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Die Amtspersonen

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Abb. 1: Figurenkonstellation

Adam, der Dorfrichter in dem kleinen niederländischen Ort Huisum, ist die Figur, von der alle Handlungen ausgehen und auf die das ganze Prozessgeschehen zuläuft. Er ist insofern die Die Hauptfigur Hauptfigur des Dramas, als er den höchsten Redeanteil hat und als sich auch die drei Auftritte, in denen er nicht auf der Bühne ist, um seine Person drehen.

Er ist von wenig einnehmendem Das Äußere des Richters Äußeren. Im Allgemeinen verdeckt eine Perücke, dass er »[k]ahlköpfig« (S. 14) ist; seinen »Klumpfuß« (S. 6) versteckt er, so gut es geht; jetzt, am Gerichtstag, ist zusätzlich sein Gesicht »[g]eschunden« (S. 6) und auf dem Kopf sind »zwo Wunden« (S. 58) deutlich zu erkennen. Er dürfte etwas über 50 Jahre alt sein, da er ungefähr gleichaltrig mit dem verstorbenen Mann der Frau Marthe Rull ist.

Richter Adam ist unverheiratet. Er zählt sich selbst zu den im Allgemeinen »verrufnen hagestolzen Leuten« (S. 58). Als Ein »Hagestolz«Hagestolze werden ältere Junggesellen bezeichnet, die dem Alter und den Lebensverhältnissen nach durchaus heiraten könnten und denen man mit dieser (umgedeuteten) Bezeichnung indirekt vorwirft, dass sie nur auf ihren Eigennutz bedacht sind. Adam gibt dem Gerichtsrat Walter gegenüber zu, dass er nur deshalb ein üppiges Mahl und ausgesuchte Weine anbieten kann, weil er eben nicht »[m]it Weib und Kindern […] teilen« muss, wie andere, die »knapp und kummervoll« (S. 58) eine Familie zu ernähren haben. Es scheint, er verfügt über so viele Vorräte, dass er sogar die Registratur zweckentfremdet, um dort »Kuhkäse, Schinken, Butter, Würste, Flaschen« (S. 12) zu lagern. Er gibt zwar vor, dass ihm daran gelegen ist, »[m]it einem Freunde, zur gelegnen Stunde, / Vollauf genießen« (S. 58) zu können, was er gespeichert hat. Doch fällt es schwer, ihm zu glauben, da er sich mit dem »Prediger« und mit dem »Schulmeister« (S. 20) überworfen zu haben scheint und zur Witwe seines einstigen Freundes kaum Kontakte unterhält. Dass er ein Genussmensch ist, nimmt man ihm ab. Dagegen darf man bezweifeln, dass er gesellig oder gar sozial ist.

Dorfrichter ist er schon seit langer Zeit. Er erkennt auch, dass ihm in Schreiber Licht ein Konkurrent erwachsen ist, der nicht nur jünger, sondern vielleicht auch kompetenter ist. Doch hofft er, seine Die Amtsstellung Stellung noch eine Zeit lang behaupten zu können. Deshalb ist es für ihn wichtig, die Revision, die Gerichtsrat Walter im Auftrag der Bezirksverwaltung durchführt, gut zu überstehen. Der Gerichtstag, der ansteht und dem der Gerichtsrat beiwohnt, wird so zur Bewährungsprobe.

