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»Deine Tochter wird doch kein Kind geboren, und dir verborgen haben« Der Vater Johann Michael Ohnmaiß

Im Spätsommer 1784 gerät Anna Maria Ohnmaiß in Verdacht, schwanger zu sein. Auch der Familie bleibt ihr Zustand nicht verborgen, und der Vater, die verheiratete Schwester und die Brüder setzen sie wiederholt unter Druck. Diese Verhöre finden unter »Geschreyh«, unter »Bitten und drohen« (55) statt. Mit welchen Argumenten und Versprechungen Anna Maria Ohnmaiß zum Geständnis bewogen werden soll, ist nicht vermerkt. Festgehalten ist dagegen eine Drohung des Vaters, die die Handlungen der Tochter nachhaltig und fatal mitbestimmt hat. Er sagte ihr, falls sie ein Kind erwarte, dürfe sie ihn nicht mehr Vater nennen. Es war eine Äußerung, die vielleicht vor den Bitten, dem Betteln um ein Bekenntnis fiel, als Wut, Entrüstung und die Angst vor der Schande die Sorge um die Tochter noch dominierten. Es war auf jeden Fall eine Drohung, die für sie weitaus mehr wog als alle freundlichen und Hilfe anbietenden Worte.

Anna Maria Ohnmaiß gesteht nicht das mindeste. Dagegen bietet sie eine Erklärung für ihren Zustand. Sie erzählt der Familie,

sie hätte eine Verstopfung ihres Gebluts und ihre gewohnliche Menses verlohren, nachdem sie verwiesenen Sommer mit Kirschen nach Marbach geloffen, und im Rukweg auf einem Wagen bis zum Prager Chaussee Hauß gefahren sodann ein gar zu starkes Bluten aus der Nasen bekommen.

Ihr »Alibi« wird überprüft und bezeugt von Leuten, die mit Anna Maria Ohnmaiß in Marbach waren, so daß der Vater »sich nachgehends bereden und beruhigen« läßt. Als Pfarrer Ludwig die Tochter vernimmt, ist Johann Michael Ohnmaiß von ihrer Unschuld überzeugt: Es könne »deme unmöglich seyn« (56) antwortete er dem Pfarrer.

Aber der Bauch seiner Anna Maria wächst. Die Tage des Schultheißen sind ausgefüllt mit Amtsgeschäften und der Arbeit in den Weinbergen. Nach dem Herbsten wird er mit seiner Tochter einen Arzt aufsuchen, falls ihr Zustand sich nicht bessert. Eine leise Unruhe hat den Vater sicher ab und zu beschlichen, eine Sorge, die er auch gerne wieder verdrängte, denn als Schultheiß des Dorfes hat Johann Michael Ohnmaiß durchaus einen Ruf zu verlieren.

Der 31. Oktober beginnt wie jeder Sonntag mit dem gemeinsamen Gebet der Familie, dem sogenannten Morgensegen. Es ist Viertel vor sieben, erinnert sich Johann Michael Ohnmaiß später. Vielleicht gehört er zu den wenigen, die schon eine Uhr besitzen; vielleicht hat er zur Kirchturmuhr gesehen oder die Zeit nach dem Glockenläuten bestimmt. Anna Maria verhält sich wie immer, aber nach dem Beten ist sie verschwunden. Um sieben Uhr macht sich der Vater auf die Suche, denn sie soll das Frühstück herrichten. Er findet sie weder im Haus noch draußen, bis er sie schließlich aus dem Holzstall rufen hört: »Vater, da her.« Als Johann Michael Ohnmaiß die Tür öffnet, liegt seine Tochter auf dem Boden in einer Blutlache. Dem erschrockenen Vater erzählt sie, »das Blut wäre ihr endlich angebrochen, man sollte ihr zu Hülf kommen«.

Für Vater Ohnmaiß handelt es sich hier eindeutig um eine Frauensache, und so ruft er die verfügbaren Frauen zusammen: die Nachbarin, die Töchter, die »Söhnerin« (57). Anna Maria Ohnmaiß' Hoffnung scheint sich zu erfüllen: Da nirgends ein Kind zu bemerken ist eine Aussage, die impliziert, daß offen oder unauffällig nach den Anzeichen einer Geburt gesucht wurde ,freuen sich die Anwesenden,

daß sich ihre beschuldigte Schwangerschaft so geendigt, und [...] ihre Ohnschuld nun am Tage seye.

Anna Maria wird zu Bett gebracht, man schickt nach Untertürkheim zum jungen Chirurgus Blenzig. Johann Michael Ohnmaiß geht wie jeden Sonntag um acht Uhr »in die Predig«. Dort aber wächst seine Unruhe, und er zweifelt an der Darstellung seiner Tochter. Während des ganzen Gottesdienstes habe er, so erzählt er nachmittags dem Pfarrer Ludwig,

diesen Gedanken nie untertruken können, deine Tochter wird doch kein Kind geboren, und dir verborgen haben.

Der schwere Verdacht führt den Schultheißen von der Kirche direkt in die Holzkammer, wo er alles aussucht. Auf den Holzspänen entdeckt er schließlich einen »Heutuch Lumpen« (58), der etwas bedeckt. Seine schreckliche Ahnung wird grausige Wirklichkeit, als er den leblosen Körper eines neugeborenen Mädchens entdeckt. In sein Entsetzen mischt sich die verzweifelte Hoffnung, das Kind möge noch zu retten sein. Der Chirurgus Blenzig ist noch im Haus; er läßt ihn zu sich rufen und gemeinsam tragen sie das Mädchen in die Wohnstube und legen es auf den Tisch. Doch an dem Körper ist kein Lebenszeichen mehr zu entdecken. Dagegen entdecken sie etwas anderes: Als

der Blenzig das Kind für ganz todt gehalten, hätten sie an seinem Hals solche Mähler beobachtet, woraus er und der Blenzig geschloßen, das Kind müßte unter der Geburth erwürget worden seyn.

Was Johann Michael Ohnmaiß in den nächsten Stunden getan hat, ist nicht gewiß. Es scheint, als wäre die Tat zumindest innerhalb der Familie noch geheim gehalten worden, denn auch der Provisor, der den Schultheißen mit seiner Tochter nach der Kinderlehre zum Pfarrer bestellt, richtet nichts weiter aus, als daß er ohnehin hätte kommen müssen. Das Zimmer seiner Tochter Anna Maria betritt der Vater während der nächsten zwei Tage nicht. Er gibt zu Protokoll,

anbey habe ihn der Ohnmuth dergestallten übernommen, daß er nach seiner Tochter selbsten nicht sehen noch sie darüber befragen können, wie er dann auch ihre Examination lediglich der Obrigkeit werde überlaßen haben.

Kindesmord im Dorf

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