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Durch die Kabylie

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Inhaltsverzeichnis

Am Morgen nach diesem nächtlichen Erlebnis nahmen wir Abschied von Algier, das mit seinem fremdartigen Gemisch von Orient und Okzident einen starken Eindruck auf uns gemacht hatte. Wir befanden uns in richtiger Entdeckerstimmung; denn nun sollte es ja in ein ganz geheimnisvolles Land gehen, das nur von wenigen Reisenden besucht wird.

Das Interessanteste wäre es wohl gewesen, die Tour auf Mauleseln zu machen. Doch sind die Unterkunftsstellen in der Kabylie so selten und die wenigen so schlecht, daß sich eine längere Reise aus diesem Grunde von selbst verbietet. An die Diligence wagt man gar nicht erst zu denken, wenn man sie nur einmal gesehen hat: ein ganz unwahrscheinliches Vehikel, das alle Bedingungen für Unbequemlichkeiten erfüllt. Schon daß es hauptsächlich von Kabylen benutzt wird, macht seinen Gebrauch für den Europäer fast unmöglich. Es würden Anforderungen an seinen Geruchssinn gestellt werden, denen er nicht gewachsen wäre, und in der »drangvoll fürchterlichen Enge«, die gewöhnlich herrscht – denn Menschen, Tiere und Pakete, alles wird in den verschiedenen Etagen zusammen untergebracht – könnte er sich auch der kleinen blutgierigen Freunde des Kabylen nicht erwehren, die dieser meist in Menge mit sich führt.

Die Bahn durchschneidet nur einen Zipfel des Landes und verschwindet jedesmal, wenn die Aussicht am schönsten wird, in einem finsteren Tunnel. So bedienten wir uns des modernsten und unbestreitbar schönsten Beförderungsmittels, des Automobils. Einige Tage zuvor hatten wir in einem Automobilgeschäft alles Nötige arrangiert. Man hatte uns einen ganz famosen Wagen gezeigt und uns den Chauffeur vorgestellt, der uns fahren sollte – Wagen und Mann paßten zusammen. Aber in Algier scheint man, wie ja auch in manchen anderen Orten dieser Welt, der Ansicht zu sein, daß man ein Versprechen wohl geben kann, jedoch nicht zu halten braucht. Denn am bestimmten Morgen stand vor unserer Hoteltür ein alter Klapperkasten, bei dessen bloßem Anblick einem die Glieder schon schmerzten. Die abgenutzten Pneumatiks versprachen in Bälde die allerschönsten Pannen, und der Führer machte einen Eindruck, daß sich ihm wohl nur einer übergab, der sich mit Selbstmordgedanken trug. Auf unsere erstaunte Frage, was das bedeute, belehrte uns der »Herr Chef«, der selbst mitgekommen war, wohl weil er seinem Angestellten nicht über den Weg traute, mit einer phänomenalen Dreistigkeit: dies seien Mann und Wagen, wie wir sie ausgesucht hätten. Ganz erstaunt sahen wir uns gegenseitig an mit dem unausgesprochenen Zweifel in den Augen, ob wohl die Phantastereien der Nacht noch in uns nachwirkten? Aber nur einen Moment, dann bekam der »Herr Chef« die ihm gebührende Antwort. Als sich nun auch noch der Portier unseres Hotels auf unsere Seite stellte – er mochte den Kunden schon kennen –, rückte dieser das angezahlte Geld heraus und steckte den »Lügner« in richtiger Selbsterkenntnis gelassen ein.

Eine halbe Stunde später hatte das Hotel einen Wagen besorgt, etwas teurer wohl, aber in jeder Hinsicht ausgezeichnet.

Zum Abschied hatte sich auch Ali ben Bachir eingefunden, um seinen Lohn einzukassieren, den er erst in der Trennungsstunde haben wollte. Da er sich durch seine Bescheidenheit wirklich unser aller Sympathie erworben hatte, fiel die Zugabe bedeutend größer aus, als sie wohl sonst gewesen wäre, und mit glückstrahlendem Gesicht bedankte er sich:

»Sehen Sie, wie recht ich hatte, als ich das Wasser in der Moschee des Abderrhaman trank. Nun hat es mir doch schon Glück gebracht!«

Aufgeregt surrte die Maschine, und der Wagenkörper zitterte vor Ungeduld, hinaus ins Weite zu kommen. Bald hatten wir die Stadt im Rücken. Noch einen letzten Blick zurück auf die weißen, im strahlenden Morgenglanze marmorschimmernden Häuser, auf das Gewinkel der Kasba, auf die Kirche »Notre Dame d'Afrique«, wo die schwarze Himmelsmutter schützend ihre Hände nach den Seefahrern ausstreckt, auf den Hügel, der das entzückende Bouzareah trägt mit seinem an Schönheit kaum zu übertreffenden Rundblick, und dann hieß es nur noch: mit Vollkraft voraus dem Neuen und Unbekannten entgegen.


