Читать книгу 100 Prozent Anders - Tanja Mai - Страница 14
ОглавлениеZeitgleich zu meinem Eintritt ins Eichendorff-Gymnasium und zu den turbulenten Erlebnissen des ersten Schulhalbjahres bewarb ich mich für eine Talentshow im Fernsehen.
Die ZDF-Show hieß „Hätten Sie heut’ Zeit für uns?“, und durchs Programm führte der beliebte Moderator Michael Schanze.
Michael Schanze wurde in den Siebzigerjahren als Sänger und Showmaster bekannt und entsprach dem klassischen Bild des idealen Schwiegersohns, wie ihn sich jede Fernsehzuschauerin heimlich wünschte. Er war der perfekte Mann für die TV-Unterhaltungsbranche. In seiner Talent-Show mussten alle Künstler live singen und wurden live von einer Bigband begleitet. Im Unterschied zu vielen heutigen Casting-Shows wurde damals kein Sieger ermittelt. Es war Auszeichnung genug, dass man an der Sendung teilnehmen durfte. Von über 700 Bewerbungen wurde ich neben 12 weiteren Newcomern eingeladen. Was für ein Schritt, was für ein Karrieresprung. Ich war stolz wie sonst was!
Bis zu meinem großen Erfolg mit Modern Talking dauerte es rückblickend viele Jahre. Auf dem Weg dorthin gab es aber immer wieder Karrieresprünge, die mich meinem Traum, ein erfolgreicher Sänger zu werden, ein großes Stück näher brachten. Der Auftritt bei Michael Schanze zählt eindeutig zu meinen Highlights als aufstrebender Jungkünstler. Ich hatte zuvor noch nie an einer Fernsehshow teilgenommen, nicht mal bei einem kleinen Lokalsender. Und jetzt gleich das ZDF, Hauptabendprogramm. Live singen und live Klavier spielen. Live im Programm. Ohne Netz und doppelten Boden. Über zehn Millionen Fernsehzuschauer. Konzentrieren, Haltung und … RAUS auf die Bühne!
Ich sang meine zweite Single „Du weinst um ihn“ und war erleichtert, als es vorbei war. Die Single wurde ein Achtungserfolg, schaffte es aber wieder nicht in die Verkaufscharts.
Jeder kennt die Lebensweisheit: „Vor den Erfolg hat der liebe Gott den Schweiß gesetzt.“ Das traf bei mir sehr oft zu. Und ebenso das Sprichwort: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“
Mein Produzent Daniel David und die Plattenfirma CBS hatten zwei Singleversuche mit mir gestartet, aber der Durchbruch ließ auf sich warten. Das Showbusiness war auch schon damals ein schnelllebiges Geschäft. Nicht so schnell wie heute, aber Erfolge wurden erwartet, und Umsatzzahlen nahm man auch vor 30 Jahren schon sehr ernst.
Mein Manager Peter Krebs machte für mich einen Termin aus bei der Berliner Plattenfirma Hansa. Hans Blume, zusammen mit den Meisel-Brüdern der Geschäftsführer, hatte zwar meine Platten gehört, wollte sich aber ein eigenes Bild davon machen, ob ich wirklich singen konnte und wie ich „in natura“ wirkte. Also trafen wir uns. Anscheinend gefiel ich ihm, denn er zeigte Interesse an mir. Es dauerte dann aber noch eine ganze Weile, bis ich meinen Vertrag bei der Hansa unterschrieb und meine nächste Single auf den Markt kommen sollte. Hans Blume suchte noch einen passenden Titel für mich. Er wollte auch einen anderen Produzenten als Daniel David. Zudem sollte das gesamte Umfeld für die Promotion stimmen. Also alles Dinge, die man nicht in zwei Tagen in die Tat umsetzen konnte.
Leider waren damit dann auch die Zeiten von Peter Krebs als meinem Manager beendet. Die deutschsprachigen Singles waren nur mäßig erfolgreich, und ich verlor ihn ziemlich schnell aus den Augen. Viele Jahre später, als ich mit Modern Talking auf dem Höhepunkt des Erfolgs war, rief mich Peter an und meinte, jetzt, wo ich ein Star geworden sei, müsse er mir endlich die Wahrheit über das Casting bei Lou van Burg erzählen: „Ich und Michael Ahrens saßen damals mit in der Jury. Wir haben dir mit Absicht null Punkte gegeben, weil wir verhindern wollten, dass du unter die ersten Drei kommst. Wir fanden dich so klasse, dass wir selbst mit dir zusammenarbeiten und dir einen Plattenvertrag anbieten wollten. Wir wussten, wenn du erst mal unter den Fittichen von Lou bist, haben wir keinen Zugriff mehr auf dich. Ich hoffe, du bist uns nicht böse …“ Warum sollte ich den beiden böse sein? Mir war schnell klar, dass ich ihnen sogar dankbar sein musste. Denn hätte ich das Casting gewonnen, hätte ich wahrscheinlich niemals Dieter Bohlen getroffen, und es hätte Modern Talking in dieser Besetzung wohl nie gegeben.
