Читать книгу »Eigen war mein Weg und Ziel« - Theodor Fontane - Страница 8
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DAS LEBEN – »EIGEN WAR MEIN WEG UND ZIEL«
Vier Jahre war der Waffenlärm der langen napoleonischen Kriege verklungen, als Theodor Fontane in der Löwenapotheke in Neuruppin zur Welt kam, am 30. Dezember 1819.
Der deutsche Dichter mit dem romanischen Namen, in dessen Wesen und Kunst sich märkisches und französisches Ahnenerbe seltsam verschmelzen, ist bei aller Verwurzelung im deutschen Erdreich dennoch, wie Nietzsche, stolz auf die fremde Abstammung seiner Eltern.
Wie ungermanisch bin ich doch! Alle Augenblicke (aber ganz im Ernst) empfind ich meine romanische Abstammung. Und ich bin stolz darauf.
(an seine Frau, 9.8.75)
Wie stolz und wie glücklich bin ich, daß »meiner Ahnen Wiege« im Languedoc, ja sogar in der Gascogne gestanden hat. Übrigens bist Du auch daher; Toulouse und Montpellier liegen beieinander.
(an seine Frau, 30.9.88)
In seinem Erinnerungsbuch »Meine Kinderjahre« zeichnet der Fünfundsiebzigjährige das Bildnis der Eltern.
Mein Vater war ein großer, stattlicher Gascogner voll Bonhomie, dabei Phantast und Humorist, Plauderer und Geschichtenerzähler, und als solcher, wenn ihm am wohlsten war, kleinen Gasconnaden nicht abhold; meine Mutter andererseits war ein Kind der südlichen Cevennen, eine schlanke, zierliche Frau von schwarzem Haar, mit Augen wie Kohlen, energisch, selbstsuchtsvoll und ganz Charakter, aber von so großer Leidenschaftlichkeit, daß mein Vater halb ernst-, halb scherzhaft von ihr zu sagen liebte: »Wäre sie im Lande geblieben, so tobten die Cevennenkriege noch.«
Gascogne und Cevennen lagen für meine Eltern, als sie geboren wurden, schon um mehr als hundert Jahre zurück, aber die Beziehungen zu Frankreich hatten beide, wenn nicht in ihrem Herzen, so doch in ihrer Phantasie nie ganz aufgegeben.
(MK)
Der Vater siedelte in Theos achtem Lebensjahre nach Swinemünde über. Ernster Arbeit abhold, geriet er aus Langeweile an den Spieltisch, und so zerrann ihm, der aus der »Bredouille« niemals herauskam, bis auf einen bescheidenen Rest das fontanesche Familienvermögen. So entglitt ihm auch die Liebe seiner Gattin, der Berliner Seidenhändlerstochter Emilie Labry, die auf repräsentativen Wohlstand und eine gefestete bürgerliche Lebensordnung hielt. In solcher Atmosphäre wurden die im ganzen gesehen glücklichen Jugendjahre des Sohnes doch dann und wann durch die Gewichte frühen Leides beschwert, wenn wieder einmal eine »große Szene« sich zwischen den leicht erregbaren Eltern abspielte.
Immer infolge von phantastischen Rechnereien und geschäftlichen Unglaublichkeiten, um derentwillen man ihm doch nie böse sein konnte. Denn er wußte das alles und gab seine Schwächen mit dem ihm eigenen Freimut zu. Manches war Bitterkeit, noch mehr war Selbstanklage. Denn bis zu seiner letzten Lebensstunde verharrte er in Liebe und Verehrung zu der Frau, die unglücklich zu machen sein Schicksal war.
(MK)
Für das Verhalten der Mutter, die später getrennt von ihrem Gatten lebte, gewinnt der Sohn erst in reiferen Jahren volles Verständnis.
Als ich selber noch jung war, erschien mir vieles in ihrer Haltung, besonders meinem Vater gegenüber, zu hart und zu herbe, später indes habe ich einsehen gelernt, wie richtig alles war, was sie tat, vor allem auch, was sie nicht tat, und beklage jetzt jeden gegen sie gehegten Zweifel. Ihre ganz südfranzösische Heftigkeit, die mitunter geradezu ängstliche Formen annahm, war vielleicht nicht immer zu billigen, aber doch schließlich nichts anderes als eine beneidenswerte Kraft, sich über Pflichtverletzung und unsinnige Lebensführung tief empören zu können.
(MK)
Es ist ein menschlich schöner Zug, daß der Dichter gegen den Vater – »eigentlich ein schief gewickelter oder ins Apothekerhafte übersetzter Weltweiser« – keinen unversöhnlichen Groll im Herzen gehegt hat.
Viele Jahre danach, als es ihm selber schlecht ging, und sein Vermögen bis auf ein Minimum zusammengeschrumpft war, hat er mir in hochherziger und rührender Weise geholfen. Es handelte sich für mich um einen längeren und ziemlich kostspieligen Aufenthalt in England. Er half mir dazu, ohne langes Besinnen und ohne sentimentale Redensarten, unter Dransetzung letzter Mittel. Und so fügte sich’s denn, daß er, der in guten Tagen in diesem und jenem wohl manches versäumt hatte, schließlich doch der Begründer des bescheidenen Glückes wurde, das dieses Leben für mich hatte.
(MK)
Ergreifend, wie der Sohn den Ausgang des Vaters in herbstlich vergoldeter, fast friderizianischer Verklärung sieht.
Wie er ganz zuletzt war, so war er eigentlich. In seinen alten Tagen waren des Lebens Irrtümer von ihm abgefallen, und je bescheidener sich im Laufe der Jahre seine Verhältnisse gestaltet hatten, desto gütiger und persönlich anspruchsloser war er geworden, immer bereit, aus seiner eigenen bedrückten Lage heraus noch nach Möglichkeit zu helfen. In Klagen sich zu ergehen, fiel ihm nicht ein, noch weniger in Anklagen (höchstens gegen sich selbst), und dem Leben abgewandt, seinen Tod ruhig erwartend, verbrachte er seine letzten Tage comme philosophe.
(MK)
Die Übersiedlung des zwölfjährigen Knaben ans Gymnasium nach Neuruppin empfindet er später als schmerzhaft schroffen Abschluß der frühlingshellen Tage seiner Kinderzeit.
Es war eine glückliche Zeit gewesen; später – den Spätabend meines Lebens ausgenommen – hatt’ ich immer nur vereinzelte glückliche Stunden. Damals aber, als ich in Haus und Hof umherspielte und draußen meine Schlachten schlug, damals war ich unschuldigen Herzens und geweckten Geistes gewesen, voll Anlauf und Aufschwung, ein richtiger Junge, guter Leute Kind. Alles war Poesie. Die Prosa kam bald nach, in allen möglichen Gestalten, oft auch durch eigene Schuld.
(MK)
Der Erziehung im Elternhaus, die unter den dort waltenden Verhältnissen immerhin als fragwürdig erscheinen mag, spendet der Zögling seinen uneingeschränkten Beifall.
Ich hatte das Glück, in meinen Kindheits- und Knabenjahren unter keinen fremden Erziehungsmeistern – denn die Hauslehrer bedeuteten nach dieser Seite hin sehr wenig – heranzuwachsen, und wenn ich die Frage stelle: »wie wurden wir erzogen«, so muß ich darauf antworten: »Gar nicht und – ausgezeichnet.« Legt man den Akzent auf die Menge, versteht man unter Erziehung nichts weiter als »in guter Sitte ein gutes Beispiel geben« und im übrigen das Bestreben, einen jungen Baum, bei kaum fühlbarer Anfestigung an einen Stab, in reiner Luft frisch, fröhlich und frei aufwachsen zu lassen, so wurden wir ganz wundervoll erzogen.
(MK)
Der schulischen Ausbildung des Knaben, mit der es in Swinemünde haperte, pflegte der Vater nachzuhelfen mit einer durch geschichtliche Anekdoten gewürzten Form des Unterrichts, die er stolz seine »sokratische Methode« nannte. Auch für diese hat er die bewundernde Anerkennung des Sohnes geerntet.
Ich verdanke diesen Unterrichtsstunden, wie den daran anknüpfenden gleichartigen Gesprächen, eigentlich alles Beste, jedenfalls alles Brauchbarste, was ich weiß. Von dem, was mir mein Vater beizubringen verstand, ist mir nichts verloren gegangen und auch nichts unnütz für mich gewesen. Nicht bloß gesellschaftlich sind mir in einem langen Leben diese Geschichten hundertfach zugute gekommen, auch bei meinen Schreibereien waren sie mir immer wie ein Schatzkästlein zur Hand, und wenn ich gefragt würde, welchem Lehrer ich mich so recht eigentlich zu Dank verpflichtet fühle, so würde ich antworten müssen: meinem Vater, meinem Vater, der sozusagen gar nichts wußte, mich aber mit dem aus Zeitungen und Journalen aufgepickten und über alle möglichen Themata sich verbreitenden Anekdotenreichtum unendlich viel mehr unterstützt hat als alle meine Gymnasial- und Realschullehrer zusammengenommen. Was die mir geboten, auch wenn es gut war, ist so ziemlich wieder von mir abgefallen; die Geschichten von Ney und Rapp aber sind mir bis diese Stunde geblieben.
(MK)
Grotesk ist die Übersicht, die der Rückschauende über sein Schulwissen gibt, das er in die Quarta des Neuruppiner Gymnasiums mitbrachte.
Was ich dahin mitbrachte, war etwa das folgende: Lesen, Schreiben, Rechnen; biblische Geschichte, römische und deutsche Kaiser; Entdeckung von Amerika, Cortez, Pizarro; Napoleon und seine Marschälle; die Schlacht von Navarino, Bombardement von Algier, Grochow und Ostrolenka; Pfeffels Tabakspfeife, »Nachts um die zwölfte Stunde«, Holteis Mantellied und beinahe sämtliche Schillersche Balladen. Das war, einschließlich einiger lateinischer Brocken, so ziemlich alles, und im Grunde bin ich nicht recht darüber hinausgekommen. Einige Lücken wurden wohl zugestopft, aber alles blieb zufällig und ungeordnet, und das berühmte Wort vom »Stückwerk« traf auf Lebenszeit buchstäblich und in besonderer Hochgradigkeit bei mir zu.
(MK)
Wie spießbürgerlich war mein heimatliches Ruppin, wie poetisch das aus bankrutten Kaufleuten bestehende Swinemünde, wo ich von meinem 7. bis zu meinem 12. Jahre lebte und nichts lernte. Fast möchte ich hinzusetzen Gott sei Dank. Denn das Leben auf Strom und See, der Sturm und die Überschwemmungen, englische Matrosen und russische Dampfschiffe, die den Kaiser Nikolaus brachten – das war besser als die unregelmäßigen Verba, das einzig Unregelmäßige, was es in Ruppin gab.
