Читать книгу Sommerglück - Tanja Bern - Страница 6

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Nach der schlaflosen Nacht kämpfe ich mit Müdigkeit, beiße nur lustlos in meinen Toast. Ethan sitzt mir gegenüber, in seiner Hand hält er sein Brot mit dem Spiegelei, als habe er vergessen, dass er es essen wollte. Fett tropft auf den Tisch.

„Ethan, alles in Ordnung?“

Er blinzelt und schaut auf sein Frühstück. Er legt es auf den Teller, langt nach einem Küchentuch und wischt die Flecken weg. „Ja, alles gut.“ Mit einer bedachten Bewegung legt er das zusammengeknüllte Tuch neben seinen Teller. Er scheint tief in Gedanken versunken zu sein.

Ich betrachte ihn besorgt. „Willst du heute noch mit Megan reden?“

Er isst seinen Happen auf und fixiert mich mit einem Blick, den ich nicht einordnen kann. „Darauf kannst du Gift nehmen. Ich brauche nur eine Dusche und andere Klamotten.“

Und ich brauche Schlaf, denke ich insgeheim, spreche es aber nicht aus. Ich erschrecke, als mich etwas in den Oberschenkel piekt. Mir entwischt ein leises Quieken. „Fia!“

Rasch fährt sie ihre Krallen ein und tippt mit ihrer Pfote gegen mein Bein. Sie schafft es tatsächlich, Ethan ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.

„Komm her, Kleine.“

Bei seinem Tonfall horcht sie auf. Mit einem Satz springt sie auf den Tisch und läuft über meinen Teller. Bevor ich protestieren kann, setzt sie sich brav auf den dritten Stuhl und schaut Ethan mit einem Unschuldsblick an, der ihn wie Butter schmelzen lässt. Er opfert einen Teil seines gebratenen Specks und legt ihr die Leckerei auf den Boden. Rasch folgt sie seiner Bewegung und verputzt in Windeseile das Fleisch.

„Wir haben nicht vergessen, sie zu füttern, oder?“, fragt Ethan besorgt, als er sieht, wie gierig sie die Leckerei verschlingt.

„Sie hat vorhin gefressen, nur eben keinen Bacon.“

Schmunzelnd beobachtet er Fia, wie sie um uns herumschleicht und ihr Köpfchen immer wieder abwechselnd an mein und dann an sein Bein reibt. Er wuschelt ihr durchs Fell, isst den Rest seines Frühstücks hastig auf und geht ins Bad.

Ich bleibe nachdenklich zurück. Obwohl ich weiß, dass ich richtig gehandelt habe, fühle ich mich schuldig. Ich wünschte nur, diese Lüge wäre auf andere Weise aufgedeckt worden, nicht durch mich. Aber es ist, wie es ist. Leider war ich es, die Megan und ihre Freundin Beverly unabsichtlich belauscht und dabei herausgefunden hat, dass Ethan sehr wahrscheinlich nicht der Vater von Megans Baby ist. Und ich musste ihm die Wahrheit sagen!

Ich räume den Tisch ab, spüle die Tassen und Teller. Auch ich sollte mich zumindest umziehen, ich kann mich aber kaum aufraffen und lasse mich auf die Couch fallen. Nur für einen Moment möchte ich die Augen schließen, ein wenig dösen. Ich spüre, wie sich Fia neben mich legt. Sie kuschelt ihren kleinen Körper an mich, und ich drifte in die angenehme Dunkelheit des Schlafs …

Ich erwache, als mir jemand übers Haar streicht. Ich fühle eine Decke, möchte mich in die Wärme schmiegen. Doch die Erinnerung kehrt zurück, und ich zwinge die Augen auf.

„Ich wollte dich nicht wecken, tut mir leid.“

Ethan sitzt auf der Couchkante, seine Hand ruht noch in meinem Haar. Ich suche meine Katze, aber die hat sich bereits einen Platz oben auf der Lehne gesichert.

„Ich wollte gar nicht einschlafen“, murmle ich.

„Ich kann das allein mit Megan klären“, sagt er da leise.

