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4. Der Procurator

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Keyra war im ersten Moment zu perplex, um zu antworten. Der Mann reagierte darauf, indem er sie grob durchschüttelte. „Antworte, Dirne! Ist das der Dank für die Großherzigkeit der Antoniter, dass du hier herumschleichst, um etwas zu stehlen?“

„Ich wollte nichts stehlen“, protestierte Keyra. „Ich wusste nicht, dass es verboten ist, sich umzusehen.“

„Es ist verboten, alleine herumzuschleichen. Und deswegen kommst du jetzt mit zum Procurator, um dich zu verantworten.“ Die Finger des Mönchs schlossen sich wie eine Eisenklammer um Keyras Arm, und er zog sie hinter sich her. Sie überquerten den Hof vor ihnen. Das große Gebäude gegenüber hatte die Form eines Ls, und der Mönch strebte auf den kürzeren Flügel links von ihnen zu. Keyra protestierte gegen die grobe Behandlung, doch der Mönch beachtete sie überhaupt nicht. Er schritt energisch aus, sodass die Hühner empört gackernd auseinanderstoben. Keyra hatte kaum Zeit, sich zu orientieren. Ehe sie es richtig einordnen konnte, hatte der Mönch, dessen Kopf ein grauer Haarkranz zierte, eine Tür geöffnet, sie durch einen dunklen Flur und eine Treppe hinauf geschleift. Er klopfte an eine dunkelbraune Holztür und wartete nicht, bis eine Reaktion von innen kam. Schwungvoll drückte er eine Klinke hinunter und stieß Keyra vor sich her in den Raum.

„Procurator, ich habe eine Diebin ertappt, die auf dem Klostergelände herumgeschlichen ist.“

Hinter einem großen Schreibtisch saß ein alter Mann, ebenfalls ein Mönch, aber bestimmt doppelt so alt wie der Dicke, der Keyra hergezerrt hatte. Er hatte wache blaue Augen und weiße Haare. „Theobald, was hat das zu bedeuten?“, fragte er erstaunt.

„Ich bin nicht herumgeschlichen“, sagte Keyra empört. Sie befreite sich aus dem Griff des Mönchs. „Ich habe mich besser gefühlt und habe mein Krankenzimmer verlassen, weil ich mich umsehen wollte. Ich konnte nicht ahnen, dass man dafür als Diebin an den Pranger gestellt wird.“

„Du bist eine Kranke aus dem Hospiz?“ Der Procurator musterte sie von oben bis unten.

„Wieder eine Lüge – ich kenne die Siechen, und dieses Weib gehört nicht dazu. Sie ist überhaupt nicht aus dem Dorf.“ Theobald machte einen Schritt nach vorne, um Keyra erneut zu packen.

Keyra wich zurück, sodass sie mit dem unteren Rücken gegen den Schreibtisch stieß. „Ich bin keine Kranke. Ich hatte einen Unfall, Martha hat mich hierher gebracht.“

„Diese Hexe!“, Theobald verzog angewidert das Gesicht. „Du bist also mit ihr im Bunde.“

„Theobald!“ Der Tonfall des Procurators ließ das Gesicht des Mönchs zu Eis erstarren. „Ich weiß, wie du von Martha denkst, aber halte dich mit solchen Anschuldigungen zurück. Zudem reden wir momentan nicht von der Hebamme.“ Er wandte sich wieder Keyra zu. „Wie ist dein Name? Und was verschlägt dich nach Roßdorf?“

Der Brief! Wenn ich ihn jetzt nicht übergebe, wann dann? Keyra griff in ihre Umhängetasche und zog den Brief hervor. „Das hier wird einiges aufklären“, behauptete sie und hoffte inständig, dass es auch so war.

Der Procurator nahm den Brief mit fragend hochgezogenen Augenbrauen entgegen. Als er das Siegel sah, stockte er. Er drehte den Brief um und zeigte Theobald das rote Oval. Theobald schnappte nach Luft. „Das Siegel des Präzeptors!“

„In der Tat. Unser Gast ist wohl tatsächlich keine Diebin.“ Der Procurator nahm einen großen, mit einem blauen Edelstein besetzten Dolch vom Schreibtisch und brach damit das Siegel, entfaltete den Brief. Seine Augen huschten über die Zeilen, die, soweit Keyra erkennen konnte, mit schwarzer Tinte in gestochen sauberer Handschrift verfasst waren. Mit einem verblüfften Gesichtsausdruck ließ er das Schriftstück sinken. „Theobald, du wirst dich bei unserem Gast entschuldigen müssen. Das ist Kathrina Brücher, ein Mündel des Präzeptors. Sie sollte wohl eigentlich mit dem Wagen ankommen, der heute Morgen eingetroffen ist.“