(an Friedlaender, 22.10.90)
Mit 14 Jahren vertauscht Fontane das Neuruppiner Gymnasium mit der Klödenschen Gewerbeschule in Berlin. In den zwei Jahren, die er dort verbringen muß, gerät der phantasiebegabte Junge auf die gefährliche Bahn des gewohnheitsmäßigen Schulschwänzens.
Eine Gefahr war es, und sie läuft nicht immer so gnädig ab. Aber, nachdem ich der Gefahr nun mal entronnen, Sprech’ich, aller Unrechtserkenntnis zum Trotz, doch auch wieder meine Freude darüber aus, der Schule dies Schnippchen geschlagen und meine »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« lange vor ihrem legitimen Beginn schon damals begonnen zu haben. Ich habe mich gesundheitlich sehr wohl dabei gefühlt und mich in den Nachmittagsstunden bei Freund Anthieny (Konditorei) zu einem halben Literaturkundigen ausgebildet. Hätte ich statt dessen pflichtgemäß meine Schulstunden abgesessen, so wäre mein Gewissen zwar reiner geblieben, aber mein Wissen auch. Mein Vater, wenn ihm meine Mutter vorwarf, »er habe alles bloß aus dem Konversationslexikon«, antwortete regelmäßig: »Es ist ganz gleich, wo man’s herhat.« Und dieser Ansicht möcht ich mich anschließen.
(Zw)
Ostern 1836 tritt der Sechzehnjährige als Lehrling in die Rosesche Apotheke in Berlin ein. Mit diesem Verlegenheitsschritt zum Broterwerb, so gar nicht beschwingt durch innere Berufswahl, beginnen für ihn die langen 13 Jahre eines ungeliebten und qualvoll unbefriedigenden Apothekerdaseins, denn seine Herzensneigung weist ihn schon früh auf die romantischen Pfade geistig-künstlerischen Schaffensdranges.
Von Kindesbeinen an hab’ ich eine ausgeprägte Vorliebe für die Historie gehabt. Ich darf sagen, daß diese Neigung mich geradezu beherrschte und meinen Gedanken wie meinen Arbeiten eine einseitige Richtung gab. Als ich in meinem zehnten Jahre gefragt wurde, was ich werden wollte, antwortete ich ganz stramm: Professor der Geschichte. Als ich ein dreizehnjähriger Tertianer und im übrigen ein mittelmäßiger Schüler war, hatt’ ich in der Geschichte solches Renomee, daß die Primaner mit mir spazieren gingen und sich – ich kann’s nicht anders ausdrücken – fürs Examen durch mich einpauken ließen.
(an Storm, 14.2.54)
Als die vier Jahre der herkömmlichen Apothekerlehrzeit um sind, tut sich ihm ein größeres Stück Welt auf während der Gehilfenjahre in Burg, Leipzig und Dresden. Dann dient er als Fünfundzwanzigjähriger sein Jahr in einem Berliner Infanterieregiment ab. Es gibt ihm starke Eindrücke preußischen Soldatentums und preußischer Geschichte und weist ihm auch die Wegrichtung in seine eigentliche, die fontanesche Welt. Denn ein günstiges Geschick führt ihn einem Kreise lebens- und geistvoller junger Menschen zu, einem literarischen Sonntagsverein, der sich » Tunnel über der Spree« nannte.
Lauter »Werdende« waren es, die der Tunnel allsonntäglich in einem von Tabaksqualm durchzogenen Kaffeelokale versammelte. Um die Zeit, als ich eintrat, hatte die Gesellschaft ihren ursprünglichen Charakter bereits stark verändert und sich aus einem Vereine dichtender Dilletanten in einen wirklichen Dichterverein umgewandelt. Auch jetzt noch, trotz der Umwandlung, herrschten »Amateurs« vor, gehörten aber doch meistens jener höheren Ordnung an, wo das Spielen mit der Kunst entweder in wirkliche Kunst übergeht oder aber durch entgegenkommendes Verständnis ihr oft besser dient als der fachmäßige Betrieb.
(Zw)
Im »Tunnel«, wenn er sich auch unter seinen etwas verquerten Gesellen nie ganz heimisch gefühlt hat, findet er, wie später in den Seitengruppen »Ellora« und »Rütli«, Umgang und gar Freundschaft mit Künstlern hohen Ranges, wie Paul Heyse, Heinrich Seidel, Theodor Storm, Emanuel Geibel, Theodor Hosemann und Adolf Menzel, um nur einige der bedeutendsten zu nennen.
Dem vielgeschmähten Tunnel verdank’ ich es, daß ich mich wiederfand und wieder den Gaul bestieg, auf den ich nun mal gehöre.
(an einen Freund, 14.2.54)
In der Hochstimmung seiner frühen Tunnelzeit verlobt sich der Apothekergehilfe, unbekümmert um seine noch ganz ungesicherte Lebenslage. Die Verlobung mit Emilie Rouanet, einem Abkömmling hugenottischen Blutes, die, als er sie vor zehn Jahren kennenlernte, »nicht bloß ein französisches Kind aus dem Languedoc, sondern mehr noch ein Ciocciarenkind aus den Abruzzen« zu sein schien, ergibt sich wie von selbst auf der Weidendammer Brücke.
Da wir beide plauderhaft und etwas übermütig waren, so war an Verlegenheit nicht zu denken, und diese Verlegenheit kam auch kaum, als sich mir im Laufe des Gespräches mit einem Male die Betrachtung aufdrängte: »Ja, nun ist wohl eigentlich das beste, sich zu verloben.« Es war wenige Schritte vor der Weidendammer Brücke, daß mir dieser glücklidiste Gedanke meines Lebens kam, und als ich die Brücke wieder um ebenso viele Schritte hinter mir hatte, war ich denn auch verlobt. Mir persönlich stand dies fest. Weil sich aber die dabei gesprochenen Worte von manchen früher gesprochenen nicht sehr wesentlich unterschieden, so nahm ich plötzlich, von einer kleinen Angst erfaßt, zum Abschiede noch einmal die Hand des Fräuleins und sagte ihr mit einer mir sonst fremden Herzlichkeit: »Wir sind aber nun wirklich verlobt.«
(Zw)
Im Herbst 1847 besteht der sein ganzes Leben Examensfeindliche mit knapper Not die Apothekerprüfung.
Ich hatte Glück gehabt, wenn mir freilich auch sehr bald wieder die Frage kam: »Ja, was nun?« Ich hatte das Examen hinter mir, aber keine Spur von Lebensaussicht vor mir; bloß eine arme Braut, die wartete. Da half denn schließlich nichts, ich mußte wieder irgendwo unterkriechen und trat im Spätherbst 47 in die Jungsche Apotheke ein.
(Zw)
Die fünf Jahre der Brautzeit werden für den immer noch auf falscher Berufsbahn sich Dahinquälenden lang und peinigend.
Daß ich verlobt bin, weißt Du. In diesem Faktum liegt noch kein Grund zur Gratulation, wohl aber darin, daß ich mich glücklich fühle in meiner Wahl und meiner Liebe. Du hast das junge Mädchen bei Deinem Hiersein gesehen. Das Hervorstechende ihres Wesens ist, körperlich und geistig, das Interessante, sie wird mich auch da zu fesseln wissen, wo mir größere Schönheit, umfassenderes Wissen und selbst tieferes Gefühl auf meinem Lebenswege begegnen sollten. Mit einem Wort: sie ist »liebenswürdig«, sie hat jenes unerklärbare Etwas, was allem einen Reiz verleiht; die Schwächen selbst werden so zu Tugenden gestempelt; Unkenntnis gibt sich als herzgewinnende Natürlichkeit; launenhafte Wünsche und Einfälle kleiden sich in das Gewand des Eigentümlichen. Ich habe in meiner Liebe viele Kämpfe durchgemacht; ich habe (ohne deshalb meine Braut je minder geliebt zu haben) meine Verlobung wie eine Übereilung betrachtet, ich habe mir die Befähigung abgesprochen, je ein Weib glücklich machen zu können, und habe gleichzeitig meinen eigenen Untergang als eine Gewißheit vor Augen gesehen; zu dem allen habe ich den Höllensoff brennender, verzweifelnder Eifersucht gekostet, oder richtiger, meine Seele monatelang damit getränkt. Diese Zeiten sind vorüber; unter allen diesen Stürmen hat sich meine Liebe bewährt; ich darf sie als einen geklärten Wein betrachten, der, wenn auch nicht feuriger mit den Jahren wie Rheinwein, doch auch nicht schlechter wie Medoc werden wird. –
Ich muß meine obigen Mitteilungen durch das Geständnis ergänzen, daß namentlich der Poet in mir oft blutige Tränen über den verlobten Bräutigam vergoß. Auch diese Mißhelligkeiten sind beigelegt; meine Braut, die sonst in meinen dichterischen Gelüsten nur eine verhaßte Nebenbuhlerin sah, hat diese plötzlich von Herzen liebgewonnen, und so hoff’ ich in Zukunft wie der Graf von Gleichen zu leben, bei welchem Bild ich freilich in Zweifel gerate, ob ich meine Muse oder meine Braut mit der feurigen, schwarzäugigen Orientalin vergleichen soll. Stünde meine Braut jetzt hinter mir und guckte über die Schulter, so wäre eine Maulschelle mein unzweifelhaftes Los.
(an einen Freund, 10.11.47)
Mitten in die Brautzeit fällt das »tolle Jahr« 1848. Auch Fontane wird in den Wirbel des politischen Meinungs-Streites mit hineingerissen. Sein Leutnant aus der Einjährigenzeit, Tunnelfreund und Dichtergenosse von Lepel, soll dem Brausekopf zu einer Büchse verhelfen.
Hast Du nicht auf väterlicher Rumpelkammer eine alte aber gute Büchse: Ich fordre es von Dir als einen Freundschaftsdienst, mich nicht im Stich zu lassen. Der Augenblick erheischt Taten, oder doch Wort und Tat. Schande Jedem, der zwei Fäuste hat mit Hand ans Werk zu legen, und sie pomadig in die Hosentasche steckt. Hätt’ ich Zeit und namentlich Geld, ich wäre ein Wühler commc il faut, denn alles ist faul und muß unterwühlt werden.
