Читать книгу Das Leben sein lassen - Thilo Gunter Bechstein - Страница 6

Pilger ist, wer sich auf den Weg macht

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Mit dem deutlichen Gefühl der Unterstützung durch meine Seele, mein Höheres Selbst, will ich bald als Pilger unterwegs sein. Ich habe beschlossen, mit dem Fahrrad nach Rom zu fahren. Diese Pilgerreise werde ich längs eines Pilgerwegs unternehmen, den der Abt von Stade im 13. Jahrhundert dokumentiert hat.

Mit Blick auf mich selbst stelle ich eine innere Begeisterung fest, die mich auf den Pilgerweg zieht. Ich habe gute Gründe, diese Reise anzutreten. Das überraschende Ereignis meines Hörsturzes und die damit in Zusammenhang stehenden Fragen sind ausreichende Gründe, um mich in Bewegung zu setzen. Die körperliche Bewegung soll die notwendige geistige Bewegung initiieren, die ich mit der Frage verknüpfe nach dem, der ich bin.

Jetzt erinnere ich mich auch der Gründe für meine erste Pilgerreise nach Santiago de Compostela, die ich vor vier Jahren gemacht habe. Der Auslöser für die Idee zu pilgern war das selbstgewählte Ende meiner freiberuflichen Tätigkeit als rechtlicher Betreuer, die mir in den letzten Jahren meines Berufslebens viel Freude und Erfüllung gebracht hat. Mit der Pilgerreise wollte ich mich vom Arbeitsleben verabschieden. Ich stellte mir vor, dass ich mich mit diesem Ritual selbst in den Altersruhestand versetzen wollte.

Natürlich waren auch Neugier und Abenteuerlust an meiner Entscheidung beteiligt.

Sie ist auch jetzt wieder spürbar, meine Sehnsucht nach der Weite, die Herausforderung, über die Grenzen des Alltags und meine eigenen Begrenzungen hinauszugehen. Die erkannte Abhängigkeit und der damit verbundene Wunsch, mein Suchtverhalten zu überwinden, sind dabei Facetten auf meinem Weg. Ich sehne mich nach dem Grenzenlosen, nach einer Tiefe, von der ich noch nicht weiß, wie ich sie erreichen werde. Und dann gibt es noch ein Begehren nach etwas, das ich nicht einmal genau definieren kann. Vielleicht ist es meine tiefe Sehnsucht nach Frieden, nach Annahme, nach wunschlosem Dasein in einer Welt, die mich täglich mit dem Gegenteil davon konfrontiert.

Zu diesem Gegenteil rechnete ich damals auch die Tatsache, dass mich ein Urologe mit dem Verdacht auf Prostatakrebs konfrontiert hatte, einfach auf Grund der Tatsache, dass die Werte meines prostataspezifischen Antigens (PSA) weit über dem Sollwert für den Normalzustand lagen. Eine Erhärtung des Verdachts durch eine Biopsie, eine Gewebeprobeentnahme aus der Prostata, hatte ich allerdings nicht zugelassen.

Das waren zwingende Gründe, um mich auch im achtundsechzigsten Lebensjahr noch auf den Weg zu bringen. Inzwischen hatte sich der Krebsverdacht bestätigt und ich bin operiert worden. Mir war bewusst, dass der Erfolg dieser körperlichen Maßnahme von der Änderung meiner Lebenshaltung abhängt, letztlich davon, ob ich die Botschaft meiner Seele verstanden und umgesetzt habe, die in dieser Erkrankung für mich enthalten war. Ich habe mich intensiv mit ihr auseinandergesetzt und ein Buch2 darüber geschrieben. Die Auseinandersetzung hält noch an, hat aber mit dem Hörsturz einen neuen, dringlichen Aspekt hinzubekommen, der letztlich ausschlaggebend für meine Entscheidung zur erneuten Pilgerreise ist.