Theobald klappte der Mund auf. „Ein … Mündel des …“

„Des Präzeptors, jawohl. Sie ist eine Waise aus Frankfurt, die am Kloster in Höchst aufgezogen wurde.“ Der Procurator sah sie mitleidig an. „Es tut mir sehr leid, dass Ihr Eure Eltern an das Antoniusfeuer verloren habt. Doch andere Waisen treffen es schlechter, wenn ihre Eltern nicht ihr Hab und Gut dem Kloster überlassen und so das Auskommen ihres Kindes sichern.“

„Huh … ja, da habe ich wohl richtig Glück gehabt“, sagte Keyra, da der Prokuratur sie abwartend ansah. Da Theobald die Stirn runzelte, setzte sie hinzu: „Äh, dem Herrgott sei gedankt!“

„Das ist doch Humbug“, protestierte Theobald. „Ich weiß nichts davon, dass der Großpräzeptor ein Mündel hat …“

„Das Haus in Höchst hat sogar mehrere Waisenkinder aufgenommen, von denen ich weiß“, unterbrach der Procurator. Er wies auf das Siegel. „Der Brief ist echt. In ihm bittet der Präzeptor darum, Kathrina aufzunehmen und in der Heilkunst zu unterweisen.“

„Was ist das für eine seltsame Bitte?“ Theobald blieb misstrauisch. „Warum unterweisen die Höchster das Weib nicht selbst?“

„Gründe sind nicht angegeben, und bei einer Bitte des Präzeptors sind sie auch nicht notwendig.“ Der Procurator faltete den Brief sorgsam zusammen. Keyra konnte sich denken, dass er seine Vermutungen hatte. Ein junger Mönch, der dem Mündel zu nahe getreten war, oder umgekehrt … Darüber wurde sicher nicht gesprochen. „Nun denn, willkommen im Antoniterkloster Roßdorf, Kathrina Brücher. Ich bin Procurator Adam Raid, das ist Vikar und Cellarius Theobald, mein Stellvertreter. Was ist Euch auf dem Weg hierher zugestoßen?“

Dass der Vikar ein Gesicht machte, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen, verschaffte Keyra eine gewisse Befriedigung. „Ich weiß es leider nicht. Ich kann mich an den Vorfall nicht erinnern, nicht einmal daran, wie ich ins Kloster gebracht wurde.“ Sie senkte den Blick. „Ich kann mich an nicht viel mehr als meinen Namen erinnern. Als ich den Brief in meiner Tasche gefunden habe, habe ich aber geahnt, dass er wichtig ist.“

„Hm …“ Adam strich sich über den kleinen Spitzbart, der ebenso wie sein Haupthaar schneeweiß war. Als er sich jetzt erhob, bemerkte Keyra, dass der schlanke Mann den Vikar um zwei Haupteslängen überragte. „Nun gut, die Erinnerung wird wiederkommen. Du wirst dich zunächst einen oder zwei Tage erholen und danach im Spital helfen.“

Oha – meine ‚Eltern‘ scheinen ganz schön großzügig gewesen zu sein.

„Martha wird sich um dich kümmern“, bestimmte Adam.

„Aber Procurator, das kann nicht Euer Ernst sein.“ Theobald knirschte mit den Zähnen. „Wenn dieses …. dieses Mädchen tatsächlich ein Mündel des Präzeptors ist, könnt Ihr es nicht diesem schlechten Einfluss aussetzen.“

Der Procurator atmete tief durch. Keyra war sicher, dass er am liebsten die Augen verdreht hätte. „Noch einmal: Martha ist eine gute Heilerin. Niemand sonst kennt sich so gut mit Heilkräutern aus. Solange es keinen ernsthaften Grund gibt, sie in Misskredit zu bringen, solltest du dich zurückhalten.“

Der Vikar beugte sich vertraulich vor. Dabei stützte er die rechte Hand auf die Tischplatte, an der ein goldener Ring funkelte: „Aber wenn ich es Euch doch sage – diese Hexe hat magische Kräfte. Schwangere Frauen kommen zu ihr und wenn sie gehen, sind sie nicht mehr schwanger. Sie ist eine Engelmacherin.“

„Das ist Schwätzerei.“ Adam winkte ab. „Schluss jetzt. Kathrina, geh zurück ins Hospital. Und du, Theobald, gehe in die Kirche, bete zehn Rosenkränze und denke dabei an das achte Gebot, das da lautet: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“

Schlüssel der Zeit - Band 5: Antoniusfeuer

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