Читать книгу Ten Mile Bottom - Teodora Kostova - Страница 6
Kapitel 1
ОглавлениеDie Musik schnitt wie ein heißes Messer durch Butter durch mein Inneres, schmolz die Ränder und sank nahtlos in mich hinein, sodass ich verwundbar und ungeschützt war. Das Dröhnen des Basses war jedes Mal wie ein Schlag in den Magen; jedes schrille, elektronische Kreischen erschütterte meine Nervenenden und ließ meine Gliedmaßen zucken.
Niemand bemerkte, dass meine Bewegungen ein wenig unnatürlich waren, und wenn doch, war es ihnen egal. Ich tanzte, schüttelte mich und erzitterte auf der überfüllten Tanzfläche, während sich die Zeit quälend verlangsamte. Die bunten Lichtstrahlen glitten bedächtig, vorsichtig über die verschwitzten Gesichter, als wären sie Taschenlampen von Rettern, die einen Moment dort verharrten und versuchten, jemanden zu finden, der etwas brauchte.
Die Sache war, dass jeder hier etwas brauchte. Erlösung, eine gute Zeit, einen schnellen, unkomplizierten Fick in den Schatten. Jeder rannte auf die eine oder andere Weise dem nächsten High nach. In meinem Fall wollte ich vergessen, ich wollte den konstanten Gedankenstrom und die Bilder verstummen lassen, die in meinem Kopf umherjagten und sich jede verdammte Sekunde um die Vorherrschaft stritten.
Du hast ihn umgebracht. Du hast ihn verdammt noch mal umgebracht.
Ich hatte meine Mutter angeschrien, während der Sarg meines Vaters hinter dem Altar vor uns aufragte. Alle starrten uns an. Renee hielt mich zurück. Ich konnte nichts sehen. Meine Augen waren vor Wut und Schmerz und Tränen blind.
Ich blinzelte.
Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, fühlte sich aber an, als hätte ich stundenlang die Augen geschlossen. Als ich meine schweren Lider schließlich hob, sah ich, dass die Zeit wieder zu ihrem normalen Tempo zurückgekehrt war. Mich traf eine Wand aus Lärm. Ich stolperte rückwärts. Nicht weit, höchstens einen Schritt, bevor ich gegen Körper stieß, die sich im schnellen Rhythmus bewegten. Sie schoben mich eine Weile hin und her, bis ich wieder Halt fand.
Ich lächelte. Ich hob die Arme über den Kopf und ließ mich erneut von der Musik erfassen.
Es fühlte sich gut an.
Es fühlte sich immer gut an.
Ich brauchte es, heute noch mehr als sonst.
Du hast ihn umgebracht.
Du hast ihn verdammt noch mal umgebracht.
Stopp!
»Finn«, schrie mir jemand ins Ohr. Selbst für den Club war es zu laut. »Finn!«
Instinktiv legte ich die Arme um den Körper, der mir so nah gekommen war. Ich ließ mich von der Vertrautheit, der Nähe und dem Geruch wie von einer weichen Decke an einem kalten Tag einhüllen, zitterte aber trotzdem.
»Nicht«, sagte er, als ich meine Lippen auf die Stelle an seinem Hals legte, an der sein Puls schlug. Starke Hände packten meine Schulter, schoben mich aber nicht weg. Ich straffte den Rücken und begegnete Aidens Blick.
Sich bewegende Bilder, in der Zeit eingefrorene Momente – alle in strahlenden Farben – strömten in dem Moment auf mich ein, als ich meinem besten Freund ins Gesicht sah. Das lächelnde, jugendliche Gesicht meines Vaters aus meiner Kindheit; wie sein Sarg zu Boden gelassen wurde; meine weinende Schwester; meine Mutter, die ebenfalls weinte, während ich dasaß und nicht begreifen konnte, wie sie um jemanden weinen konnte, den sie ihr ganzes Leben lang gehasst hatte. Aiden drückte meine Hand und sah mich besorgt an.
Du hast ihn umgebracht.