Straße im jüdischen Viertel (Algier)

Zu Anfang führt der Weg durch die heiße, schattenlose Ebene des Mitidscha mit einem wundervollen Ausblick auf die schroffgezackten Linien des Atlasgebirges. Auf staubiger Landstraße passieren wir Herden von müden, abgetriebenen Mauleseln, die in großen Körben den Ertrag der Felder zu den Käufern in die Stadt befördern, wir flitzen vorüber an der langsam dahinkriechenden, von vier unsagbar mageren Pferdchen gezogenen Diligence und an gemächlich schreitenden hochbeladenen Kamelen, die erschrocken zur Seite weichen. Immer näher zu den Bergen hin, die in gewaltigen Formationen aus der Ebene emporwachsen. Gipfel erscheint hinter Gipfel. Auf ihren Rücken tragen sie wohlbestellte Äcker, üppige Wiesen, von zahlreichen Schafherden belebt, und dunkelgrüne Wälder, die erst vor den stolzen, mit gleißendem Schnee gekrönten Häuptern haltmachen. Bilder von lieblicher Schönheit wechseln mit Szenen von erhabener Größe. Man hat nicht Augen genug, um alles in sich aufzunehmen, nicht Zeit genug, um alles auskosten zu können.

Spielend nimmt unser Auto die Höhen, und immer weiter trägt es uns hinein in das Herz der sogenannten »Großen Kabylie«.

Um die Mittagszeit erreichen wir Tizi Ouzou. Am Fuße des Berges Belloua und im Mittelpunkte der Kabylie gelegen, beherrscht es das ganze Tal des Sebaou. An 1500 Europäer haben sich hier niedergelassen, und das Hotel, in dem wir absteigen, um zu Mittag zu speisen, wird von einem Franzosen geführt. Das Haus ist uns durch seine wenig gute Küche und seinen höchst unliebenswürdigen Wirt, der unser Erscheinen als eine Störung zu empfinden schien, in Erinnerung geblieben.

Aber was interessierten uns in diesem Augenblick die Franzosen! Das Kabylendorf war es, das unsre ganze Aufmerksamkeit erregte, denn es war das erste seiner Art, das wir betraten. Es ist erstaunlich, wie dieses Kabylenvolk, dicht neben den Franzosen wohnend und lebend, seine ganze Eigenart bewahrt. Es baut seine primitiven Hütten nach demselben Plane wie seit Jahrhunderten und bleibt seiner Kleidung und seinem Schmuck bewunderungswürdig treu.

Da die Bahn bis Tizi Ouzou führt und der Ort von Algier aus nicht allzu weit entfernt liegt, sind dort Fremde keine allzu große Seltenheit, und der Kabyle dürfte es wohl gewöhnt sein, daß man ihn und sein Dorf mit überraschten Blicken betrachtet. Er legt dem ungebetenen Besucher auch nichts in den Weg, aber aus seiner unfreundlichen Miene und seinen düster blickenden Augen spricht deutlich sein Widerwille gegen dessen Erscheinen. Der neben ihm lebende Franzose soll ihm übrigens ein ebensolcher Dorn im Auge sein, und es dürfte wohl seine guten Gründe haben, daß ein Regiment Tirailleurs dort stationiert ist.

Als wir nach etwa zweistündiger Pause wieder in unserem Wagen Platz nehmen wollten, hatte sich eine Mauer von dreckstarrenden Kabylenkindern darum gebildet. Selbst an den Rädern klebten sie, wie kleine Affen, und wir mußten uns erst durch Backschisch das Recht der Weiterfahrt erkaufen.

Auf breiter, mit Eukalyptusbäumen bepflanzter Allee ging es aus Tizi Ouzou hinaus. Die Straße, die rapid hinunter in das Tal des Sebaou führt, war an diesem Tage ungewöhnlich belebt. Es war der Vorabend eines Markttages. Scharenweise kamen die Kabylen gezogen, mittelgroße Gestalten von derbem Knochenbau und von dunkelbrauner, manchmal ins Schmutziggelbe spielender Hautfarbe. Unter dem Burnus, der vor langer Zeit einmal weiß gewesen ist, tragen sie nichts als die Gandura, ein ärmelloses Hemd, in der Taille mit einem Gürtel gehalten. Kopf, Nacken und Schultern schützt ein Strohhut von der Größe eines Sonnenschirms. Viele bedecken sich das Haupt aber auch nur mit einem roten Käppchen in der Form, wie es bei uns die Priester tragen, oder sie umwickeln den Kopf mit einem Turban, wie der Araber. Bis zu den Knien sind sie nackt und laufen leichtfüßig mit ruhigen, gleichmäßigen Schritten neben ihren Tieren her, Schafen und Kühen und den Mauleseln, die Getreide, Honig, Öl, gewebte Stoffe und einfache aber ganz eigenartige Töpferwaren, die ebenso wie die Webarbeiten von Frauen verfertigt werden, zu Markte tragen. Für den Kabylen ist der Markttag der große Tag. Er tauscht da nicht nur seine Waren aus, da werden zu gleicher Zeit auch politische Fragen erörtert und, wenn es glückt, sein höchster Wunsch erfüllt, nämlich ein Gewehr geschmuggelt.


