Читать книгу Sechs Gläser für Amalie - Tarius Toxditis - Страница 24
Nummer 20: Genehmigungen
ОглавлениеLibell Libell Als Franz Schmidt vor wenigen Jahren eröffnet hatte, hatte dies für Verdruss gesorgt. Denn zuvor hatte sich dort – an der Ecke gegenüber Millys Blumenladen – eine Händlerin für Lebensmittel befunden. Die zur Grundversorgung der Bewohnerinnen und Bewohner auf unsere Anhöhe wesentlich beitrug. Nein, in dem Laden hatte es auch wirklich alles gegeben, womit sie ihre Tische hatten decken können – gleich ob zum Frühstück, zum Mittag, zur Abendzeit. Von mir aus auch mal zum Zwischendurch, reichlicher ihre Kühlschränke und Vorratskammern seltener gefüllt.
Nachdem die Betreiberin – die alte Elsa – vor wenigen Jahren einen tödlichen Schlaganfall erlitten hatte, wurde der Laden geschlossen und stand seitdem leer. Für die Leute hieß es fortan, ihre Lebensmittel unten in der Stadt oder anderswo einzuholen. Nicht mal mehr für Kleinigkeiten, die alte Elsa, die zu uns gehört hatte wie das tägliche Brot – um einmal einen Vergleich zu hegen.
Und seitdem hatten immer wieder Gerüchte aufgeflackert, wann in dem leerstehenden Laden jemand wiedereröffnete. Ja, mühselig war es für sie geworden, den tagtäglichen Bedarf einzuholen. Einzig der Parkplatz – Wochenmarkt gegenüber der Kirche; aber dort wurde ja überwiegend nur Obst und Gemüse feilgeboten. An wenigen Stände dort gab es vielleicht noch Eier für sie, das war‘ s dann aber auch. Spätestens für Dinge wie einen ordentlichen Sonntagsbraten oder guten Bohnenkaffee hatte man das Auto oder den Linienbus zu nehmen. Umständlich für sie kein Ausdruck, beileibe nicht, seitdem die alte Elsa nicht mehr war. Umso erfreulicher für sie, als sich nach Jahren, in welchem der Laden leer stand, die Gerüchte mehr wie verdichteten, dass jemand ihn übernommen hätte. Und zwar in der Gestalt, dass eine Neueröffnung nur noch eine Frage von Zeit gewesen wäre.
Und umso mehr lange Gesichter zogen sie vor der Tür an der Ecke gegenüber Milly, als sich abzeichnete, dass es sich hierbei nicht um einen Lebensmittelhändler handelte. So wie einst bei der guten, alten Elsa. Vielmehr war es der Schreibwarenhändler Franz Schmidt, der Einzug gehalten hatte. Zum Verdruss der Leute, wie gesagt, zum Verdruss. Auf der anderen Seite sicherlich keine schlechte Geschäftsidee, wenn man bedenkt, dass wir uns unter anderem auch in unmittelbarer Nähe einer Schule befanden. So – aber bevor es jedoch weiter geht mit unserer Geschichte und mit der Anne, ist jetzt, glaube ich, mal wieder Helm Hops an die Reihe.
Helm Hops Ah – aber wirklich ganz schnell. Schließlich will auch ich ja wissen, wie es weiter gegangen ist mit Anne. Und dem Abholen der sechs Gläser. Zunächst jedoch noch ein paar Anmerkungen zu Franz Schmidt. Denn in dem Laden gab es nicht nur Hefte, Stifte, Zeichenmaterialen und dergleichen, sondern auch einen Leuchtglobus. Aber dies war dann doch nicht alles.
Libell Libell Nicht – und ich dachte, du wolltest ganz schnell machen.
Helm Hops Mach ich ja auch, liebe Libell Libell, mach ich ja auch. Nur noch ein Wort zu Franz Schmidt. Denn bei dem Leuchtglobus handelte es sich um ihn selbst. Ja, Franz Schmidt, der Globus. Die Größe eines Medizinballs, mit kurzen, meerblauen Beinen, kurzen Ärmchen an die Seite, und ein in schwarzen Konturen gezeichnetes Gesicht mit Mund, Nase, Augen – und zwar genau dort, wo auf ihm der Nordpazifik abgebildet war. Zwischen Nordamerika und Japan sozusagen.