Dass ich diesmal mit dem Fahrrad pilgern will, hat seine Ursache in meiner Konstitution. Ich bin bis vor Kurzem noch intensiv gewandert und gelaufen. Aber eben nur so lange, wie meine Lendenwirbelsäule die wachsende Zumutung klaglos hingenommen hat. Den Jakobsweg habe ich zu Fuß über die gesamte Strecke mit einem dreizehn Kilo schweren Rucksack auf dem Rücken problemlos bewältigt. Diese Überzeugung hielt ich allerdings nur solange aufrecht, bis sich die Taubheitsgefühle im rechten Fuß einstellten und ich mich fragte: „Habe ich mir vielleicht doch etwas zu viel zugemutet?“

Seitdem ich diese körperliche Schwachstelle von mir kenne, achte und akzeptiere ich sie. Das ist der Grund für meine Entscheidung, die zweitausend Kilometer nach Rom mit dem Fahrrad zu fahren und mein Gepäck auf dem Pilgerweg vom Fahrrad tragen zu lassen. Ich habe das gute Gefühl, dass die Rechnung aufgehen wird.

„Jetzt fühle ich mich herausgefordert, dich zu fragen, ob du dir auch deiner seelischen Schwachstelle bewusst bist, nämlich nicht zu wissen, wer du wirklich bist. Dein Rückfall in die Abhängigkeit von deinem emotionalen Körper und das dadurch ausgelöste Suchtverhalten weisen dich darauf hin. Würdest du dir seiner sicher sein, wäre deine Reise, ebenso wie dieser Dialog, überflüssig. Es ist dein vorrangiges inneres Ziel, zur Erkenntnis deiner selbst zu gelangen. Diese Frage beschäftigt dich außerdem schon eine ganze Zeit. Nur lässt du dich von weniger wichtigen äußeren Ereignissen in deinem Leben immer wieder von ihr ablenken.

Die volle Entfaltung deines Potentials als Teil der Schöpfung, der du bist, hängt von dieser Einsicht ab. Im Moment geht es dir wie dem Bettler, der auf einem alten Koffer sitzt und die Passanten um einen Euro anbettelt. Er hat noch nicht in den Koffer geschaut und weiß deshalb nicht, dass er bis zum Rand mit Geld gefüllt ist.“

„Deine Metapher ist mir unangenehm und ich fühle mich beschämt. Doch inzwischen weiß ich, dass ich selbst verantwortlich für das Finden meiner Wahrheit bin, auch wenn es das nicht einfacher macht. Der erste Impuls auf meinem Weg zur Einsicht wurde mir geschenkt. Ich konnte ihn nicht durch irgendeine Maßnahme veranlassen. Er ist mir zuteil geworden durch Gnade. Ich hatte bis dahin nicht einmal die leiseste Ahnung davon, dass es so eine Frage überhaupt gibt. Heute ist sie zur wichtigsten Frage meines Lebens geworden. Ich will den Deckel anheben und in den Koffer schauen!“

„Du hast die Bedeutung dieser existentiellen Frage für dich erkannt und bist dir deiner Verantwortung bewusst, die Antwort darauf zu bekommen. Das hilft dir, präsent und bereit dafür zu sein, sie zu empfangen. Auf die bewusste Wahrnehmung dieser Verantwortung weist das Gleichnis von Jesus mit den zwölf Jungfrauen hin. Es demonstriert die Notwendigkeit, das Licht bereitzuhalten für jenen nicht bekannten Augenblick, in dem der Bräutigam kommt. Man könnte auch sagen, du musst für den richtigen Sender auf Empfang eingestellt sein, um die lebensentscheidende Nachricht nicht zu verpassen, von der du nicht weißt, wann sie ausgestrahlt wird.“

„Ich verstehe unter Glauben genau diese innere Haltung, mich für die Möglichkeit des Empfangs der Antwort auf diese wichtigste Frage in meinem Leben offen zu halten, diese Möglichkeit überhaupt zu erkennen und zuzulassen. In meiner Verantwortung liegt es dann, mir die Räume zu schaffen, in denen sich diese Möglichkeiten in Erfahrungen umsetzen lassen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die vor mir liegende Pilgerreise solche Erfahrungsräume eröffnet.“

„Mit etwas Abstand sollte es dir möglich sein zu erkennen, dass dein ganzes Dasein auf dieser Erde einer Pilgerreise gleicht. Das Ganze, was du als dein Leben betrachtest, ist ein Raum, der dir zur Verfügung steht, um dir das Finden der Antwort auf deine Frage durch konkrete Erfahrungen zu ermöglichen. Deutlicher als am Ende deiner ersten Pilgerreise konnte ich es dir nicht zeigen.“

Ich versuche, mich an das Ende dieser Reise zu erinnern, das ich am Kap Finisterre erreichte. Ich musste noch drei Tage dranhängen, um die hundert Kilometer von Santiago aus bis dahin zu bewältigen. Dabei war es nur ein unklares Gefühl, das mich ahnen ließ, etwas Wichtiges könnte mich dort erwarten.

