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Fatme

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Inhaltsverzeichnis

Wir hatten an verschiedenen Abenden das bunte Leben und Treiben der Stadt an uns vorüberfluten lassen, hatten zwischen berauschend duftenden und blühenden Sträuchern, wie sie nur eine südliche Vegetation hervorbringt, den Weg hinauf nach Mustapha gemacht, wo entzückende Villen unter hohen Palmen träumen, wir hatten arabische Cafés besucht und zu orientalischer Musik aus winzigen Täßchen den braunen Trank geschlürft, wir waren im Eukalyptuswäldchen gewandelt und hatten dem lebhaften Flüstern der schönen Baumriesen gelauscht, und nun wollte uns Ali ben Bachir zu Fatme, sozusagen als der Pièce de résistance, führen. Nicht zu der schon seit vielen Jahren berühmten – denn die sei alt und dick und nur selten noch zum Tanzen gestimmt –, aber zu einer jungen, schönen Fatme, deren Anblick eine Augenweide gewähre.

Er mußte ihr am Nachmittag einen Besuch machen, um anzufragen, ob unser Kommen auch genehm sei. Es war genehm, wie wohl gar mancher schon im voraus prophezeit hätte. Aber warum soll man sich diese kleinen Täuschungen nicht gern gefallen lassen? Warum dem grauen Alltag nicht ein Mäntelchen umhängen, dessen Farbe uns entzückt? All diese anscheinenden Schwierigkeiten, das bißchen Geheimnistuerei, reizt es nicht unsere Phantasie und hilft das Leben verschönern?

Voller Aufregung und Erwartung machten wir uns auf den Weg. Ins arabische Viertel ging es natürlich, über steile, steinerne Treppen, durch enge, stockdunkle, totenstille Straßen, bis wir in einer kleinen Sackgasse landeten. Nach einer bestimmten Art von Klopftönen, in denen sich Ali wohl schon öfter geübt haben mochte, öffnete sich die kleine Pforte, und wir traten in einen mäßig großen, nach der Gasse zu fensterlosen Raum, der das ganze Erdgeschoß einnahm. Ein kleines, schwelendes Petroleumlicht warf einen unsicheren Schein auf eine Frau, die Zigaretten rauchend auf einer Matte kauerte. Kein Stuhl, kein Möbelstück, nichts als ein Brunnen in einer Ecke, kaum erkennbar. Ein paar Worte des Führers, und eine Handbewegung von ihr zeigte an, daß wir uns nach oben begeben konnten. Wir kletterten die schmale Treppe hinauf und kamen auf eine Art Balustrade, von der aus man hinunter in den dunklen Raum mit dem flackernden Lichtchen und der rauchenden Frau auf dem Boden blicken konnte.

»Da hockt sie immer,« sagte uns Ali ben Bachir. »Das ist ihr Platz und das Rauchen ihre Beschäftigung.«

Wir hatten nicht erst Zeit, über die Freuden und Annehmlichkeiten eines solchen Daseins nachzudenken, denn im selben Augenblicke wurde ein Vorhang zurückgeschlagen, und im Rahmen einer Tür erschien die entzückendste Mädchengestalt, die man sich träumen konnte. Ali hatte nicht zuviel versprochen. Auch ohne daß man es uns sagte, wußten wir, daß dies nur Fatme sein konnte. Mit einer schüchtern-anmutigen Handbewegung lud sie uns ein, näherzutreten. In einem Raum, der kaum so breit war, daß man sich darin umdrehen konnte, lagen bunte Matten und Kissen auf dem Boden, und nach Arabersitte ließen wir uns mit untergeschlagenen Beinen darauf nieder. Es wurde in winzigen Schälchen Kaffee serviert, und während wir daran nippten, weideten wir uns an Fatmes Schönheit. Von mittlerer Größe, nicht älter als höchstens dreizehn oder vierzehn Jahre, hatte sie schlanke, weichgerundete Formen, ein feingeschnittenes Gesicht mit großen dunklen Rehaugen und einem Teint, anzuschauen wie altes Elfenbein, so mattglänzend und kühl. Bunte Seide schmiegte sich um ihre Glieder, und ein weißer, reich mit Silber bestickter Schleier verdeckte zum Teil ihr tiefschwarzes, üppiges Haar. Wir plauderten, hatten ungezählte Fragen zu stellen, und Fatme, die etwas Französisch gelernt hatte – nur der fremden Besucher wegen – antwortete, so gut es ging. Aber sehr oft gab sie sich, wie ein träges Kind, gar nicht erst Mühe, die Worte zu suchen, sondern Ali mußte als Dolmetscher dienen. Er übersetzte unseren Wunsch, daß wir sie tanzen sehen wollten. Sie zierte sich und ließ sich bitten. Dann trug sie ihm auf, die Mutter zu holen. Es war die Zigaretten rauchende Frau aus dem Erdgeschoß. Eine bessere Folie als dieses dicke, häßliche Weib hätte die junge Fatme wahrlich nicht haben können. Das Leben mochte die Frau hart mitgenommen haben. Aber neben dem Zug, den die Sorge gegraben, lag noch so viel Verschlagenheit, List und Gemeinheit in diesem Gesicht, in der ganzen Erscheinung, daß man sich des Widerwillens nicht erwehren konnte. Wir nahmen an, es wäre vielleicht nur eine Art Theatermama. Doch Ali versicherte uns, er kenne die Familie seit langem und wisse bestimmt, es sei die richtige Mutter.