Ja, und schauten die Leute anfangs, nachdem er eingezogen war, doch sehr komisch und grimmig aus der Wäsche, so war ihr Misstrauen längst gewichen. Auch Franz Schmidt war längst ein Teil von uns geworden. Durchaus beliebt – beinahe schon wie einst die gute, alte Elsa.
Libell Libell So, war‘ s das jetzt von dir, Helm Hops?
Helm Hops Das war’ s, liebe Libell Libell. Bis auf eines.
Libell Libell Oh, Helm Hops!
Helm Hops Es handelt sich jetzt auch nur noch um eine Kleinigkeit, nämlich dass Franz Schmidt über eine Unterstützung verfügte. Beim Verkauf von Dingen wie Ringbuchblättern oder Radiergummis. Und zwar in der Form seines kleinen Bruders Hugo. Hugo Schmidt – auch ein Globus - im wahrsten Sinne der kleinere Bruder – denn er war bestenfalls so groß, so dass ihn ein Erwachsener locker in seine Hand hatte aufnehmen können. Zudem besaß Hugo nicht wie sein Bruder über die Fähigkeit des leuchtens.
Libell Libell Allerdings war Hugo Schmidt nicht anwesend, als Anne ihre Schreibwarenhandlung passierte.
Helm Hops Das war' s aber dann wirklich von mir. So dass die Bühne wieder frei für dich ist. Während ich mir jetzt erst einmal einen Schluck Himbeersaft gönne. Mein Hals ziemlich vertrocknet.
Libell Libell Okay, Danke, Helm Hops, nur ich befürchte, es nutzt dir nichts, Denn ich glaube, du bist gleich schon wieder dran. Als nämlich Anne die kleine Querstraße überquerte, nachdem sie Milly und deren Blumen hinter sich gelassen hatte, befand Franz Schmidt sich vor der Tür seines Ladens. Aber er war nicht allein, sondern mit jemand im Gespräch vertieft.
Helm Hops Macht nichts, dann müssen wir halt da durch, Ah - bei Franz Schmidt war nämlich gerade Olias Frech, der eigentlich noch recht junge Streifenpolizist unseres Viertels. Seine schlanke Gestalt wurde von einer schwarzen Polizeiuniform verhüllt, das dunkle, leicht wellige, kurz geschnittene Haar unter einer schwarzen Polizeimütze.
Franz Schmidt Und es ist wirklich wahr?
Libell Libell Franz Schmidt verfügte über eine, tiefe, rauchige Stimme.
Olias Frech Wenn ich`s dir doch sage. Ihr habt die Genehmigung.
Franz Schmidt Eine gute Nachricht.
Olias Frech Ja, und du erhältst sie als Erstes. Immerhin bist du ja auch der Kapitän eures Teams.
Franz Schmidt Dann müssen wir uns jetzt aber sputen.
Olias Frech Das kannst du allerdings laut sagen. Die Saison hat ja praktisch schon angefangen,
Franz Schmidt Der Stadionausbau. Muss ruckzuck über die Bühne geschaufelt werden.
Olias Frech Und kann ja jetzt auch – der Genehmigung sei Dank.
Franz Schmidt Ruckzuck - und das Team zusammentrommeln.
Olias Frech Das dürfte für dich doch nun wirklich kein Problem sein.
Franz Schmidt Du bist doch sicherlich auch dabei.
Olias Frech Oh, ich weiß nicht.
Franz Schmidt Auf - kein Frosch sein.
Olias Frech Mein fußballerisches Talent, Hält sich doch in arge Grenzen,
Franz Schmidt Immerhin geht es um die Meisterschaft.
Olias Frech Du denkst doch nicht im Ernst, dass ihr eine Chance habt.
Franz Schmidt Doch, das denke ich. Ich bin sogar der felsenfesten Überzeugung, dass wir den Titel holen. Und mit dem Stadion im Rücken jetzt ein Kinderspiel.
Olias Frech Beziehungsweise die Genehmigung. Na, vielleicht überlege ich es mir ja noch,
Franz Schmidt Immerhin.
Olias Frech Ja, ja, schon gut. Vielleicht als Einwechselspieler.
Franz Schmidt Würde auch schon helfen.
Olias Frech Aber natürlich auch nur dann, wenn es mein dienstliches Zeitfenster zulässt.
Franz Schmidt Toll – oh, hallo Anne.