Auf einem Weg durch Ginster, Heidekraut und Latschenkiefern bin ich am oberen Punkt des Kaps angekommen, der mir unvermittelt den atemberaubenden Ausblick auf den Atlantik freigab. Die Weite der Landschaft mit dem Ausblick auf die Berührungslinie zwischen dem tiefen Dunkel des Wassers und dem lichten Blau des Himmels an einem fernen Horizont hat mich tief ergriffen.

Ich bin dann langsam und sehr bewusst den Hang hinabgestiegen. Weit unten lagen ein Haus und eine Wetterstation. Haltgemacht habe ich erst beim Erreichen des aus Beton geformten Steines, der das Ende des Wegs anzeigte. Ich habe diese Steine im Verlaufe meines Pilgerwegs immer wieder angetroffen. Bronzene Täfelchen, die in diesen Steinen eingelassen sind, zeigten mir jeweils die Entfernung an, die noch bis Santiago zurückzulegen war. Manchmal war auch nur noch der Stein da, das Täfelchen war von Souvenirsammlern herausgebrochen worden. Doch hier gab es eine Bronzetafel und sie zeigte mir an: ‚0,0 km‘.

Den Schauer, der mir beim Lesen dieser Zahl den Rücken hinab lief, kann ich noch jetzt spüren. Ich stand vollkommen still und wagte kaum zu atmen, um nicht die Heiligkeit dieses Augenblicks zu zerstören, die ich plötzlich so unmittelbar empfand. Ich fühlte deutlich, dass mir jetzt eine wichtige Erfahrung zuteilwerden würde, dass sich einen Augenblick lang der Schleier heben würde, der mich bisher von der Wahrheit getrennt hatte. Ich setzte langsam den Rucksack ab und blickte auf den Weg zurück, den ich gekommen war. Deutlich konnte ich den gelben Kies sehen, der sich als breites Band den Hang hochschlängelte und sich in der Ferne als dünner Faden verlor.

In diesem Moment vollkommener Klarheit wusste ich, dass sich mir hier mein Lebensweg zeigte, von dem ich das Gefühl hatte, dass er weit hinter mir lag. Jetzt war ich hier, an diesem Stein mit dem Namen Nullkommanull. Er symbolisierte mir das Ende meines Lebenswegs. Die Zeit, die dieser Weg scheinbar eingenommen hatte und die mir immer ewig lang erschienen war, war auf diesen Augenblick zusammengeschmolzen. Ich erkannte ganz plötzlich die Illusion, die mich hinsichtlich der Länge dieser Zeit genarrt hatte. Ich fühlte, dass es nur diesen Augenblick gibt. Es ist immer ‚Jetzt‘.

Über den Stein hinweg sah ich zu der Linie am Horizont, an der sich Himmel und Wasser berührten. Dorthin würde ich gehen und nichts von dem, was mir bisher als unentbehrlich galt, würde ich dorthin mitnehmen können. Selbst meinen Rucksack würde ich dort nicht mehr brauchen. Was von mir sollte überhaupt auf diese andere Seite gelangen, die sich mir jetzt als deutliche Ahnung zeigte?

Das, was ich jetzt von mir als den tiefen Kern spürte, der mich in diesem Augenblicks ausmachte, das, so fühlte ich, würde auf die andere Seite wechseln. Sie lag greifbar vor mir und zog mich unwiderstehlich an. Das Bewusstsein, das ich bin und die Liebe, die ich in mir fühle, würden es sein und nichts anderes.

