Читать книгу 100 Prozent Anders - Tanja Mai - Страница 11
ОглавлениеMeine Eltern besaßen elf Jahre lang ein kleines Ausflugscafé im Ort vor der Burg Eltz. Ich liebe diese romantische, märchenhafte Burg bis heute. Immer in der Woche vor Ostern fand die große Eröffnung unseres „Café Weidung“ statt. So oft es ging, habe ich meiner Mutter dort geholfen. Am tollsten fand ich es immer, wenn der Laden proppenvoll war und richtig viel Hektik herrschte. Unser Café befand sich an der Durchgangsstraße zur Burg Eltz. Auf dem Weg nach oben hielten die Busfahrer bei uns an und reservierten für zwei Stunden später schon einmal Tische für ihre Reisegruppen. Das waren dann gerne um die 50 Personen auf einen Schlag, die innerhalb von fünf Minuten ihr Kännchen Kaffee und ihr Stück Schwarzwälder Kirschtorte serviert bekommen wollten. Ich habe dann serviert, meine Mutter stand an der Kuchentheke und kam aus dem Schneiden gar nicht mehr heraus. In der Küche hatten wir eine Aushilfe, die den Kaffee kochte und für das Geschirr zuständig war. Je voller, desto lieber war es mir. Im größten Trubel fing ich an zu singen, und so war jedes Mal eine Bombenstimmung bei uns im Café.
Auf der Kuchentheke hatte meine Mutter immer frische Blumen stehen. Daneben dekorierte sie eine meiner Singles, die ich neu produziert hatte. Die war nie zum Verkaufen gedacht, sondern einfach nur als Zeichen dafür, wie stolz meine Eltern auf mich waren. Eines Tages ging unsere Industriekaffeemaschine kaputt, die pro Stunde rund 400 Tassen Kaffee kochen konnte. Da so ein Teil locker 15 000 Mark kostet, konnten wir nicht mal schnell eine neue kaufen, sondern mussten einen Elektriker rufen, der sie reparieren sollte. Als der Mann fertig war, plauderte er noch ein wenig mit meiner Mutter. Als er meine Single entdeckte, erzählte er: „Ich mache auch Musik, habe eine eigene Band. Der Thomas Anders bewirbt sich ständig bei uns, doch wir wollen ihn nicht haben, weil er so schlecht ist und nicht singen kann. Ich habe auch gar keine Ahnung, wie der es überhaupt geschafft hat, eine eigene Single aufzunehmen.“ Meine Mutter schwieg. Erst als der Handwerker fragte: „Kennen Sie den Anders denn persönlich?“, antwortete meine Mutter mit eisigem Blick: „Ja, ich kenne ihn. Um es kurz zu machen: Er ist mein Sohn. Und eines gebe ich Ihnen noch mit auf den Weg – unsere Kaffeemaschine reparieren Sie ganz bestimmt nicht mehr. Auf Wiedersehen!“
In unserem Café hatten meine Eltern auch zwei Fremdenzimmer eingerichtet. Eines Tages kamen zwei Frauen zu meiner Mutter in den Laden, die eine war Anfang 30, die andere Ende 40, und fragten, ob sie ein Zimmer mieten könnten. Ich stand an dem Tag zufällig auch hinter der Theke. Meine Mutter sagte ja. Worauf eine der Frauen wissen wollte: „Ist das hier vorn der einzige Eingang?“ Meine Mutter: „Nein. Wir haben noch einen Hinterausgang.“ Die Frau: „Kann man die Rollläden im Zimmer so dicht schließen, dass kein Tageslicht ins Zimmer fällt?“ Meine Mutter: „Ich habe noch nie in unserem Gästezimmer geschlafen. Aber es sind ganz normale Rollläden.“ Die Frau: „Dürfen wir das vorher ausprobieren, bevor wir das Zimmer mieten?“ Meine Mutter: „Das können Sie gern tun.“ Dann wieder die Frau: „Ist das hier die Hauptstraße des Ortes? Wie weit ist es denn von hier bis zur Autobahn?“ Meine Mutter beantwortete sämtliche Fragen. Dann meinte die Frau, sie würden sich das mit dem Zimmer überlegen und sich wieder melden. Als sie weg waren, sagte meine Mutter zu mir: „Mit denen stimmt doch was nicht. Das sind sicher Terroristinnen.“ Ende der Siebzigerjahre war immerhin die Hoch-Zeit der RAF, und die Menschen waren sensibilisiert mit Blick auf verdächtige Personen. In sämtlichen öffentlichen Gebäuden hingen ja damals diese Fahndungsplakate. Wir dachten zwar, dass uns auf dem Lande nichts passieren könnte. Dennoch war meine Mutter sofort hellhörig geworden bei dem merkwürdigen Auftreten der Frauen. Sie rief die Polizei und erzählte von den beiden Frauen, die sich bei uns aber nie mehr blicken ließen. Monate später erfuhren wir, dass es tatsächlich gesuchte RAF-Mitglieder waren …