicht ans Licht dringen durfte? In Merzhausen?
Der direkte Ablauf konnte ein Auftragsmord sein. Einfach erschossen und abgelegt. Dagegen sprach jedoch die verwendete Munition. Ein kleines Kaliber, das seit dem Krieg kaum noch Verwendung fand. Ziemlich unsicher, ob die Patronen überhaupt noch funktionierten. Ein Profi würde sich niemals auf so etwas einlassen.
Andererseits war die Waffe vermutlich nirgends registriert. Es handelte sich schon fast um eine Antiquität, wie Erwin Rohr, der Chef der Spurensicherung in Freiburg, Krüger lächelnd erklärt hatte.
Die sich daraus ergebende Spur in alte Zeiten schien wenig ergiebig, Günther war bei Kriegsende gerade sechs Jahre alt gewesen.
Trotzdem, der Schlüssel musste irgendwo in der Vergangenheit liegen. Krüger konnte sich einfach nichts anderes vorstellen. Nur aus Gefühl, ohne klaren Hinweis, irgendwie musste es mit einer Frau zusammenhängen. Die sich jetzt gerächt hatte?
Elisabeth, der er davon erzählte, hielt das immerhin für möglich. Für Krüger ein ausreichender Grund, in der Sache weiterzusuchen. Wenn Polizeirat Vogel das wüsste, dachte er. Ein Grinsen konnte er sich dabei nicht verkneifen.
***
Auch Kommissar Gruber in Basel kam in seinem neusten Fall nicht weiter. Die Tote war nach der Entdeckung der Todesursache vom Badeunfall zum Mordfall geworden, was natürlich umfangreiche Ermittlungen auslöste. Die Frau war bisher nirgends als vermisst gemeldet, Gruber hatte keinen Namen, keinen Tatort, kein Umfeld.
Sie schien aus besseren Kreisen zu stammen. Die teuren Ohrstecker und die sorgfältig manikürten Fingernägel wiesen darauf hin. Der Pathologe hatte Silikonkissen aus den Brüsten entnommen, die leider keinerlei Beschriftung aufwiesen.
Inzwischen hatten sie sämtliche Schönheitsstudios in Basel und Umgebung abgeklappert, ohne jeden Erfolg.
Die Obduktion hatte diverse Hinweise geliefert, so war der Frau vor längerer Zeit die Gebärmutter entfernt worden. Deshalb ließ sich auch nicht mehr feststellen, ob sie jemals Kinder zur Welt gebracht hatte. Das Alter korrigierte der Pathologe auf knapp fünfzig Jahre. Das Skelett wies keine verheilten Brüche auf, nichts ließ auf irgendwelche Beschwerden wie Gelenkprobleme oder Haltungsschäden schließen. Routinemäßig waren Röntgenbilder des Gebisses verschickt worden, bisher genauso erfolglos wie alles andere.
Die Ohrstecker waren laut einem Experten von ausgezeichneter Qualität, kaum unter zehntausend Franken zu haben, pro Stück. Leider hatte sich der Meister, der sie angefertigt hatte, nicht verewigt. Nur die Materialpunzen waren vorhanden. Dass ihr der Schmuck nicht entwendet wurde, konnte daher rühren, dass der Verschluss sehr kompliziert gestaltet war und sich nicht einfach so öffnen ließ.
Sie schien Ringe oder Armbänder getragen zu haben, entsprechende helle Stellen hatte Doktor Diener festgestellt. Die Schmuckstücke dazu fehlten.
Der Bikini stammte aus England. Eine weit verbreitete Marke, die man fast auf der ganzen Welt kaufen konnte. Dieses Modell war allerdings nicht mehr in Mode. Ein schwaches Indiz, dass sie das Ding nicht selbst oder zumindest nicht freiwillig angezogen hatte.
Der Eisennagel, ein absolut normales Teil, praktisch auf jeder Baustelle zu finden, brachte sie auch nicht wirklich weiter. Es schien bei entsprechendem Zeitaufwand möglich zu sein, den Hersteller zu ermitteln, nach genauer Analyse des Stahls sowie der Pressform. Aber ob das helfen würde? Diese Nägel wurden überall verkauft, ohne dass es jemanden interessierte, woher sie stammten.