Mir wurde klar, wie unbedeutend meine bisherigen Werte waren angesichts dieses unmittelbar vor mir liegenden Seitenwechsels. Wieso hatte ich mich nur ständig in die falsche Richtung bewegt? Jetzt erlebte ich in einer bisher nie erlebten Klarheit, was wirklich von Bedeutung war, jetzt, in diesem Augenblick, der zu einem Augenblick tiefster Einsicht für mich wurde.

„Gut. Dass du auf diese Weise zu erkennen beginnst, was als das Wichtigste aus der Zeit deines Lebens verbleibt, wenn sie sich am Ende auf einen Augenblick reduzieren wird. Ich werde dazu beitragen, dass sich diese Erfahrung vertieft und dir immer wieder Situationen kreieren, in denen du dich deines bewussten Seins erinnerst. Doch du selbst bestimmst deinen Weg der Erkenntnis.“

Ja, richtig, da kann ich meiner Seele vorbehaltlos zustimmen. Meinen Weg entscheide ich selbst und übernehme dafür die Verantwortung. In mir ist dieses Gefühl aufgetaucht, nochmals eine Pilgerreise durchzuführen und ich folge meiner Intuition.

Doch auch diese erneute Reise besitzt ihre ganz pragmatischen Seiten. Zur Verfestigung meiner Idee habe ich mir zunächst die erforderliche Literatur beschafft. Das war über das Internet kein zu großes Problem, ich fand zwei Reiseführer, die den jüngst ausgegrabenen Pilgerweg des Abtes von Stade beschreiben3, 4. Auch den Pilgerpass habe ich über das Internet geordert, aus Sicherheitsgründen gleich zweifach.

Auf Karten wollte ich wegen des Gewichts möglichst verzichten und habe mir stattdessen ein Fahrrad-GPS zugelegt, welches gerade im Angebot war. Ich habe sofort angefangen, mich damit zu beschäftigen. Diese elektronischen Dinge empfinde ich als schwierig und ich fühle mich im Umgang mit ihnen gehemmt. Da bewundere ich manchmal meine Enkel, die mit einer Dreistigkeit ausprobieren, was sie nicht wissen. Das muss ich erst noch lernen.

Die benötigten Karten für meinen Rom-Pilgerweg waren aus dem Internet zu laden, was mir zu meinem eigenen Erstaunen mit etwas Probieren sogar gelungen ist. Ich hatte am Ende meiner Versuche alle Tracks auf meinem GPS-Gerät.

Für die geplante Übernachtung auf Campingplätzen und in der freien Natur habe ich nach einem geeigneten Zelt gesucht. Wiederum im Internet wurde ein doppelwandiges Ein-Mann-Zelt mit einem Gewicht von eineinhalb Kilo angeboten, das ich gekauft habe. Es war das leichteste, was es gab.

Als besonderen Gag habe ich mir ein weißes Träger-T-Shirt mit der Aufschrift „Rom-Pilger“ bedrucken lassen. Es sollte nicht nur für mich selbst ständige Erinnerung an das besondere Anliegen meiner Reise sein, sondern auch die dahinter stehende Botschaft sichtbar nach außen bringen. Ich würde mich damit als Sucher oder Finder zu erkennen geben.

Da mein Romführer für den deutschen Teil in Gotha beginnt, habe ich Gotha als Startpunkt festgelegt und rechtzeitig ein Sparticket bei der Bundesbahn geordert.

Nun kommt es in meiner Gemeinschaft nicht jeden Tag vor, dass sich ein Siebziger aufs Fahrrad schwingt, um damit nach Rom zu fahren. Ich habe bekanntgegeben, dass ich heute, am dreizehnten Mai des Jahres 2015, um sieben Uhr das gemeinschaftliche Rittergut verlassen will. Deshalb finden sich ein paar gute Freundinnen und Freunde am Tor ein, um mir ihren Segen für diese Reise mitzugeben, in Form von guten Wünschen und Umarmungen. Moni erinnert mich mit einem kleinen Kärtchen daran, wie wichtig es ist, „das Leben einfach sein zu lassen“, und diese liebevolle Erinnerung nehme ich an. Sie wird mich als Wegweiser begleiten.