Libell Libell Waren die Beiden so sehr in ihrem Dialog vertieft, so dass sie das schwarzgekleidete Mädel zunächst nicht beachtet hatten? Obwohl es schon für ein Weilchen bei ihnen stand?
Anne Hoch Hallo.
Olias Frech Hallo, Anne! Was machen die Künste.
Anne Hoch Wie? Künste?
Franz Schmidt Ich schätze, er wollte fragen. wie es dir geht.
Olias Frech Haargenau – du hast es erfasst.
Franz Schmidt Oder sich nach deinem Wohlergehen erkunden.
Anne Hoch Ich glaube, ich verstehe gerade nur Bahnhof.
Olias Frech Bahnhof! Aha!
Franz Schmidt Immerhin,
Olias Frech Dann hast du uns etwa zugehört?
Anne Hoch Sowas von gequasselt habt ihr.
Franz Schmidt Kein Wunder. Schöne Nachrichten sind`s.
Anne Hoch Ich hab nur irgendwas von einer Genehmigung mitgekriegt – Genehmigung und Fußballstadion.
Franz Schmidt Längengrad richtig – es geht um die Genehmigung für den Bau unseres Stadions, Frisch aus erster Hand. Von Olias.
Olias Frech Es musste ja jetzt auch alles sehr schnell gehen.
Franz Schmidt Dort, wo die Halden sind.
Anne Hoch Gegenüber dem Waisenhaus? Ein Fußballstadion?
Franz Schmidt Ja, damit kann unser Vorstadt– Team an der Nilpferdland– Meisterschaft teilnehmen,
Olias Frech Allerdings habe ich die Genehmigung nicht erteilt. Sondern nur mitgeteilt.
Franz Schmidt Auch egal - Hauptsache wir haben sie jetzt.
Olias Frech Erteilt hat sie Großbürgermeister Klein. Und mitgeteilt dann mir.
Franz Schmidt Und du mir – oh, wie schön.
Olias Frech Allerdings zu eurem Nachteil, Anne.
Anne Hoch Nachteil? Für uns?
Olias Frech Als ob du nichts davon wüsstest,
Anne Hoch Ich glaube, jetzt versteh ich wieder nur Bahnhof.
Olias Frech Deine Mutter.
Anne Hoch Meine Mutter?
Franz Schmidt Bahnhof, die Zweite.
Anne Hoch Ich weiß nur eines. Nämlich dass ich beim Abraham sechs Gläser für sie abholen soll.
Olias Frech Ja, deine Mutter wollte die Halden gegenüber dem Waisenhaus nämlich auch.
Anne Hoch Oh! Davon weiß ich gar nichts.
Franz Schmidt Ja, davon scheint sie wirklich nichts zu wissen.
Olias Frech Aber der Großbürgermeister hat sich dann doch gegen deine Mutter entschieden. Beziehungsweise gegen euer Kneipenteam. Und für das Vorstadtteam. Hinsichtlich der Genehmigung. Gegenüber dem Waisenhaus.
Franz Schmidt Was für ein Glück.
Olias Frech Ich habe den Eindruck, du weißt gar nicht, dass deine Mutter mit einer eigenen Mannschaft antreten will.
Anne Hoch Haargenau!
Franz Schmidt Aber Anne, wenn du willst, kannst ja auch bei uns mitspielen.
Anne Hoch Um Himmelswillen! Auch noch Fußball spielen!
Franz Schmidt Na – vielleicht überlegst du dir‘ s ja nochmal.
Anne Hoch Vor allem muss ich endlich die sechs Gläser holen. Und dann noch zu Paxoline. Zu der muss ich auch noch. Wir schreiben morgen nämlich Mathe.
Olias Frech Außerdem ist es so, dass du auch noch nicht restlos alles weißt.
Franz Schmidt Was nicht alles vorgekommen ist.
Olias Frech Also, werter Franz Schmidt, bevor du dies hübsche Kind in dein Team aufnimmst.
Franz Schmidt Natürlich werde ich das. Wir können jede Verstärkung gebrauchen.
Olias Frech Sie könnte aber genauso gut im Kneipenteam ihrer Mutter mitspielen.
Franz Schmidt Also, das versteh ich jetzt gerade nicht. Ehrlich gesagt.
Anne Hoch Ich auch nicht. Ich dachte, sie hat keine Genehmigung gekriegt.