Abrupt richte ich mich auf. „Nein! Auf keinen Fall. Ich habe dieses Gespräch mitangehört, und ich möchte dabei sein.“ Ich atme tief durch. „Sie wird es bestimmt abstreiten.“

„Vermutlich, ja.“

„Ich ziehe mich schnell um.“ Ich eile in das alte Schlafzimmer, entledige mich Jacobs Kleidung und raffe einige Sachen von mir zusammen, um damit ins Bad zu gehen. Notdürftig entwirre ich meine Locken, stecke sie auf. Eine schnelle Dusche ohne Haare waschen muss reichen. Fast stolpere ich, als ich mich danach eilig anziehen will. Ich zwinge mich zur Ruhe und mache mich fertig.

Ethan steht mit einem Kaffee am Fenster und wirkt wieder völlig gefasst.

„Ich bin fertig“, sage ich leise.

Er nickt bedächtig, trinkt einen letzten Schluck und stellt die Tasse auf die Anrichte. Ohne zu zögern greift er nach seiner Jacke und nimmt sein Schlüsselbund aus der Holzschale. Bevor er in den Flur tritt, starrt er den Autoschlüssel an. „Du hast den Rover reparieren lassen“, erkennt er plötzlich.

In der vergangenen Nacht ist ihm wohl gar nicht bewusst gewesen, dass der Wagen wieder läuft.

„Ja, beim alten Patrick.“

„Danke.“

„Es waren die Zündkerzen. Er sagte, du sollst den Wagen einmal durchchecken lassen.“

„Mmh, ja, okay.“ Unschlüssig steht Ethan in der Tür, als hätte er vergessen, wo er hinwollte.

„Wollen wir, Ethan?“

Er sucht meinen Blick. Hilflosigkeit spiegelt sich darin. Abrupt wendet er sich ab. „Ja, fahren wir.“

Wenig später stehen wir vor der Pension Glenarde House, in der Megan untergekommen ist. Eine luxuriöse Unterkunft, die Ethan seit Wochen bezahlt.

Noch bevor wir anklingeln, öffnet sich die Haustür, und eine Fremde steht vor uns. Sie schaut uns verdutzt an.

„Oh, seid ihr Ethan und Sínead?“ Sie hält uns die Hand hin. „Ich bin Beverly, Megans Freundin.“

Wir zögern beide, dann nehme ich die Begrüßung an. Als meine Hand ihre berührt, zwinge ich mich zu einem höflichen Lächeln. Schließlich wollte Beverly, dass Megan reinen Tisch macht, sie kann nichts für unsere heikle Situation.

„Wir müssen mit Megan reden“, sagt Ethan mit ruhiger Stimme. „Ist sie da?“

„Ja, sicher, sie ist im Wintergarten.“

Wir treten ein. Der Besitzer des Hauses kommt an uns vorbei, nickt uns mit einem Lächeln zu. Er trägt ein großes Tablett mit Frühstücksgeschirr. Ich höre Stimmen, luge in den Speiseraum, in dem noch einige Gäste der Pension verweilen.

Beverly führt uns hinaus zu dem kleinen Wintergarten, der sich direkt hinter der Küchenzeile befindet. Wie eine Prinzessin sitzt Megan in dem Glasrondell und schaut hinaus in den Garten.

Ich werfe Ethan einen Blick zu. Will er mit der Tür ins Haus fallen? Sie sofort konfrontieren? Das wäre nicht seine Art, aber ich habe ihn auch noch nie so erlebt wie in den letzten Stunden.

Seine Hand löst sich von meiner, und er setzt sich auf einen Stuhl, zieht ihn vor Megan. Das Geräusch schreckt sie auf, sie blinzelt, als erwache sie aus einem Tagtraum.

„Oh, Ethan, guten Morgen.“

Ich beobachte sie genau, erkenne, dass sie einerseits etwas erschrocken ist, ihn plötzlich zu sehen, entdecke in ihrem Ausdruck aber auch ein Sehnen, das mich die Lippen zusammenpressen lässt.

„Wollt ihr Kaffee oder Tee?“, fragt Beverly uns mit einem unsicheren Lächeln.

Ethan blickt auf. „Ich würde gerne einen Kaffee haben.“

„Und du?“ Beverly sieht mich fragend an.

„Ich nehme einen Tee.“

Ich wage nicht, mich zu Ethan und Megan zu setzen. Wir schweigen, während Beverly den Kaffeeautomaten bedient.

