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»…überhaupt hinter alles ein Fragezeichen«

EIN VORWORT

Im Januar 1878 begann die Leipziger Wochenschrift »Daheim« mit dem Vorabdruck eines Romans, dessen 59-jähriger Verfasser, Theodor Fontane, sich als Dichter, Reiseschriftsteller, »Wanderer« durch die Mark Brandenburg, Kriegsberichterstatter und Theaterkritiker einen Namen gemacht hatte, aber als Romancier noch ein unbeschriebenes Blatt war. Der Berliner Verleger Wilhelm Hertz besorgte im Herbst desselben Jahres die Buchausgabe, die von der Kritik wohlwollend, wenn auch nicht überschwänglich aufgenommen wurde, während das Publikum dem Werk nur geringe Beachtung schenkte.

Einer, der diesen Erstling rücksichtsvoll besprach, war der angesehene Kritiker Julius Rodenberg, der seinem Tagebuch freilich ganz anderes anvertraut hatte: »An Fontanes ‚Vor dem Sturm‘ würge ich nun schon bald acht Wochen; es ist nicht zu sagen, was das für ein albernes Buch ist. Ein Roman in vier Bänden, mit gewiß nicht weniger als 100 Personen und dabei nicht so viel Handlung, um auch nur einen halben Band daraus zu machen. Und das muß man lesen und darüber auch noch schreiben! Es ist so unglaublich dumm und albern, daß es mir aus diesem Grunde eine Art von negativem Vergnügen macht; ich frage mich immer: Was wird nun kommen? Werden sie wieder über Land fahren (mit den Ponies)? Werden sie sich wieder zu Tisch setzen? Werden sie wieder schlafen gehen? Das ist die beständige Runde, die [sich] statt durch 4 Bände durch vierzig fortsetzen könnte. Wer aber hält’s aus mitzugehen? Wenn nur Fontane nicht ein so feiner, liebenswürdiger und gescheiter Mann wäre. Und so etwas zu schreiben!«

Rodenbergs private Notizen zeugen zwar vom weitgehenden Unverständnis gegenüber den Intentionen Fontanes wie auch dem literarisch Neuen, das sich hier ankündigte, aber allein gestanden haben dürfte er damit nicht. Denn obgleich sich dieses Debüt schon deutlich von den Romanen jener Zeit unterschied, war es doch noch kein Meisterwerk. Und wohl kaum jemand hätte vorauszusagen gewagt, dass es lediglich den Auftakt für ein Erzählschaffen bildete, mit dem sein Autor Eingang in die Weltliteratur finden sollte.

Die Arbeiten des folgenden Jahrzehnts, darunter die Novellen »L’Adultera« und »Schach von Wuthenow« sowie die Romane »Graf Petöfy«, »Cecile« und besonders »Irrungen, Wirrungen« festigten Fontanes Ruf als Erzähler. Ein durchschlagender Erfolg aber ließ weiterhin auf sich warten. Dennoch haderte er weniger mit sich selbst als mit Kritik und Leserschaft, war er doch vom Rang seiner Epik in hohem Maße überzeugt.

Daran ändert auch eine Bemerkung nichts, die der mittlerweile 70-Jährige gegenüber Wilhelm Hertz in einem Brief vom 9. November 1889 machte: »Es ist sehr selten, daß nach 50 Jahren erscheinende Schriften noch ein großes Interesse wecken. Jeder Tag hat andere Götter […] Alles, was ich geschrieben, auch die ‚Wanderungen‘ mit einbegriffen, wird sich nicht weit ins nächste Jahrhundert hineinretten, aber von den Gedichten wird manches bleiben.«

Eine Äußerung, die später gern kolportiert worden ist als Beleg für die sympathisch uneitle Haltung Fontanes, die ihm freilich den Blick auf die Bedeutung seines Werkes verstellt habe. Abgesehen davon aber, dass er durchaus eitel war und vermutlich nichts einzuwenden gehabt hätte, wenn ihm hinsichtlich des Nachruhmes umgehend widersprochen worden wäre, stand dieses »Geständnis« im zeitlichen Zusammenhang mit der Neuausgabe seiner »Gedichte«, zu der sich Hertz nach jahrelangem Hin und Her endlich durchgerungen hatte. Hier sollten wohl letzte Zweifel des Verlegers, der die Absatzchancen der Gedichte eher skeptisch beurteilt haben dürfte, zerstreut werden. Nicht mehr und nicht weniger.

