Читать книгу Zarin der Vampire - Die Gesamtausgabe: Russland und selbst der Zar können fallen, doch das Haus Romanow ist unsterblich - Tatana Fedorovna - Страница 12
Berlin 2016 - Totes Mädchen
ОглавлениеMit einem kunstvoll geschliffenen Kristallglas ging ich zum Panikraum, der in jeder Wohnung dieses exklusiven Gebäudes verborgen eingerichtet worden war. Er sollte das Leben der wohlhabenden Bewohner bei Einbrüchen und Überfällen schützen. Dafür brauchte ich ihn jedoch nicht. Für mich bestand sein Nutzen genau im Gegenteil.
Wenn man seine stählerne Tür verriegelte, war er vollkommen schalldicht, weder einsehbar noch von außen zu öffnen. Einmal mehr bewunderte ich den Architekten für diese ausgefeilte Idee.
Die gegenwärtigen Zeiten waren unruhig und gefährlich, weshalb Geheimräume und ähnliche Schutzmechanismen wieder dem Zeitgeist entsprachen. Geld spielte für die Käufer solcher Domizile keine Rolle. Schade, dass wir dergleichen nicht vor einhundert Jahren, als 1917 die Revolution in Russland ausbrach, besaßen. Vielleicht wäre dadurch unsere Familie nicht in die Hände unserer Feinde gefallen und ermordet worden.
Die Fenster der übrigen Wohnung waren durch hölzerne Jalousien verdunkelt. Die Innenbeleuchtung hatte ich so eingestellt, dass meine Augen alles im Raum gut sehen konnten. Das Lampenlicht vertrug ich wesentlich besser als das natürliche, da dieses künstliche ein angenehmeres Lichtspektrum hatte. Es ist ein weit verbreitetes Märchen, dass Vampire angeblich durch direkte Sonnenstrahlung verbrennen und zu Asche zerfallen. Nur die Empfindlichkeit unserer Augen ist durch die Fähigkeit zum nächtlichen Sehen extrem hoch.
Das war auch der Grund, warum ich am Tage stets eine sehr starke Sonnenbrille benutzte. Zu viel natürliches Licht löste schnell Migräneattacken aus. Ich erklärte anderen meine ungewöhnliche Körperreaktion und das ständige Tragen zumeist mit Epilepsie. Dann nahm keiner mehr Anstoß an den sehr dunklen Gläsern, die ich auch in geschlossenen Räumen mit Fenstern tragen musste. In solchen Angelegenheiten waren die heutigen Menschen ausgesprochen tolerant und mitfühlend. Einige hielten das dauerhafte Tragen meiner dunklen Brillen wahrscheinlich auch für eine sehr persönliche modische Exaltiertheit oder gespielte Coolness. Rapper und Discogänger zeigten sich ja ebenso.
Bei mir zu Hause brauchte ich keine. Die Belichtung war genau an meine Bedürfnisse angepasst und ich konnte dadurch die wunderbaren farblichen Facetten der Einrichtung genießen und mich an ihrer Ästhetik erfreuen. Die Kontraste erschienen mir durch meine besonderen Sehfähigkeiten scharf und brillant.
Das Zusammenspiel des opulenten Möbeldesigns mit der anderen Wohnzimmereinrichtung löste ein Gefühl der Behaglichkeit in mir aus. Diesen Raum mochte ich traditionell, gediegen, recht opulent und gleichzeitig gemütlich. Deswegen war er verschwenderisch mit Samt, Vorhängen, Kristallen und Gemälden, eben in typisch russischer Adelsmanier, ausgestattet. Ich hatte ihn zum Hauptraum meiner Wohnung auserkoren, der mich an den Luxus meiner Kindheitstage als Tochter des letzten Zaren erinnern sollte.
Wenn nur nicht immer diese verborgene und eisige Einsamkeit mir jeden Genuss trüben würde! Gleich einer Depression legte sie ihre Schatten über alle meine Freuden. Nur geteilt sind Freuden von Wert. Das weiß jeder Einsame zu genau. Ein Fehlen von Liebe löst diese seelischen Schmerzen aus. Wer mag schon Vampire wirklich?
Meine schwarzen Möpse halfen mir, diesen unglückseligen Zustand besser zu ertragen. Beide ließen die Totenstille, die sich um mich herum und in mir befand, etwas lebendiger erscheinen.