Aber bis ich den durchgeknallten Dieter treffen sollte, dauerte es noch einige Zeit.
Zunächst ging ich also weiter brav zur Schule und wartete darauf, bis Hans Blume von der Hansa mir einen Plattenvertrag anbieten würde. An fehlender Beschäftigung fehlte es mir nicht, obwohl meine Gedanken während des Unterrichts viel häufiger bei der zukünftigen Plattenfirma waren als bei dem Stoff, den die Lehrer uns beizubringen versuchten.
***
Wir hatten am Eichendorff-Gymnasium eine Schülerzeitung, die „Schnurps“ hieß und unter anderem von den grandiosen Zeichnungen eines Mitschülers, Andreas Welter, lebte. Er konnte perfekte Karikaturen zeichnen und hatte einen sensationellen Blick für das Komische. Zur Redaktion gehörte auch ein Schüler namens Guido Karp, der eine Klasse unter mir war. Nach dem Artikel in der Bravo sprach Guido mich an und bat um ein Interview. Guido war damals schon sehr extrovertiert und redete schneller, als man ihm zuhören konnte. Er ließ auch gern einmal wichtige gedankliche Übergänge weg, weil er voraussetzte, dass sein Gegenüber wusste, um was es ging. Nach unserem ersten Gespräch fühlte ich mich wie nach dem Schleudergang in der Waschmaschine. Ehrlich gesagt, wusste ich gar nicht, was er von mir wollte. Er meinte, er wolle mich für die Schnurps interviewen und dann noch Fotos schießen. Die könnten wir im Schulhof machen, aber auch irgendwo in Koblenz. Wann ich denn nun Zeit hätte?
Nach dem kurzen Gespräch mit ihm war ich fix und fertig und musste erst mal wieder einen klaren Kopf bekommen. Also bot ich ihm an, er könne mich ja zuhause anrufen. Ich würde mir das mit dem Interview noch überlegen. Mittags sagte ich meiner Mutter: „Wenn so ein total Wirrer aus der Schule anruft und mich sprechen will, sag ihm bitte, ich sei nicht da.“ Auch Guido erzählte seiner Mutter: „Hör mal, der Thomas Anders ist so eine arrogante Socke. Der ließ mich einfach abblitzen und will es sich erst noch mal überlegen, ob er der Schnurps ein Interview gibt. Was bildet der arrogante Vogel sich denn ein?“
Heute sind Guido und ich die besten Freunde. Guido ist der hilfsbereiteste Mensch, den man sich vorstellen kann. Er hat einfach nur ein riesengroßes Herz. Aber, wie gesagt, er ist nicht unanstrengend. Charakterlich sind wir beide eigentlich total verschieden, dennoch harmonieren wir wunderbar.
Guido und ich erlebten unglaublich schöne Zeiten miteinander. Als ich noch mit meinem Frankfurter Produzenten Daniel David zusammengearbeitet habe, fuhren wir in seinem Auto oft von Koblenz nach Frankfurt. Ich hatte noch keinen Führerschein, Guido schon. Zudem besaß er einen uralten roten Audi, an dem der Lack schon stumpf war. Für uns war es das Größte, in der alten Schüssel durch die Gegend zu scheppern und Spaß zu haben. Wenn Guidos Eltern nicht zuhause waren, konnte ich bei ihm übernachten. Das war super! Als Landei musste ich normalerweise jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen, damit ich mit meinem Vater um sieben Uhr nach Koblenz fahren konnte, weil um acht Uhr die Schule begann. Guido aber wohnte nur 400 Meter von der Schule entfernt. Wenn ich bei ihm übernachtete, hieß das, um halb acht Uhr aufstehen, einmal durch den Wasserstrahl laufen, in die Klamotten springen und ab in den Unterricht.