„Soll ich dir den Irish Breakfast von Barry’s Tea machen?“

„Ja, gerne“, antworte ich und schaue zu, wie sie die Packung mit dem schwarzen Tee aus dem Küchenschrank holt. „Mit Milch und Zucker bitte.“

Als der Kaffee fertig ist, stelle ich selbst die Maschine aus und reiche Ethan das Getränk. Beverly indessen hält mir die Teetasse hin und schiebt Milch und Zucker näher zu mir heran. Ich bediene mich, aber mir ist seltsam zumute. Fast ist mir ein wenig übel, darum setze ich mich schließlich doch in einen freien Stuhl. Ethan nimmt einen Schluck Kaffee, lässt die Tasse aber nicht los, als wolle er sich daran festhalten.

Megan sieht uns abwechselnd an, ihr bis dahin freundlicher Gesichtsausdruck verblasst. „Was ist denn los? Ihr benehmt euch komisch.“

„Du hast mich belogen“, sagt Ethan gefasst. Langsam sieht er auf, fixiert Megan mit ernstem Blick.

„Wobei habe ich dich belogen?“ Sie lässt sich nichts anmerken. Wirklich gar nichts! Im Gegenteil, Megan sieht aus, als ob sie tatsächlich verwirrt ist.

„Hör auf mit den Spielchen!“

„Sag mir doch bitte erst einmal, worum es geht.“

„Es geht um Leslie.“

„Was ist denn mit der Kleinen?“ Megan runzelt die Stirn.

Ethans Faust schlägt auf den Tisch, und sie zuckt überrascht zurück.

„Sie ist nicht meine Tochter.“

„Was?! Wie kommst du darauf?“ Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen.

Ethan sieht kurz zu mir rüber, er schweigt.

„Megan, ich habe gestern euer Gespräch mitbekommen“, mische ich mich ein.

„Welches Gespräch?“, faucht sie.

Nun werde ich wütend. „Stell dich nicht dumm! Du hast mit Beverly über Leslie gesprochen. Ihr habt darüber diskutiert, weil Beverly wollte, dass du die Wahrheit sagst.“ Ich sehe Beverly an, aber die zuckt nur mit den Schultern.

„Du hast von Craig gesprochen. Sollte er nicht erfahren, dass er der wahre Vater ist?“, versuche ich sie in die Ecke zu drängen.

„Ich kenne keinen Craig“, behauptet Megan und wendet sich Ethan zu. „Merkst du nicht, was hier passiert? Sie ist eifersüchtig.“

Fassungslos starre ich Megan an. „Wie bitte?!“

„Sínead, ich will dir Ethan nicht wegnehmen. Du brauchst nicht solche Geschichten zu erfinden. Du tust ihm doch keinen Gefallen, wenn du ihn auf diese Weise von seiner Tochter distanzierst.“

Ich bin völlig sprachlos. Ich kann Megans Anblick nicht mehr ertragen. Ich stelle meine Teetasse eine Spur zu heftig ab, sie kippt um, der Tee tränkt die weiße Tischdecke. Doch ich kümmere mich nicht darum. Abrupt stehe ich auf und flüchte aus dem Raum. Ich haste aus dem Haus, renne vom Grundstück, bis ich wieder an der Straße bin. Außer Atem lehne ich mich an den Land Rover, beobachte, wie der Wind einige Bonbonpapiere über die Straße fegt. Ein Kind rennt hinterher, versucht sie wieder einzufangen, gibt dann aber auf und eilt zu seiner Mutter zurück.

Warme Frühlingsluft weht mir entgegen, obwohl der Himmel von weißgrauen Wolken verdeckt ist. Ich sehne mich plötzlich nach den Gerüchen des Sommers, nach dem Licht, das in dieser Jahreszeit so viel heller strahlt.

Ich hatte erwartet, dass Megan alles abstreitet. Aber darauf war ich nicht vorbereitet. Ihre Worte haben eine unbändige Angst in mir entfacht. Was passiert, wenn Ethan ihr glaubt?

Mir ist zum Weinen zumute, aber ich reiße mich zusammen. Mit rasendem Herzen warte ich auf Ethan. Es dauert sicher zehn Minuten, bis er aus der Einfahrt kommt. Er rauft sich das Haar.