(an Lepel, 21.9. 48)
Es liegt mir an der Freiheit, nicht an ihrer Form im Staate! Ich will keine Republik, um sagen zu können, ich lebe in solcher. Ich will ein freies Volk; Namen tun nichts zur Sache; ich hasse nicht die Könige, sondern den Druck, den sie mit sich führen. Man spielt kein ehrliches Spiel, und darum will ich die Republik. Es gibt keine deutsche Einheit bei 37 Fürsten, und deshalb will ich sie noch einmal. Von dieser letztern Wahrheit bin ich so tief durchdrungen, und das Aufgehn aller Sonderinteressen, jeder kleinen Eitelkeit und aller Vorurteile zur Ehre und zum Ruhme des großen deutschen Vaterlandes ist so sehr Gewissenssache bei mir geworden, daß um des gewaltigen Zweckes willen die Fürsten fallen müßten und wenn sie Engel wären. Aber sie, die da fallen sollen, sind längst gefallene Engel.
(an Lepel, 12.10.48)
Auch in der Brust des »wackern Revolutionärs«, der das »Schreckensregiment polizeilicher Willkür« durch den »militärisch organisierten Rechtsstaat« ersetzen will, legt sich der Sturm bald. Doch zeitigt er auf dem persönlichen Feld eine revolutionäre Tat, den Entschluß, den Apotheker an den Nagel zu hängen – im Oktober 1849 – und ohne Rücksicht auf das »Auch-leben-können« freier Schriftsteiler zu werden. In der Zeit der Not ums Brot, die schon voraufgegangen ist und nun ihre volle Härte erreicht, hilft ihm sein Vertrauter Lepel immer wieder freundschaftlich aus.
Ich habe die Ehre und das Vergnügen, einer durch und durch pauvren Familie anzugehören, die dadurch doppelt pauvre ist, daß sie, in fast allen ihrer Glieder, mal was besessen und die Tausende zum Schornstein hinausgewirtschaftet hat. Dadurch ist nicht bloß das Geld, sondern auch der Credit zum Teufel gegangen. Mein Vater, in vielen Stücken ein ganz famoser Kerl, in einzelnen sogar ein seltner, hat ein bis auf den letzten Dadiziegel verschuldetes Grundstück, und wartet eigentlich schon 25 Jahre darauf, daß er von Gerichts wegen mit Weib und Kind aus dem Hause geschmissen wird. Ich sage Dir: und wenn ich eine Sechserschrippe auf Pump kaufen und einen Schein auf die Apotheke meines Vaters ausstellen wollte, so würde sich der Bäcker bestens bedanken. Es wird zwar bei uns zu Hause immer noch Champagner getrunken, weil jeder Tag Geld bringt und die Pfennig-Not noch nicht da war, aber was die Stunde gibt, das nimmt sie auch, und wenn ich mich verheiratete, würde man mir höchstens eine Schiebelampe oder ein Teesieb zum Hochzeitsgeschenk machen können. – Sage mir ein Mittel, aus solchem dürren Bronnen die Lebensmilch – das Geld zu pumpen!
(an Lepel, 17.7.49)
Ich las gestern, Campe habe versichert: »ein Pfund Wolle spinnen sei verdienstlicher wie ein Band (selbst guter) Gedichte herausgeben.«
Mein lieber Lepel, lache nicht! Das ist noch gar nichts. Laß Dir inzwischen etwas aus dem allerneusten Leben Deines Freundes Fontane erzählen, der doch auch Gedichte geschrieben hat und zum Wesen der Wesen, trotz Einem, um sein Fisselchen Unsterblichkeit emporschreit.
Eggers fragte mich gestern, ob ich nicht Bilderaufseher im Museum werden wollte? Du kennst doch die langweiligen Gesichter und die dünnen Leiber mit dem Bedientenrock drauf! Nächstens, wenn beim Latrinenpersonal ein altes Weib gestorben sein wird, werden sie mich fragen, ob ich nicht um ihre Stelle einkommen will.
Wenn sich’s nicht bald ändert, siehst Du mich wahr und wahrhaftig doch noch als Condukteur auf den Wagen klettern. Ich finde auch nichts Schreckliches darin; denn selbst Gassenkehren und Steineklopfen ist eine noblere und poetischere Beschäftigung wie das begeistrungslose Verseleimen eines hungrigen, fadenscheinigen Poeten. Das Liebste wäre mir nach wie vor der Besitz einer Giftbude; aber es ist lächerlich, auch nur einen Augenblick an die Möglichkeit zu denken.
(an Lepel, 15.1.50)
Als ihm endlich eine Anstellung im »literarischen Büro« des preußischen Innenministeriums winkt und er eines weniger noch als kärglichen Brotes sicher zu sein glaubt, wagt er die Heirat.
Ich trat nur ein, um wieder auszutreten und bezog meine 40 Taler Diäten, auf die ich mich verheiratet hatte, nur 2 Monate lang…und begann meine junge Ehe mit einem Hungerjahr.
(Entwurf zum 3. Teil der Lebenserinnerungen)
Im August dieses Hungerjahres 1851 wird ihm sein erstes Kind George geboren, das »vor seiner Geburt wenig Delikatessen kennengelernt« hat.
Der Himmel hat alles ganz wie für arme Leute eingerichtet. Wir brauchten keinen Arzt, keine Arznei – die weise Frau mit ihren fünf Fingern war ausreichend. Der Wurm selbst ist, seiner Stimme und seinen Strampeleien nach zu schließen, von durchaus gelungener, dauerhafter Darstellung.
(an Lepel, 21.8.51)
Kind und Mutter sind wohl und letztere insonderheit glücklich. Ich bin es wahrlich auch; aber es drückt mich von Zeit zu Zeit doch danieder, wo es eigentlich mit uns hinaus will. Fest entschlossen bin ich, mich nicht zu verkaufen, und werde mich weder durch Not noch durch Tränen davon abbringen lassen; schlimmstenfalls muß ich sehen, als Abschreiber oder überhaupt als Handarbeiter mein Brot zu verdienen.
(an einen Freund, 17.8.51)
Endlich glückt es ihm, Mitarbeiter eines angesehenen konservativen Berliner Blattes, der »Preußischen Zeitung«, zu werden. Sie entsendet ihn zu seiner Freude auf ein halbes Jahr als Berichterstatter nach London. Die Hauptstadt des britischen Weltreiches wirkt bald anziehend, bald abstoßend auf ihn; seine Stimmung schwankt zwischen Zukunftshoffnung und herber Enttäuschung.
Keine Katze kümmert sich um mich, selbst die Hunde weichen Einem aus, als hielten sie’s unter ihrer Würde, einen Deutschen anzupissen.
Ich muß noch sehr viel Englisch lernen, bevor ich in Berlin den englischen Lehrer so gut spielen kann, wie jetzt bereits den deutschen.
(an Lepel, 10.5.52)
Beurteilt die ewigen Widersprüche so billig wie möglich; die Wahrheit ist die: es ist überall gut, wo man von der Sorge ums Fressen nicht aufgefressen wird.
Es ist gut in London wie in Berlin, nur die »Qual« ums tägliche Brot verhunzt einem das eine wie das andere. Soll ein armer Schlucker zwischen zwei solchen Bündeln entscheiden, so gebührt dem der Vorzug, das er am nächsten, bequemsten und sichersten abreichen kann. Diesen Maßstab angelegt, zieh’ ich London vor.
Ich lerne hier wirklich, und zwar mehr als hundert andre, denn ich knöpfe Augen und Ohren auf und verkehre mit den mannigfachsten Personen.
(an seine Frau, 23.8.52)
Bewundernd ging ich vom Hyde-Park nach Regents-Park, entzückt stand ich auf Richmond-Hill und sah den may-tree blühn; die Luft, die ich atmete, die Reichtumsbilder, die ich sah, alles tat mir wohl, aber ich ging doch wie ein Fremder oder als ein nicht zu voller und ganzer Teilnahme Berechtigter durch all’ die Herrlichkeit hin. Immer bloß Zaungast.
(an seine Tochter Mete, 4.8.83)
Die drei Berliner Jahre, die zwischen diesem ersten Londoner Aufenthalt und einem zweiten von dreieinhalb Jahren liegen, in denen sich der freie Schriftsteller nebenher durch Sprachunterricht und Gelegenheitsarbeiten durchschlägt, sind beschattet durch den frühen Tod von drei in dieser Zeit geborener Knäbchen. Von einem dieser Kleinen hatte Storm in seiner »goldnen Rücksichtslosigkeit« einmal bemerkt, er sehe »unterirdisch« aus.
Letzten Donnerstag ist der kleine »Unterirdische« an Zahnkrämpfen gestorben und seit Sonnabend in Wahrheit im Unterirdischen. Außer Vater und Mutter wohnten ein besoffener Leichenkutscher und die untergehende Sonne dem Begräbnis bei. Der Kreis der Erlebnisse ist nun so ziemlich geschlossen, nur das eigene Sterben fehlt noch.
(an Storm, 11.4.54)
Im September 1855 reist Fontane nach London ab, um die »Deutsch-Englische Presse-Korrespondenz« des Ministeriums Manteuffel zu übernehmen. Vom Januar bis zum Mai des nächsten Jahres weilt Frau Emilie mit dem kleinen George bei ihm. Der nach Berlin Zurückgekehrten und wieder ein Kind Erwartenden sendet er nach seiner schalkhaften Art gute Ermahnungen.
Ich wünsche recht sehr, daß Du ein gesundes Kind zur Welt bringst; das Geschlecht ist, vorläufig, gleichgültig, und alles wird dankbar akzeptiert. Nur keine allzu elenden Würmerchen; es ist eine Art Ehrensache. Also nimm Dich zusammen und tu das Deine. Man schreibt mir sonst auf den Grabstein: seine Balladen waren strammer als seine Kinder.
(an seine Frau, 5.7.56)
Also doch wieder ein Junge! Es scheint, daß wir auf Mädchen Verzicht leisten müssen, und wir wollen uns auch weiter keine Mühe drum geben; das weibliche Geschlecht verdient es nicht einmal.
Wenn Du nur mehr Regelmäßigkeit in die Sadie brächtest! Erst mit dem Kopf zuerst, dann mit den Beinen, nun gar mit dem Allerwertesten; wohin soll das schließlich noch führen?!
(an seine Frau, 5.11.56)
Im Juli 1857 siedelt die Frau mit den Kindern George und Theodor nach London über. Da sich Fontanes Einkommen überraschend gebessert hat, kann er für den Rest der Londoner Tage mit den Seinen ein leidlich sorgenfreies Leben führen.
