Читать книгу 100 Prozent Anders - Tanja Mai - Страница 6
ОглавлениеEs lag etwas in der Luft, und das schon seit Monaten. Eine explosive Mischung aus Unlust, Ignoranz, Unzufriedenheit und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung. Keiner von uns beiden wollte die Situation ansprechen, um bloß nicht den großen Knall auszulösen. Ich war auf dem Weg von Berlin nach Rostock, wo an diesem Abend im Juni 2003 unser Eröffnungskonzert für die Universe-Tournee 2003 stattfinden sollte. Wie so oft in den vergangenen Monaten spürte ich dieses Unwohlsein in der Magengrube. Mir war richtig schlecht, wenn ich an Dieter dachte. Mit meiner Frau Claudia wohnte ich in unserem Lieblingshotel „Adlon“ in Berlin. Mein Fahrer holte mich zur Fahrt nach Rostock dort ab und begrüßte mich mit einem freundlichen und respektvollen „Guten Tag, Herr Anders“, als er mir die Wagentür der Limousine öffnete. Claudia blieb im Hotel. Sie hatte schon zig Shows von Modern Talking gesehen und hatte keine Lust auf ein Zusammentreffen mit Dieter Bohlen. Es blieb ja doch jedes Mal nur bei ein paar gequält hervorgebrachten Höflichkeitsfloskeln vor der Show. Hinterher sagte Dieter in der Regel nicht mal „Tschüß“ zu uns.
So saß ich also alleine im Wagen und die vergangenen Monate zogen an meinem inneren Auge vorüber wie die Landschaften rechts und links der Autobahn. Es waren immer dieselben Fragen, die mich beschäftigten: Weshalb hatte die Beziehung von Dieter und mir schon wieder den gleichen (Null-)Punkt wie 1987 erreicht, bei der ersten Trennung von Modern Talking? Das Ende kommt, aber niemand weiß, wann! Okay, wir waren älter und auch abgeklärter als in den 80er Jahren und hätten es doch wie zwei erwachsene Männer hinbekommen müssen, miteinander zu reden. Doch das schafften wir einfach nicht. Dieter und ich konnten noch nie vernünftig miteinander umgehen. Jetzt, wo das Ende definitiv bevorstand, hatten wir wohl beide gleichermaßen Angst davor, Modern Talking den endgültigen Todesstoß zu versetzen. So etwas ist nie leicht.
Was war die Ursache für den ganzen Schlamassel, wer hatte Schuld daran? Seit Dieter Juror bei der RTL-Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) war und sein erstes Buch „Nichts als die Wahrheit“ auf Platz 1 der Bestsellerliste stand, hatte er meines Erachtens die Lust verloren. An Modern Talking und an mir. Das fühlte ich. Dieter tickt ganz simpel, wahrscheinlich hat er sich gedacht: Wieso das Geld mit anderen teilen, wenn er doch alles für sich haben könnte. Warum sollte er sich einem musikalischen Partner anpassen, wenn er doch auch als Patriarch, von oben herab, alleine die Dinge bestimmen konnte?
Das Schöne am Älterwerden sind die Erfahrungen, die man macht. Man ignoriert nicht mehr die kleinen Zeichen des Schicksals, die man in der Jugend voller Überschwang gar nicht sieht. Ich kannte Dieter mittlerweile in- und auswendig. Daher wusste ich, dass der große Knall und somit unser Ende als Duo unmittelbar bevorstand.
***
Im Herbst 2002 hatte Modern Talking zum ersten Mal eine Anfrage für Shows in New York und Atlantic City erhalten. Wie cool! Wir gaben zwar jedes Jahr viele Shows im Rahmen einer Tournee oder von privaten Gala-Veranstaltungen im europäischen Raum, aber Amerika war noch nie dabei gewesen. Ich war mir ziemlich sicher, dass Dieter dies „hammermäßig“ finden und wie üblich zu seinen Freunden der Bild-Zeitung rennen und prahlen würde: „Ey, wie geil. Ich hab jetzt die USA klargemacht.“ Doch da hatte ich mich gründlich geirrt.
