Читать книгу Verfluchtes Erbe - T.D. Amrein - Страница 5

3. Kapitel

Оглавление

Willhelm Dornbach traf drei Tage nach dem Begräbnis seines ehemaligen Chefs wieder auf seiner Insel ein. Er war von Wien nach Venedig geflogen, dann mit einer Kursfähre nach Triest, wo er seine Jacht zurückgelassen hatte.

In Pula legte er einen Zwischenstopp ein. Die gespenstische Stimmung in der Stadt erinnerte ihn an den zweiten Weltkrieg. Klebebänder an den Fensterscheiben, menschenleere Straßen. Die Geschäfte alle geschlossen. Sollte er doch besser nach Wien zurückkehren?

Aber auf seiner Insel würde bestimmt nichts passieren. Gegen Abend erreichte er ohne Schwierigkeiten sein Zuhause. Vorsichtig, wie immer, steuerte er den Bootssteg an. Von seinem Personal keine Spur. Er wurde offensichtlich noch nicht zurückerwartet. Der Bungalow, den er als Wohnung für seine Bediensteten zur Verfügung stellte, war verlassen. Niemand wohnte ständig hier, nur gelegentlich, wenn es spät wurde oder Gäste zu versorgen waren, blieb jemand auf der Insel. Auch seine Modelle verbrachten die meiste Zeit hier oder am Strand, in der Villa wollte er sie nicht ständig um sich haben, außer wenn er malte oder sie für die Nacht benutzte.

Dazu gehörte auch ein eigenes kleines Bootshaus, das ebenfalls leer stand. Dornbach war leicht verärgert. Dieses kleine Motorboot durfte eigentlich nicht ohne seine Erlaubnis verwendet werden. Es war zum Einkaufen auf dem Festland oder für Gäste reserviert, die eine Tour unternehmen wollten. Manchmal benutzte er es auch selbst, für eine schnelle Ausfahrt oder zum Angeln.

Offenbar sollte er seine Angestellten wieder einmal kräftig in die Schranken weisen. Im Alter war er immer umgänglicher geworden, das war jetzt die logische Folge. Kein Respekt mehr. Früher hätte sich niemand getraut, sich so zu benehmen, überlegte er, während er zum Haupthaus zurückspazierte.

Dass er sein Abendessen selbst zubereiten musste, störte ihn nicht, ab und zu allein zu sein, fand er erholsam. Um eine passende Flasche Wein zu holen stieg er in den Keller, wo er seine Vorratsräume völlig leer vorfand. “Alles haben sie gestohlen!“, brüllte er, obwohl ihn niemand hören konnte. Bis auf den Tiefkühler und wenigstens den Wein, alles leer. Die Haustüre hatte er verschlossen vorgefunden, also konnten es keine Einbrecher gewesen sein. Sein Personal hatte ihn ausgeraubt.

Fassungslos stand er in seinem Keller. Sein Arbeitszimmer? Schnell keuchte er hinauf, die Türe war unversehrt, nichts fehlte. Auch im Wohnzimmer, die Bilder, seine Uhren, alles da. Haben die denn nichts mehr zu essen? fragte er sich.

Sein Blick fiel auf die gegenüberliegende Küste. Das Festland, südlich seiner Insel, in der Dämmerung kaum noch zu erkennen. Er fröstelte unwillkürlich. Alles dunkel, keine Lichter, das kannte er noch. Die rechnen mit Luftangriffen, das war ihm sofort klar. Er war doch nur eine Woche weggewesen. Verschwinden solange man noch kann, ging ihm durch den Kopf. Die Wertsachen im Bunker verstecken, dann gleich am frühen Morgen wieder auf die Jacht. Sollte er vielleicht besser gleich gehen. Er war hundemüde von der Reise, auf eine Nacht kam es jetzt auch nicht mehr an. Falls doch etwas passierte, konnte er immer noch in seinen Bunker fliehen.

Wozu brauchst du einen Bunker? hörte er Kreidel noch sagen, als sie über den Bauplänen gesessen hatten. Er löschte alle Lichter, eine Kerze genügte. Zum Kochen war ihm die Lust vergangen. Etwas Käse und getrocknetes Fleisch lag noch im Kühlschrank. Dann legte er sich früh schlafen, um am Morgen wieder fit zu sein.