Ich gehe auf ihn zu. „Ethan …“

„Schon gut. Ich habe auf einen Vaterschaftstest bestanden.“

Das beantwortet nicht meine drängende Frage, ob er mir glaubt. Als er ins Auto steigen will, halte ich ihn auf. „Ethan, ich habe mir das nicht ausgedacht.“

Er schaut mir mit ernstem Blick in die Augen. „Sínead, das weiß ich. Hast du gedacht, ich nehme ihr diese Story ab?“

„Sie wirkt so überzeugend“, sage ich leise und senke den Blick.

Ethan fasst mich an beide Oberarme, zieht mich zu sich. „Sieh mich an, Sínead.“

Ich folge seiner Bitte.

„Megan mag ja verteufelt gut lügen. Ihr Konstrukt ist tatsächlich ziemlich perfekt. Aber dich kenne ich fast mein ganzes Leben lang, und eines weiß ich mit Sicherheit. Du würdest mich niemals anlügen. Außerdem hast du nie auch nur im Entferntesten versucht, mich von Leslie fernzuhalten, im Gegenteil.“

Erleichterung durchströmt mich, und ich lasse mich einfach gegen seine Brust sinken. Er legt seine Arme um mich.

„Es tut mir leid, dass ich manchmal so zweifle“, wispere ich.

Ich spüre, wie er mir einen Kuss aufs Haar haucht. „Diese Situation ist schwierig, auch für dich. Ich weiß das.“ Er löst sich von mir, nimmt meine Hand. „Lass uns von hier verschwinden.“

Ich widerspreche nicht, und wir steigen in den Land Rover. Ohne weiter darauf einzugehen, startet er den Motor. Ich sehe aus dem Beifahrerfenster und kämpfe mit den Tränen. Denn Megan hat uns beiden einen Arschtritt verpasst, dafür, dass wir ihr geholfen und sie unterstützt haben. Wir hätten es auch getan, wenn sie uns die Wahrheit gesagt hätte. Doch stattdessen tischt sie weitere Lügen auf und scheint zwischen Ethan und mir einen Keil treiben zu wollen.

Als wir vor unserer Wohnung ankommen, hält er an, parkt aber nicht ein. „Sínead, ich muss ins Büro fahren. Kommst du klar?“

Er mag sich gelassen geben, aber ich erkenne, wie sehr es in ihm brodelt.

„Ja, alles gut.“

„Dann sehen wir uns heute Abend.“

„Ethan …“

Er streckt die Hand aus, berührt sachte meine Wange. Sein Blick spricht Bände. Bitte nicht jetzt!

Ich zögere kurz, dann ringe ich mir ein Lächeln ab. „Bis heute Abend.“

Es fällt mir seltsam schwer, aus dem Rover zu steigen. Ich fühle mich wie betäubt. Doch ich lasse ihn ziehen, denn ich weiß, dass er jetzt Ablenkung braucht.

Für einige Sekunden stehe ich auf der Straße, sehe dem Auto nach. Abrupt wende ich mich ab, wische mir unwirsch über die Augen, die sich schon wieder mit Tränen füllen. Tief im Inneren würde ich Megan am liebsten verfluchen und zum Teufel jagen. Stattdessen gehe ich zu meinem Fahrrad, das mittlerweile einen neuen Vorderreifen hat. Ich habe es an der Straßenlaterne abgeschlossen und hole nun mit fahrigen Fingern mein Schlüsselbund hervor. Ich schließe die Kette auf, stopfe sie in die kleine dazugehörige Tasche und schwinge mich aufs Rad.

Nur fort!

Bewegung hilft mir, den Kopf frei zu bekommen. Deshalb fahre ich nicht direkt zur Farm, sondern schlage die andere Richtung ein, die mich zur Küste bringen wird.

Die Gerüche des Hafens verstärken sich, noch bevor ich das Rauschen der Wellen höre. Aber ich fahre nicht zu den Docks, sondern halte mich südlich. Am South Park verlasse ich den Radweg, schiebe meinen Drahtesel über die weite Wiesenfläche bis zu einem grasgrünen Fischerboot, das jemand an Land direkt an einer Bootsrampe vertäut hat.

Mit einem Seufzen stelle ich das Fahrrad ab und setze mich auf den Bootsrand. Die Sonne wärmt mir das Gesicht. Die Möwen lassen sich durch mich nicht stören. Sie ruhen ein wenig entfernt am steinigen Ufer, einige tapsen umher, auf der Suche nach einer Mahlzeit. Links von mir sehe ich die Silhouette von Galway. Häuser schmiegen sich direkt an der Küste eng aneinander, wie in Reih und Glied. Kutter ankern an der Kaimauer.