Wir bekamen die Anfrage über unsere Booking-Agentur Lutz-Rainer Seidel aus Berlin, die unsere Auftritte organisierte. Lutz hatte Unterschriftsvollmacht für die Verträge, sicherte sich bei uns aber, aus gutem Grund, per Fax stets ab. Ein Fax ging an Dieter raus, eines an mich, und wir bestätigten beide per Unterschrift. Als die USA-Anfrage kam, sprach Dieter mich bei einem Treffen darauf an. „Du, Thomas, wie findest du das? Ist das geil da? Ich meine ja nur. Eigentlich hab ich gar keine Zeit, weißt du, ich muss ja die DSDS-Jury machen und so und muss ja unser neues Album noch machen und so – und dann noch den Sieger von DSDS produzieren. Sollen wir das nicht in den Februar verlegen?“ „Ja. Für mich ist das kein Problem“, sagte ich, „nur, du weißt schon, dass wir immer mal in den USA auftreten wollten. Diese Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen. Aber ich spreche mit Lutz. Er soll den Termin beim US-Veranstalter auf Februar 2003 verlegen.“
Einige Zeit später wurde uns aus den USA ein neues Angebot unterbreitet. Dieselben Städte, nur für Ende Februar terminiert. Also: Lutz schickte wieder die beiden Faxe an uns raus, damit wir bestätigen konnten. Nach ein paar Tagen kam die Antwort von Dieter: „Kann nicht! DB.“ Aha, was war das? Ich war alarmiert. Da war es wieder, dieses mulmige Gefühl im Magen. Ich kannte Dieter gut genug, um zu wissen, dass er niemals ein Geschäft ausschlagen würde, wenn er nicht längst ein besseres in petto gehabt hätte. Trotzdem konnte ich seine Absage nicht einfach so hinnehmen. Ich griff zum Telefonhörer und rief Götz Kiso an. Götz war unser gemeinsamer Anwalt für die Belange von Modern Talking und auch der ehemalige Chef von Dieter. Doch dazu komme ich später.
Götz war immer der Vermittler zwischen uns beiden. Er nahm sich Dieter zur Brust, wenn dieser bei seinen Höhenflügen mal wieder nicht mehr zu stoppen war, und er bat mich oft um Erklärungen in schwierigen Situationen. Ich erzählte Götz von der Amerika-Sache.
Ich hatte nichts dagegen, dass Dieter Bohlen sich bei DSDS verwirklichen wollte oder in seinem Buch sein Leben als Comic illustrierte. Aber ich hatte etwas dagegen, wenn man Modern Talking und mich im Regen stehen ließ. Ich fragte Götz, was ich tun solle. Denn ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, und ich verdiene schließlich mein Geld damit. „Ich werde jetzt unsere US-Shows zum zweiten Mal absagen. Wann ist denn der beste Zeitpunkt für einen Alternativtermin?“, fragte ich Götz. „Ich kann es dir nicht sagen“, war seine lapidare Antwort. „Aber ich kann doch nicht darauf warten, bis Dieter irgendwann mal wieder Lust darauf hat, mit Modern Talking aufzutreten“, erwiderte ich. Ich werde die Antwort von Götz nie vergessen: „Thomas, ich gebe dir den guten Rat, nimm mit, was du kriegen kannst.“ Diese Botschaft war für mich eindeutig! Der „große Meister“ hatte keinen Bock mehr auf Modern Talking, wusste aber noch nicht, wie er das Ende für sich medial nutzen konnte.
Ich schrieb daraufhin Dieter ein Fax, dass ich seine Absage zwar nicht verstehe, als Alternative könne ich aber noch mal versuchen, die USA-Termine in den Mai zu legen. Ich sei auch gewillt, die Auftritte für mich alleine durchzuziehen, erklärte ich ihm. Ich bekam nie eine Antwort von Dieter.
Zwischenzeitlich hatte Lutz-Rainer Seidel immer wieder Kontakt mit unserem Agenten für die Amerika-Jobs. Lutz erklärte ihm, dass Dieter Bohlen keine Zusage für die Konzerte in den USA geben würde. Über dessen Antwort muss ich auch heute noch, nach so vielen Jahren, schmunzeln: Er fragte einfach, wo denn das Problem sei? „Dann soll Thomas Anders eben ohne seinen Gitarristen auftreten.“
Zwei Wochen später erfuhr ich über Dritte des Rätsels Lösung. Dieter hatte schon lange für eine Tournee mit den Teilnehmern der DSDS-Staffel im Mai 2003 unterschrieben und deshalb keine Zeit mehr für die Auftritte mit Modern Talking. Ich rief sofort Lutz an und sagte: „Unterschreibe bitte für die Shows in den USA. Ich mache es allein.“
***
Nach rund zweieinhalb Stunden Fahrt kamen wir in Rostock vor der Konzerthalle an. Ich ging direkt in meine Garderobe. Ich wusste nicht, ob Dieter schon da war. Ich hatte aber auch nicht das dringende Bedürfnis, ihn freundlich zu begrüßen. Ich sagte „Hallo“ zu meinen Musikern, und wir stimmten uns auf die Show ein. Es ist immer etwas Besonderes vor der Eröffnungsshow einer Tour. Das Programm ist noch nicht hundertprozentig eingespielt, man singt neue Songs, man ist einfach etwas nervöser als sonst.