In der Kabylie

Nachdem wir im Tal des Sebaou angekommen waren, dem größten Flusse der Kabylie, der das ganze Jahr über – bei den Flüssen in Algier eine Seltenheit – Wasser in seinem Bette führt, ging der Weg in nördlicher Richtung weiter, und wieder begann ein stetiges Klettern.

An gähnenden Abgründen schlängelte sich unser Auto entlang. Eine einzige sekundenlange Zerstreutheit des Chauffeurs, und wir lägen zerschellt in der grausigen Tiefe. Der Gedanke stellte sich unwillkürlich ein. Aber unser Führer lenkte seinen Wagen mit sicherer Hand. Seit Jahren kam er durch die Kabylie, kannte jeden Felsen, jeden gefährlichen Punkt, der seine Aufmerksamkeit besonders erforderte. Er gab uns manche beruhigende Probe davon. So wußte er genau, an welcher Stelle er einem Kabylen mit seinen verschlafenen Maultieren begegnen würde, und noch ehe er die Kurve nahm, ließ er laut die Huppe ertönen, und richtig, als wir um die Ecke kamen, da war er, und wie immer auf der falschen Wegseite, auf der er einem Neuling sehr gefährlich werden konnte.

Es war ein wundervolles, pittoreskes Panorama, das ununterbrochen an uns vorüberzog. Schroffe, kapriziös gezackte nackte Gipfel, steile, fruchtbare Hänge, bis zum letzten Quadratmeter bepflanzt und gepflegt wie köstliche Gärten; düstere Schluchten und tiefe, sonnenlose Täler, deren kühler Atem zu uns emporstieg. Riesenhafte Wälder aus Eichen, die an unseren deutschen Wald erinnerten, meilenweite Bestände aus Eschen und Zedern, an denen sich immergrüne Schlinggewächse emporrankten, und graugrüne Olivenhaine, von melancholischen Schatten umweht. Und wenn man es am wenigsten erwartete, sich von allen Seiten von unüberwindlichen Bergen eingeschlossen glaubte, verschoben sich plötzlich die Kulissen und eröffneten einen überwältigenden Ausblick auf das azurblaue Meer, auf verschwimmende, duftige, märchenhafte Fernen.

Einen ganz eigenartigen Einschlag in diese verblüffend abwechslungsreiche Szenerie geben die Dörfer der Kabylen. Wie Kappen sitzen sie zum Teil auf den Glatzen der alten Bergriesen, sie kleben an den Hängen wie kolossale Vogelnester oder liegen hingeduckt in finstere Bergeinschnitte, immer in ziemlich unzugänglicher Lage. Grauweiß ist der Anstrich der Hütten, ein verblaßtes Rot die Farbe der Dächer. Kein Schornstein erhebt sich in die Luft, nicht das kleinste Rauchwölkchen schwebt über diesen Wohnstätten, wie ausgestorben wirkt das Land. Und doch beherbergt es eine große, ebenso fleißige als kriegerisch veranlagte Bevölkerung.

Von einem Gipfel der zweiten Gebirgskette, die vor uns aufstieg, grüßte uns aus stolzer Höhe das Fort National. Doch nur auf kurze Zeit blieb es in Sicht, dann führte unser Weg wieder eine Weile bergab an den Ufern des Aïssi entlang, dem bedeutendsten Nebenfluß des Sebaou. Am Ende des engen Tales sahen wir zum erstenmal die westlichen Abhänge des Djurdjura, eines Teils des Atlasgebirges, das die Kabylie durchschneidet. Wie eine gigantische rote Mauer schiebt er sich vor. Bald nachdem wir den Aïssi überschritten hatten, verschwand der Djurdjura wieder hinter den anderen Höhen.

An einigen europäischen Häusern vorbei, die sich verloren genug in dieser Gegend vorkommen mögen, führte der Weg an dem Dorf Adeni vorüber in überraschend starker Steigung wieder aufwärts. Es ist dies das Stück Straße, das die Soldaten des Marschalls Randon in der erstaunlich kurzen Zeit von zwanzig Tagen herstellten.