Franz Schmidt Dachte ich auch.
Olias Frech Eben drum falsch gedacht, mein Lieber. Beziehungsweise nicht ganz richtig.
Anne Hoch, Franz Schmidt Hä?
Olias Frech Sie hat nur keine Genehmigung für die Halden gegenüber dem Waisenhaus erhalten,
Franz Schmidt Soll das etwa heißen?
Anne Hoch Dann spielt sie doch mit!
Olias Frech So ist es! Sie haben die Genehmigung nämlich für den Parkplatz gekriegt.
Franz Schmidt Gegenüber der Kirche?
Anne Hoch Um Himmelswillen.
Olias Frech Auch vom Großbürgermeister Klein.
Franz Schmidt Ist das denn die Möglichkeit?
Olias Frech Da bist du baff, nicht wahr? Damit hättest du nicht gerechnet.
Franz Schmidt Ach was, wieso sollte ich denn baff sein?
Olias Frech Weil´s du einfach bist.
Franz Schmidt Ganz im Gegenteil, Na ja, und schließlich ist Konkurrenz etwas, was ein Geschäft beleben kann. Sogar so etwas wie das Fußballgeschäft.
Olias Frech Dass du das so siehst?
Franz Schmidt Na klar, und die Anne könnte ja trotzdem für unser Team spielen.
Olias Frech Na, du bist ja vielleicht einer – dann müsste sie ja gegen ihre eigene Mutter spielen. Zumindest dann, wenn sie gegen euch antreten.
Anne Hoch Um Himmelswillen!
Olias Frech Und gegen ihren Vater! Hey, Franz Schmidt, was ist?
Franz Schmidt Hm.
Anne Hoch Ja, was ist?
Franz Schmidt Ich meine,
Olias Frech Ruhig aussprechen.
Anne Hoch Hat noch niemand geschadet.
Franz Schmidt Nein, ich meine, wo wir künftig unser Obst und Gemüse kaufen sollen?
Anne Hoch Das stimmt allerdings. Ich finde, da hat er Recht. Wenn meine Mutter auf dem Parkplatz unbedingt Fußball spielen muss,
Olias Frech Oh – aber das ist doch nun wirklich ganz einfach.
Anne Hoch, Franz Schmidt Hä?
Olias Frech Ich sag nur eines: noch eine Genehmigung.
Anne Hoch, Franz Schmidt Hä!
Olias Frech Keine Sorge, ihr habt schon richtig gehört.
Franz Schmidt Hat denn noch ein Team aus unserem Viertel für die Nilpferd– Meisterschaft gemeldet.
Olias Frech Nein, dies nicht gerade. Es geht auch mehr um die leerstehende Bankfiliale.
Franz Schmidt Ach, heißt das etwa?
Olias Frech Das soll heißen, dass dort bald jemand einzieht. Die Genehmigung für eine Neueröffnung ist bereits erteilt worden.
Franz Schmidt Gut informiert fällt einem dazu nur ein.
Anne Hoch Von Großbürgermeister Klein, nicht wahr?
Olias Frech Na klar –ein Hand in Hand arbeiten man dies nennt.
Franz Schmidt So, so – und bei dieser Neueröffnung handelt es sich zufälligerweise um einen Obst- und Gemüsehändler.
Olias Frech Na ja. Sagen wir mal nur für Obst.
Anne Hoch Und das Gemüse?
Olias Frech Nein, nur für Obst.
Franz Schmidt Aber, Anne, was mit dir ist?
Anne Hoch Oh je, vor lauter mit euch reden hätte ich beinahe nicht mehr an die Gläser gedacht.
Olias Frech Für deine Mutter.
Anne Hoch Ja, sechs Stück.
Franz Schmidt Von Mathe ganz zu schweigen, nicht wahr?
Anne Hoch Oh je – ich hab einfach zu viel Zeit mit euch verplempert.
Libell Libell Als Anne endlich Franz Schmidts Laden hinter sich gelassen hatte, waren es mulmige Gefühle, die sich vor allem in ihrer Bauchgegend bemerkbar machten. Wieder zu viel Zeit, die sie durch die Unterredung mit ihm und Olias Frech verloren hatte. Das sollte aber nicht heißen, dass sie diesmal ihrem anvisierten Ziel – welches nach wie vor Abrahams Antiquitätenladen war – entschieden näher rückte. Ganz im Gegenteil, nach ein paar Steinwürfen war für sie bereits erneut Einhalt geboten, Denn kurz nach Franz Schmidts Schreibwaren rankte ein blaues mit weißen Lettern beschriftetes, quaderförmiges Leuchtschild vom Anwesen, bis vor dem Anne sich nun begeben hatte.