Mittlerweile waren auch Dieter und seine damalige Lebensabschnittsgefährtin Estefania (die eigentlich Ingrid Stefanie heißt) eingetrudelt. Wir nickten uns kurz zu. Minuten vor der Show bat Dieter mich in seine Garderobe, und da wusste ich, es drohte mal wieder Ärger. Wir standen uns gegenüber. Er sah mich missmutig an und fragte: „Bist du in Amerika aufgetreten?“ „Jetzt tu doch nicht so, als wüsstest du das nicht. Es ist schließlich schon einige Wochen her“, antwortete ich. „Damit das klar ist“, fauchte er, „ich verbiete dir mit Modern-Talking-Songs aufzutreten.“ „Du kannst es mir nicht verbieten“, gab ich scharf zurück. „Und ob ich das kann! Ich verbiete dir, mit meinen Songs aufzutreten. (Aha dachte ich, es sind also seine Songs.) Ich bin der Produzent und der Schreiber der Songs.“ Meine Freunde wissen, wie süffisant ich sein kann, wenn jemand unverschämt wird. Ich antwortete mit einem eiskalten Lächeln: „Verbieten kann es mir nur die Plattenfirma, denn sie besitzt die Rechte an den Titeln. Jedoch auch nur dann, wenn ich die originalen Produktionen benutze. Tue ich aber nicht. Zudem bist nicht du im Besitz der Rechte an den Produktionen, sondern die Schallplattenfirma. Und da ich die Songs alle neu vertone, kannst du mir gar nichts anhaben. Das weißt du genauso gut wie ich.“
Auch wenn er sich in seinem Buch zu erinnern glaubt, „ganz ruhig“ gewesen zu sein, in Wahrheit schäumte Dieter vor Wut und schrie: „Das werden wir sehen!“ „Abgesehen davon“, sagte ich, „ich finde es mal wieder hervorragend, vor einer Show und zum Start einer Tournee mit dieser Stimmung auf die Bühne zu gehen.“ „Das ist mir scheißegal!“ „Klar ist dir das scheißegal. So wie alles. Hauptsache, du hast dein überzogenes Ego mal wieder raushängen lassen. Du bist und bleibst ein A…!“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und ließ ihn allein zurück. Ich ging in meine Garderobe und war fassungslos. Was für ein niveauloser und egoistischer Typ dieser Bohlen doch war!
Das Sahnehäubchen der Egomanie wurde mir dann auch prompt akustisch serviert. Als Opener für unsere Show wurde just in dem Moment der Sieger der damaligen DSDS-Staffel angekündigt: Alexander Klaws. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass ich davon natürlich nichts wusste. Es brachte mir auch keine Genugtuung, dass er vom Publikum ausgebuht wurde. Die Fans wollten uns – und ich saß in meiner Garderobe und wusste, dass die letzten Minuten von Modern Talking eingeläutet waren.
Ich war froh, dass Claudia nicht dabei war. Als hätte sie eine Vorahnung gehabt, dass an diesem Abend ein großes Kapitel Musikgeschichte und gleichzeitig ein wichtiges Kapitel meines Lebens zu Ende gehen sollte. Wäre Claudia hier gewesen, hätten wir mit hängenden Köpfen in meiner Garderobe gesessen und versucht, uns die Situation zu erklären und Dieters Gehabe zu analysieren. Wie so oft in den vergangenen Jahren. Claudia hätte sich nur ein weiteres Mal unnötig mit dem ganzen kindischen Bohlen-Kram belastet.
Nein, es war gut so, wie es war.
Unsere Show begann mit einem Instrumental als Intro. Dieter und ich standen hinter der Bühne auf Position und würdigten uns keines Blickes. Noch zehn Sekunden, neun, acht und … raus!