Die Hitze wurde immer intensiver, und unser armes Auto pustete unter der anstrengenden Arbeit, die es zu leisten hatte. Von dieser Höhe aus gab es einen herrlichen Blick über das Tal des Sebaou, das wir vorher durchfahren hatten, und mit lebhaftem Interesse verfolgten wir die Berglinie, die sich als Wall zwischen dieses Tal und das Meer schiebt. In schleifenartigen Serpentinen ging es vor- und aufwärts.


Kabylendorf

Hart am Wege stand eine französisch-kabylische Schule, die erste ihrer Art. Ihrem lebendigen Inhalt, den sie gerade entleerte, war unser Erscheinen ein Ereignis, das ausgenützt werden mußte. Schreiend und lebhaft gestikulierend verfolgte die Jugend unseren Wagen. Die Schwächeren gaben das Wettrennen bald auf, aber die Stärkeren hielten aus. Burnus und Gandura, alles was ihnen beim Laufen im Wege war, wurde bis unter die Arme hochgehoben oder mit den Zähnen festgehalten, und das Rennen erst aufgegeben, als sich die Anstrengung mit einigen Münzen gelohnt hatte.

Von Tamazirt aus bot sich abermals ein unvergleichliches Bild. Ein voller Blick auf die grandiose Djurdjurakette, die gigantische rote Mauer, die uns schon im Tale des Aïssi mit Erstaunen und Bewunderung erfüllt hatte.

Dorfgekrönt die steilsten Gipfel in der Runde, und tief unten zwischen den scharf abfallenden Hängen das Silberemaille des Flusses, an dessen Ufer wir noch kurz zuvor entlang geflogen waren. Denn es schien wirklich, als ob wir Flügel gehabt hätten, um so schnell auf diese Höhe gelangen zu können.

Sobald man Tamazirt im Rücken hat, erscheint das Fort National in dominierender Höhe. Von einer Berglehne geht es nun auf die andere, bis zum Dorf Azouza. Noch einmal kommt eine rapide Steigung zum Kamm hinan, und dann fahren wir durch ein von Soldaten bewachtes Tor in dem mächtigen Walle in die trotzige Feste. Eine einzige dicht von Bäumen beschattete Straße führt durch die Festung und das Dorf, das sich daran gliedert. Im ersten Augenblick kann man völlig vergessen, daß man sich hoch oben in einem der wildesten Teile der Kabylie befindet, da die militärischen Bauten europäisch sind und nur französisches Militär zu erblicken ist.

Auf eine Anfrage bei dem Kommandanten wird den Fremden gewöhnlich die Erlaubnis erteilt, die Festung zu besichtigen. Auf Befehl eines Unteroffiziers übernahm es ein Soldat, diese wichtige Persönlichkeit aufzusuchen. Inzwischen übergab er uns einen großen sommersprossigen, rotköpfigen Infanteristen zur Führung. Die Unzufriedenheit stand ihm deutlich im Gesicht geschrieben, und auf unsere interessierten Fragen, wie es ihm hier oben gefalle, erwiderte er auch offenherzig, daß er wünschte, der Teufel hole den Ort und die ganze Kabylie. Es mag ja nicht leicht sein für einen Jungen von den lieblichen Ufern der Seine, in diesem Felsenneste auszuharren, wo im Winter die bitterste Kälte und im Sommer die erschlaffendste Hitze herrscht, wo »des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr« nur von vorher militärisch festgesetzten kleinen Vergnügungen unterbrochen wird.

Während wir ihn noch unserer aufrichtigsten Teilnahme versicherten, kam die Antwort zurück, daß der Kommandant augenblicklich nicht aufzufinden sei, daß aber der Besichtigung trotzdem nichts im Wege läge. – Die militärischen Gebäude interessierten uns nicht sehr, aber der Wall, das heißt die Aussicht von dem Wall ist etwas, das sich nie und nimmer vergessen läßt. Erst da wird einem klar, welch wichtigen strategischen Punkt dieses Fort National bedeutet. Durch seine zentrale Lage kann es mit Leichtigkeit eine ganze Anzahl Kabylenstämme überwachen, und wie man uns mitteilte, ist es möglich, in wenigen Stunden 30 000 Kabylenhäuser in Grund und Boden zu schießen. Es sind die wildesten und am schwersten zu zähmenden Stämme, die rundherum in ihren Adlernestern hausen; sie hielten diese immer für uneinnehmbar, bis 1857 Marschall Randon kam, das ganze bis dahin unabhängige Gebiet unterwarf und die französische Flagge auf den Höhen der Kabylie aufpflanzte. Frankreich hat sich damit ein Land erobert, in dem vor ihm Araber, Türken und selbst die Römer vergeblich versucht hatten, sich festzusetzen. Ob dies den Galliern auf die Dauer gelingen wird? Nach jenem ersten Sieg glimmte jedenfalls unter anscheinender Ruhe das Feuer der Empörung unentwegt weiter, bis im Jahre 1871 ein großer Aufstand ausbrach, dessen Ausgang den stolzen freiheitsliebenden Gebirgssöhnen vielleicht klargemacht hat, daß sie sich der Übermacht der Fremden, die ihnen nach der Niederlage auch noch zehn Millionen Kriegsentschädigung aufbürdeten, in Zukunft zu beugen haben. Arme Vögel auf ihren Höhen! Kein Wunder, daß sie scheu und finster blicken.