Ich rannte, Aiden war direkt hinter mir und rief meinen Namen; er presste den Mund zu einer farblosen Linie zusammen, als ich ihm sagte, dass ich vergessen musste. Heute mehr als sonst.
Ich erinnerte mich an zu viel, denn die Wirkung der Drogen, die meinen Geist betäubten, ließ nach. Ich musste die Räder in meinem Kopf zum Stillstand bringen. Ich musste diese Bilder loswerden, wenn schon nicht für immer, dann für ein paar Stunden, sonst würde ich auf dem Boden der überfüllten Tanzfläche zusammenbrechen und sterben.
»Ich brauch noch eine Dröhnung«, schrie ich Aiden ins Ohr und wandte mich von ihm ab, bevor er antworten konnte.
Er würde mich nicht aufhalten, das wusste ich. Wahrscheinlich würde er sich selbst noch eine Dröhnung geben, genau wie sonst auch. Er würde für mich da sein, bei mir sein, immer. Aber ich wollte nicht wieder sehen, wie das Licht in seinen wunderschönen Augen erlosch. Wohin auch immer ich ging, Aiden folgte mir, selbst wenn es bedeutete, dass es ihn langsam umbrachte. Ich wusste nie, warum, aber ich war auch nicht allzu scharf darauf, mich damit zu beschäftigen.
Ich spürte seine Hand an meinem Oberarm, als er mir durch die Menschenmenge zur Toilette folgte. Das plötzliche Licht und die Stille, als wir die Tür hinter uns schlossen, prasselten auf meine Sinne ein und ließen mich zucken.
»Hast du was?«, fragte ich, während das Adrenalin in meinen Adern summte. Aiden nickte und zog eine kleine Tüte aus seiner Tasche. »Gut.«
Wir gingen in eine der Kabinen und Aiden lehnte sich mit dem Rücken an die geschlossene Tür. Mir fielen die Geräusche aus einer der anderen Kabinen auf, aber es war mir vollkommen egal, was dort getrieben wurde. Mir rauschte das Blut in den Ohren, mein Kopf pulsierte und meine Hände zitterten, als ich sie in meinen Haaren vergrub und daran zog. Es tat weh und ich genoss den Schmerz.
Vor meinem Gesicht tauchte Aidens Hand auf, in der eine Menge Pillen lagen. Ich schluckte, denn allein bei dem Gedanken an die herrliche Selbstvergessenheit lief mir das Wasser im Mund zusammen. Verschmitzt grinsend sah ich Aiden in die Augen und nahm zwei Tabletten. Er runzelte die Stirn, stand aber zu sehr neben sich, um etwas zu sagen. Bevor er seinen gesunden Menschenverstand wiederfinden und mir einen Vortrag halten konnte, warf ich mir die Pillen in den Mund und schluckte sie trocken.
Ich schwankte, denn die sofortige Erleichterung und das Vergnügen ließen mich schwindeln. Die Bilder, die in Endlosschleife durch meinen Kopf geisterten, wurden blasser und lösten sich an den Rändern auf, bis sie endlich verschwunden waren. Gott, das war ein Segen. Ein wirklicher, echter, unverfälschter Segen.
»Scheiße«, fluchte Aiden leise und schlug mit dem Kopf gegen die Tür.
Ich hob den Blick, um ihn anzusehen und war überrascht, wie gut er aussah. Aiden hatte immer gut ausgesehen mit seinen dichten, dunklen Haaren, den verführerischen, haselnussbraunen Augen und der Eleganz, mit der er seinen hoch aufgeschossenen Körper bewegte, aber in diesem Moment war er der schönste Mann, den ich je gesehen hatte. Mit wackligen Beinen ging ich auf ihn zu, drückte ihn gegen die Tür und umfasste seinen Kiefer, während ich ihn grob küsste. Aiden stöhnte und zog mit den Händen an der Rückseite meines T-Shirts.
Es fühlte sich so gut und gleichzeitig so falsch an und ich wusste nicht, warum.
»Ich brauch Alkohol«, murmelte ich und knabberte an seiner Unterlippe, während ich die Tür öffnete.
Aiden schloss ganz kurz die Augen, ehe er nickte und mir nach draußen folgte.