Mit geordnet gepackten Fahrradtaschen, zwei kleinere vorn und zwei größere am Gepäckträger, starte ich dann pünktlich in Richtung Bahnhof. Das Zelt, ein leichter, zusammenrollbarer Aluminiumtisch und eine dünne Schaumgummimatte als Unterlage sind in einer Tasche zusammengerollt und wasserdicht längs zwischen den hinteren Packtaschen festgezurrt. Dazwischen habe ich einen Kunststoff-Gewebesack gelegt und für alle Fälle den kurzen Holzknüppel gesteckt. Er sollte mir helfen, die Heringe in trockene und harte Böden zu schlagen. Der Gummihammer ist mir zu schwer.

Mit dem guten Gefühl, perfekt vorbereitet und ausgerüstet zu sein, besteige ich in Riesa den Regionalzug nach Leipzig, um von dort mit dem Intercity nach Gotha zu fahren. Langsam stellt sich in mir jenes Hochgefühl ein, das mit der gespannten inneren Erwartung auf das verbunden ist, was da auf mich zukommen wird. Meine Begeisterung nimmt mit jedem Kilometer Bahnfahrt zu, der mich dem Ausgangspunkt meiner Pilgerreise näher bringt. Jetzt erst freue ich mich unbändig darüber, dass ich mich für diese Reise entschieden habe. Ich zweifle nicht mehr, dass es jetzt und in den kommenden Wochen genauso sein soll: „Ich bin auf dem Weg.“

In Gotha komme ich am Mittag an. Immerhin habe ich noch die gesamte heutige Strecke vor mir, von der ich nur weiß, dass sie mich über den Kamm des Thüringer Waldes, den Rennsteig, führen wird. Dieser mittelalterliche Handels- und Grenzweg zwischen ehemaligen deutschen Fürstentümern ist mir vertraut und bekannt. Mehrfach bin ich auf ihm gewandert, in der DDR, im vereinten Deutschland, im Sommer und auch im Winter. Ich liebe den Rennsteig und freue mich auf die erneute Begegnung mit ihm. Ehe ich mit meinem Fahrrad losfahre, will ich in meinem Pilgerausweis dokumentieren, dass ich hier in Gotha gestartet bin. Das geschieht am schnellsten im Servicepunkt der Deutschen Bahn, in dem mir die Beamtin am Auskunftsschalter bereitwillig den Tagesstempel in den Pilgerpass drückt. Sie fragt mich neugierig, wo ich damit hin will und schaut mich erstaunt, ungläubig und ein wenig ehrfurchtsvoll an, als ich ihr das Ziel meiner Reise nenne.

Schnell bin ich auf der Ausfallstraße Richtung Friedrichroda aus Gotha herausgefahren. Es ist nicht weit bis dahin und ich erreiche über die Landstraße bald den kleinen Kurort am Rande des Thüringer Waldes. Die Fußgängerzone war mir noch von meinem jüngsten Aufenthalt bekannt. Ich hatte für einige Tage in Friedrichroda ein Hotel gebucht, in der Hoffnung, im Januar mit meinen Langlauflatten auf dem verschneiten Kamm des Thüringer Waldes loslegen zu können. Doch der hatte in üppigem Grün geprangt und mich mit meinen Ambitionen komplett abblitzen lassen.

Jetzt sitze ich vorm Wiener Café im Sonnenschein, der mein nagelneues T-Shirt mit der Aufschrift Rom-Pilger leuchten lässt. Ich stärke mich vor der Überquerung des Hauptkamms, gönne mir aber keine zu lange Pause, wohl wissend, dass hier der Ernst des heutigen Tages beginnt.

Der erweist sich dann auch ab dem Waldschlösschen als steil in Richtung Kamm führende Schotterpiste. Sie trägt im unteren Teil den Namen „Rote Straße.“

„Mein Gott, ist das Fahrrad schwer! Wie soll ich das Ding da hochkriegen?“

Ich muss mich mit all meiner Kraft in den Lenker stemmen, damit ich es überhaupt den Berg hoch bewegen kann. Schieben und immer wieder schieben, dazwischen kurze Pausen zum Luftholen, Kräftesammeln, und weiter. Der Start in mein Pilgerabenteuer fällt mir nicht leicht, und die Schotterstraße erscheint endlos. Tatsächlich führt sie lediglich über zweieinhalb Kilometer ständig ansteigend auf den Rennsteig.