Blick vom Fort National

Nach drei Seiten beherrscht das Fort National – von den Eingeborenen Souk-el-Arba, der Mittwochsmarkt, genannt – das Land, und nach jeder Richtung genießt man eine vollkommen verschiedene Aussicht. Das Gruseln überkommt einen, wenn man das Auge an der 2000 Fuß hohen, senkrecht abfallenden Wand hinuntergleiten läßt, auf deren Zinne der Festungswall entlang läuft, und unvergleichlich ist der Blick auf die Djurdjurakette, die sich hier in ihrer ganzen majestätischen Größe zeigt mit ihren zerrissenen und zerfetzten Wänden, mit ihren starren Zacken und unüberwindlichen Graten. Die Hänge nach Norden sind mit wilden Schluchten genarbt, die sich erst tief unten im Tale des Sebaou verlieren.

Das Endziel unserer Fahrt an diesem Tage sollte Michelet sein, etwa 25 Kilometer von Fort National entfernt. Der Weg schlängelte sich abwärts nach dem Tale des Flusses Sahel zu, an schwindelerregenden Abgründen entlang, zwischen einer Felsenlandschaft hindurch von einfach klassischer Größe. Uns gegenüber erhob sich der mächtige Djurdjura, auf der anderen Seite begleitete uns die interessante Kette des Beni-Yenni, unvergeßlich mit ihren drei dorfgekrönten Spitzen, deren letzte Häuser bis an schwindelerregende Abgründe vorgeschoben sind. Nach Übersteigung einer anderen Gebirgshöhe sind wir endlich auf dem Rücken des Berges gelandet, an dem Michelet liegt.

Michelet, das rein militärischen Gründen seine Entstehung verdankt, besteht nur aus wenigen staatlichen Gebäuden, die von französischen Beamten bewohnt werden. Auch eine Bordj besitzt es, eine Art befestigtes und mit Schießscharten versehenes Haus, in dem die Europäer in Zeiten der Gefahr Unterkunft finden. Das Ganze ein Ort, der nach all den pittoresken, lieblichen und grandiosen Bildern, die der Tag gebracht, unsagbar nüchtern wirkte, aber er besaß das, was wir brauchten, ein Hotel, das noch ganz nach guter alter Sitte gehalten wird: der Mann kocht, die Frau versieht das Haus, die Töchter servieren, halten die Zimmer in Ordnung, und alle zusammen geben dem Reisenden gern aus ihrer langjährigen Erfahrung mit dem Kabylenvolk etwas zum besten.

Es war gegen fünf Uhr, als wir in Michelet ankamen, und auf unsere Frage, wie wir den Abend noch möglichst gut ausnützen könnten, wurde uns vorgeschlagen, das Kabylendorf Ain-el-Hammam zu besuchen. Ein Führer fand sich in der Person eines kleinen, etwa zehnjährigen Kabylen aus demselben Orte, den man im Hotel gut kannte, da er dort hin und wieder kleine Arbeiten verrichtete, außerdem, da er die französische Schule besuchte, leidlich Französisch sprach.

Auf einem schmalen Pfade führte der Weg hinunter in das an abschüssigem Hange gelegene Dorf. Die Sonne war gerade im Untergehen, und der ganze Westen, Himmel und Berge, glühten in einem goldigroten Farbenrausch. Und im Abglanz dieser goldigroten Glut tauchten eine Strecke vor uns zwei Mädchengestalten auf, die allem Anschein nach vom Brunnen kamen. Die eine balancierte eine schwarz und rot ornamentierte Amphora mit zwei Henkeln auf dem Kopfe, die andere trug einen Wasserkrug auf der Schulter, ihn mit hocherhobenem nacktem Arme stützend. Leichtfüßig schritten sie dahin, eine bezaubernde Anmut in jeder Bewegung. Um alles in der Welt gern hätte ich von diesem entzückenden Bilde so viel nur eben möglich war, auf einem Film festgehalten. Auf den Zuruf unseres kleinen Begleiters eilte aber die eine von ihnen wie ein gescheuchtes Wild davon, die andere blieb halb unschlüssig stehen und streckte die offene Hand aus, was soviel heißen sollte als: erst das Geld und dann die Gegenleistung. Alles wurde in rascher Hin- und Herrede bewilligt. Aber bis wir sie erreichten, hatte sie ihre Meinung wieder geändert und war nun ebenfalls im Nu unter den Bäumen verschwunden.