Wie es uns geht? Gut und schlecht. Wenn der Mensch bloß eine Freß- und Vcrdauungsmaschine wäre, so ließe dies Leben hier nidits zu wünschen übrig. Es geht uns weniger als glänzend; selbst bescheidene Wünsche können kaum befriedigt werden, aber man kommt wenigstens einigermaßen aus und steht nicht mehr unter dem unerträglidien Druke der Pfennigwirtschaft. Dazu ein reizendes Häusdien, Dienstleute, die anständig sind und im großen ganzen befriedigen, freundliche, aufgeweckte Kinder und Muße zum Genuß der Natur, zu Lektüre und dieser oder jener Lieblingsbeschäftigung. So weit wäre alles gut Was ich hier auf die Dauer nidit ertragen kann, das ist das Alleinstehn, die geistige Vereinsamung. Es fehlt mir aller Zuspruch, alle Aufmunterung, alles Mitbestreben, alles, was wohltut, erfreut, erhebt, begeistert. Lau und flau gehen die Tage dahin. Kurz und gut, wir haben hier zu essen und zu trinken, aber es fehlt das geistige Bad, ohne dessen Frische das Gemüt krank wird und verdorrt. Wir sind eine Pflanze im fremden Boden; es nutzt nichts, daß man alle Sorten von Mist um sie herpackt, sie geht doch aus, weil sie nun ’mal an andres Erdreich gewöhnt ist, und wenn es auch nur der vielverschrieene märkische Sand wäre.
(an die Mutter, 27.6.58)
Eine Reise nach Schottland zusammen mit dem Freunde von Lepelversetzt den Dichter englischer Balladen in helle Begeisterung. Im Jahre 1850 waren Fontanes Balladen zuerst als Buch erschienen und rasch bekanntgeworden. Den Stoff zu seinen englischen verdankte er Thomas Percys berühmtem Buch » Reliques of ancient English poetry «.
Es waren schöne Tage (16), und wenn ich, so Gott mich leben läßt, längst ein alter Krepel sein werde, der die Vossische liest und »bei Odeums« Kaffee trinkt, werd’ ich alten Staatshämorrhoidarien mit einem letzten Rest von Feuer – während sie ihre Sechserzigarre rauchen – von Edinburg erzählen und von Stirling und Perth, und von Inverness und dem Schlosse Macbeths, drin König Duncan ermordet wurde. Wenn dann die alten Jungen das Maul aufsperren und die letzten Haare, die ihnen Gott gelassen hat, sich in die Höhe sträuben, werd’ ich dieser schottischen Reise, an der Hand eines lieben und nachsichtigen Freundes, in Wehmut und Dankbarkeit gedenken.
(an die Mutter, 17.9.58)
Nach dem Sturz des Ministeriums Manteuffel fällt auch das »Londoner Preßbüro«, und Fontane muß im Januar 1859 vorläufig stellenlos nach Berlin zurückkehren.
Der Krieg ist nun also da… Die Bayern und ihre Kriegslust behalten nun doch recht. Muß denn Bernhard (Lepel) mit? Ich denke auch allen Ernstes daran, einzutreten, nicht von Begeisterungs wegen, sondern um untergebracht zu sein, ich schwanke noch zwischen Train, Magazininspektor und Lazarettapotheker. Und das alles nach 4 Jahr England! Wenn man 4 Jahr Zuchthaus gehabt hätte, könnt’ es nicht schlimmer sein.
(an Heyse, 2.5.59)
Ich bin völlig »freier Schriftsteller«, was gleich nach »reisender Schauspieler« kommt. Das Schreiben ginge schon, aber – das Drucken! Alle Posten bei den hiesigen Zeitungen sind besetzt, und nur ausnahmsweise kann man gastieren. Selbst die Kreuz-Zeitung, die mich, d.h. meine Feuilletonartikel am anständigsten behandelt und mir gern zeigt, daß ihr an meiner Mitarbeiterschaft gelegen ist, bringt doch zu wenig, um von derartigen Arbeiten leben zu können. 300 Taler pro Jahr ist schon viel, aber man braucht – 1000 Taler.
(an Heyse, 28.11.59)
Er findet eine feste Anstellung bei der »Kreuzzeitung«, für die er ein volles Jahrzehnt, von 1860 bis 1870, den »englischen Artikel« schreibt. Seine Tätigkeit besteht darin, die Berichte eines angeblich in London sitzenden Korrespondenten zu verfassen. Die englische Politik tritt aber in diesem Jahrzehnt der Bismarck-Kriege sehr zurück, und so wird er gewöhnlich vom Hauptschriftleiter mit der Bemerkung empfangen: »Heute nur ein paar Zeilen; je weniger, desto besser.« In dieser Muße, in einem Lebensabschnitt, von dem er einmal gesagt hat »Zwischen Vierzig und Fünfzig ist die beste Lebenszeit«, gibt er sich an ein weitschichtiges Werk. Als er einst über die von Balladengeist durchwehten schottischen Heiden gewandert ist, kommt ihm auf einem Douglasschloß sein Douglas-Wort in Erinnerung: »Der ist in tiefster Seele treu, der die Heimat liebt wie du.« Das bringt ihn auf den Gedanken, den verborgenen Schönheiten der kargen märkischen Heimat nachzuspüren und ihr dichterischer Verkünder zu werden. Über den Plan berichtet er an Storni.
Ich beschäftige mich jetzt ausschließlich mit dem Studium unsrer Mark und habe zwei darauf Bezug habende Arbeiten vor, die mich ohngefähr zehn Jahre kosten und zwanzig Bände füllen werden. So bricht jeder verschieden in den Tempel des Ruhmes ein, um drin zu verweilen, bis man durch andre ’rausgeschmissen wird. Sie wie ein Sonnenstrahl oder eine Toledoklinge, ich wie ein Frachtwagen. Eines schickt sich nicht für alle.
(Mitte Juli 1860)
Nun, zwanzig Bände sind nicht daraus geworden, wohl aber deren vier mit nicht weniger als zweieinhalbtausend Seiten. Den vielfältigen Stoff zu seinen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« (1861–1882) hat sich Fontane durch viele Fahrten, Besuche und Studien an Ort und Stelle in langen Jahren zusammensuchenmüssen. Das Heimatbuch, in dem sich farbige Landschaftsschilderung und liebevolle Versenkung in die lebendige Vergangenheit eigenartig durchdringen, hat nichts seinesgleichen in deutschen Landen. Im Vorwort bedankt sich der Verfasser bei den märkischen Junkern, die als sture Gewächse einer reizlosen Gegend verschrien sind, für ihr freundliches Entgegenkommen.
Alles in allem: sie sind doch anders als ihr Ruf, diese so viel verklagten »Junker«, anders und besser, und es ist nur Pflicht und Wahrheit, wenn ich an dieser Stelle versichere, daß ich einer langen Gesprächsreihe mit ihnen eine Zahl allerglücklichster Stunden verdanke, Stunden voller Anregung und Belehrung, in betreff deren es gleich war, ob das Gespräch in Haus oder Heide, vorm Kamin oder auf dem Pirschwagen geführt wurde. Mit einer Dankbarkeit, in die sich etwas von Bewunderung mischt, muß ich jener ersten sechziger Jahre gedenken, wo meine Besuche vollkommen überfallartig stattfanden und ich, Mal auf Mal, auf gut Glück hin die herrschaftliche Rampe hinauffuhr, in der Tat um kein Haarbreit introduzierter oder empfohlener als irgendein Feuer- oder Hagel-Assekuranzagent. Oft schlug mir das Herz, und mit nur zu gutem Grund, aber niemals bin ich einer Unfreundlichkeit oder Verspottung begegnet, zu der die Situation eigentlich ausnahmslos herausforderte.
Einige Monate, bevor der Siebziger Krieg ausbricht, nimmt Fontane, seiner Tätigkeit an der Kreuzzeitung überdrüssig, eine mißfällige Äußerung des Hauptschriftleiters über seine Arbeit zum Anlaß, die lästig gewordene Fessel zu lösen. Die ängstlich auf Lebenssicherheit bedachte Gattin ist entsetzt und verständnislos.
Ich habe meine Kreuzzeitungs-Stelle aufgegeben. Fall nicht um! Dir brauche ich wohl nicht erst zu sagen, daß die Ostersonnabend-Szene weiter nichts war, als der Tropfen, der das Glas zum Überlaufen bringt. Du weißt, daß ich längst entschlossen war, in dieser Weise zu handeln, und daß ich die Brutalität, die darin liegt, unsre Freiheit und unsre geistigen Kräfte auszunutzen, ohne vorsorglich und human an unsre alten Tage zu denken – ich sage, daß ich diese Brutalität nicht mehr ertragen kann. Ich sagte mir: Wenn man dir solche kühle Standrede jetzt zu halten wagt, wo du, zugestandenermaßen, eine Zierde, ein kleiner Stolz der Zeitung bist, wie wird man nach zehn Jahren zu dir sprechen, wenn du ihr vielleicht eine Last geworden bist? Man wird dann eine Sprache führen, die du einfach nicht ertragen kannst, und mit sechzig Jahren wirst du arm und stellenlos dastehn. Fasse dir also ein Herz, antizipiere die ganze Situation. Jetzt bist du noch elastisch genug, um sie mit Gottes Hilfe siegreich überwinden zu können; dir kann sich noch absolut Neues, Glückliches erschließen, der Moment ist gut gewählt.
(an seine Frau, 11.5.70)
Du mußt Dich mit zwei Gedanken ernstlich auszusöhnen trachten, damit nämlich, daß wir erstens ein armes und zweitens ein unsicheres Leben zu führen haben werden. Der Satz klingt trauriger als er ist. Im großen und ganzen leben wir nach diesem Rezept zwanzig Jahre, und trotz Armut und Unsicherheit, welch’ bevorzugtes Leben haben wir geführt! Ich glaube, wir haben es beide dankbar gegenwärtig, wie vieles uns beinah täglich geboten wird, wie vieles wir vor vielen Tausenden voraus haben, die nicht arm, nicht unsicher dastehn und doch ein kümmerliches Dasein führen. Ja, ich gehe so weit, den paradox klingenden Satz aufzustellen, daß sehr viel von dem Schönen, Aparten, Poetischen, das wir in den letzten fünfzehn Jahren erlebt haben, in der Armut und Unsicherheit unsrer Existenz seine Wurzel hat.
(an seine Frau, 28.5.70)
Der Ersatz für das Aufgegebene bietet sich ihm bald; die » Vossische Zeitung« bestellt ihn zum ständigen Theaterkritiker für das Königliche Schauspielhaus.
Zwanzig Jahre lang von 1870 bis 90 hatte ich für die »Vossische« das Referat über die Königlichen Schauspiele. Es war keine uninteressante Zeit, die Zeit von der Aufrichtung des Reiches an bis zum Sturze dessen, der es aufgerichtet hatte. Das war der große Hintergrund. Auf der K. Bühne spiegelte sich wenig davon ab. Aber doch auch hier bereitete sich ein Neues vor, es klopfte an, ohne eingelassen zu werden.
(KK)
Für das echte, zukunftweisende Neue, das er von seinem »Parkettplatz Nr. 23« mit sicherem Spürsinn erkennt, reitet er seine schneidigen Attacken, mag auch entlarvte Unfähigkeit seine Kritiker-Chiffre Th. F. als »Theater-Fremdling« bewitzeln.