9 000 jubelnde Fans, begeisterte Gesichter, tosender Applaus und euphorische Stimmung. Glückseligkeit für die Nichtwissenden!
Wir zogen unsere Show durch. Dank meiner Professionalität und Disziplin lasse ich mich durch Missstimmungen und Probleme zum Glück nicht verunsichern. Alles, was auf der Bühne für mich zählt, ist das Publikum. Schließlich haben sich diese Menschen seit Wochen auf diesen Tag gefreut. Sie haben viel Geld für die Eintrittskarten bezahlt und womöglich große Anstrengungen auf sich genommen, um uns sehen zu können. Das gilt es zu respektieren, und ich tue alles dafür, dass ihr großer Tag für sie unvergesslich wird.
Das wurde er dann auch für das Rostocker Publikum, leider im negativen Sinne.
„Hallo, liebe Fans“, rief Dieter mitten in der Show, „ich muss euch sagen, mit Modern Talking ist es heute vorbei.“
Die Bombe war explodiert. Es war eine Erfahrung wie bei einem gewaltigen Gewitter! Die Menschen blicken zum Himmel, sehen den Blitz – und mit leichter Verspätung kommt dann der ohrenbetäubende Knall. Ich hatte den Eindruck, in den ersten Sekunden glaubten die meisten Zuschauer an einen Scherz von Dieter Bohlen. Es waren genau die Sekunden, die das Gehirn braucht, um eine unerwartete Information über die Ohrmuschel bis zu den Nervenenden zu empfangen und die Botschaft zu verstehen. AUS! VORBEI! ENDE!
Unser Publikum buhte und pfiff, bei den ersten Fans liefen die Tränen. Ich stand auf der Bühne und dachte: Was für ein armseliges Verhalten von Dieter. Es war ihm piepegal, dass wir am Anfang einer Tour standen! Es war ihm egal, dass uns in den kommenden zwei Wochen noch 50 000 Menschen sehen wollten, die sich auf uns gefreut hatten. Er nahm keinerlei Rücksicht auf Musiker, Techniker, Bühnenhelfer oder den Veranstalter. Dieter musste mal wieder den großen Zampano geben, der allein bestimmte, wo’s langging. Wohl aus einer Laune heraus, weil er wegen der USA-Reise beleidigt war. Er kam mir vor wie ein kleines Kind, ohne Sinn und Verstand. Auch das kannte ich bereits zur Genüge von ihm.
***
Gegen Mitternacht saß ich wieder im Auto und war mit meinem Fahrer auf dem Weg zurück nach Berlin ins Hotel „Adlon“. Ich nahm mein Handy und wählte Claudias Nummer. „Und, wie war’s?“, fragte sie. „9 000 Menschen, ausverkauftes Haus“, antwortete ich. „Wie war Dieter heute drauf?“, wollte sie schlaftrunken wissen. „Er hat das Ende von Modern Talking auf der Bühne verkündet“, erzählte ich ihr ganz ruhig. „Was???“ Claudia war plötzlich hellwach. Sie klang fassungslos. „Ja, es ist vorbei“, antwortete ich. Zwischen Claudia und mir herrschte Stille. Wir waren geschockt. Nein, nicht über das Ende von Modern Talking. Wir waren geschockt, weil wir erleichtert waren. Endlich kein Wir-wissen-nicht-wie-er-heute-gelaunt-ist mehr. Kein Geschachere mehr hinter meinem Rücken, angesichts dessen ich Angst haben musste, dass er versuchte, auf meine Kosten mehr Geld für sich selbst rauszuschlagen. Keine Befürchtungen mehr, von ihm angelogen zu werden, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Es war kein Gefühl der Enttäuschung, sondern wir konnten endlich durchatmen. Endlich war es mir möglich, wieder ich selbst zu sein!
Nach dem Konzert in Rostock waren im Vorfeld der Tournee ein paar Off-Days geplant gewesen, so nennt man die freien Tage während einer Tour. Ich hatte für meine Familie und mich von Berlin aus Flüge nach Mallorca gebucht, um Freunde zu besuchen. Es war das Pfingstwochenende, und ich wollte, bevor die Tournee fortgesetzt wird, zwei Tage Sonne tanken. So weit der Plan. Denn von Ruhe war nun keine Rede mehr. Das Medien-Echo war gewaltig: „Modern Talking am Ende“; „Dieter Bohlen macht Schluss!“; „Thomas Anders und Dieter Bohlen trennen sich zum zweiten Mal“; „Modern Talking hoffnungslos zerstritten“ und so weiter stand in großen Lettern in sämtlichen Zeitungen. Mein Handy stand nicht mehr still. Pausenlos Interviews, Statements und Besprechungen mit meinem Management.