Denn dass Fontane ausgerechnet den »Wanderungen«, die bislang die meiste Anerkennung unter seinen Büchern gefunden hatten und deren einzelne Bände in zweiter bzw. auch schon dritter Auflage kursierten, nur eine begrenzte Lebensdauer zugestanden wissen wollte, war nicht sein Ernst. Ebenso wenig wie es die Beiläufigkeit war, mit der er von seinen übrigen Schriften sprach. Sogar der im Vorjahr bei F. W. Steffens in Leipzig erschienene Roman »Irrungen, Wirrungen« blieb erwähnt. Der Vorabdruck in der »Vossischen Zeitung« hatte wegen des Themas – der freien Liebe zwischen einem Adligen und einer Näherin – für einen Skandal und mithin für etliches Aufsehen gesorgt. Hertz, dem das Manuskript gar nicht erst angeboten worden war, musste offenbar in dem Glauben gewiegt werden, dass ihm da nichts entgangen sei und er selbst, Fontane, dem Buch keinerlei Gewicht beimesse.

Nein, hier stritt einer mit Vehemenz und allen ihm zu Gebotene stehenden Mitteln für die eigene Sache, unbekümmert darum, sich auch gegen seine Überzeugungen auszusprechen, wenn ihm dies geraten schien.

Wie sehr er jedoch all seinen Arbeiten die gleiche Aufmerksamkeit wünschte, wird in einem Brief deutlich, den er am 11. November 1889, also nur zwei Tage später, an den Publizisten Maximilian Harden schrieb, der ihn um Auskunft zu Werk und Person gebeten hatte: »Wenn ich tot bin und es findet sich wer, der mich der Nachwelt überliefern will, so geben ihm die Vorreden zu meinen verschiedenen Büchern, zum Teil die Bücher selbst – weil sie wie ‚Kriegsgefangen‘, ‚Aus den Tagen der Okkupation‘, ‚Ein Sommer in London‘, ‚Jenseit des Tweed‘ usw. Erlebtes enthalten – das beste Material an die Hand […] Ich glaube, wenn Sie den Artikel im Brockhausschen Konvers.-Lexikon als roten Faden nehmen und dann einiges, wie z.B. den Balladenbarden, den Alten-Fritz-, Zieten-, Kaiser Friedrich-, Bismarck-Sänger, den Wanderer durch die Mark, den Schlachtenbummler mit ekligen Gefahren im Gefolge, vielleicht auch ein bißchen den ‚Realisten‘ und Kritiker in der guten alten Vossin weiter ausführen, so erfreuen Sie mich und andere durch einen wundervollen Artikel.«

Harden, einer der Wortführer der jungen Generation, mochte mit Blick auf den in die Jahre gekommenen Fontane an das Resümee eines Lebenswerks gedacht haben. Aber dessen Zeit als Autor großer gesellschaftskritischer Romane stand erst noch bevor. In dem knappen Jahrzehnt, das ihm verblieb, schuf er Werke wie »Stine«, »Frau Jenny Treibel«, »Mathilde Möhring«, »Effi Briest«, »Die Poggenpuhls« oder »Der Stechlin«, mit denen er zur wichtigsten literarischen Stimme des gründerzeitlichen Deutschlands avancierte.

Der erste Lack des nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich aus der Taufe gehobenen Kaiserreichs war längst ab, die Hoffnung auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen längst verflogen. Der Börsenkrach 1873 hatte die Träume vom unbegrenzten wirtschaftlichen Aufschwung und einem damit verbundenen Wohlstand für breite Schichten wie Seifenblasen zerplatzen lassen. Die fortschreitende Industrialisierung trug stattdessen zur immer weiteren Verelendung der Massen bei. Auf die soziale Frage antwortete Bismarck mit dem »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie«, dem Sozialistengesetz, das ab 1878 alle diesbezüglichen Aktivitäten untersagte. Adel und Klerus erwiesen sich als unfähig Alternativen aufzuzeigen. Ein neureiches Bürgertum etablierte sich, dem der eigene Vorteil allemal höher stand als die Ideale von 1848. An deren Stelle traten Standesdünkel, Deutschtümelei und nationale Überheblichkeit.