Meine Berechtigung zu meinem Metier ruht auf einem, was mir der Himmel mit in die Wiege gelegt hat: Feinfühligkeit künstlerischen Dingen gegenüber. An diese meine Eigenschaft hab’ ich einen festen Glauben. Hätt’ ich ihn nicht, so legte ich heute noch meine Feder als Kritiker nieder. Ich habe ein unbedingtes Vertrauen zu der Richtigkeit meines Empfindens. Meine Empfindung ist nicht nur durch alles Shakespearische hingerissen, sondern sogar auch durch die »Räuber«. Detailblödsinn schadet nichts, wenn nur das Ganze richtig gefühlt und gedacht ist. Dabei weiß ich mich völlig frei von Namenanbetung und Literatenheroenkultus.
An die Richtigkeit meiner Empfindung glaub’ ich; aber der Versuch, diese Empfindung hinterher zu erklären, wodurch erst eine Kritik entsteht, dieser Versuch mag unendlich oft mißlingen.
(an einen Freund, 2.5.73)
Anden Kriegen von 1864,1866 und 1870/71 nimmt Fontane als Kriegsberichterstatter teil. Im Siebziger Krieg taumelt der zeitlebens »ein großes Kind« Gebliebene unbekümmert in ein lebensgefährliches Abenteuer, das uns um ein Haar der Früchte seiner dichterischen Spätreife beraubt hätte. Von Toul aus lockt es ihn, den Geburtsort der Jungfrau von Orléans, Domrémy, zu besuchen, obwohl er noch in französischer Hand ist. Man hält ihn für einen verkappten Offizier und verhaftet ihn als Spion. Nur mit knapper Not entgeht er durch unerschrockenes und geistesgegenwärtiges Verhalten der Erschießung. Aus der zweimonatigen »romantischen« Kriegsgefangenschaft auf der Insel Oléron befreit ihn – was er selbst nie erfahren hat – das entschlossene Eintreten Bismarcks für den »harmlosen Scholar«. Seine Erlebnisse in Frankreich hat er in seinen schönen Erinnerungsbüchern »Kriegsgefangen« und »Aus den Tagen der Okkupation« geistvoll erzählt. Man muß es aber bedauern, daß er 12 kostbare Sehaffensjahre (1864–76) auf die Ausarbeitung seiner Kriegsbücher – 3500 S. im Lexikonformat – verwendet hat. Seine Absicht, sie so fesselnd wie einen Roman oder eine Räubergeschichte zu gestalten, ist ihm mißlungen; von Einzelschilderungen der Kämpfe überwuchert, fanden sie nur wenig Leser. Selbst das beim alten Kaiser für ihn beantragte bescheidene Ehrengeschenk wird ihm durch »dürre Beamtenhaftigkeit« verweigert.
Zwölf Jahre habe ich an diesen Kriegsbüchern Tag und Nacht gearbeitet. Sie feiern nicht in großen, aber in empfundenen Worten unser Volk, unser Heer, unsern König und Kaiser. Ich bereiste 1864 das gegen uns fanatisierte Dänemark, war 1866 in dem von Banden und Cholera überzogenen Böhmen und entging in Frankreich nur wie durch ein Wunder dem Tode. Unabgeschreckt, weil meine Arbeit das Wagnis erheischte, kehrte ich an die bedrohlichen Punkte zurück. Dann begann meine Arbeit. Da steht sie, wenn auch weiter nichts als das Produkt großen Fleißes, ihrem Gegenstande nach aber das Einzige repräsentierend, demgegenüber man eine Art Recht hat, das Interesse des Kaisers, als des persönlichen Mittelpunktes, des Helden dieser großen Epoche (ich spreche nur vom Stoff) zu erwarten. Und eben dieser Held und Kaiser, gefragt, »ob er einen Grund habe, dem Verfasser dieses umfangreichen Werkes wohlzuwollen oder gnädig zu sein«, verneint diese Frage. Wenn man will, so fliegt das Geld nur so. Mir gegenüber wollte man einfach nicht. Eh bien, es muß auch so gehn. Aber freilich hat es mehr zu meiner Erbitterung als zu meiner Erbauung gedient.
(an Mathilde v. Rohr, 30.11.76)
Wenn Fontane auch der Existenzsorgen zeitlebens nie völlig Herr geworden ist, so kann er sich seit den Siebziger Jahren doch wenigstens dann und wann Erholung von der Arbeitshetze in einer Sommerfrische gönnen.
Die (Sommerfrischen) fingen en famille mit dem Jahr 70 an und haben sich durch zwanzig Jahre fortgesetzt. Ich blieb immer in Norddeutschland: Mecklenburg, Norderney, Harz, Thüringen, Schlesien. In Schlesien war ich mit besonderer Vorliebe. Überall herum im Hirschberger und Schmiedeberger Tal: Hermsdorf, Schreiberhau, Krummhübel, Erdmannsdorf, Buchwald, am häufigsten in Krummhübel. In diesen Sommerfrischen habe ich viele meiner Romane geschrieben und überhaupt sehr glückliche Tage gelebt.
(KK)
Fontane hat von je einen Widerwillen gegen das Beamtentum gehabt. Dennoch versucht er mit 56 Jahren auch noch diese Tour, des gesicherten Brotes willen und dem Drängen seiner Freunde nachgebend. Aber nur dreieinhalb Monate hält er es im Amte des ersten Sekretärs der Königlichen Akademie der Künste aus.
Ich habe vor etwa drei Wochen meine Entlassung aus meinem Amte nachgesucht. Alle Welt verurteilt mich, hält mich für kindisch, verdreht, hochfahrend. Ich muß es mir gefallen lassen. Ich bin jetzt drei und einen halben Monat im Dienst. In dieser ganzen Zeit hab’ ich auch nicht eine Freude erlebt, nicht einen angenehmen Eindruck empfangen. Die Stelle ist mir, nach der persönlichen wie nach der sachlichen Seite hin, gleich zuwider. Alles verdrießt mich; alles verdummt mich; alles ekelt mich an. Ich fühle deutlich, daß ich immer unglücklich sein, daß idi gemütskrank, sdiwermütig werden würde. Ich habe furchtbare Zeiten durchgemadit, namentlidi in meinem Hause. Meine Frau ist tiefunglücklich, und von ihrem Standpunkt aus hat sie recht. Andrerseits konnte ich ihr diese schmerzlichen Wochen nicht ersparen. Und was geschehen sollte, mußte rasch geschehen. Noch habe ich vielleicht die Kraft und die Elastizität, die Dinge wieder in so guten Gang zu bringen, wie sie bis zu dem Tage waren, wo mir diese unglückselige Stelle angeboten wurde. Die Glücksarten der Menschen sind eben verschieden: »den enen sin Uhl is den annern sin Nachtigall«. Mir ist die Freiheit Nachtigall, den andern Leuten das Gehalt.
(an Mathilde v. Rohr, 17.6.76)
Jetzt bin ich ein forscher Kerl, ein Charakter, dem der Ehrenpunkt über den Geldpunkt ging, und der nicht Lust hatte, nach jeder Geheimratspfeife zu tanzen. In allen Lebensstellungen, in denen ich bisher war, auch in denen, die mich nur halb befriedigten, hatte ich immer das Gefühl, innerhalb meines kleinen Kreises etwas zu sein und zu bedeuten. Von Jugend auf bin ich daran gewöhnt, als etwas nicht ganz Alltägliches angesehen zu werden. Dieses süßen Gefühls sollte ich plötzlich entbehren, auch mit gutem Grund entbehren, da all meine Begabung nicht zu brauchen und alles, was gebraucht wurde, wiederum nicht im Bereiche meiner Begabung war. Ich konnte das Peinliche, was mir daraus erwuchs, nicht auf die Dauer hinnehmen. Wer das Eitelkeit oder Hochmut nennen will, der tue es. Ich beneide solchen Jammerprinzen nicht tun seine Demut.
(an Mathilde v. Rohr, 1.7.76)
Die nach schweren inneren Kämpfen und häuslichen Verstimmungen glücklich überwundene Lebenskrise wertet der Dichter als einen Wendepunkt in seinem künstlerischen Werden.
Ich bin erst in dem Unglüdcsjahre 76 ein wirklicher Schriftsteller geworden; vorher war ich ein beanlagter Mensch, der was schrieb. Das aber ist nicht genug.
(an seine Frau, 28.8.82)
Die Zeit des künstlerischen Ringens und der inneren Sammlung ist nun überstanden, der schon volkstümlich gewordene Balladendichter ist zu seiner eigentlichen Berufung, der des großen Erzählers, durchgestoßen. Die erste Blüte reift heran, der Roman »Vor dem Sturm« (1878). Gemeint ist der gegen Napoleon losbrechende Völkersturm zwischen dem Brand von Moskau und der Leipziger Schlacht. Der Roman eröffnet den Reigen der großen Fontaneschen Erzählungen – eine immer reifer und köstlicher als die andere –, der durch die zwanzig dem Dichter noch beschiedenen Erntejahre dahinzieht.
Der Roman ist in dieser für mich trostlosen Zeit mein einziges Glüdt, meine einzige Erholung. In der Bcschäftigung mit ihm vergesse ich, was mich drückt. Aber wenn er überhaupt noch zur Welt kommt, so werde ich im Rückblick auf die Zeit, in der er entstand, sagen dürfen: ein Schmerzenskind. Er trägt aber keine Züge davon. Er ist an vielen Stellen heiter und nirgends von der Misere angekränkelt. Ich empfinde im Arbeiten daran, daß ich nur Schriftsteller bin und nur in diesem schönen Beruf – mag der aufgeblasene Bildungspöbel darüber lachen – mein Glück finden konnte.
(an Mathilde v. Rohr, 1.11. 76)
Das weniger Gelobt- und fleißiger Gelesenwerden bleibt Fontanes nie erfüllter Wunschtraum.