Kaum eingeschlafen, schreckte er wieder hoch, regelmäßige Explosionen, Bomben, das war ihm sofort klar. Ein gigantisches Feuerwerk im Süden, seine Fensterscheiben klirrten, Schlag auf Schlag kamen die Detonationen näher. Was sollte er mitnehmen? Schnell raffte er das Kerzenpaket zusammen, das Feuerzeug, das er in der Küche liegengelassen hatte, eine Wasserflasche die daneben stand, alles in den Händen, rannte er die Kellertreppe hinunter. Bevor er die massive Betontüre hinter sich schloss, zögerte er noch einmal. Das Leben riskieren für ein Stück Trockenfleisch?

Der erste Einschlag direkt neben der Insel nahm ihm die Entscheidung ab. Die deutlich spürbare Druckwelle sprengte alle Gläser im Haus. Gerade noch Zeit, den Bunker zu verriegeln, dann eine Explosion, die ihn für einige Zeit taub werden ließ, er spürte die weiteren Bomben mehr, als er sie hörte. Dann Stille.

Zitternd entzündete er eine Kerze. Wann kam die nächste Welle? Deutlich begann es nach Rauch zu riechen. Durch das einfache Lüftungsrohr, das er senkrecht durch die Decke gebohrt hatte, ohne Ventil, drang dieser unverwechselbare Brandgeruch in sein Versteck. Genau wie in den vielen Bombennächten, die er in Deutschland erlebt hatte. Erst nach Stunden, kehrte sein Gehör langsam zurück, ohne Uhr wusste er nicht, wie lange es gedauert hatte.

Offenbar gab es keine zweite Welle. Vorsichtig spähte er in das Lüftungsrohr, draußen schien es bereits zu dämmern. Nur noch weg, so schnell wie möglich. Entschlossen entriegelte er die Bunkertüre. Trotzdem ließ sie sich keinen Millimeter weit bewegen. Er versuchte es mit aller Kraft. Ohne Erfolg. Ein schreckliches Bild tauchte vor ihm auf. Die Panzerplatte über der Türe, die er wohlweislich eingeplant hatte, war von Kreidels Bauarbeitern schlicht vergessen worden. Wenn das Haus eingestürzt war, dann war er hier unten gefangen wie eine Ratte.

Der Fluchttunnel war erst ein kurzes Stück weit fertig. Manchmal, wenn ihm nach körperlicher Arbeit war, hatte er einige Stunden daran gearbeitet. Natürlich mit einer guten Spitzmaschine. Die befand sich sogar im Raum. Aber ohne Strom war sie wertlos. Über ihm rund drei Meter Kalkstein, die Türe einbetoniert mit dicken Bewehrungseisen. Die kürzeste Distanz, die Wand zum Weinkeller, einen guten Meter dick, konnte er vielleicht schaffen, bevor er verdurstet war.

Wenigstens hatte er einen Hammer im Raum gelassen, das Werkzeug der Maschine konnte er auch als Handspitzer verwenden. Trotzdem versuchte er nochmals mit dieser Stange die Türe zu bewegen. Ein klein wenig gab sie nach, Staub rieselte in den Bunker. Also doch. Die Tür musste durch heruntergebrochenen Schutt versperrt sein. Mit einer seltsamen Klarheit teilte er seine Möglichkeiten ein. Etwa ein Liter Wasser, genügend Kerzen, Hammer und Meißel gegen einen Meter Felsen. Drei Tage schätzte er, konnte er durchhalten, wenn er Wasser und Kräfte sorgfältig einsetzte. Also dreißig Zentimeter pro Tag. Mit einem tiefen Seufzer setzte er das Eisen in Brusthöhe an. Der Hammer war eigentlich für diese Arbeit zu klein. Trotzdem, bereits nach den ersten paar Schlägen schmerzte seine Schulter. Der Felsen war noch kaum angekratzt.

Entmutigt legte er sein Werkzeug hin. Gab es sonst einen Weg, überlegte er noch einmal. Einfach auf Hilfe warten. Wer sollte den kommen? Kreidel wusste nichts von seiner Lage. Das Wasser reichte vielleicht für eine Woche, wenn er sich nicht bewegte. Schaudernd erinnerte er sich jetzt, wie die Häftlinge ausgesehen hatten, die sie im Krieg absichtlich verdursten ließen. Also weiter, so wollte er doch nicht enden.