Endlich komme ich am Possenröder Kreuz an. Das ist ein markanter und zugleich bekannter Wegpunkt des Rennsteigs, an dem sich eine kleine Schutzhütte für Wanderer befindet. Über das Wiedersehen mit ihm freue ich mich und lege hier eine verdiente Verschnaufpause ein, ehe ich meinen Weg fortsetze. Nach dem anstrengenden Anstieg fühle ich mich doch ziemlich ausgepumpt.

Der Weiterweg wird zur halsbrecherischen Abfahrt auf der anderen Seite, die mir höchste Achtsamkeit abfordert. Aber auch die folgenden Anstiege verlangen mir ein Höchstmaß an körperlichem Einsatz ab. Und immer wieder schieben, schieben ohne Ende bis Knie und Arme zittern. Ich hatte mein Gepäck gewogen und siebenundzwanzig Kilo für alles zusammen schienen mir nicht zu viel. Bereits am ersten Tag erkenne und bereue ich, dass ich mich damit geirrt habe.

Aber ich bewältige die Strecke, für die ich mich während der ausgiebigen Pause auf dem Rennsteig entschieden habe. Ziemlich am Ende meiner Kräfte komme ich gegen halb sechs abends in dem kleinen Hotel in Steinbach-Hallenberg an, das ich ein paar Stunden zuvor per SMS vor meinem Eintreffen gewarnt hatte. Mein noch funktionierendes GPS zeigte mir an:

zurückgelegte Entfernung: 45 km

Steigung: 1055 m

Gefälle: 900 m

Fahrzeit: 5h:15min

Ich habe diese Daten nur dieses eine Mal auswerten und notieren können. Aus ihnen geht hervor, dass ich heute durchschnittlich acht Komma sechs Kilometer pro Stunde zurückgelegt habe.

Zumindest in der Gaststube bin ich an diesem dreizehnten Mai der einzige Gast. Der Spargel, der mir auf der Speisekarte offeriert wird und von dem ich beim Bestellen gutgläubig annahm, er sei frisch, stammt offenbar noch aus der Zeit des Großherzogtums. Da bin ich doch etwas enttäuscht. Aber am nächsten Morgen gibt es ein recht ordentliches Frühstück und ich kann versöhnt in den neuen Fahrradtag starten.

Heute, am Donnerstag, ist Himmelfahrtstag. Nach meinem ursprünglichen Reiseplan wollte ich überhaupt erst heute starten. Im Hinblick auf den besonderen Charakter dieses Tages entschied ich mich aber, einen Tag eher loszufahren. Ich wollte unbehelligt von größeren Gruppen an Männertags-Ausflüglern und Freizeitradlern mein Fahrrad sicher und stressfrei im Zug mitnehmen. Am Rande der Straße, wo ich solche Gruppen dann tatsächlich immer wieder sehen kann, sollten sie mich nicht stören. Fröhlich grüßend fahre ich an ihnen vorbei.

So richtig klar ist mir beim Start allerdings nicht, wie weit ich heute kommen werde. Heute, das ist zunächst ein wunderschöner Morgen mit strahlend blauem Himmel, an dem ich entspannt und beschwingt mit viel Gefälle über Viernau bis Meinigen rolle. Nach Mellrichstadt berühre ich erstmalig den Pilgerweg, der hier als Via Romea gekennzeichnet ist. Der Name verweist mich auf mein Ziel, aber Rom ist für mich derzeit nur ein Begriff, fast eine Fiktion, so weit weg liegt diese Stadt.

Vielmehr freue ich mich über die hübschen Fachwerkhäuser, die Kneipen und Schenken mit fröhlichen Menschen im Freien, zu denen ich mich jetzt setze, um ein kleines Bier zu meinem mitgenommen Frühstücksbrot zu trinken. Ja, er fühlt sich gut an, der Pilgerweg, an mit diesem schönen, warmen Frühlingstag.