Wir kamen an den Wochenenden oft sehr spät aus Frankfurt, von Daniel David, zurück nach Koblenz – und eines konnte ich ganz hervorragend als Beifahrer: schlafen! Das ist heute noch so. Wenn ich nicht selbst am Steuer sitze, schlafe ich ein. Autofahren ist für mich das beste Schlafmittel überhaupt.
Guido hat das genervt, denn er hätte sich lieber mit mir unterhalten, um nicht müde zu werden. Eines Nachts, wir waren schon runter von der Autobahn und fuhren auf der Landstraße, hielt er an und schrie: „Wir sind daaa.“ Ich stieg total schlaftrunken aus und fand das Schlüsselloch an unserer Haustür nicht. Worauf er sich kaputtlachte. Wir standen mitten in der Pampa am Straßenrand, und ich suchte das Schlüsselloch an der Haustür meiner Eltern. Ich hatte weder Drogen noch Alkohol intus, ich war einfach hundemüde. Die restlichen zehn Kilometer waren wir hellwach, und er lachte sich immer noch schief über mich.
Guidos absolute Lieblingsgeschichte ist jedoch bis heute die vom Elefantenfurz. Darüber lachen wir Tränen. Guido machte einen Ausflug mit seiner Klasse und ging in den Frankfurter Zoo. Als er mit einigen Kumpels vor dem Elefantengehege stand, grölten sie und warfen einem Elefanten ein paar Stöcke und Futter zu. Der Abstand zu dem Tier war relativ gering, vielleicht zwei bis drei Meter, aber hinter den Eisenstangen fühlten sich die Jungs ja in Sicherheit. Da geschah Folgendes: Ein Elefant drehte sich um und richtete sein Hinterteil auf Guido und Konsorten. Plötzlich hob er sein Elefantenschwänzchen und erleichterte sich durch einen lauten Furz. Stefan, ein Kumpel, stand am nächsten und wurde von der riesigen Gaswolke umhüllt. Prompt wurde er ohnmächtig. Diese Geschichte habe ich bis heute sicherlich schon hundert Mal von Guido gehört, und jedes Mal muss ich wieder aufs Neue lachen.
***
Endlich bekam ich dann meinen neuen Plattenvertrag bei der Hansa und dazu auch ein neues Produzententeam, bestehend aus Bernd Dietrich und Gerd Grabowski. Gerd Grabowski feierte als G. G. Anderson große Erfolge, als Interpret wie als Komponist. Zusammen mit Bernd Dietrich schrieb er zudem große Hits für Roland Kaiser, Engelbert, Tony Christie und viele andere.
Mit den beiden als Produzenten nahm ich 1981 und 1982 jeweils eine Single auf: „Es war die Nacht der ersten Liebe“ und „Ich will nicht dein Leben“. Beide Songs waren gut, wurden aber immer noch keine Hits.
1982 veröffentlichte ein französischer Sänger namens F. R. David seine Single „Words“ in Deutschland und landete damit einen gigantischen Hit. Ich habe mir die Single damals auch gekauft, weil ich sie so klasse fand, ohne mir dessen bewusst zu sein, dass dieser Mann indirekt wieder einen wichtigen Entwicklungsschritt in meiner Karriere bewirken sollte.
Die Folge-Single von F. R. David hieß „Pick Up the Phone“, und Hans Blume von der Hansa wollte, dass ich die deutsche Original-Coverversion singen sollte. Es würde jetzt zu weit führen, die Strukturen einer Plattenfirma und eines Musikverlages zu erklären. Es ist alles eine Frage von Musikrechten und wie Tantiemen und Einnahmen verteilt werden. Vielleicht schreibe ich das mal in einem anderen Buch nieder, einem Ratgeber!
Egal, die Rechte an „Pick Up the Phone“ hatte der Intersong-Verlag in Hamburg gekauft, und deshalb durfte der Verlag auch entscheiden, wer die deutsche Originalversion singen sollte. Die Bedingung von Intersong war, dass nur ein hauseigener Produzent den Song produzieren dürfe, damit die Produzenteneinnahmen bei Intersong verbleiben würden. Es drehte sich wieder einmal alles ums Geschäft! Für mich bedeutete dies einmal mehr Abschied zu nehmen von meinen zwischenzeitlich liebgewonnenen Produzenten. Ich musste mich erneut auf die Zusammenarbeit mit einer mir bis dahin völlig unbekannten Person einstellen.
Im Frühjahr 1983 saß ich also im Flieger von Frankfurt nach Hamburg, um im Studio meine neue Single „Was macht das schon“ einzusingen. Dort sollte ich auch meinen neuen Produzenten kennenlernen: Dieter Bohlen.