Erst nach einigen Stunden konnte er eine nennenswerte Vertiefung in der Wand fühlen. Seine Hände waren voller Blasen, dass er in drei Tagen durch die Wand kommen konnte, das war ausgeschlossen, musste er sich eingestehen.

Das einzige, das vielleicht möglich war, dass er durch ein Loch eine Flasche Wein erreichte, die ihn ein paar weitere Stunden am Leben erhielt. Erschöpft schlief er ein. Eine neue Welle von Angriffen weckte ihn wieder auf. Nicht direkt in der Nähe, aber deutlich waren die Detonationen zu hören. Ein Volltreffer würde sein Leiden abkürzen, dachte er. Nur herumzusitzen wurde ihm bald auch zu dumm, er suchte nach seinem Werkzeug. Trotz Schmerzen, gelang es ab und zu, ein kleines Stück des Felsens abzuschlagen. Stunde um Stunde machte er weiter. Das Loch war inzwischen etwa so tief, wie der Meißel reichte. Das erschwerte das Treffen des Werkzeuges zusätzlich. Außerdem verursachte die schwere Arbeit Durst. Dornbach trank in großen Schlucken, wissend, dass es nicht lange reichen würde. Auch die Kerzen brannten viel zu schnell ab und verbrauchten Sauerstoff. Er keuchte, das Atmen fiel immer schwerer. Eine Pause ohne Licht, unter dem Lüftungsrohr, half soweit, dass er wieder normal Luft holen konnte. Er sollte so liegen bleiben, dann lebte er noch einige Tage, dachte er nach. Vielleicht hatte Kreidel von den Angriffen gehört, und schickte Hilfe.

Kaum eine Stunde hielt er aus, dann versuchte er noch einmal die Türe aufzupressen. Vergeblich. Das Loch blieb seine einzige Chance. Jetzt würde er erst wieder aufhören, wenn er einfach nicht mehr konnte, nahm er sich vor.

***

Zur gleichen Zeit dachte Kreidel in Wien darüber nach, wie er die Organisation erneuern sollte. Die vielen teuren Überwachungen waren seiner Meinung nach schon lange überflüssig. Ein ganzer Stab von Mitarbeitern kümmerte sich um Leute, die schon seit Jahren nicht mehr bedroht waren. Die meisten waren jüngere Kräfte, die nicht viel wussten, aber immerhin trotzdem zum Problem werden konnten, wenn sie plötzlich keine Beschäftigung mehr hatten.

Erst wenn der letzte Veteran verstorben war, würde es keine Rolle mehr spielen. Dass er dieser letzte sein würde, damit konnte er auch nicht rechnen. Sorgen machte er sich nicht um sich, aber er hatte Familie, auf die würde man mit Fingern zeigen, wenn seine Rolle bekannt wurde.

Für alle eine neue Aufgabe zu suchen, wäre eine Lösung, aber wie? Früher hatte er noch darauf gehofft, dass sich die Zeiten ändern würden. Dass das Gute, dass sie doch auch geleistet hatten, Anerkennung finden würde. Eine oder sogar mehrere Generationen konnte es noch dauern.

Diese Pläne beschäftigten ihn Tag und Nacht. Dass sich Dornbach in Schwierigkeiten befinden könnte, weil er sich nie meldete, fiel ihm erst auf, als er zufällig auf einen Lagebericht aus Kroatien stieß. Die Inseln waren bombardiert worden, stand da, alle Bewohner wurden aufs Festland gebracht.

Kreidel wurde blass. Dornbach wäre längst zurück, wenn er nicht in Schwierigkeiten steckte. Zumindest hätte er sich gemeldet. So schnell wie möglich, stellte Kreidel einen Stoßtrupp zusammen. Mit Booten sollten sie die Insel erkunden. Natürlich nur in der Nacht. Den ehemaligen Vorarbeiter, der das Haus genau kannte, ließ er nach Triest fliegen, aus Argentinien, was zwar weitere Zeit kostete. Aber trotzdem. Kreidel ging davon aus, das Dornbach in seinem Bunker festsaß. Die Vorräte reichten für einige Wochen. Falls das Haus eingestürzt war, da konnte es sehr wichtig sein, dass jemand wusste, wo genau der Bunker lag und wie man am schnellsten zu seinem Versteck gelangte. Wenn er ums Leben gekommen war, dann spielte die Zeit ohnehin keine Rolle mehr.