Ich habe nun mit zwei großen und ernsten Arbeiten (genieint sind wohl »Vor dem Sturm« und die »Wanderungen«, d.H.) Glück gehabt und doch auch wieder gar kein Glück. Und dies zieht sich durch meine ganze literarische Laufbahn von Anfang an. Denke an meine »Männer und Helden«, die mich auf einen Schlag zu einer kleinen Berühmtheit machten; an drei, vier Stellen wurden sie zu gleicher Zeit gedruckt, der Tunnel hatte gejubelt, in Theatern und öffentlichen Lokalen wurden sie gesungen, und G. Schwab bedauerte in seiner Vorrede, »daß er die Bekanntschaft dieser Lieder im ›Morgenblatt‹ zu spät gemacht habe, um sie noch in seine Sammlung aufnehmen zu können«. Seitdem sind sie volkstümlich geworden, und die Lieder vom alten Zieten und Derfflinger stehen in allen Anthologien. Und nun vergleiche damit, was ich davon gehabt habe. Ich meine nicht an Geld, nein, auch an Ehre, Namen, Anerkennung. Die wenigsten wissen, daß ich diese Sachen geschrieben habe. Dies Schicksal begleitet mich nun durch dreißig Jahre. Die Sachen von der Marlitt, von Max Ring, von Brachvogel, Personen, die ich gar nicht als Schriftsteller gelten lasse, erleben nicht nur zahlreiche Auflagen, sondern werden auch womöglich ins Vorder- und Hinter-Indische übersetzt; um mich kümmert sich keine Katze. Es ist so stark, daß es zuletzt wieder ins Lächerliche umschlägt. Und das rettet mich, sonst würd’ ich leberkrank.
(an seine Frau, 15.6.79)
Mit seinem sechsten Lebensjahrzehnt – 1880 bis 1890 – beginnt, ohne Beispielin der Weltliteratur, Fontanes Reifezeit. Die Früchte von köstlich reifer Süße, die sich Romane nennen, sind zutreffender mit Fruchtschalen zu vergleichen, bis zum Rande gefüllt mit Kurzgeschichten, Episoden, Anekdoten, geistreichen Gesprächen und weisheitsvollen Beiläufigkeiten: L’Adultera 1882, Schach von Wuthenow 1883, Graf Petöfi 1884, Cécile 1886, Irrungen Wirrungen 1889.
Ohne dem Geschmack des Tages und der Menge nachzugeben, ohne dem äußeren Erfolg mit den Mittelchen pfiffiger Werbung nachzuhelfen, ringt sich Fontane tapfer zum »amor fati«, zum „Wohlan noch einmal!« Nietzsches durch.
Ich bin absolut einsam durchs Leben gegangen, ohne Klüngel, Partei, Clique, Koterie, Klub, Weinkneipe, Kegelbahn, Skat und Freimaurerschaft, ohne rechts und links, ohne Sitzungen und Vereine. Der Rütli mit drei Mann kann kaum dafür gelten. Ich habe den Schaden davon gehabt, aber auch den Vorteil, und wenn ich’s noch einmal machen sollte, so macht’ ich’s wieder so. Vieles büßt man ein, aber was man gewinnt, ist mehr.
(an seine Frau, 14.6.83)
Rührend ist seine kindliche Freude, als ihm einmal in der Sommerfrische auf Norderney eine unerwartete Huldigung vor seinem Genius zuteil wird.
Erst in die Apotheke. Hier traf ich Herrn Apotheker Ommen in Person, einen stattlichen Friesen von Bildung, Manieren und Distinktion. Eine Inselgröße. Ich bat um ein Fläschchen Esprit de Menthe. Bei der Gelegenheit nannt’ ich ihm meinen Namen und begann diesen wie gewöhnlich zu buchstabieren. Er lehnte dies aber mit einer verbindlichen Handbewegung ab und sagte nur, halb fragend, halb sich verneigend »Theodor Fontane?«, mit Betonung des Vornamens. Als ich meinerseits nur nickte und sozusagen meinen Prinzen-Stern zeigte, murmelte er allerlei dunkle Huldigungsworte, so daß ich die Apotheke mit dem Gefühl verließ, den größten Triumph meines Lebens erlebt zu haben. Und dies ist nicht etwa scherzhaft, sondern ganz ernsthaft gemeint. Du weißt, wie mißtrauisch und ablehnend ich in diesem Punkte bin. Dies war aber wirklich ’was und wiegt mir drei Orden auf; denn Anerkennung, Freude, ja selbst Respekt (der Artikel also, in dem man ganz besonders und bis zur Ungebühr zu kurz kommt) sprachen sich in dem Benehmen des Mannes aus.
(an seine Frau, 19.7.83)
Aber selbst die eigene Frau hat ihn so wenig mit Anerkennung verwöhnt, daß sie noch 1892 zu Gerhart Hauptmann mit einem mitleidigen Seitenblick auf ihren Mann äußerte: »Da hält er sich nun immer für einen Dichter … und er ist nun doch einmal kein Dichter, nein wirklich, er ist doch keiner.«
(Hans v. Hülsen)
Mitten in der Zeit seines epischen Schaffens kehrt er noch einmal zu seiner Jugendliebe, der Balladendichtung, zurück.
Seit anderthalb Wochen bin ich hier wieder allein und arbeite fleißig. Aber immer nur Verse. Daß es mir noch mal vergönnt sein würde, zu den Göttern oder Hammeln meiner Jugend zurüdezukehren, hätt’ ich mir nicht träumen lassen. Es handelt sich dabei um ein ganzes Dutzend Balladen, so daß mein Balladenkapital, das ich Euch als einziges Vermögen hinterlasse, dadurch um ein Drittel anwächst. Wie hoch Ihr das veranschlagen wollt, muß ich Euch überlassen. Wäre der Sinn der Nation ein anderer, so würde dem vorstehenden Satz jede Bitterkeit, jede Selbstironie fehlen; wie’s aber mal steht und liegt, ist eine alte, sieben Jahre’ getragene Hausweste allerdings mehr wert als eine Ballade.
(an seinen Sohn Theo, Krummhübel, 4.6.84)
Zur Freude des Vaters wachsen nun die vier ihm erhalten gebliebenen zärtlich geliebten Kinder in angesehene Lebensstellungen hinein. George ist in Berlin Offizier, Theodor in Münster Heeresintendant, Friedrich in Berlin Verlagsbuchhändler, Martha, in der Familie Mete genannt, Lehrerin und heiratet später den dem Vater befreundeten Architekten Fritsch.
Wenn ich auch nicht ganz bestreiten will, daß es Pechvögel. gibt, so gilt doch vom Glück im ganzen dasselbe wie vom Gold: es liegt auf der Straße, und der hat’s, der’s zu finden und aufzuheben versteht. Du hast, wenn mich nicht alles täuscht, von Deinem Alten die Fähigkeit geerbt, Dich in zehn Stunden (um nicht zu sagen Minuten) an zehn Dingen freuen zu können, und wer die Fähigkeit hat, der ist »schöne ’raus«.
(an seinen Sohn Theo, 1.10.87)
Im September 1887 trifft Fontane ein schwerer Schlag. Sein Liebling George stirbt als sechsunddreißigjähriger Hauptmann.
Am Sonnabend früh um neun Uhr starb er. Als ich eintrat, war er eben tot. Das Begräbnis war herrlich, vier Uhr nachmittag, schönster Herbsttag, Exzellenzen und Generäle in Fülle, Kränze über Kränze, und die Gardeschützen gaben die drei Salven, die ihm als »alten Krieger« zukamen. Er liegt nun auf dem Liditerfelder Kirchhof, einem umzäunten Stück Ackerland, und ich wünsche mir die gleiche Stelle.
(Tgb)
In dem Ameisenhaufen der stürmisch wachsenden Weltstadt, in der Berliner »Kanalluft«, wo ihm in seiner »Dichterklause: Potsdamer Straße 134c, drei Treppen hoch« die seinem gesellschaftlichen Rang zukommende Behaglichkeit fehlt, fühlt er sich mit zunehmendem Alter nicht mehr wohl.
Die Natur schuf mich zum Optimisten und Heiterseher – je mehr, sag’ ich, ich mich gezwungenermaßen von der einzigen Berechtigung des Pessimismus überzeuge, desto mehr ziehe ich mich in meine Klause zurück und meide die Berührung mit den Menschen, die fast immer unangenehm ist. Ein großer Teil der Schuld wird wohl auch an mir selbst liegen, ja, ich würde geneigt sein, ihn nur in mir zu suchen, wenn es nicht so viele Abschnitte in meinem Leben gäbe, die mir den Beweis liefern, daß es doch auch an der Außenwelt liegen muß. In der Fremde (England, Frankreich) sind mir die häßlichen Gefühle, die mich in unsrer Stadt Berlin bedrängen, erspart geblieben, und wenn ich im Sommer drei Monate lang im Riesengebirge bin und in Krummhübel, Arnsdorf, Schmiedeberg, Erdmannsdorf mehr Gesellschaften mitmache als in neun Monaten in Berlin, so bleiben mir auch an diesen Plätzen Verstimmungen und Ärgernisse erspart. Es muß also doch an der großen Stadt liegen. Es fehlt alles Wohlwollen, alles Interesse; jeder ist jedem nur im Wege.
(an seinen Sohn Theo, 9.5.88)
Ah sich Fontane dem siebzigsten Lebensjahr nähert, zieht er einen Schlußstrich unter seine fast zwanzig »kritischen Jahre – Kritikerjahre«, fühlt sich aber noch frisch genug, auch weiterhin Mitarbeiter bei der » Vossischen«, wenn es sein müßte, sogar als Leitartikler, zu bleiben.
Ich habe vorgestern an Lessing (von der Vbssischen Zeitung, d.H.) geschrieben und ihm mitgeteilt, daß ich mit dem Eintritt in mein siebzigstes Lebensjahr meinen neunzehn Jahre lang innegehabten Parkettplatz Nummer 23 gern aufgeben, aber – wenn irgend möglich – in einer fixierten Stellung bei der Zeitung verbleiben möchte. Darauf hat er mir heute sehr gütig und liebenswürdig geantwortet. Ich habe nun mal zeitlebens keinen Druck ertragen können, geh’ aber bis diesen Tag noch immer mit Lust und Freude ins Geschirr, wenn man bloß vom Bock her schnalzt und mit der Peitsche die Bremsen fortjagt. Wären nicht – ich habe einen ganz freien Sinn, bin aber freilich nicht »freisinnig« – die verdammten politischen Unterschiede, so wäre ich wundervoll als Leitartikelschreiber zu verwenden, was Sie vielleicht nicht glauben, was aber doch wahr ist. Denn eigentlich interessiert mich nur alles Historische und gibt mir die Kraft und Wärme der Darstellung.
(an einen Freund, 24.6.89)
Ohne »Sinn für Feierlichkeit« und allem äußerlichen Getue abhold, fühlt sich der Dichter schon im voraus bedrückt, wenn er daran denkt, daß er an seinem siebzigsten Geburtstag öffentlich gefeiert werden soll.
Nicht als ob ich in der Erwartung großer Feierlichkeiten lebte. Ganz im Gegenteil, es wird sich alles im »kleinen Stil« halten, wie eben alles in meinem Leben; aber auch schon das Landläufige, das bei jedem alten Bäckermeister oder Rechnungsrat sich Wiederholende, bedrückt mich und geht über meine Kräfte, speziell auch über meine Begabung hinaus. Ich habe deshalb auch schon den Entschluß der Passivität gefaßt; ich werde alles ruhig und freundlich lächelnd über mich ergehn lassen und einige Dankesworte, die jede Rednerei vermeiden, vor mich hinbrammeln. Man wird dann das wahrscheinlich etwas wenig finden und von langweilig und unbedeutend sprechen, aber es ist immer noch besser als Feierlichkeit und Steckenbleiben, und jedenfalls ist nach drei Tagen alles vergessen.