Hier fließt der Corrib in den Atlantik, und ich raffe mich auf, um bis an die Spitze des Nimmo’s Pier zu gehen.

Als ich auf die Galway Bay blicke, umweht mich eine samtweiche Brise, die mein Haar anhebt und mich zu liebkosen scheint. Nur wer Irland schon einmal erlebt hat, kennt diese unterschiedlichen Winde, die dieses Land hervorbringt – sanft und mild, aber auch schneidend und eiskalt. Ich sauge die Atmosphäre in mich auf, fühle mich zugehörig, hier an diesem Scheidepunkt, wo Fluss und Meer zusammenfließen. Meine Gedanken klären sich, die Sorgen haben nicht mehr so viel Gewicht.

Für die Touristen mag Irland zauberhaft sein, voller Mythen und Geheimnisse. Ich fühle vor allem eine innige Verbundenheit, eine Verwurzelung, die viel tiefer geht. Sie bewirkt, dass ich mich wie ein Teil dieser besonderen Magie fühle.

Mit einem Lächeln gehe ich zurück zu meinem Rad. Ich fahre über die Wolfe Tone Bridge auf die andere Flussseite und lasse mich treiben, radle in die Richtung, in die es mich zieht. Ich komme etwas außerhalb von Ballinfoyle heraus, bin also ungefähr auf Höhe der Farm, aber zu weit östlich. Die kleine Ortschaft Coolough liegt zwischen mir und meinem neuen Zuhause. Also hat es mich schon wieder zu Pater Jacob gezogen?

Verwundert steige ich ab, schaue über die Felder in Richtung des kleinen Cottage, das vielleicht von hier mit dem Fahrrad in einer Viertelstunde erreichbar wäre.

Nein, heute lasse ich Jacob in Ruhe. Er kann mir ja doch nicht helfen. Außerdem wird er wahrscheinlich schlafen, da wir ihn die halbe Nacht wachgehalten haben. Wir, und die Gedanken an Anne …

Ich schrecke regelrecht zusammen, als ein schrilles Wiehern meine Aufmerksamkeit erregt. Der Ruf eines Pferdes geht mir durch Mark und Bein. Hektisch sehe ich mich um. Hat sich eines verletzt? Oder ist in Not?

Ich höre einen Mann laut fluchen, das Geräusch von einem galoppierenden Pferd nähert sich. Wie ein Dämon hetzt ein Rappe durch die Lücke zweier Sträucher und bleibt wie angewurzelt stehen, als er mich vor sich sieht. Sein Blick bannt mich. Pure Panik flackert in seinen Augen.

„Komm zurück, du blödes Vieh!“

Die harsche Stimme des Mannes scheucht es erneut auf, und das Tier rennt davon. Ich weiche zurück, als sich ein älterer Mann ebenfalls durch das Gebüsch kämpft und mit wütendem Ausdruck dem flüchtenden Pferd hinterhersieht.

„Was ist denn passiert?“, frage ich vorsichtig. „Kann ich vielleicht helfen?“

Da erst bemerkt mich der Mann. Er zieht die Stirn kraus. „Er weiß es. Dieser verdammte Teufel weiß es.“

„Was denn?“, hake ich nach.

Zuerst antwortet er nicht, starrt dem Rappen nach, der bis zu einem Wäldchen gelaufen ist. Der Mann presst die Lippen aufeinander, schüttelt den Kopf. „Dass aus ihm Pferdeklopse werden sollen.“

„Was?!“, hauche ich und sehe betroffen auf das schwarze Pferd, das uns mit Argusaugen beobachtet. Sein Körper ist angespannt, es ist weiterhin bereit zur Flucht. „Warum das denn?“

„Ach Mädchen, er ist zu nichts mehr zu gebrauchen. Früher hat er an den Dublin-Horse-Shows teilgenommen, er war als Springpferd gar nicht schlecht. Aber er ist alt, sträubt sich vor allem und beißt nur noch um sich. Er kostet einfach nur noch Unsummen.“

Ich sehe wieder die dunklen Augen des Tieres vor mir, voller Angst und Argwohn. Es widerstrebt mir zutiefst, es einfach seinem Schicksal auszuliefern.