Erwin Rohr beschäftigte sich intensiv damit, wie ihr der Nagel ins Herz gestochen worden sein könnte. Einfach aufsetzen und einschlagen, wie bei einem Stück Holz, erschien unwahrscheinlich. Der Hammer hätte Spuren hinterlassen, an den Rippen oder auf der Haut. Trotzdem lag der Nagelkopf vollständig auf der Haut auf, eine leichte Aufschlagstelle darunter konnte Diener nachweisen.
Der Stift, genau zwischen zwei Rippen eingedrungen, hatte die Wunde praktisch abgedichtet. Es dürfte nur wenig oder gar kein Blut geflossen sein, stand dazu in Dieners Bericht.
Nagelpistolen, die mit Druckluft arbeiten, waren frei verkäuflich, erforderten jedoch spezielle Nägel, die sich zu Paketen zusammenfügen ließen. Außerdem war die Länge solcher Nägel auf etwa achtzig Millimeter begrenzt. Einen handelsüblichen hundertzwanziger Nagel konnte man nicht verwenden. Außer, jemand hatte sich so ein Ding umgebaut oder gebastelt, das für Holz nicht funktionierte, jedoch als Mordwaffe geeignet war.
Rohrs Fazit: Eigentlich eine ausgezeichnete Idee. Ein Ding, das beim Opfer kaum Argwohn auslöste, für die Polizei, die jede Art Schusswaffen irgendwie kannte oder zuordnen konnte, jedoch völliges Neuland bedeutete, löste bei allen Beteiligten ein unheimliches Gefühl aus. Das war, als ob jemand, der mit einem scheinbar harmlosen Schirm zum Spaß drohte, dann auch in der Lage war, abzudrücken. Dazu noch der Nagel anstelle der Kugel. Einfach widerlich.
Jetzt war es an der Zeit, die Suche auf das angrenzende Ausland auszudehnen. Die Leiche konnte ohne Weiteres auf der deutschen Seite des Rheins in den Fluss gelegt worden sein. Gruber vermutete, dass es sich beim Täter um jemanden handeln könnte, der nicht über besonders gute Ortskenntnisse verfügte. Im Wehr Birsfelden, dem letzten auf dem Weg, wäre die Tote bestimmt hängen geblieben.
Der Platz musste auf jeden Fall unterhalb des Rheinfalls liegen. Diese Passage hätte deutliche Spuren hinterlassen.
Am wahrscheinlichsten jedoch befand sich die Stelle zwischen Augst und Birsfelden, eine Strecke von gerade mal sechs Kilometern. Theoretisch war es möglich, dass die Leiche eine Schleuse unbemerkt hätte passieren können, praktisch schien es jedoch eher unwahrscheinlich.
Bis das offizielle Rechtshilfegesuch wirksam wurde, beschlossen Gruber und Betschart, die fragliche Strecke durch die Wasserschutzpolizei absuchen zu lassen. Die deutschen Kollegen durften dabei auch ohne Auftrag mithelfen. Das war gegenseitig üblich, vor allem, wenn Personen vermisst wurden.
Nur ein Strohhalm, aber besser als nichts.
***
Nina Böhringer schrak auf, als sich Krüger hinter ihrem Rücken räusperte. „Woran arbeiten Sie zur Zeit?“, wollte er wissen.
„An diesem Fall, Wolfgang Heckel“, antwortete sie treuherzig.
„Fall? Das ist kein Fall, Frau Böhringer, da gibt es nichts zu tun!“
Krüger war ziemlich laut geworden. Dauernd musste er Berichte nachfragen, die noch nicht geschrieben waren, und diese Göre beschäftigte sich mit einem natürlichen Todesfall!
Zu allem Überfluss erschien auch noch Rohr mit den Fotos, die sie zum Entwickeln ins Labor gegeben hatte. Von der Leiche und der Wohnung. Die hatte sie geschossen, während der Arzt die Leichenschau durchgeführt hatte.
„Also wirklich, Frau Böhringer, Sie sind hier zum Arbeiten, nicht um in der Arbeitszeit private Ermittlungen anzustellen. Dass Sie dann auch noch das Labor damit beschäftigen, das geht absolut nicht. Wenn das der Polizeirat erfährt, dann können Sie ihre Sachen gleich wieder packen!“
Erwin Rohr zog sich dezent zurück, ohne etwas zu sagen. Nina zitterte. Gleich würde sie anfangen zu weinen, das war deutlich zu erkennen.