(an seine Tochter Mete, 15.7.89)
Blicke ich auf meine »großen Tage« zurück und vergegenwärtige mir dabei, was ich während derselben und vorher und nachher gehört und gesehn habe, so gewahre ich nur zahllose Kränkungen, die dem Opfertier (dem Gefeierten) doch insoweit mitangerechnet werden, als die Tatsache seiner Existenz, wenn er persönlidi auch unschuldig befunden werden sollte, die Schuld an dem allen trägt.
(an Heyse, 9.3.90)
Worauf er mit diesen »Kränkungen« anspielt, enthüllt der sarkastische Bericht von Eduard Engel »Das Dichterfest. Eine naturalistische Geschichte« (in der Zeitschrift »Die Gegenwart« v. 18.1.1890). Unter den 400 Teilnehmern waren viele, »die bei solchen Veranlassungen niemals fehlen, um durch die Vertilgung teurer Speisen und noch viel teurerer Weine ihre verständnisvolle Begeisterung … zu bekunden«. Nur einige Dutzend kannten Fontanes Dichtungen wirklich. Das zeigte sich peinlich, als gegen Mitternacht angesagt wurde, ein bekannter Opernsänger werde nun die berühmteste Ballade des Dichters vortragen. Da erkundigte man sich beim Nachbarn, welche das denn sei und erhielt die Antwort zugeflüstert, es sei »das hohe Lied von der sehnsüchtigen Vaterlandsliebe des Verbannten«. Aber noch mehr! Mitten im Gesang bricht enthusiastischer Beifall aus, weil man glaubt, das Lied sei zu Ende, bis endlich Kenner die Bildungsheuchler belehren, das »berühmteste Lied des Dichters« habe noch weitere Strophen. »Und die ganze Festversammlung kehrte zu ihrer begeisterten Stimmung zurück. Nur der Dichter konnte durchaus nicht wieder in seine vorige Stimmung zurück. Seine Blicke irrten trostlos über die noch immer beglückte Versammlung …und senkten sich beschämt auf den Teller, inmitten dessen ein einsames blutrotes Radieschen lag. Gern hätte der alte Dichter dieses Radieschen gegessen, denn ihm war der Mund trocken und bitter geworden…« In heiterer Resignation zieht er das »Summa Summarum« seines Künstlerdaseins.
Eine kleine Stellung, ein kleiner Orden
(Fast wär’ ich auch mal Hofrat geworden),
Ein bißchen Namen, ein bißchen Ehre,
Eine Tochter »geprüft«, ein Sohn im Heere,
Mit siebzig ’ne Jubiläumsfeier,
Artikel im Brockhaus und im Meyer …
Altpreußischer Durchschnitt. Summa Summarum,
Es drehte sich immer um Lirum Larum,
Um Lirum Larum Löffelstiel.
Alles in allem – es war nicht viel.
Im achten, nicht mehr vollendeten Lebensjahrzehnt reifen in den Weingärten seines dichterischen Schaffens die kostbaren Spätlesen aus: Stine 1890, Unwiederbringlich 1891, Frau Jenny Treibel 1892, Effi Briest 1895, Die Poggenpuhls 1896 und als sechzehnter und letzter Roman: Der Stechlin 1898; dazu aus dem letzten Lebensjährfünft noch die schönen Erinnerungsbücher: Meine Kinderjahre und Von Zwanzig bis Dreißig.
Wenn immer es Fontane drängt, Rückschau zu halten auf Wollen und Vollbringen in Briefen oder in der Spruchweisheit seiner besinnlichen Altersverse, so geschwisterlich nahe seiner beschwingt-gelösten und lichten Prosa – »das Endresultat ist immer ein dankbares Staunen«.
Zum 24. Dezember 1890
Noch einmal ein Weihnachtsfest.
Immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm’ ich so die Summe,
Alles Grade, alles Krumme,
Alles Falsche, alles Rechte,
Alles Gute, alles Schlechte –
Rechnet sich aus all dem Braus
Doch ein richtig »Leben« ’raus.
Und dies können ist das Beste
Wohl bei diesem Weihnachtsfeste.
Ich beschäftige mich damit, mein Leben zu überblicken, allerdings in etwas kindischer oder doch mindestens in nicht sehr erhabener Weise. Bei den ernsten Dingen verweile ich fast gar nicht; ich sehe sie kaum und lasse Spielereien, Einbildungen und allerhand Fraglichkeiten an mir vorüberziehn. Das Endresultat ist immer eine Art dankbares Staunen darüber, daß man von so schwachen wirtschaftlichen Fundamenten aus überhaupt hat leben, vier Kinder groß ziehen, in der Welt umherkutschieren und stellenweise (z.B. in England) eine kleine Rolle hat spielen können. Alles auf nichts andres hin, als auf die Fähigkeit, ein mittleres lyrisches Gedicht und eine etwas bessere Ballade schreiben zu können. Es ist alles leidlich geglückt, und man hat ein mehr als nach einer Seite hin bevorzugtes und, namentlich im kleinen, künstlerisch abgerundetes Leben geführt. Aber, zurückblickend, komme ich mir doch vor wie der »Reiter über den Bodensee« in dem gleichnamigen Schwabschen Gedicht, und ein leises Grauen packt einen nachträglich. Personen von solcher Ausrüstung wie die meine war: kein Vermögen, kein Wissen, keine Stellung, keine starken Nerven, das Leben zu zwingen–solche Menschen sind überhaupt keine richtigen Menschen, und wenn sie mit ihrem Talent und ihrem eingewickelten Fünfzigpiennigstückihres Weges ziehen wollen (und das muß man ihnen schließlich gestatten), so sollen sie sich wenigstens nidit verheiraten. Ein Apotheker, der anstatt von einer Apotheke von der Dichtkunst leben will, ist so ziemlich das Tollste, was es gibt.
(an seine Frau, 23.8.91)
Ohne Vermögen, ohne Familienanhang, ohne Schulung und Wissen, ohne robuste Gesundheit bin ich ins Leben getreten, mit nichts ausgerüstet als einem poetischen Talent und einer schlecht sitzenden Hose. (Auf dem Knie immer Beutel.) Und nun malen Sie sich aus, wie mir’s dabei mit einer gewissen Naturnotwendigkeit ergangen sein muß. Ich könnte hinzusetzen, mit einer gewissen preußischen Notwendigkeit, die viel schlimmer ist als die Naturnotwendigkeit. Es gab natürlich auch gute Momente, Momente des Trostes, der Hoffnung und eines sich immer stärker regenden Selbstbewußtseins. Aber im ganzen genommen darf ich sagen, daß ich nur Zurücksetzungen, Zweifeln, Achselzucken und Lächeln ausgesetzt gewesen bin. Immer, auch als ich schon etwas war, ja auf einem ganz bestimmten Gebiete (Ballade) an der Tête marschierte, sah ich mich beargwohnt und andre, oft wahre Jammerlappen, bevorzugt. Daß ich das alles gleichgültig hingenommen hätte, kann ich nicht sagen. Ich habe darunter gelitten, aber andrerseits darf ich doch auch wieder hinzusetzen: ich habe nicht sehr darunter gelitten. Und das hing und hängt doch damit zusammen, daß ich immer einen ganz ausgebildeten Sinn für Tatsächlichkeiten gehabt habe. Ich habe das Leben immer genommen, wie ich’s fand, und mich ihm unterworfen. Das heißt nach außen hin, in meinem Gemüte nicht.
(an Friedlaendcr, 3.10.93)
Der Scbillerpreis, mit dem er 1891 ausgezeichnet wird, erfreut ihn »vielleicht am meisten wegen der dreitausend Mark«. Als er schon ein Dreiundsiebziger ist, geht er ernstlich mit dem Gedanken um, sich für den Rest seiner Tage nach Schmiedeberg im Riesengebirge zurückzuziehen. Es bleibt aber dann schließlich weiter und bis ans Ende bei Berlin.
Der Schillerpreis ist ein großes Kapitel. Sicher sind mir nur die 3000 Mark, alles andre ist so so. Die Presse hat mich mit sichtlichem Wohlwollen behandelt und ich bin den betreffenden Personen dankbar dafür, denn sie hätten auch Sottisen sagen können; so zweifelsohne ist niemand, daß man ihm nicht seine Dämlichkeit auf irgend was hin beweisen könnte. Also nochmals, ich bin dankbar, daß mir direkte Kränkungen erspart geblieben sind. Dennoch hat mich die ganze Tonart deprimiert. Ich bin wie ein »alter braver Mann« behandelt worden, mit dem man es »gut meint« und der auch so seine kleinen, etwas antiquierten Verdienste hat. Von einem warmen Wort »ja, das kann er« (und nun irgend was nennen) keine Rede. Durchschnitt, Mittelgut. Und das ist mir doch zu wenig.
(an Friedlaender, 3.5.91)
Ich habe keine Freude mehr an dem großstädtischen Leben; aber wenn es auch anders läge, die Verhältnisse ließen mir keine Wahl. Seit meiner letzten Krankheit bin ich eine ganz gebrochene Kraft, zur Zeit kaum fähig, ein paar Briefzeilen zu schreiben, und so schrumpfen denn meine Einnahmen auf weniger als die Hälfte zusammen. Damit in Schmiedeberg zu leben, wird gehen. In Berlin wäre es unmöglich, und so waren wir eines langen Schwankens überhoben. Einige Freunde drücken mir freilich ihr Entsetzen aus, davon ausgehend, daß ich ohne den Anblick einer Prinzessinnenkutsche nicht leben könne. Ganz gefehlt. In Wahrheit liegt mir nur noch an Ruhe.–Finde ich die, so bin ich geborgen.
(an den Verleger der »Vossischen«, 15.6.92)
Die Nachwehen der Influenza wollen nicht weichen und an Arbeit ist gar nicht zu denken. Dem entsprechend ist die ganze Stimmung, nicht geradezu jammervoll, aber resigniert, alles unter der Trauerfahne: »Was soll der Unsinn?« Ein sonderbares Gefühl des totalen Überflüssigseins beherrscht mich und wiewohl ich eigentlich nie »eine Zeit« gehabt habe, fühle ich doch, meine Zeit liegt zurück. Alles weggestorben und der Blick der Jüngeren drückt das aus, was Friedrich der Große auf seiner letzten Fahrt durch das Ruppinsche sagte: „Mein Gott, lieber Rathnow, ich dachte, Er wäre lange tot.« Manche Blicke sind auch nicht so gemütlich und erinnern mehr an »Racker’s, wollt ihr denn ewig leben«. In Indien wurden früher die Alten auf große Bäume am Ganges gesetzt und dann begann ein Schütteln. Die sich nicht mehr halten konnten, fielen in den Fluß und wurden weggeschwemmt. Wenn man die Herzen sehen könnte, würde man finden, daß dies Verfahren auch bei uns stille Anhänger zählt.