Beim Getreidemahlen

Der Junge führte uns in eines der ersten Häuser am Eingange des Dorfes. Es war für kabylische Verhältnisse ein ziemlich großes Haus, vier langgestreckte flache Hütten um einen offenen Hof herumgebaut. Die erste, durch die wir hindurch mußten, um in das Innere zu gelangen, diente als Scheune. Wir durchquerten dann den Hof und befanden uns nun im Innern einer Wohnhütte. Die Einrichtung primitiv zu nennen, ist noch viel zu viel gesagt. Vier nackte, niedrige, fensterlose Lehmwände. In einer Ecke ein kleiner Aufbau, in dem die Krüge, die Wasser und Öl enthalten, versenkt werden, um den Inhalt kühl zu halten, und in der Mitte des Fußbodens, der aus festgestampftem Lehm besteht, eine kleine Feuergrube, über der gerade der Kuskuskessel dampfte. Der Rauch zieht durch die Ritzen und die Türe ab. Das Innere der Hütte ist durch eine halbhohe, sehr breite Mauer, die zugleich dem Hausherrn als Schlafstätte dient, in zwei Teile geteilt. Die zweite, etwa einen Fuß niedriger gelegene Hälfte gehört dem Vieh, das im Winter gleich die Wärme für den Wohnraum abgibt. Aber alle Tiere – Kühe, Ziegen, Maulesel – müssen durch die Hütte und gelangen erst dann mit einer feinen Schwenkung nach rechts in ihr Abteil. Eine Wiege, die in der Form etwa einer an einem Querstock aufgehängten Futterkrippe gleicht, war das einzige Mobiliarstück.

Man sitzt, liegt und schläft auf dem Boden, den man in der Nacht mit einfachen Matten bedeckt. Einige Kochtöpfe, die hölzerne Kuskusschüssel, ein Sieb und eine Handmühle, um das Getreide zu mahlen, bilden die ganze Küchenausstattung. – Als wir in die Hütte eintraten, beherbergte sie niemand weiter als eine junge Frau, die mit einem Säugling im Schoß neben dem schwelenden Feuer hockte. Der Junge stellte sie uns als seine Mutter vor. Auf die Frage, wie alt die Mutter sei, erhob er entsetzt beide Hände gegen uns, als ob er was Böses abwehren müßte, und erwiderte ganz empört, das wüßte er nicht. Es war uns damals noch unbekannt, daß es den Kindern der Kabylen wie denen der Araber streng verboten ist, nach dem Alter ihrer Eltern zu fragen.

In wenigen Minuten hatten wir eine ganze Schar Kinder und Erwachsener um uns versammelt. Mit großer Dreistigkeit umdrängten sie uns, befühlten unsere Kleidung von oben bis unten, und die schmutzigen Händchen der Kinder tauchten mit großer Geschicklichkeit in jede auffindbare Tasche. Die Frauen waren entzückt von den großen Automobilschleiern und ließen wie liebkosend die Hände darüber gleiten, und eine von ihnen begeisterte sich an einem Brillantring, den ich trug. Sie bestand darauf, daß sie ihn einmal auf ihren Finger ziehen durfte, ließ ihn immer wieder im matten Schein des Feuers aufleuchten und konnte sich nur mit Mühe davon trennen.

Alles, was um uns war, gehörte zur Familie und bewohnte die anderen Hütten, die sich um den Hof schlossen. Dem Kabylen ist Vielweiberei erlaubt, und der Besitzer des Hofes war zufällig vermögend genug, um sich mehrere Frauen zu gleicher Zeit leisten zu können. Sonst weiß sich der Kabyle, der sich eine Frau zulegt wie ein Stück Vieh, indem er nämlich den Kaufpreis erlegt, so zu helfen, daß er eine Frau nach der anderen nimmt. Der höchste Preis, der für eine Frau erlegt wird, ist etwa tausend Franken. Doch ist manchmal eine solche auch schon für fünfzig Franken erhältlich. Die Summe, die am häufigsten gezahlt wird, ist etwa dreihundert Franken. Gefällt die Frau ihrem Manne nicht mehr, so behandelt er sie so schlecht, daß sie von selbst geht, oder er sucht und findet gewöhnlich auch einen Vorwand, unter dem er sie wieder zu ihren Angehörigen zurückschicken kann. Bekommt sie keine Kinder, so ist dies ebenfalls ein Grund, sich von ihr zu trennen. Kein Wunder, daß bei solchen Erfahrungen die Frauen aus dem Erstaunen nicht herauskamen, als sie auf ihre Fragen erfuhren, wie lange wir verheiratet waren und daß wir keine Kinder hätten.