Wenjera und Aurora umliefen aufgeregt meine Füße und wedelten auch heute eifrig, fast wild mit ihren kurzen Schwänzen. Da ich mich eigentlich für ihre Verhältnisse recht schnell bewegte, musste ich stets aufpassen, dass ich nicht auf ihre kleinen Pfötchen trat. Das war schon sehr oft geschehen und ließ sie vorsichtig sein.
Wenjera wirkte etwas zierlicher, hatte dafür aber ausgeprägtere Falten als ihre Schwester. Sie war aufgeweckter, zuweilen sogar frech. Diese unruhige Lebendigkeit schätzte ich besonders.
Ihre großen runden Augen schauten mich neugierig an. Die beiden Schwestern hatte ich für eine relativ hohe Summe erworben, da ihr Schwarz von keiner Rötung getrübt wurde. So etwas gab es äußerst selten. Zumeist wird die Reinheit der Farbe bei dieser Rasse durch eine unterschwellige Einfärbung befleckt.
Meine Hände waren kalt. Es wurde darum Zeit, sich zu stärken. Trank ich zu wenig Blut, kühlte sich als Erstes die Oberfläche der Haut ab, dann kroch die Kälte tiefer und tiefer und lähmte mich immer mehr. Sehr alte Menschen und Sterbende kennen dieses Gefühl.
Ich öffnete die Tür, welche hinter meinen Kleidern verborgen war. Der Schrank hatte keine Rückwand. Das war von außerhalb des Möbelstückes und sogar bei einer Öffnung der Schiebetür durch die darin hängende Garderobe nicht zu sehen. Der Eingang zu dem geheimen Raum war durch diese geschickte Anordnung noch schwerer zu entdecken.
Das hier versteckte Mädchen zappelte. Sie war erwacht. Ihr ganzer Körper zitterte, wie der von Kranken unmittelbar vor einer Operation oder vor dem Tod. Ich entfernte den Klebestreifen von ihrem Mund. Sie schrie sofort.
„Du brauchst nicht zu schreien, es hört dich niemand!“, beschwichtigte ich sie.
Ich legte das Katheder-Set zurecht, um sie damit zu entleeren.
„Werde ich sterben?“
Sie schien verblüfft.
„Ja, aber noch nicht heute.“
„Warum?“
„Du hast es verdient!“
„Ich bin unschuldig“, jammerte sie. „Das Gericht hat mich freigesprochen.“
Ich lachte auf.
„Genau das ist dein Problem. Du hast dort gelogen.“ Mich konnte niemand täuschen. Meine Nase war unerbittlich.
„Ich bin doch unschuldig“, wimmerte sie auf der unseligen Lüge beharrend.
Ich stach die Spitze gekonnt in die Vene und befestigte den Schlauch mit einem Klebestreifen. Das Blut aus den Arterien schmeckte zwar durch den höheren Sauerstoffgehalt prickelnder, aber oft kam es bei Kathedern darin zu Unfällen. Der Blutdruck war anfangs zu hoch, da er nicht durch Klappen gebremst wurde. Das war gefährlich, wenn ich längere Zeit nicht vor Ort war. Deswegen begnügte ich mich zumeist mit dem etwas bitteren Saft aus den Venen.
Sauerstoffreiches Blut führte zudem schnell zu einem Rausch oder zu Halluzinationen, wenn man zu viel davon genoss. Es wirkte auf Vampire wie Champagner bei Menschen. Man musste da vorsichtig sein.
„Warum tust du das?“, hakte das Mädchen nach. Ihr Zittern war etwas geringer geworden.
Ich schwieg.
„Wenn ich die Wahrheit sage, wirst du mich dann am Leben lassen?“ Ihre bittenden großen Augen sahen mich.
Dieses Spiel mit der Hoffnung gefiel mir. Es gab dem Blut eine besonders blumige Note.
„Erzähle!“, forderte ich sie ermutigend.
Sie sah darin eine Chance.
„Ich war es!“, murmelte sie recht leise, als schäme sie sich.
Ich füllte ein wenig Blut in das Glas und kostete von dem Saft. Das Opfer sah mich erstaunt an.
„Du trinkst das?“
„Erzähl die Details. Ich gebe dir zwei Minuten.“
„Er war reich und ich war arm. Dafür hasste ich ihn. Es war ganz einfach. Ich mischte ein spezielles Gift in sein Getränk. Er starb, während wir miteinander im Bett waren. Dann stahl ich sein Geld. Ein guter Freund bestätigte mein Alibi. Wirst du mich nun freilassen?“
Das war keine Reue, sondern nur Worte, um sich zu retten.