(an Friedlaender, 9.5.92)
»Was soll der Unsinn?«, dieser Lieblingsausdruck Fontaneseher Lebensweisheit hat übrigens nach Paul Meyer, einem Freund des Dichters, eine amüsante Entstehungsgeschichte: Ein Berliner Kolonialwarenhändler hatte vor seinem Laden einen Jungen durchgeprügelt und den Einspruch eines Vorübergehenden mit der Entschuldigung beantwortet: »Das sagen Sie so, lieber Herr …Jeden Tag steht der Bengel, wenn er von der Schule kommt oder hinjeht, hier beim Keller still und paßt uff. Wenn dann keiner von uns jrade hinsieht, stellt er sich da an das Faß Sauerkohl und p .. t rin. Nu schad’t ja det den Sauerkohl nischt – aber wat soll der Unsinn?« Fontane, dem die Geschichte von seinem Sohn Friedrich erzählt wurde, war hell begeistert davon und machte sich den Weisheitsspruch des Händlers zu eigen, keineswegs nur in resignierendem Sinn.
Im Jahre 1894 sind es so jahre her, daß sich ihm der »Tunnel« auftat. Echt fontanisch gedenkt er des Tages, der seinem Leben die Wegrichtung gegeben hat.
Fünfzig Jahre werden es eh’stens sein,
Da trat ich in meinen ersten »Verein«.
Natürlich Dichter. Blutjunge Ware:
Studenten, Leutnants, Refrendare.
Rang gab’s nicht, den verlieh das »Gedicht«.
Und ich war ein kleines Kirchenlicht.
So stand es, als Anno 40 wir schrieben,
Aber ach, wo bist du, Sonne, geblieben?
Ich bin noch immer, was damals ich war,
Ein Lichtlein auf demselben Altar;
Aus den Leutnants aber und Studenten
Wurden Generäle und Chefpräsidenten.
Und mitunter, auf stillem Tiergartenpfade,
Bei »Kön’gin Luise« trifft man sich grade.
»Nun, lieber F., noch immer bei Wege?«
»Gott sei Dank, Exzellenz .. Trotz Nackcnschläge..«
»Kenn’ ich, kenn’ ich. Das Leben ist flau.
Grüßen Sie Ihre liebe Frau.«
(Lebenswege)
Fontane war am 8.11.1894 Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin geworden.
Der »Ulk« hat in seiner letzten Nummer auch einen Vers über mich gebracht,.halb Huldigung, halb Spott, von letztrem wohl eine Spur mehr. Er lautete
(ohngefähr):
Fontane ist nun schön heraus,
Doktor wurde das alte Haus,
Und will er nicht bürgerlich mehr bleiben,
So kann er sich auch von Tane schreiben.
Nichts Besonderes, aber doch ganz nett. Noch ein kleines Bonmot, das ich neulich beim Kramen, unter alten Papieren fand. Es hat gar keine Beziehung auf mich oder eine gegenwärtige Situation, ist aber doch recht gut. Die alte Heyse (Paul Heyses Mutter) empfing kurz vor ihrem Tode, zu ihrem 73. Geburtstag, ungewöhnlich viel Besuch, woran sie, als alle weg waren, die Bemerkung knüpfte: »Es war wirklich, als wolle man mir die ’vorletzte Ehre‹ erweisen.«
(an Friedlacnder, 9.12.94)
Im heiter-sarkastischen Fontane-Ton bespöttelt er sich selbst und seine Gratulanten am fünfundsiebzigsten Geburtstag.
Hundert Briefe sind angekommen,
Ich war vor Freude wie benommen,
Nur etwas verwundert über die Namen
Und über die Plätze, woher sie kamen.
Ich dachte, von Eitelkeit eingesungen:
Du bist der Mann der »Wanderungen«,
Du bist der Mann der märk’schen Gedichte,
Du bist der Mann der märk’sdien Geschichte.
Du bist der Mann des alten Fritzen
Und derer, die mit ihm bei Tafel sitzen,
Einge plaudernd, andre stumm,
Erst in Sanssouci, dann in Elysium;
Du bist der Mann der Jagow und Lochow,
Der Stechow und Bredow, der Quitzow und Rochow,
Du kanntest keine größeren Meriten
Als die von Schwerin und vom alten Zieten,
Du fandst in der Welt nichts so zu rühmen
Als Oppen und Groeben und Kracht und Thümen;
An der Schlachten und meiner Begeisterung Spitze
Marschierten die Pfuels und Itzenplitze,
Marschierten aus Uckermark, Havelland, Barnim,
Die Ribbecks und Kaltes, die Bülow und Arnim,
Marschierten die Treskows und Schlieffen und Sehlichen –
Und über alle hab’ ich geschrieben.
Aber die zum Jubeltag kamen,
Das waren doch sehr, sehr andre Namen,
Auch »sans peur et reproche«, ohne Furcht und Tadel,
Aber fast schon von prähistorischem Adel:
Die auf »berg« und auf »heim« sind gar nicht zu fassen,
Sie stürmen ein in ganzen Massen,
Meyers kommen in Bataillonen,
Auch Pollacks und die noch östlicher wohnen;
Abram, Isack, Israel,
Alle Patriarchen sind zur Stell’,
Stellen mich freundlich an ihre Spitze,
Was sollen mir da noch die Itzenplitze!
Jedem bin ich was gewesen,
Alle haben sie mich gelesen,
Alle kannten mich lange schon,
Und das ist die Hauptsache…, »kommen Sie, Cohn«.
(An meinem Fünfundsiebzigsten. – 30.12.94)
Wenn er auch bis zum Schluß tagelöhnern muß ums tägliche Brot und wenn ihm »resignieren können ein Glück und beinahe eine Tugend« geworden ist, so sagt er doch »ja« zum Leben bis zuletzt.
Du fragst: ob mir in dieser Welt
Überhaupt noch was gefällt?
Du fragst es und lächelst spöttisch dabei.
Lieber Freund, mir gefällt noch allerlei:
Jedes Frühjahr das erste Tiergartengrün,
Oder wenn in Werder die Kirschen blühn,
Zu Pfingsten Kalmus und Birkenreiser,
Der alte Moltke, der alte Kaiser,…
Kuckucksrufen, im Walde ein Reh,
Ein Spaziergang durch die Läster-Allee,
Paraden, der Schapersche Goethekopf
Und ein Backfisch mit einem Mozartzopf.
(Was mir gefällt)
Die Menschen kümmerten mich nicht viel,
Eigen war mein Weg und Ziel.
Ich mied den Markt, ich mied den Schwarm,
Andre sind reich, ich bin arm.
Andre regierten
(regieren noch),
Ich stand unten und ging durchs Joch.
Entsagen und lächeln bei Demütigungen.
Das ist die Kunst, die mir gelungen.
Und doch, wär’s in die Wahl mir gegeben,
Ich führte noch einmal dasselbe Leben.
Und sollt’ ich noch einmal die Tage beginnen,
Ich würde denselben Faden spinnen.
(So und nicht anders)
Von Neujahr an bis Ende Mai beschäftigt mich mein Roman »Der Stechlin«; ich schreibe noch einige Kapitel, vor allem nimmt mich die Überarbeitung ganz in Anspruch… Weihnachten verging ruhig, auch Silvester; punschlos, einen einzigen Pfannkuchen in der Hand, traten wir ins neue Jahr…
Beim Eintritt ins neue Jahr war mir noch ganz leidlich. Aber es dauerte nicht lange; Husten, Asthma und, was das Schlimmste war, eine totale Nervenpleite stellten sich ein. Das ging so durch zwei Monate; ein Glück, daß die gesamte Stechlinkorrektur bereits hinter mir lag. Diese ganze Zeit verlief unser Leben sehr still; an Arbeiten oder auch nur Lesen war meinerseits nicht zu denken.
(Tgb 1898)
Ich erschrecke vor allem und selbst, wo sogenannte Vergnüglichkeiten in Sicht stehn, ist mein Trost: »Um neun Uhr ist alles aus.« Nicht im Sinn einer Todessehnsucht, sondern nur in dem tiefen Verlangen nach Ruhe. Freilich spukt das andere darin vor, was auch wohl recht gut ist. Ein so glückliches und bevorzugtes Leben und doch: »was soll der Unsinn?«
(an seine Frau, 18.9.98)
Mein Leben, ein Leben ist es kaum,
Ich gehe dahin, als wie im Traum.
Wie Schatten huschen die Menschen hin,
Ein Schatten dazwischen ich selber bin.
Und im Herzen tiefe Müdigkeit –
Alles sagt mir: Es ist Zeit …
(Mein Leben)
Am 20. September 1898 breitet ein schneller Tod sanft seinen Schatten über Theodor Fontane – auch dies eine Gnade.
Und so nahm Otto Brahm, der Kritiker-Kollege an der Vossischen Zeitung, in seiner Gedächtnisrede Abschied von dem Toten:
»Am andern Tag, um die Mittagsstunde, führte mich seine Tochter an sein Totenlager: ruhig war er gestorben, und in sanfter Ruhe lag er auch da, das schöne Greisenantlitz nur wenig gesenkt, keine Spur von Kampf oder Schmerz in der Miene, Philosoph noch im Tode. Die Augen geschlossen für immer, die so leuchtend lächeln, so blau blitzen konnten, leicht gefaltet die feinen emsigen Hände, der Mund verstummt, der mit so viel Scharm zu plaudern wußte und mit so echter Anmut. Ein überreiches Leben geendet, das durch so viel Wandlungen deutscher Literatur geschritten war als ihre persönlichste Persönlichkeit, sich selber treu und der Heimat, im Nächsten wurzelnd und im Vertrautesten, und aufsteigend von ihm zu lichten Höhen des Dichtens und Gestaltens. Noch im Tode schien er auf diesem schlichten Lager, hinter der Spanischen Wand dieses Berliner Zimmers in seiner geliebten Potsdamer Straße, die feine Enge seines Heimes zu preisen, in der er sich so wohl gefühlt, in der er hatte leben und sterben wollen: wie ein Sinnbild der märkischen Heimat selber mochte sie ihm erschienen sein, deren innerlichste Reize er erspäht hatte, Land und Leute wie keiner, und erschlossen für immer den Deutschen.«