Vor diesem Hintergrund entfaltete sich Fontanes einzigartige Begabung, die nicht die des Sozialrevolutionären Autors war (zu dem ihm aufgrund seines Temperaments, Werdegangs und inzwischen erreichten Alters alle Voraussetzungen fehlten), sondern die des Realisten, der, ausgestattet mit den Erfahrungen eines gelebten Lebens, sich nur schwerlich noch etwas vormachen ließ: »Alles, was jetzt bei uns obenauf ist, entweder heute schon oder es doch vom morgen erwartet, ist mir grenzenlos zuwider: dieser beschränkte, selbstsüchtige, rappschige Adel, diese verlogene und bornierte Kirchlichkeit, dieser ewige Reserve-Offizier, dieser gräuliche Byzantizismus.«

Berlin bot die Bühne, auf der sich das Spektakel ungeniert vollzog. Und trotz der Hassliebe, die ihn mit dieser Stadt verband, und trotz des zeitweiligen Wunsches derselben den Rücken zu kehren, verließ Fontane den Beobachtungsposten nicht. Schon 1860 hatte er an den Freund und Dichterkollegen Paul Heyse geschrieben: »Es ist mir im Laufe der Jahre, besonders nach meinem Aufenthalte in London, Bedürfnis geworden, an einem großen Mittelpunkte zu leben, in einem Zentrum, wo entscheidende Dinge geschehn. Wie man auch über Berlin spötteln mag, wie gern ich zugebe, daß es diesen Spott gelegentlich verdient, das Faktum ist doch schließlich nicht wegzuleugnen, daß das, was hier geschieht und nicht geschieht, direkt eingreift in die großen Weltbegebenheiten. Es ist mir ein Bedürfnis geworden, ein solches Schwungrad in nächster Nähe sausen zu hören, auf die Gefahr hin, daß es gelegentlich zu dem bekannten Mühlrad wird.«

Bereits seit der Schulzeit lebte Theodor Fontane in Berlin. Das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, war er 1833 vom Gymnasium seiner Geburtsstadt Neuruppin an die hiesige Gewerbeschule gekommen. Kein mangelhaftes Zeugnis, sondern die durch die Spielsucht des Vaters verursachte wirtschaftliche Schieflage der Familie hatte den Schulwechsel erzwungen. Die Berliner Lehranstalt genoss zwar durch ihre naturwissenschaftliche und praxisbezogene Ausrichtung einen guten Ruf, ersetzte aber keinen Abschluss, der unmittelbar zum Studium berechtigte. Lediglich die Mittlere Reife in der Tasche verließ der 17-Jährige auch diese Einrichtung vorzeitig und begann 1836, den väterlichen Beruf vor Augen, jedoch ohne innere Überzeugung, eine Lehre als Apotheker.

In einem Brief an den Freund Bernhard von Lepel bekannte er noch viele Jahre danach, wie sauer ihm die Lehrzeit aufgestoßen war. »Es heißt zwar immer: »Arbeit schändet nicht‘, und namentlich solche, die immer auf dem Sofa gelegen haben, sind sehr freigebig mit diesem Trost, aber rufe Dir mal meine ganze Wesenheit vor die Seele und frage Dich dann, was ich empfinden muß, wenn ich dem Lehrling zurufe:,Sputen Sie sich! wiegen Sie genau! denken Sie, die China-Pomade kostet dem Herrn X. Y. kein Geld? mein Gott, lassen Sie doch das schöne Kind nicht so lange warten; Sie sehen ja, sie hat Eile.‘ Darauf ergreif ich in heiligem Eifer selbst die Pomadenbüchse, wickle mit einer zarten Bemerkung die Salbe in doppeltes Papier und überreiche irgendwelchem Saumensch, die abends hinter den Haustüren abgeknutscht wird, pfiffig lächelnd ihre Haarschmiere.«

Die Frage, welchen Weg Fontane gegangen wäre, wenn die Umstände es ihm erlaubt hätten, das Gymnasium abzuschließen und ein Studium zu absolvieren, ist spekulativ, verweist aber darauf, dass der Mangel an planvoller Bildung schon früh danach verlangte, sich des Wissens von der Welt über das Anschauen derselben zu versichern. Das erklärt einerseits sein später wiederholt geäußertes Misstrauen gegenüber aller Bildung, die nicht durch Lebenserfahrung legitimiert war. Herzensbildung stand ihm denn auch lebenslang höher als Gelehrsamkeit. Und es erklärt anderseits den langen wie langwierigen Reife- und Entwicklungsprozess, den er durchlief.

Erste Gedichte und die Novelle »Geschwisterliebe« hatte er bereits nach Beendigung der Apothekerlehre im Berliner »Figaro« veröffentlicht. Talentproben, die Formbewusstsein erkennen ließen, aber noch kein Thema. Bezeichnenderweise trug eines der Gedichte den Titel »Der Dilettant«. Es vergingen noch zehn Jahre, ehe er mit dem Gedichtband »Männer und Helden. Acht Preußenlieder«, in dem er der als bleiern empfundenen Zeit ein idealisiertes Vergangenheitsbild entgegenstellte, auch als Buchautor debütierte.