POLIZEI |
Klar, dass es sich hierbei um den Posten von Olias Frech handelte. Direkt gleich neben der Tür Fannie Vandor, welche zum Inneren der Amtsstube führte, mit dem Rücken an die Wand des Mauerwerks gelehnt. Kaugummi kauend und mit locker, lässiger Haltung, die Hände in den Hosentaschen.
Helm Hops Auffälligstes Merkmal der wie Anne ebenfalls zehnjährigen Fannie war ihr relatives farbloses Gesicht, auf welchem Sommersprossen Kontrastpunkte setzten. Die hellblonden, lockigen Haare reichten ihr normalerweise bis zum Halse – normalerweise. Doch gleich mehrere durch knallbunte, blütenförmige Spangen wild gezogene Strähnen rankten wild durcheinander und in die Höhe. Über einen schrillen, pinken Shirt eine nicht zugebundene Trapper - Weste, waren die Beine des schlanken Girls in eine an manchen Stellen angerissene, zerfransten Jeans gesteckt, an einer Stelle gar so groß, dass das blanke – ebenfalls farblose – Knie zum Vorschein kam. Die verwaschene Hose reichte auch nur deutlich über ihre Knöchel, so dass ihre kurzen, hellgrünen Socken zu erkennen waren; an den Füßen schließlich dunkelblau – weiße Turnschuhe.
Libell Libell Zeitgleich mit Anne war aus der anderen Richtung der sichtbar erregte Schafbauer Fried bis vor dem Polizeiposten gerückt.
Helm Hops Schafbauer Frieds Hof lag in einem abgelegenen Waldstück. Auffallendes Merkmal natürlich die weißgraue, dicke Schafswollweste, dessen Farbe sich nahezu nahtlos in sein für sein Alter noch recht volles, leicht gelocktes Haar widerspiegelte. Ja, der Jüngste war er wirklich nicht mehr gerade. Längst hätte er sich in einen sicherlich nicht unverdienten Ruhestand versetzen lassen können.
Libell Libell Sein Erscheinen bis vor dem Posten hatte naturgemäß einen Hintergrund. Wohl über Nacht war eines seiner Tiere gerissen worden. Als er die Türklinke herunterdrückte, bemerkte er, dass sie verschlossen war – versehen mit einem Hinweisschild
Komme gleich wieder |
Schafbauer Fried Verdammt! Wo ist denn der! Immer dann, wenn man wirklich mal einen braucht!
Anne Hoch Gerade bei Franz Schmidt.
Schafbauer Fried Was geht dich das an!
Anne Hoch Schreien Sie doch nicht so!
Schafbauer Fried Ich schrei so viel ich will, du verzogenes Gör!
Anne Hoch Ich lass mich aber nicht anschreien! Und von Ihnen gleich dreimal nicht!
Libell Libell Fannie formte mit ihrem Kaugummi eine Blase, so dass es nur so platzte, und sie ihn mit der Zunge wieder einsammelte – an Nase, an Kinn, überall dort, wo er kleben geblieben war,
Schafbauer Fried Da kommt ja einem der Kaffee hoch!
Fannie Vandor Selber schuld, wenn du so viel Kaffee säufst.
Libell Libell Wie aus einem heiteren Nichts holte der Schafbauer aus und schmetterte seine kräftige Pranke in Fannies Gesicht, so dass es nur so knallte und donnerte. Fürchterlich erwischt wurden Nasenflügel, eine Schläfe, und sogar Teile des wuscheligen Hinterkopfes. Eine Spange wurde dabei gelöst und klackte über den Bordstein. Fanny selbst durch den Schlag ins Wanken geraten, der Kopf zur Seite geworfen, Mit den Händen klammerte sie sich nun rücklings an dem Mauerwerk des Polizeipostens.
Schafbauer Fried Einfach nur ekelig!
Anne Hoch Hey, das, das – so etwas dürfen Sie nicht.
Schafbauer Fried Was ich darf und was nicht, geht dich einen Scheißdreck an!
Anne Hoch Ich, ich – das sage ich meinen Vater!