»Und der Mann lebt noch mit Ihnen, hat Sie noch nicht fortgeschickt?«

Wir verstanden die Worte nicht, die sie sprachen, aber man konnte sie ihnen deutlich vom Gesicht ablesen, noch ehe sie uns übersetzt wurden.

Manchmal behält der Mann auch die Frau, die er nicht mehr mag, im Hause, und sie darf dann alle schmutzigen und schweren Arbeiten verrichten und zusehen, wie er eine Jüngere und Hübschere an ihren Platz setzt.

Wir hatten unseren kleinen Führer gefragt, ob man im Dorfe wohl irgendein Schmuckstück kaufen könnte. Allem Anschein nach hatte er dies berichtet, denn nun kam eine Frau – nicht die junge und schöne Favoritin, sondern eine der älteren – und bot ihre Ohrringe zum Verkauf an mit einer Bewegung, die verständlich genug ausdrückte, daß ihre Zeit vorbei sei und sie des Schmuckes nicht mehr bedürfe. Der Kauf war bald abgeschlossen, und eben verhandelten wir über ein Paar Agraffen, die sie ebenfalls losschlagen wollte, als der blasse Schrecken in die ganze Versammlung fuhr. Die Kinder stoben auseinander und verschwanden in den verschiedenen Hütten. Die Frauen verstummten, und selbst unserem ziemlich redseligen Cicerone blieb das Wort im Munde stecken. Wir folgten der Richtung ihrer Blicke und wußten, daß dies nur der Herr des Hauses sein konnte, der da über den Hof geschritten kam, ehe der Junge uns zuflüsterte: »C'est mon père!« Eine Erscheinung von antiker Größe in Haltung, Gang und Ausdruck. In seinen Augen loderte die helle Empörung. Kein Wunder, daß die Frauen davonschlichen wie geprügelte Hunde. Selbst uns wurde etwas unheimlich zumute bei seinem Anblick. Mit kurzem Gruß schritt er an uns vorüber ins Haus hinein, seine Tiere hinter ihm her.

»Ich werde Sie jetzt noch etwas weiter im Dorf herumführen,« sagte der vielversprechende Sproß des Hauses. »Vater sieht Besuch nicht gern.«

Das wußte er aber zuvor auch schon, daß Vater Besuch nicht gerne sah, denn wenn der Kabyle auch keinem Fremden den Eintritt in seine Hütte verweigert, so macht er doch die Bedingung, daß Besuch nur dann ins Haus darf, wenn er vorher angemeldet ist und er selbst da sein kann, um ihn zu empfangen.

Wir kletterten weiter in das Dorf hinab in das Gewirr von Hütten, die sich innen und außen zum Verwechseln ähnlich sahen. Völlig ausgestorben lagen sie da, als wir uns näherten. Aber als ob man in ein Wespennest gestoßen, so kam es nun aus all den dunkeln Ecken und Löchern herausgeschwärmt: kleine, schmutzige, bildhübsche Mädchen, bis auf den Schmuck genau gekleidet wie ihre Mütter, ebenso dreckige Buben mit intelligenten Gesichtern und dem kahlgeschorenen Kopf, auf dem nur in der Mitte der schwarze Haarbüschel wippte, Frauen, jung und alt, umringten uns, hingen sich an uns, alle von dem einen Wunsche beseelt, Backschisch zu erlangen.

Die Frauen, deren jugendliches Aussehen leider selten länger als bis zum zwanzigsten Jahre währt, sind von fesselnder Schönheit. Die Gesichter zeigen etwas große, energische, dabei nicht unfeine Züge mit lebhaften Augen, in denen eine kaum unterdrückte Wildheit flackert. Ihr Anzug – Melhalfa genannt – ist von geradezu genialer Einfachheit. Er besteht aus zwei Stücken Stoff, Kattun oder Musselin, meist von dunkler Farbe. Aber auch Rot und Orange wird getragen. Das eine Stück wird für vorne, das andere für hinten gebraucht, das hintere dann über die Schultern herübergezogen und rechts und links auf der Brust mit großen eigenartigen Agraffen festgehalten, die wie die meisten Schmuckstücke aus Silber hergestellt und mit bunter Emaille ausgelegt sind. Um die Taille eine Kordel oder ein schmales Stück Stoff, das als Gürtel fungiert. Aus dem offenen Spalt zu beiden Seiten treten die nackten Arme hervor. Von Schuhen und Strümpfen keine Spur. Um den Kopf mit den dunkeln Haaren schlingt sich, kokett arrangiert, ein schwarzes oder buntgerändertes Tuch. An der Art, wie dies getragen wird, auch an den Schmucksachen läßt sich erkennen, ob eine Frau verheiratet ist oder nicht. Für Schmucksachen, die mit zur Kleidung gehören und immer getragen werden, haben die Kabylinnen eine große Vorliebe. Sie behängen sich mit Ohrringen, die bis auf die Schultern reichen, und ungezählte Silberspangen klirren an den schlanken, feingeformten Arm- und Beingelenken.