„Wie heißt er?“, frage ich leise und beobachte das Pferd.

„Früher hieß er Black Star, und ich hatte die Hoffnung, dass er es weit bringt.“

„Aber das hat er nicht.“

„Weil er so stur ist! Deswegen habe ich ihn immer nur Black Jack genannt.“ Der Mann lacht leise. „Weil es mit ihm wie beim Glücksspiel ist. Wenn er gut drauf war, hat er sogar mal ein Turnier gewonnen. Es konnte aber auch passieren, dass er bockte und den Reiter abwarf.“

Ich schweige, denke an meine alte Farm, an die Weiden und an meinen Traum. Bei mir bräuchte er an keinen Springturnieren teilnehmen, er dürfte einfach nur Pferd sein. Ob ihn das besänftigen würde?

Mein Herz beginnt schneller zu pochen, als ich den Gedanken weiterspinne. „Wie alt ist er denn?“

„Der Bursche müsste jetzt achtzehn sein.“ Er sieht mich nun mit einem ganz neuen Ausdruck an, denn er wittert ein Geschäft. „Ein paar Jährchen hätte er noch. Und für einen Irish Hunter hat er ein sehr außergewöhnliches Fell. Eigentlich ist die Rasse nicht so dunkel. Sind Sie interessiert an ihm?“

„Was zahlt Ihnen der Schlachter?“, weiche ich der Frage aus.

„Der Schlachter?“ Für einen Augenblick habe ich ihn verwirrt, doch er begreift schnell, worauf ich hinauswill. Er grinst wie ein Kobold. Die schelmische Mimik verwandelt den mürrischen Mann regelrecht, und ich erkenne hinter der harten Fassade einen Iren, der das Tier zwar loswerden, aber nicht unbedingt sterben lassen will.

Er nennt mir einen Preis, den kein Schlachter zahlen würde. Ich neige den Kopf, sehe ihn skeptisch an und runzle die Stirn.

„Na gut, na gut, ich sehe schon, Sie sind nicht auf den Kopf gefallen.“

„Ich denke, Sie haben versucht, Black Jack anderweitig zu verkaufen.“

„Ja, sicher …“

„Also machen Sie mir einen guten Preis! Denn seien Sie ehrlich. Sie wollen ihn doch gar nicht in der Metzgerei wiederfinden, oder?“

Er seufzt, reicht mir die Hand, die ich automatisch ergreife. „Greg Sullivan. Mit wem habe ich denn das Vergnügen?“

„Sínead Murphy, von der Brody Farm.“

„Ach, Sie sind die Kleine, die Rays Farm gekauft hat?“ Gregs Gesicht hellt sich noch mehr auf. „Ihm hätte so ein verrücktes Vieh wie Black Jack auch gefallen.“

Ich überhöre die Kleine und trete einen Schritt näher. „Sie kannten den alten Ray?“

„Jeder kannte Ray“, sagt er sanft.

Ich begreife, dass der alte Ray Brody auf eine gewisse Weise wohl doch Hilfe hatte und nicht so allein war, wie ich bisher befürchtet hatte. Ob er vielleicht zu stolz war und keine Hilfe annehmen wollte?

Greg legt mir eine Hand auf die Schulter und nennt mir einen Preis, der mich aufhorchen lässt. Es ist ein Freundschaftsangebot, der weit unter jedem Schlachtpreis liegt. „Ich gebe noch sein Halfter und ’nen alten Führstrick mit drauf, aber einfangen müssen Sie ihn selbst.“

Erneut strecke ich ihm die Hand hin. „Abgemacht!“, sage ich mit einem euphorischen Gefühl.

Er schlägt ein.

Mir wird erst jetzt wirklich bewusst, dass ich so eben ein Pferd gekauft habe. Ich drehe mich um, beobachte den Rappen. Black Jack steht noch immer fluchtbereit auf der Wiese. Er mustert mich skeptisch.

Jetzt muss ich ihn nur noch irgendwie zur Farm kriegen.

„Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit Black Jack“, sagt Greg Sullivan in leicht spöttischem Ton.

„Sie könnten mir helfen, ihn …“ Eine abwehrende Geste lässt mich innehalten.

„Das Pferd gehört jetzt ganz Ihnen, Lady.“

Sommerglück

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