Jetzt wurde Krüger das Ganze doch peinlich. „Ist doch wahr“, brummte er, „haben Sie sonst wirklich nichts zu tun?“
„Nein“, antwortete sie schniefend.
„Wie, nein?“, fragte Krüger, fassungslos.
„Schauen Sie mal“, Krüger bemühte sich um einen väterlichen Ton, „die Stapel da drüben, die müssen bearbeitet werden, zum Teil sind wir Tage im Verzug.“
Krüger stutzte, Grünwald und Sieber schienen sich plötzlich in Luft aufgelöst zu haben. Anfangs waren die beiden noch da gewesen, das hatte er gesehen.
„Die geben mir doch nichts“, schluchzte Nina.
Die darauffolgende Besprechung wurde ziemlich unangenehm. Nicht für Nina, die hatte Krüger in die Kantine geschickt.
***
Zuhause erzählte Krüger Elisabeth davon.
„Ganz typisch, deine Machos“, stellte sie fest, „deshalb sind Frauen oft benachteiligt, weil sie außen vor gelassen werden.“
„Ich war sehr deutlich. Du wärst bestimmt stolz auf mich gewesen, wenn du es gehört hättest“, lobte er sich selbst.
So leicht wollte sie es ihm dann doch nicht machen. „Wenn du das von Anfang an klargestellt hättest, ja, dann…“
„Habe ich“, wehrte sich Krüger, „ich habe sie nett vorgestellt, um eine gute Zusammenarbeit gebeten, was hätte ich denn sonst noch tun sollen?“
„Vielleicht mal nachfragen?“, schlug sie vor.
Klar tappte er in die Falle. „Sie hat natürlich schon wenig Ahnung. Am Anfang ist sie keine große Hilfe, da ist man manchmal schneller, wenn man es selbst macht“, ließ er hören.
Ihre Empörung war auch ein wenig gespielt, aber so eine Gelegenheit konnte sie sich nicht entgehen lassen. „Jetzt verteidigst du schon wieder diese zwei Neandertaler. So ganz richtig für voll könnt ihr eine Frau nicht nehmen, was? Immerhin hat sie die Auswahl gewonnen! Sie war doch nicht die Einzige, die den Job wollte, oder?“
„Nein, sie war die Beste, mit Abstand“, gab Krüger zu.
„Na, also, da hast du es wieder. Nicht die Leistung zählt, es ist nur das Geschlecht!“
„Du meinst also, ich soll sie besonders fördern, so wie Michélle?“
„Ja, warum nicht?“
Krüger versprach es, und sie gab sich damit zufrieden.
***
Die Suchaktion lief seit einigen Stunden. Praktisch zentimeterweise suchten die Beamten von der Wasserseite aus auf beiden Seiten das Rheinufer ab. Eine beachtliche Menge Müll war schon eingesammelt worden, nur ein Nebeneffekt. Das verlieh der Aktion wenigstens einen Sinn, falls sich nichts ergeben sollte.
Gruber fuhr im „Kommandoboot“ der Grenzacher Kollegen mit, zusammen mit dem Chef der dortigen Polizeistation, Meinrad Wappel. Sie wechselten zwischen den Booten hin und her, sichteten die Funde, sortierten aus. „Was meinen Sie, Herr Kollege? Wäre doch geeignet, um eine Leiche zu transportieren“, sagte Wappel zu Gruber, als sie einen noch guterhaltenen Kinderwagen betrachteten, der tropfend vor ihnen stand.
Gruber seufzte. „Sicher nicht auszuschließen, doch eher unwahrscheinlich. Damit eine erwachsene Person vor sich her zu schieben, wäre nicht gerade unauffällig, finden Sie nicht auch?“
Wappel zuckte mit den Schultern. „Im Dunkeln, zum Beispiel“, gab er zurück.
Der nächste größere Fund, ein typischer Fahrradanhänger mit zwei Rädern, der sich ohne weiteres auch als Handwagen verwenden ließ, schien ergiebiger. Er trug ein angenietetes Schild mit der Aufschrift, „Pension zur goldenen Sonne“.