Alle Frauen sind tätowiert auf Stirn, Wangen und Händen, und häufig tragen die Angehörigen eines Stammes dasselbe Muster.

Von den Frauen wird verlangt, daß sie das Weben verstehen, um die Burnusse für Mann und Söhne herstellen zu können. Es dauert Monate, ehe sie einen solchen fertigbringen. Dafür hält er aber auch ungezählte Jahre. Nachdem wird er bei den Ärmsten geflickt und wieder geflickt, bis vom Original nicht das kleinste Fleckchen mehr daran ist, und wir haben einige Exemplare gesehen, bei denen wir uns verwundert fragten, durch welches Kunststück sie überhaupt noch zusammengehalten wurden.

Ebensoviel Wert, wie auf das Weben, legt der Mann darauf, daß die Frau einen guten Kuskus zubereiten kann. Ja, man sagt, der Preis für eine Frau wäre um so höher, je besser sie damit umzugehen weiß. Kein Wunder, denn der Kuskus ist das Gericht, von dem der Kabyle des Morgens, Mittags und des Abends lebt. Vom ersten Tage des Jahres bis zum letzten. Von seiner Kindheit bis zu seinem seligen Ende.

Stunde um Stunde verbringt die Frau täglich damit, den Kuskus herzustellen. Auf dem Boden hockend, nimmt sie eine große flache Holzschüssel zwischen die Knie, wirft eine Handvoll Grieß hinein, der für die wenigen Reichen aus Weizen, für die Armen jedoch aus Gerste hergestellt wird, tut einige Tropfen Wasser darauf und rührt sie mit der flachen Hand, bis sich die Masse zu kleinen Knötchen formt. So geht das weiter, bis eine Menge davon fertig ist. Dann schüttet sie alles in ein Sieb. Was in gleichmäßig großen Klümpchen durchfällt, ist gut, das übrige wird von neuem geknetet und dieselbe Prozedur wieder vorgenommen. So geschickt dies auch gemacht wird, sehr appetitlich sieht es nicht aus, da die Hände in bezug auf Sauberkeit doch manches zu wünschen übrig lassen.

Das richtige Rezept für den Kuskus verlangt nun, daß diese Klümpchen in einem Sieb auf einen Topf gestellt werden, in dem ein tüchtiges Stück Hammelfleisch zusammen mit allerhand grünen Gemüsen und kräftigen Zutaten kocht. Darin bleiben sie so lange, bis sie durch den Dampf gar geworden sind. Das Gericht, so zubereitet, ist sehr leicht und schmeckt delikat. Der arme Kabyle aber, der während des ganzen Jahres vielleicht nur dreimal Fleisch im Topfe sieht, kann den Kuskus nur über purem Wasserdampf aufquellen. Um ihm Geschmack zu geben, ißt er ihn mit sehr scharfen Saucen.

Eine Frau, in deren Hütte wir uns mit unserem kleinen Führer längere Zeit über den Kuskustopf unterhielten, bot uns etwas davon zum Kosten an und machte ein sehr verwundertes Gesicht, daß wir ihre Freundlichkeit so energisch abwehrten.

Als wir den Rückweg nach dem Hotel antraten, war die Sonne bereits hinter den Bergen verschwunden. Nur hoch oben auf einer stolzen Bergeszinne lag noch ein Abglanz ihres königlichen Lichts. Mit jedem Schritt, den wir aufwärts stiegen, versank das Dorf tiefer hinter uns. Kein Lichtpunkt bezeichnete seine Lage, und nach ganz kurzer Zeit war es wie in den Boden gesunken, in der überraschend schnell sich einstellenden Dunkelheit der Farbe der Berge gleich.

Aber was wir da gesehen, gehört und beobachtet hatten an Anspruchslosigkeit, an Armut und Unwissenheit, war tief in die Erinnerung eingegraben.


Kabylenschule

Im Land des Lichts: Ein Streifzug durch Kabylie und Wüste

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