Doch der Ausgangspunkt für diese Bewährungsprobe ist denkbar ungünstig. Richter Adam hat, wie Schreiber Licht formuliert, einen » Der »Adamsfall«Adamsfall« (S. 7) getan. Was eine witzige Anspielung auf den Namen des Dorfrichters sein soll, erweist sich im Laufe des Prozesses als eine in mehrfacher Weise zutreffende Charakterisierung. Tatsächlich ist der Richter »hingefallen«, also »unbildlich [im wörtlichen Sinn] hingeschlagen« (S. 5), und hat sich dabei einige Verletzungen zugezogen. Er ist aber auch wie sein »Ältervater« (S. 5), nämlich Adam, von dem das Alte Testament berichtet, gefallen, indem er, wie sich im Prozess erweist, in Sünde fiel, als er Eve zur Sünde zu verleiten suchte (1. Mose 3). So wurde das, was er tat, zum Gerichtsfall, den er selbst als Richter zu verhandeln hat. Wenn der Richter auf die Frage des Gerichtsrats, wie er zu seinen Wunden gekommen sei, antwortet: »Ich fiel«, und auf die Zusatzfrage »Worüber?« ergänzt: »über mich« (S. 58), so entspricht das wieder in mehrfacher Weise dem wahren Sachverhalt, obwohl der Richter gerade diesen verheimlichen will: Richter Adam fiel »unbildlich« (S. 5), also im wörtlichen Sinn, aus Eves Fenster; er fiel vorher in Schuld und Sünde; der Anstoß zu seinem Vergehen lag in ihm selbst, in seiner Triebhaftigkeit und in seiner unkontrollierten Genusssucht. Anders als sein »Ältervater« aus der Bibel ist er nicht der Verführte, sondern der Verführer.

Mit Tricks und Finten, mit falschen Versprechungen und mit Drohungen versucht er dem Verhängnis zu entgehen, dass er als Richter sich selbst als den Schuldigen entlarven muss. Am Ende wird er als » Die Entlarvung des »Sünders«Sünder« (S. 76) und »Böswicht« (S. 77) erkannt und muss das Feld räumen. Er wird aus Huisum vertrieben, wie einst sein »Ältervater« (S. 5) aus dem Paradies vertrieben wurde. Die Geschichte von Adam, dem Dorfrichter, ist die Geschichte von Adam, dem gefallenen Menschen, dargestellt in komischer Art.

Wer in der antiken Mythologie bewandert ist, kann einen zweiten »Ältervater« für Adam ausfindig machen. Nicht auf den »Teufel« (S. 72), wie Frau Brigitte und Frau Marthe meinen mögen, verweist der Klumpfuß des Richters, sondern auf König Adams Klumpfuß als Verweis auf Ödipus Ödipus, die Titelfigur einer vom antiken Autor Sophokles (496–406 v. Chr.) verfassten Tragödie. Ödipus heißt, wörtlich übersetzt, ›Schwellfuß‹. Wichtiger als diese rein äußerliche Parallele ist der Vergleichspunkt, dass beide, Ödipus und Adam, als Herrscher und Richter einen Prozess in Gang setzen, an dessen Ende sich herausstellt, dass sie selbst die gesuchten Schuldigen sind. Doch auch bei diesem Vergleich muss auf Unterschiede verwiesen werden: Während Ödipus unwissend Schuld auf sich geladen hat, ist sich Adam seiner Schuld bewusst und versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass sie bekannt wird. Das Schicksal des Königs Ödipus ist in einer Tragödie verarbeitet, das des Dorfrichters Adam in einer Komödie.

Licht, der Schreiber, ist am Gericht zu Huisum für untergeordnete Lichts Aufgabenbereich Tätigkeiten zuständig. Bei Gerichtsprozessen hat er die Parteien vorzuladen, das Protokoll zu führen und die Akten zu verwalten. Außerdem scheint er einige amtliche Kassen zu verwahren, bei denen er es mit den »Depositionen […] und Zinsen« (S. 10) nicht so genau genommen hat.

Zum Zeitpunkt des Prozesses ist er »[n]eun Jahre […] im Justizamt« (S. 18). Es ist verständlich, dass er auf eine Beförderung wartet; denn er war »auf der Schul in Amsterdam« (S. 10), hat seinen »Cicero« – also Rhetorik – »studiert« (S. 9) und ist voller » Der Ehrgeiz Ehrgeiz« (S. 10). Richter Adam ist interessiert, ihn nicht hochkommen zu lassen, vertröstet ihn auf die Zukunft, verspricht, »dankbar« (S. 10) zu sein, wenn Licht stillhält, droht aber gleichzeitig, Unkorrektheiten Lichts an die Öffentlichkeit zu bringen, wenn dieser nicht gefügig ist.