Im Gegensatz zu unserer ersten Trennung im Jahr 1987, als ich mich wie ein waidwundes Reh aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, war ich nun jedoch kampfbereit. Ich nutzte die Spielwiese der Boulevardmedien und bezog Stellung. Ich erklärte, dass der Zeitpunkt für die Trennung von Dieter falsch gewählt worden sei und er sich über die Wünsche und Hoffnungen unseres Publikums einfach hinweggesetzt habe. Ich betonte, dass ich trotz aller Misstöne zwischen Dieter und mir auf jeden Fall bereit gewesen wäre, die Tournee zu Ende zu spielen. Ohne Wenn und Aber!
Wie ich später aus seinem Umfeld hörte, fand er wohl rückblickend seine Reaktion auf meine Amerika-Auftritte etwas überzogen und wollte sie relativieren. Doch ich hatte endgültig die Schnauze von ihm voll. Hier fällt mir ein Zitat von Götz Kiso ein, der Dieter immer wieder folgendermaßen beschrieben hatte: „Woher soll ich wissen, was ich denke, wenn ich nicht gehört habe, was ich sage.“ Eine verbale Punktlandung.
Unsere Plattenfirma und unser Konzertveranstalter verlangten von Dieter, dass er mit mir noch ein letztes Abschlusskonzert am 23. Juni auf der Wuhlheide in Berlin geben müsse.
Selbstverständlich sagte ich zu. Wenigstens konnte ich unseren Fans so etwas zurückgeben, was ihnen auf übelste Art und Weise genommen worden war. Ich flog mit Claudia und ein paar Freunden am 23. Juni vormittags von Frankfurt nach Berlin – mit tausend Gedanken, die mir durch den Kopf gingen. Was würde wohl am Abend passieren? Mit welchen Waffen würde Dieter auf der Bühne kämpfen? Fair, von Mann zu Mann, oder hatte er sich wieder verbale Gemeinheiten ausgedacht, um am Ende selbstverliebt in die Kameras zu grinsen und mich als Deppen dastehen zu lassen?
Auch auf der Fahrt zur Wuhlheide, wo das Konzert stattfand, war ich in Gedanken versunken. Wir alle kennen das Gefühl, wenn man auf dem Weg zu etwas Ungewissem und Unangenehmem ist. Einerseits wünscht man sich, der Weg dorthin wäre noch lang. Auf der anderen Seite möchte man schnell am Ziel sein, um alles rasch hinter sich zu bringen.
Im Backstage-Bereich der Wuhlheide herrschte gespielte Heiterkeit. Egal, ob es meine Freunde waren oder Dieters Umfeld. Man versuchte sich aus dem Weg zu gehen. Und wenn man doch jemanden aus dem anderen Lager traf, nickte man sich kurz zu und schaute schnell wieder in die andere Richtung. Die Chefs unserer Plattenfirma beteten, dass es nicht zu einem Eklat kommen würde, da am Montag nach unserem letzten Modern-Talking-Konzert unser „Best of“-Album im Handel sein sollte. Und Missstimmung ist immer ein schlechter Verkäufer.
Auch bei dieser Show wurde, mal wieder ohne mein Wissen, ein „Produkt“ von Dieter Bohlen auf die Bühne gebracht: Yvonne Catterfeld. Sie erlitt das gleiche Schicksal wie Alexander Klaws in Rostock und wurde vom Publikum ausgebuht.
Die Nerven der Fans lagen blank. Über der ganzen Veranstaltung lag eine leichte Wehmut, und die Frage nach dem Warum war in allen Köpfen! Warum musste es so weit kommen? Intuitiv kannten alle die Antwort.