Ich füllte das Glas bis oben. Das gesunde Blut spritzte unter dem Schlag des Herzens mit hohem Druck heraus. Die junge Mörderin beobachtete den Vorgang neugierig. Sie wartete höflich auf meine Antwort und wollte mich durch das zuvorkommende Benehmen günstig stimmen. Ihre Körper war sehr schön, sie hatte große volle Brüste und ästhetisch geformte Hände und Füße. Dieses Äußere stand im Gegensatz zur Boshaftigkeit ihres Charakters. Auf diese Weise ähnelten wir uns sogar. Sollte ich sie verschonen? Nachdenklich, ohne ihr eine Antwort zu geben, griff ich zum Klebestreifen.
„Ich sag das auch vor Gericht!“, stammelte sie noch, bevor das nicht mehr möglich war.
Meine Hand tätschelte zärtlich ihre Wange. Das war alles zu spät. Ihre bösen Taten führten nun zu diesem Ergebnis. Das Karma hatte sich bereits entfaltet. Mein Schwur zwang mich zu meinem Handeln. Ich war die Rache für ihre Missetaten.
Die schalldichte Tür verriegelte sich automatisch hinter mir. ...
Drei Tage später: Ein vertrauter Geruch wehte mir beim Öffnen durch die Tür meiner besonderen Speisekammer entgegen. Ich wusste, was er bedeutete. Mein Opfer hatte nicht durchgehalten und war verstorben.
Es war ein trauriger Anblick. Wie doch der Tod einen Menschen veränderte. Kraftlos hing der Kopf des achtzehnjährigen Mädchens herab. Ihre blonden Haare wirkten glanzlos und spröde, die ehemals vollen Brüste erschlafft. Mit einem unzufriedenen Seufzer nahm ich die Tote von den beiden Haken ab, die unter ihren nach hinten gebundenen Armen herausragten und mir als Aufhängung für lebenden Blutvorrat dienten.
Meine ausgeglichene Stimmung kippte um. Diese plötzlichen Schwankungen hatten in den letzten Jahren zugenommen. Die Gefahr wuchs stetig, dass meinem Willen die Kontrolle über die Bestie in mir verloren ging. Lange Zeit hatte ich solche ungebärdigen Wutanfälle gut beherrscht, aber sie häuften sich neuerdings wieder und drohten sich ziellos gegen jeden zu wenden. Mein Inneres verdunkelte sich offensichtlich immer mehr. Das war eine unangenehme Folge vom Trinken des vielen sündigen Blutes und des Mangels an Liebe und Zuneigung.
Ich setzte mich auf den Fliesenboden und atmete zur Beruhigung langsam tief ein und aus. Wieder und wieder machte ich tiefe, kontrollierte Atemzüge, um mein Inneres zu disziplinieren. Mit aller Kraft versuchte ich diesen jähzornigen Geist, der den klaren Verstand bedrohte, zu beherrschen.
Zu Beginn der Verwandlung hatte ich geschworen, nur diejenigen zu töten, welche durch ihre eigenen Handlungen das Recht auf ein Leben unter den Menschen verwirkt hatten und eine Gefahr andere darstellten. Es war sinnvoll sie auszutilgen. Wer selbst tötete, hatte den Tod verdient. Mein Handeln sollte sich nie gegen andere richten.
Ausschließlich darauf gründete sich meine moralische Existenzberechtigung in dieser Welt. Sie wäre verwirkt, wenn ich die Blutgier an Unschuldigen ausließe. Mit fast schon wahnsinnigem Willen zwang ich die böse Aggression nieder. Diese loderte jedoch wie ein sprudelnder Geysir immer wieder hoch und trieb mir sogar Blut in die Augen.
Am liebsten hätte ich in diesem Augenblick die zu früh gestorbene Hexe zerfetzt und gleichzeitig die neugierig umher trippelnden Hunde gegen die Wand geschmettert.
In solchen Momenten rief ich mir das Bild meines Vaters oder das von Ljoschka in Erinnerung – so nannten wir Geschwister unseren kleinen Bruder. Der Gedanke an die, welche ich als Mensch einst liebte, half etwas, die Kontrolle wieder zu gewinnen.
Trotzdem schubste ich die aufdringliche Wenjera grob beiseite und knurrte. Die erschrockene Hündin schaute mich verblüfft an und hielt furchtsam zitternd Abstand.
Leider hatte jedoch schon einmal in der Vergangenheit die Bestie die Herrschaft ganz übernommen. Dadurch war ich nicht mehr nur die Rächerin der Guten, sondern inzwischen auch zu einer Gehilfin des Bösen geworden. Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind wie ein Fluss. Manchmal trocknet dieser sogar ganz aus. Ein eisiger Schauer und Scham erfassten meinen kühlen Körper bei der Erinnerung daran.
Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis das Monster in mir nicht mehr durch Verstand und Willen zu beherrschen war. Gab es überhaupt einen Weg zurück zur Menschlichkeit?
Aus der Brust des jungen Mädchens hing traurig der dicke Katheder heraus, den ich in die Vena Cava Superior gesteckt hatte.
Der hohe Blutverlust der letzten Tage war für den zierlichen Körper des Mädchens offensichtlich zu hoch gewesen. Sie hatte den Verlust des Leben sichernden Herzsaftes nicht schnell genug ausgleichen können.
In der Regel trank ich so, dass die Opfer einige Tage durchhielten. Der Flüssigkeitsverlust wurde dabei durch Kochsalzlösung über die Armvenen ausgeglichen. Leider litt der Geschmack auch unter der Verdünnung. Hunger und die Anstrengung der Blutbildung zehrten die dem Tode geweihten jedoch am Ende immer aus. Zuweilen verlängerte ich ihre Pein, indem ich sie durch einige Tropfen aus meinen Adern wieder stärkte.
Nun gut, der Leichnam musste jetzt entsorgt werden. Ich legte das Mädchen auf eine ausreichend große Plastikunterlage und holte ein geeignetes Messer herbei. Das Vampirleben ist nicht so romantisch wie die gewöhnlichen Menschen denken. Sie träumen zwar gern vom ewigen Leben, übersehen dabei jedoch das Morden und die widerliche Drecksarbeit, welche in der Zwischenzeit zu leisten ist. War das Selbstmitleid? Ich lachte zynisch auf.
Wenjera und Aurora folgten mir in aufgeregter Vorfreude. Sie wussten aus Erfahrung, was jetzt kam. Aurora zerrte bereits vergnügt am heraushängenden Katheder. Ihre Spielgefährtin begann derweil schon einmal ein Ohr anzuknabbern. Ich riss dieses mit einem kräftigen Ruck ab und warf es in die Luft.
„Spring!“, befahl ich kurz.
Geschickt tat sie es. Noch bevor der Leckerbissen zu Boden fiel, packte sie zu und verzog sich mit dem Schatz in eine Ecke.
Da ihre Schwester nun traurig schaute, tröstete ich sie mit dem anderen. Beide machten sich vergnüglich an dem halbfrischen Knabberspaß zu schaffen.
Das Mädchen entsorgte ich gewohnt routiniert. Ich mochte diesen unangenehmen Teil nicht, aber er gehörte wie Abwasch nach einem ausgiebigen Essen nun einmal dazu.
Der für diesen Zweck eigens abgedichtete übergroße Koffer, Zerkleinerungswerkzeuge, mein Auto und ein etwa eine halbe Stunde entfernter Futterplatz für Wildschweine leisteten mir dabei die notwendige Hilfe. Wölfe und Hyänen gab es leider nicht in den Wäldern der Umgebung. Berlin war nicht Russland.
Zusammen mit einigen Rehen lebten die nützlichen Allesfresser in einem größeren Gatter und wurden dort als Wildschlachtvieh gehalten. Ich hatte mir inzwischen einen Nachschlüssel für das Eingangstor nachgemacht. Da die Einzäunung mitten im Wald lag, störte mich um diese späte Stunde niemand.
Die schmutzigen Helfer waren zumeist sehr hungrig und bereits an meine Fütterungen mit dem menschlichen Abfall gewohnt. Wie zutreffend doch dieses Wortspiel war.
Die wiederkehrende Abwechslung im Speiseplan gefiel den Schweinen offensichtlich, da sie mir schon aus der Ferne entgegen grunzten und aufgeregt zusammenliefen.
„Na, freut ihr euch schon?“, begrüßte ich meine hungrigen Helfer und verteilte das erste blutige Futter. Sofort stritten sie wütend um die besten Stücke. Aufgeregt leckten sich die Tiere ihre blutigen Schnauzen gegenseitig ab und äugten nach weiteren Spezialitäten. Sie waren beim Fressen sehr gründlich und leisteten mit ihren kräftigen Kiefern die notwendige Arbeit.
Zufrieden ging ich davon. Im Koffer klapperten die Werkzeuge. Wer würde das nächste Futter sein? Diesmal sollte es ein männlicher Bösewicht sein. Gerechtigkeit musste herrschen. Man redete doch heute in den Journalen und der Gesellschaft so viel von Geschlechtergerechtigkeit und gleichen Chancen.