Wie Adam so ist auch Licht ein sprechender Name. Zweifellos ist der Gerichtsschreiber ein heller Kopf. Er erledigt seine Die Fähigkeiten Aufgaben, durchschaut sehr schnell, dass mit Richter Adam an diesem Tag etwas nicht stimmt, weiß, wie man sich zu verhalten hat, wenn unangekündigter Besuch kommt, und auch, wie man eine Rolle zu spielen hat, wenn man etwas verbergen muss.

Entgegen allen Beteuerungen wartet Licht auf seine Chance. Als während des Prozesses die Inkompetenz von Richter Adam offensichtlich wird und der Gerichtsrat sich an Licht wendet: »Herr Schreiber, wisst Ihr den Prozess zu führen?«, möchte dieser mit einem »ei nun, wenn Euer Gnaden« (S. 37) am liebsten sofort die Stelle Adams einnehmen. Doch der Gerichtsrat zögert, und Richter Adam fährt zügig fort. Licht aber hätte keine Skrupellosigkeit und Anbiederung Skrupel gehabt, seinen Vorgesetzten auf der Stelle abzulösen. Zu gerne möchte er sich dem Gerichtsrat Walter andienen und lässt keine Möglichkeit aus, ihn mit »Euer Gnaden« (S. 64 f., 67, 69, 71 f.) anzureden. Ob er sich Hoffnung machen kann, Nachfolger im Richteramt zu werden, von dem Adam am Ende »suspendiert« wird und das ihm, Licht, vorübergehend »zu verwalten« (S. 77) aufgegeben ist, ist nicht zu sagen.

Walter, der Der Revisor Gerichtsrat aus Utrecht, ist die höchstgestellte Figur des Stückes. Er kommt als Beauftragter der höheren Behörde aus der Stadt aufs Dorf, um nach dem Rechten zu sehen. Als Beobachter und Urteiler nimmt er eine Ausnahmestellung ein.

Ihm geht der Sein Ruf Ruf voraus, dass er genau, hochkompetent, streng und unbestechlich sei. Im Nachbarort Holla, so wurde zugetragen, »suspendierte« er tags zuvor »Richter […] und Schreiber« (S. 8) von ihren Ämtern. Richter und Schreiber in Huisum haben allen Grund, Schlimmes zu befürchten.

Ein ganz anderes Bild erhält man, wenn man erlebt, wie sich der Gerichtsrat Die Selbstdarstellung selbst vorstellt und seine Aufgabe erklärt. Man glaubt ihm, wenn er sagt: »Ich mein’s von Herzen gut, schon wenn ich komme« (S. 17). Ihm geht es um die Sache und um Verbesserung der »Rechtspfleg auf dem platten Land« (S. 17). Mit »Unordnung« und »Verworrenheit« (S. 18) in den Dorfgerichten scheint er zu rechnen; gegen »Missbrauch« wird er »strenge Weisung« (S. 17) erteilen; »Veruntreuung« (S. 18) wird direkt an Ort und Stelle bestraft.

Gerichtsrat Walter bemerkt sehr schnell die Konfusion Adams, dann dessen Fehler in der Das Verhalten im Prozess Prozessführung und schließlich, dass der Richter selbst der strafwürdige Täter ist. Der Unwille des Revisors steigt; doch vermeidet er alles, was den Richter bloßstellen könnte. Er möchte ihn aus dem Verkehr ziehen, ohne dass das Gericht und das Amt des Richters Schaden nehmen. Dabei erweist er sich selbst als geschickter Untersuchungsrichter, der durch genaues Fragen ganz nahe an den tatsächlichen Sachverhalt kommt. Den letzten Schluss, dass nämlich Adam der gesuchte Schuldige ist, tut er wohl deshalb nicht vor allen Anwesenden kund, um den Ruf der Justiz nicht zu schädigen. Wichtiger als die Figur Adams, wichtiger als die Aufklärung des Falls, auch wichtiger als die Ersetzung des zerbrochenen Krugs ist ihm »einzig nur die Die Ehre des Gerichts Ehre des Gerichts« (S. 73).

Gerichtsrat Walter empfiehlt sich – der Name spricht auch hier eine deutliche Sprache – als Walter über Recht und Ordnung in einem aufgeklärten, modernen Staatswesen.

Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist: Reclam Lektüreschlüssel XL

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