Libell Libell Jetzt schubste er Anne auch noch zur Seite, um sich den Weg auf dem Bürgersteig frei zu ebnen, stampfte bis um die Ecke, so dass er für die Beiden verschwunden war. Noch hallte seine überlaute Stimme bis zu ihnen.
Schafbauer Fried Ah, Herr Wachtmeister! Da sind Sie ja!
Libell Libell Anne wandte sich Fannie zu.
Anne Hoch Komm, wir gehen auch zu Olias. Und sagen es ihm.
Libell Libell Anne kniete nach der Spange, rieb sie Fannie unter den noch immer gebeugten Kopf, mit der anderen – freien – Hand strich sie Fannie an einem Arm. Die daraufhin zuckte, Anne die Spange entriss und einen Schritt zur Seite wich,
Anne Hoch Komm, Fannie. Oder zu deinem Vater.
Libell Libell Fannie atmete laut.
Fannie Vandor Lass mich!
Libell Libell Dann stieß sie eine weitere Blase aus.
Anne Hoch Aber Fannie!
Libell Libell Die Kaugummi– Blase platzte.
Fannie Vandor Kannst du das auch?
Anne Hoch Fannie – was ist mit dir los? Also ich sag‘ s meinem Vater auf jeden Fall,
Fannie Vandor Ich kann länger wie du.
Anne Hoch Ach, dann eben nicht. Dann mach doch, was du willst.
Libell Libell Die nächste Blase wurde rausgedrückt. Wiederum bis zum Platzen.
Fannie Vandor Und größer kann ich auch – wollen wir wetten?
Anne Hoch Einfach jetzt lassen.
Fannie Vandor Um was wetten wir?
Anne Hoch Und für so etwas habe ich heut sowieso keine Zeit.
Fannie Vandor Dafür braucht man doch keine Zeit.
Anne Hoch Wenn ich‘ s doch sage. Ich müsste längst schon bei Abraham sein.
Fannie Vandor Ach was - alles nur Ausrede.
Anne Hoch Überhaupt keine Ausrede!
Fannie Vandor Du traust dich ja bloß nicht.
Anne Hoch Quatsch!
Fannie Vandor Weil du sowieso verlierst.
Libell Libell Fannie zückte ein angerissenes Päckchen mit Kaugummis heraus und rieb sie Anne unter die Nase.
Fannie Vandor Hier. Nimm einen.
Libell Libell Anne zückte ihre vor, die sie vom Tankwart Tunkel geschenkt bekommen hatte.
Anne Hoch Mit Stachelbeeren – Geschmack.
Fannie Vandor Stachelwas.
Anne Hoch Wenn ich‘ s doch sage. Beim Tunkel. Ganz frisch.
Fannie Vandor Und wie sind die?
Anne Hoch Keine Ahnung. Noch keine probiert.
Fannie Vandor Nee, dann bleib ich lieber bei meinen.
Anne Hoch Okay, aber ganz schnell.
Fannie Vandor Hab ich doch gesagt. Nur noch festlegen, um was wir kämpfen
Anne Hoch Wir, wir – wir kämpfen doch um nichts!
Fannie Vandor Na klar – was der Sieger kriegt.
Anne Hoch Oh, Fannie, was schon. Nichts natürlich.
Fannie Vandor Vom Verlierer – was der Sieger vom Verlierer kriegt.
Anne Hoch Ich habe ja auch nichts.
Fannie Vandor Wirklich nichts.
Anne Hoch Nein.
Libell Libell Kurzes Stillschweigen.
Anne Hoch Höchstens die Kaugummis
Fannie Vandor Das meinst du doch nicht im Ernst.
Anne Hoch Ja, aber warum denn nicht?
Fannie Vandor Weil ich deine Stachelbeeren nicht will.
Anne Hoch Aber wenn ich doch nichts anderes habe.
Fannie Vandor Ich glaube, da kommt mir gerade eine Idee.
Anne Hoch Um Himmelswillen!
Fannie Vandor Und zwar darf der Sieger sich einfach was wünschen.
Anne Hoch Hä – wie meinst du denn das jetzt schon wieder?
Fannie Vandor Der Sieger darf sich was vom Verlierer wünschen. Ganz einfach.
Anne Hoch Oh je.
Fannie Vandor Einverstanden?
Anne Hoch Ich weiß nicht.