***

Dornbach lag inzwischen nur noch auf dem Rücken und starrte von unten auf das Lüftungsrohr, aus dem ihm bei einem kurzen Regen, Wasser auf das Gesicht getropft hatte. Er war zu keiner Bewegung mehr fähig, nur die Augenlider wischten noch regelmäßig schmerzhaft über seine entzündeten Augen. Die Zunge füllte seinen ganzen Mund aus. Ab und zu verlor er das Bewusstsein. Sein Herz schlug nicht mehr regelmäßig, das bemerkte er. Aber es wollte einfach nicht stehen bleiben. Das war jetzt noch sein einziger Wunsch. Jeder Atemzug brannte bis tief in die Lunge. Draußen war es hell und er hörte das Meer. Gestern war er sicher gewesen, dass es sein letzter Tag werden würde. Doch die Nacht überlebte er irgendwie.

Am Morgen fiel ihm auf, dass sich am Ende des Rohres einige Wassertropfen gebildet hatten, offenbar Kondensat. Hilflos musste er zusehen, wie sie langsam vertrockneten.

***

Kreidels Männer erreichten die Insel in der folgenden Nacht. Es war überraschend still. Die Küste immer noch verdunkelt. Das Haus erinnerte an eine alte Ruine, die seit langem zerfallen war. Nur der Brandgeruch, störte die Idylle. Eine schnelle Lagebeurteilung ergab, dass kein brauchbares Boot mehr vorhanden war. Dornbachs Jacht lag unsichtbar unter den Trümmern des Bootshauses. Der Vorarbeiter rief leise in das intakte Lüftungsrohr, „ist da jemand?“

Nichts rührte sich. Beruhigend war, dass keinerlei Verwesungsgeruch festzustellen war. Weder in der Ruine, noch aus dem Rohr. Sie einigten sich darauf, dass sie am Morgen mit der Suche, das bedeutete graben, beginnen würden.

Die Reise war anstrengend gewesen, Dornbach, für Kreidels Leute, Winkler, befand sich nicht im Keller oder er schlief tief und fest. Dass sie nicht zurückkommen durften, ohne den Keller zu durchsuchen, hatte Kreidel klar befohlen.

Den ganzen Tag brauchten sie, um die Bunkertüre freizulegen. Da sich die ganze Zeit nichts rührte, rechneten sie nicht damit, etwas zu finden. Schon bald zeigte sich, dass die Türe zwar einen kleinen Spalt offenstand, aber ohne den ganzen Schutt davor wegzuräumen, ließ sie sich nicht bewegen. Endlich konnte sich der Vorarbeiter durchzwängen.

Dornbach lag kalt und steif im hinteren Teil unter dem Lüftungsrohr, die toten Augen starrten an die Decke.

Auf der felsigen Insel konnten sie ihn nicht begraben, deshalb ließen sie ihn auf dem offenen Meer in die Tiefe gleiten.

***

Kreidel war sich nicht sicher, ob es noch möglich gewesen wäre, ihn zu retten, wenn er früher reagiert hätte. Alles was ihm berichtet wurde, deutete darauf hin. Weil er keinen Arzt mitgeschickt hatte, war die genaue Todesursache Dornbachs nicht mehr zu klären. Vielleicht besser, wenn ich das nicht weiß, legte Kreidel für sich fest. Er hatte schon viele Freunde verloren, auf die eine oder andere Art. Im Alter wurde er immer einsamer, wie die meisten. In seinem Fall, kam noch dazu, dass er nur mit denen von früher, ohne sich zu verstellen, reden konnte. Weder seine Frau, noch die Kinder wussten, was er im Krieg für eine Rolle gespielt hatte.

Er hatte sich vorgestellt, wenn er dement werden sollte, konnte Dornbach ihn erlösen, bevor er selbst etwas ausplauderte. Zyankalipillen hortete er noch genug. Früher oder später, hätte er ihn auch um Hilfe bei der großen Aufgabe gebeten, die er noch zu erledigen hatte. Deshalb musste er sich jetzt beeilen, die Sache zu Ende zu bringen. Ob es noch gelingen konnte? Kreidel hatte selten an sich gezweifelt, jetzt bedrückte ihn eine dumpfe Angst vor seinen letzten Jahren, die er doch immer genießen wollte. Die Pflicht, aus der er sich nicht lösen konnte, wurde zum Fluch. Den Letzten, beißen die Hunde, dachte er bitter.

Verfluchtes Erbe

Подняться наверх