Ich kann mich nicht mehr an viele Dinge während der Show erinnern. Ich weiß aber, dass es total verkrampft zuging. Dieter und ich setzten unser Modern-Talking-Lächeln auf und sahen auf der Bühne professionell aneinander vorbei. Die Ansagen zwischen den einzelnen Liedern klangen heiter wie immer. Hier mal Bezug nehmend auf den nächsten Song, dann mal wieder ein lockerer Spruch, der die Leute zum Lachen bringen sollte. Doch irgendwie wollte an dem Abend niemand lachen. Ich fühlte ganz stark mit dem Publikum. 16 000 Menschen, die alle Songs mitsangen, frenetisch jubelten, um sich dann dessen bewusst zu werden, dass sie sich mit jedem Song wieder ein Stückchen näher ans endgültige Ende applaudierten.
In all unseren Shows während der vergangenen Jahre war jedes Mal der Titel „You’re My Heart, You’re My Soul“ unsere Zugabe. Von Millionen Menschen gekauft und von noch viel mehr Menschen geliebt. Egal, ob „Cheri Cheri Lady“, „Brother Louie“, „You are Not Alone“ – das Publikum wartete am Ende eines jeden Auftritts auf „You’re My Heart, You’re My Soul“. Dieter wusste, wie wir alle, dass nach „You’re My Heart …“ das allerletzte Konzert vorbei sein würde. Unwiderruflich vorbei! Doch nicht einmal in dieser Situation schaffte er es, über seinen Schatten zu springen und den Menschen etwas Gutes zu tun.
Das Konzert näherte sich also dem Ende. Es war ausgemacht, dass wir nach „Cheri Cheri Lady“ gemeinsam von der Bühne gehen sollten, um dann zusammen für „You’re My Heart …“ noch einmal zurückzukommen. Ich weiß bis heute nicht, ob es kalkuliert war oder ob Dieters Nervenkostüm vielleicht doch nicht so stark war, wie er gerne vorgibt. Die letzten Töne von „Cheri Cheri Lady“ jedenfalls waren noch nicht richtig verklungen, da sagte Dieter schon „You’re My Heart, You’re My Soul“ an. Au Scheiße, dachte ich. Wie kann ich die Situation retten? Wir müssen doch noch eine Zugabe geben. Es ist unsere allerletzte Show, und die soll tatsächlich ohne Zugabe enden? Ich war mit meinem Latein am Ende. Die Musik lief. Ich sang den Song, wie schon tausend Mal zuvor. Man kann mich nachts um 2 Uhr 47 wecken, und ich singe auf Knopfdruck „You’re My Heart, You’re My Soul“. Während ich sang, war ich in Gedanken permanent auf der Suche nach einer Lösung des Problems. Doch ich fand keine.
Vorbei, der Song war zu Ende! Applaus, Jubel, Getrampel, winkende Hände, Tränen auf den Gesichtern, Tausende riefen und bettelten nach einer Zugabe. Ich verbeugte mich und dachte immer noch krampfhaft nach, wie die Situation zu retten wäre. Aber wo war Dieter? Ich sah nach rechts, dann nach links, zu den Musikern. Er war nicht mehr da. Ich blickte mich Hilfe suchend nach unserem Promoter um und sah durch das Getümmel aus Betreuern und Technikern hindurch, wie Dieter in die Limousine einstieg und wegbrauste. Mein Gott! Was für ein erbärmlicher Abgang!
Was für ein armseliges Ende eines Duos, das Musikgeschichte geschrieben hat.
Für mich wurde es dennoch eine lange Nacht. Claudia, Freunde und der Chef meines Musikverlages, Mike Weller, wir alle feierten im „Adlon“ in Berlin und mir wurde an dem Abend als Autor noch eine Goldene CD von „Universe“ überreicht. Wir feierten! Nicht das Ende von Modern Talking, sondern die einzigartige Karriere von Modern Talking und den Anfang eines neuen Lebensabschnittes.
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„Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie an Bord unserer Maschine von Berlin nach Ibiza und wünsche Ihnen einen angenehmen Flug“, tönte es aus den Bordlautsprechern des Airberlin-Fliegers. Ich flog mit meiner Familie, wie jeden Sommer, nach Ibiza und wollte dort in unserem Haus einfach mal ausspannen. Die letzte Show von Modern Talking lag nur knapp einen Tag zurück und war doch schon so weit weg. Ich brauchte Urlaub. Einfach mal gar nichts tun! Einfach in den Tag hineinleben. Die lange Nacht steckte mir noch in den Knochen. Ich war todmüde. Während mir die Augen zufielen, ließ ich in Gedanken die letzten Monate und Jahre meines Lebens Revue passieren. Und noch bevor die Maschine abhob, war ich schon eingeschlafen und begann zu träumen …