Fannie Vandor Auf, Anne. Jetzt bloß kein Spielverderber sein!
Anne Hoch Na gut, von mir aus.
Fannie Vandor Gut, dann können wir ja loslegen.
Anne Hoch Meinetwegen.
Fannie Vandor Also dann, auf die Plätze,
Anne Hoch Warte, muss mir doch erst einen in den Mund stecken.
Fannie Vandor Fertig.
Anne Hoch Puh – die sind vielleicht sauer.
Fannie Vandor Los – und wer dreimal gewinnt, hat gewonnen.
Anne Hoch Wer dreimal gewinnt? Um Himmelswillen, wie meinst du das denn jetzt schon wieder?
Fannie Vandor So, wie ich´s sage.
Anne Hoch Nein, bloß das nicht,
Fannie Vandor Best of five.
Anne Hoch Best of five?
Fannie Vandor Na, klar, und wer zuerst dreimal gewinnt, gewinnt.
Anne Hoch Aber das kann ja ewig dauern. Und so viel Zeit habe ich heute einfach nicht!
Fannie Vandor Nur ein Versuch ist zu wenig.
Anne Hoch Ich müsste eigentlich längst schon bei Abraham sein.
Fannie Vandor Dafür kann man sich doch hinterher auch was wünschen.
Anne Hoch Sechs Gläser abholen. Für meine Mutter.
Fannie Vandor Fünfmal Kaugummi blasen – dauert doch nicht lange.
Anne Hoch Man, du hast vielleicht ein leichtes Reden.
Fannie Vandor Vielleicht sind es ja auch nur dreimal.
Anne Hoch. Und zu Paxoline muss ich auch noch. Wir schreiben doch morgen Mathe.
Fannie Vandor Ih, Mathe!
Anne Hoch Ja, stell dir mal vor!
Fannie Vandor Ich glaub, dann lassen wir es lieber.
Anne Hoch Nein, machen können wir es schon.
Fannie Vandor Wenn du überhaupt keinen Bock hast.
Anne Hoch Das hat doch nichts mit keinen Bock haben zu tun.
Fannie Vandor Oder hast zu viel Bammel!
Anne Hoch Quatsch!
Fannie Vandor Doch, zu viel Bammel. Ruhig zugeben.
Anne Hoch Nichts da! Aber ich glaube, mir kommt auch gerade eine Idee.
Fannie Vandor Oh, nee – nicht das auch noch!
Anne Hoch Hör doch erstmal zu.
Fannie Vandor Geh mir bloß nicht auf die Nerven.
Anne Hoch Nein, aber ich frage mich, warum wir unser Kaugummi blasen nicht etwas später machen. Nachdem ich die Gläser abgeholt habe.
Fannie Vandor Mann – das kann ja noch ewig dauern.
Anne Hoch Und bei Paxoline gewesen bin. Oder noch besser; warum kommst du nicht einfach mit?
Fannie Vandor Nix da! Bei Mathe krieg ich die Krise!
Anne Hoch Aber du kannst doch für Mathe morgen bestimmt auch noch nicht alles.
Fannie Vandor Ich hasse Mathe!
Anne Hoch Und hinterher machen wir das mit unseren Kaugummis. Na, was hältst du davon?
Fannie Vandor Und was ist mit Paxoline?
Anne Hoch Nichts – was soll mit ihr sein?
Fannie Vandor Nicht, dass die auch noch mitmachen will.
Anne Hoch Ja, warum denn nicht?
Fannie Vandor Weil es unser Kampf ist!
Anne Hoch Oh, Fanny!
Fannie Vandor Ey – aber dann beeil dich jetzt mal. Sonst dauert es ja noch länger.
Anne Hoch Na ja, müsste sowieso längst schon viel weiter sein!
Fannie Vandor Gibt niemand, der dich aufhält.
Anne Hoch Und du?
Fannie Vandor Was und du?
Anne Hoch Du gehst inzwischen zu deinem Vater?
Fannie Vandor Nicht schon wieder damit anfangen.
Anne Hoch Nein, nicht wegen der Ohrfeige. Obwohl das nicht in Ordnung war. Aber dein Vater hat mich gebeten, dir Bescheid sagen. Und dass ich dich zu ihm schicken soll.
Fannie Vandor Ach so. Und wegen was?
Anne Hoch Das hat er mir nicht gesagt.