Vorangegangen waren dem, was hier nach literarischem Ausdruck drängte, die Erfahrungen während der Märzunruhen von 1848, an denen er sich aktiv beteiligt hatte und in deren Folge er zum Wahlmann für eine von König Friedrich Wilhelm IV. zähneknirschend in Aussicht gestellte verfassunggebende Volksversammlung gewählt worden war. Dass das alte Preußen freilich kaum dazu taugte, der Gegenwart Perspektiven aufzuzeigen, wie es Fontane in seinem Buch versucht hatte, blieb ein Widerspruch, über den er sich, wenn überhaupt, erst am Ende seines Lebens klar wurde.

Obwohl auch die Jahre als Apotheker – den Beruf hängte er endgültig 1849 an den Nagel – seine Lebens- und Menschenkenntnis geschärft hatten, sollte ihm eine der Achtundvierziger Revolution vergleichbare Erfahrungserweiterung erst während des England-Aufenthaltes wieder zuteil werden. 1850 war er nach dem glücklosen Versuch, sich als freier Schriftsteller zu etablieren, in das dem preußischen Innenministerium unterstellte »Literarische Kabinett« eingetreten, das, ganz im Gegensatz zu seinem Namen, nicht der Förderung geistiger und literarischer Bestrebungen, sondern deren Überwachung diente. Fontanes anfängliche Skrupel wurden durch die festen Bezüge gemildert, die es ihm im Oktober 1851 endlich gestatten Emilie Rouanet-Kummer zu heiraten, mit der er seit fünf Jahren verlobt war. Zwei Monate später allerdings kündigte man ihm schon.

Die folgende Zeit gehörte zu den finanziell schwierigsten der jungen Familie. Ein Gesuch um ein Dichterstipendium wurde mangels politischer Zuverlässigkeit des Antragstellers abgelehnt. Die Gründung einer Schülerpension erwies sich als Fehlschlag. Und auch mit der Erteilung von Privatunterricht war der Lebensunterhalt nicht zu bestreiten. Im Herbst 1851 trat Fontane erneut ins »Literarische Kabinett« ein und vermeldete dem Freund Lepel: »Ich habe mich heut der Reaktion für monatlich 30 Silberlinge verkauft und bin wiederum angestellter Scriblifax […] Man kann nun mal als anständiger Mensch nicht durchkommen.«

Im Frühjahr 1852 unternahm er einen ersten Versuch, sich als Korrespondent in London niederzulassen, der jedoch scheiterte. Erst 1855 sollte dies gelingen. Der 3-jährige Aufenthalt wurde, wie Edda Ziegler und Gotthard Erler zu Recht in ihrer Biographie »Theodor Fontane. Lebensraum und Phantasieweit« hervorheben, »die entscheidende Bildungserfahrung seines Lebens«. Die wirtschaftliche Prosperität des viktorianischen Englands bewunderte er ebenso wie dessen politische Liberalität, die ihre Entsprechungen im hohen Stand der Kultur fanden. Als literarische Frucht dieser Jahre erschienen 1860 seine Reisebücher »Aus England. Briefe über Londoner Theater, Kunst und Presse« sowie »Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland«.

Zurückgekehrt nach Berlin, arbeitete er in Ermangelung von Alternativen zunächst als Redakteur für die stockkonservative »Kreuz-Zeitung«. Erst 1870 bot sich die Chance, als Theaterkritiker für die liberale »Vossische Zeitung« tätig zu werden. 1876 nahm er noch einmal eine fest besoldete Stelle an – die des Ersten Sekretärs der Preußischen Akademie der Künste.

Was von den Freunden Fontanes, die ihm den Posten verschafft hatten (und mehr noch von seiner Frau als von ihm selbst), als eine Art Lebensversicherung gedacht war, entwickelte sich indes zum Desaster. Von den Verwaltungsaufgaben, für die er keine Voraussetzungen besaß, deutlich überfordert, traten obendrein auch noch Differenzen mit dem Akademiepräsidenten Friedrich Hitzig hinzu. Nach drei Monaten schon reichte er deshalb das Kündigungsgesuch ein. Das »Unglücksjahr«, wie er es selbst bezeichnet hat, gab jedoch den letzten Anstoß, sich endgültig der eigenen Berufung zu stellen.