Gruber und Wappel ließen sich die Adresse durchgeben. Das Gasthaus lag fast direkt am Rhein. „Strand fünfhundert Meter“, verhieß ein auffälliges Schild mit Richtungspfeil.
Offenbar stellte man den Gästen diese Handwagen, die in einem offenen Unterstand aufgereiht waren, zur Verfügung, damit sie ihre Grills oder Liegestühle nicht schleppen mussten.
Um möglichst alle zufriedenzustellen, standen die Wagen auch für Radtouren bereit. Ein in Folie eingeschweißtes Blatt wies ausdrücklich darauf hin. Dass ein Wagen fehlte, hatte bisher noch niemand bemerkt, die Badesaison war schließlich noch nicht angelaufen. Strand klang, gelinde gesagt, auch übertrieben, es war einfach eine Stelle am Rhein, wo man sich zwischen Bäumen und Wasser hinlegen konnte.
„Jeder der will, kann sich so ein Ding ausleihen“, stellte Wappel messerscharf fest.
Gruber widersprach nicht. Durchaus möglich, auch wenn er nicht daran glauben mochte, dass sich einer mit einer Leiche im Schlepptau solch einem Risiko aussetzte.
Das Einfachste wäre ein Rollstuhl, den man leicht mitnehmen konnte. Fiel absolut nicht auf, und jeder konnte ihn problemlos in einer Klinik oder einem Altersheim entwenden.
„Wir suchen trotzdem weiter“, sagte er nur.
„Aber natürlich“, gab Wappel zurück, dem die Aktion richtig Spaß zu machen schien. War vermutlich sonst nicht viel los in Grenzach, dachte Gruber, deshalb der Eifer.
Zwei Beamte erhielten den Auftrag, die Besitzer der Pension und die Nachbarn zu befragen, danach kehrten Gruber und Wappel an den Rhein zurück.
Die Sensation fand am nächsten Tag statt. Weil die Polizei in Grenzach kein Labor führte, hatte Wappel den Kinderwagen und den Handwagen „großzügig“ den Basler Kollegen zur Verfügung gestellt.
Der Anhänger bestand aus einem umlaufenden Aluminiumrahmen, genau vierzig Zentimeter hoch, der unten durch einen Boden aus Holzlatten abgeschlossen war. In einer Ritze zwischen den Latten entdeckte Markus Känzig, der Laborleiter der Kripo Basel, einen abgebrochenen Fingernagel. Rot lackiert. Ein erster Vergleich an der Leiche ergab, dass an ihrem linken, kleinen Fingernagel ein Teil fehlte.
„Natürlich werden wir das noch verifizieren“, sagte Känzig zu Gruber, „aber wenn der nicht zu der Frau passt, dann fresse ich einen Besen, zusammen mit der Putzfrau!“
Diener nickte zum ersten Teil des Satzes, beim zweiten Teil zog er die Brauen hoch. „Es heißt jetzt Reinigungskraft“, bemängelte er.
Känzig stutzte. „Zur Not halt auch mit einer solchen, wenn das besser passt“, antwortete er kopfschüttelnd.
Gruber knetete seine Hände, „das ist schon fast ein Wunder“, stellte er fest.
„Aber das bedeutet auch, dass wir den Fall an die deutschen Kollegen abgeben müssen“, ergänzte er nach kurzem Nachdenken.
Känzig und Diener machten lange Gesichter.
„Tut mir leid, meine Herren, aber ist nicht zu ändern“, versuchte Gruber, zu trösten.
***
Gruber fuhr selbst zu Krüger, um ihm die Erkenntnisse, die sie im Fall der „Rheinleiche“ schon gesammelt hatten, zu erläutern.
Wie versprochen ließ Krüger die Neue von Anfang an mitmachen. Schnell versorgten sie Nina mit verschiedenen Aufgaben, so dass die Kommissare noch in Ruhe ein paar private Worte wechseln konnten. Das Thema war wieder die Hochzeit von Guerin und Michélle, für die Sonja, Grubers Freundin, schon eine ganze Menge geplant hatte. Das Ziel, die beiden unvergesslich zu überraschen, lag in Reichweite.