Grabmäler im Vorhof der Moschee Abderrahman in Algier

Sie behandelte das Geschäftliche der Angelegenheit und setzte den Preis fest, den wir zu zahlen hatten, wenn ihre Tochter tanzte. Nachdem dieser Punkt zu ihrer Zufriedenheit erledigt war, ließ sie sich von einer alten Dienerin ein Holzinstrument bringen, das in der Form einer ägyptischen Vase glich. Auf dem flachen Boden dieser Vase schlug sie nun den Takt, zu dem Fatme tanzte – nein, tanzen konnte man es wohl kaum nennen, es war eigentlich nichts weiter als ein wohliges Sichwiegen, anmutige Arm- und Hüftbewegungen. Sie erinnerte an ein junges Kätzchen, das sich spielerisch dehnt und streckt. Aber man vermißte die Krallen. Die bezaubernde Hülle schien wenig Temperament zu bergen, und da half auch alles Zureden der Alten mit dem Kupplerinnengesicht nichts. Fatme, die schön war wie ein Märchen, konnte wohl nicht etwas geben, was sie nicht besaß. Interessanter war es, sie als Bild zu genießen, während die Alte erzählte, daß sie den Mann schon früh verloren und ihr von neun Kindern nur dieses Mädchen geblieben sei, ihr Stolz und ihre Stütze. Sie könnte ohne diese Tochter nicht leben, versicherte sie, und man glaubte es ihr, wenn man den Strahl von fast hündischer Treue und Ergebenheit sah, der dabei aus ihren rotgeränderten Augen leuchtete.

Aber über all den Lobpreisungen ihrer schönen Tochter vergaß sie nicht, uns mitzuteilen, daß sie noch ein anderes Mädchen im Hause habe, die gern vor uns tanzen wollte, wenn ein Verdienst für sie dabei abfiele.

Nachdem diese wichtige Frage abermals erledigt war, wurde die Tänzerin gerufen. Ein großes, hageres Geschöpf mit starkem Knochenbau und einem scharfgeschnittenen, herben Gesicht, in dem ein paar düstere, scheue Augen brannten. Weder Schmuck noch seidene Tücher zierten sie, etwas Ernüchterndes ging im ersten Augenblick ihres Erscheinens von ihr aus. Sie mochte das fühlen und vielleicht gerade darum zeigen, was sie konnte, denn sie tanzte, langsam beginnend, schließlich mit einer Verve, einem Temperament und einer Leidenschaft, die alles in ihren Bann zwang. Da waren die Krallen, die wir bei der schönen Fatme vermißten, und als wir – es war lange nach Mitternacht – uns von den dreien verabschiedeten und die steile Treppe wieder hinunterkletterten, waren wir uns noch nicht ganz einig darüber, ob wir nicht doch Fatmes temperamentvoller Konkurrentin den Preis zuerkennen sollten.

Die Erlebnisse dieses Abends haben mich noch manchmal zum Nachdenken veranlaßt. Man wußte, daß der Beruf dieser Mädchen nicht bloß im Tanzen bestand, wußte, daß es der sauberen Mutter und Verwalterin des Hauses viel lieber war, wenn sich nur Vertreter des männlichen Geschlechts einfanden, die die Schönheiten ihrer jungen Hausbewohnerin noch etwas höher einschätzten, man wußte das und vergaß es doch vollkommen in der Gegenwart der Mädchen, denn nichts in ihrem Verhalten erinnerte an ihr Gewerbe, und der Stempel der Verderbtheit und Gemeinheit, den in europäischen Landen fast alle Priesterinnen der Venus tragen, fehlte bei ihnen vollkommen. Sie leben ihr Leben mit einer Naivität, die einfach alle Kritik entwaffnet – »Honni soit qui mal y pense!« möchte man hier beinahe sagen.


Ruhestätte des Propheten Abderrahman in Algier

Im Land des Lichts: Ein Streifzug durch Kabylie und Wüste

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