Anhand der Briefe und Tagebücher, der autobiographischen Schriften, der Gedichte und des Erzählwerks führt das vorliegende Buch, gegliedert nach Themenkreisen, in den Lebens- und Schaffenskosmos Theodor Fontanes ein. Die Kapitelüberschriften sind allesamt Prägungen von ihm. Hier und da wurden behutsam Kürzungen seiner Texte vorgenommen, ohne deren Aussage oder Stimmung zu verändern. Kursiv hervorgehoben finden sich die weiterführenden Erklärungen und Kommentare des Herausgebers.

Der erste Teil dieses Auswahlbandes widmet sich unter der Überschrift »Selbstbildnis« dem Werdegang Fontanes von der Kindheit, Schulzeit und Lehre über die Jahre als Apotheker, England-Korrespondent und Berliner Redakteur bis hin zur Zeit der schriftstellerischen Reife. Wir erhalten Einblick in seinen Lebensalltag und die häuslichen Verhältnisse, erfahren von Hoffnungen und Enttäuschungen, Freuden und Kümmernissen, von Momenten des Glücks und bitteren Leids. Und wir haben teil am Ringen eines außergewöhnlichen Künstlers, über dessen Rang sich die Zeitgenossen lange nicht so sicher waren, wie wir es heute sind.

»Lebensweisheit« und »Weltbetrachtung« heißen der zweite und dritte Teil. Sie bringen uns die Gedankenwelt Fontanes und jene Gegenstände nahe, die er des genaueren Untersuchens für wert befand: die »Geheimen Sanitätsräte« ebenso wie die »Dunkeltiefen des Herzens«, den »großen Knoten der Weltgeschichte« ebenso wie die deutschen »Luftkurörter«. Was er darüber zu sagen hat, aphoristisch zugespitzt oder episch breit ausgeführt, lässt sich noch immer mit Gewinn lesen. Denn unumstößliche Wahrheiten gab es für ihn nicht, »weil er seinem ganzen Wesen nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen machte. Sein schönster Zug war eine tiefe, so recht aus dem Herzen kommende Humanität, und Dünkel und Überheblichkeit (während er sonst eine Neigung hatte, fünf gerade sein zu lassen) waren so ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten. Er hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und extremer, desto besser. Daß sich diese Meinung mit der seinigen deckte, lag ihm fern zu wünschen. Beinah das Gegenteil.« Das schreibt er einer seiner Romanfiguren zu, dem alten Stechlin, aber es galt genauso gut für ihn selbst.

Wolfgang Feyerabend

Die nicht diesem Brevier entnommenen Zitate stammen aus:

Anmerkungen. In: Theodor Fontane: Romane und Erzählungen in acht Bänden Hrsg. von Peter Goldammer, Gotthard Erler, Anita Golz und Jürgen Jahn Erster Band, 4. Aufl., Berlin und Weimar 1993, S. 359f.

(»An Fontanes ‚Vor dem Sturm‘…«)

Brief an Wilhelm Hertz. Berlin, 9. November 1889. In: Theodor Fontane, Briefe an Wilhelm und Hans Hertz. Hrsg. von Kurt Schreinert, Stuttgart 1972, S. 320

(»Es ist sehr selten …«)

Brief an Maximilian Harden. Berlin, 11. November 1889. In: Fontanes Briefe in zwei Bänden. Ausgewählt und erläutert von Gotthard Erler. Zweiter Band, 3. Aufl., Berlin und Weimar 1989, S. 243f.

(»Wenn ich tot bin…«)

Brief an Paul Heyse. Berlin, 28. Juni 1860. In: Fontanes Briefe in zwei Bänden. Ausgewählt und erläutert von Gotthard Erler. Erster Band, 3. Aufl., Berlin und Weimar 1989, S. 280

(»Es ist mir im Laufe der Jahre …«)

Brief an Bernhard von Lepel. Berlin. 5. Oktober 1849. In: Ebd., S. 33f.

(»Es heißt zwar immer …«)

Brief an Bernhard von Lepel. Berlin, [30. Oktober 1851]. In: Ebd., S. 67

(»Ich habe mich heut der Reaktion…«)

Der Stechlin. In: Romane und Erzählungen in acht Bänden. Hrsg. von Peter Goldammer, Gotthard Erler, Anita Golz und Jürgen Jahn. Achter Band, 4. Aufl., Berlin und Weimar 1993, S. 9f.

(»… weil er seinem ganzen Wesen nach«)

»Eigen war mein Weg und Ziel«

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