Die Kirche in Mellrichstadt lädt mit ihrer offenen Tür ein, mich für das Geschenk zu bedanken, als das ich heute diesen Weg und diesen Tag empfinde. Meine Gegenwärtigkeit im Gefühl des Dankens lässt mich diesen Augenblick sehr intensiv erleben. Dank ist die höchste Form meiner Anerkennung dessen, was ist. Im Danken fühle ich die Intensität meines Daseins besonders deutlich. Ich freue mich, ohne dass ich dafür einen Grund oder ein besonderes Ereignis benennen kann.

Heute Morgen bin ich nicht exakt dem im Pilgerführer beschriebenen Originalweg gefolgt, der über Schmalkalden führt. Von Steinbach-Hallenberg aus habe ich direkt Meiningen angesteuert und bin dabei dem Werra-Radweg gefolgt.

Jetzt fahre ich auf dem Radfernweg Main-Werra nach Bad Neustadt. Dort angekommen, schiebe ich mein Rad durch den historischen Stadtkern und freue mich über den großen Marktplatz mit den gepflegten Bürgerhäusern. In einem schönen Café am Rand des Marktes such ich mir einen Platz unter einem Sonnenschirm und gönne mir ein Stück Erdbeertorte und einen großen Pott Kaffee.

Das ist auch die Gelegenheit, über das Ziel meiner heutigen Etappe nachzudenken. Das gute Wetter fordert mich ja geradezu zum Campen heraus. Ich habe große Lust, im Zelt zu schlafen. Allerdings wünsche ich mir für heute eine Dusche und ein Abendessen und das bekomme ich am einfachsten auf einem Campingplatz. Dafür noch bis Würzburg zu fahren, der nächsten Camping-Möglichkeit an meiner Route, erscheint mir etwas zu weit. Dazwischen gibt es an der Strecke aber keinen Campingplatz, jedenfalls nach den mir verfügbaren Informationen. Der nächste liegt in Bad Kissingen. Kurz entschlossen ändere ich ein wenig meinen Streckenplan und biege kurz hinter Bad Neustadt in das Tal der Fränkischen Saale ein, durch das ein Radweg führt. In großen Windungen schlängelt sich der Fluss durch das liebliche Tal, in dem blühende Wiesen meinen Blick fesseln, unterbrochen durch kleine Felder und Raine.

In Nickersfelden stehe ich an einer Kreuzung und überlege gerade, wo es weitergeht, als eine Frau auf mich zukommt. Sie fragt mich, ob ich ein Handy hätte. Ich zeige ihr mein Smartphone und sie erklärt mir ein wenig umständlich, dass ihr Handy entladen sei und sie eine dringende Mitteilung abschicken müsse. Ob ich ihr nicht mein Smartphone dafür zur Verfügung stellen könne. Mir erscheint ihr Wunsch etwas absonderlich. Außerdem ist mir klar, dass sie damit allein nicht zurechtkommen wird. Ich will ihr aber dennoch helfen und biete ihr an, ihre Botschaft abzusenden. Sie diktiert mir die Nummer der Adressatin und ich nehme ihre Mitteilung auf. Es geht um ein vereinbartes Treffen. Nach dem Absenden zeige ich ihr auf dem Display, dass alles erledigt ist, wie sie es gewünscht hat. Sie strahlt und wünscht mir Gottes Segen auf meinem Pilgerweg, den ich gern annehme.

Nach dieser kleinen Episode erreiche ich am späten Nachmittag Bad Kissingen. Schnell habe ich den großen Campingplatz gefunden. In der Rezeption herrscht Hochbetrieb. Hier ist was los am Himmelfahrtstag. Endlich kann ich mein Anliegen für eine Übernachtung im Zelt vorbringen, als die Chefin des Platzes den Aufdruck auf meinem T-Shirt unter der Weste bemerkt. Sie fragt etwas ungläubig, ob ich wirklich mit dem Fahrrad und allein nach Rom wolle. Als ich es bestätige, ist sie begeistert und schenkt mir die Übernachtung. Sie führt mich persönlich zu der kleinen Wiese hinter den Wohnwagen, auf der ich mein neues Zelt aufschlagen kann.

Beim Verstauen meiner Sachen im Zelt versuche ich, eine gewisse Ordnung herzustellen, damit ich im Ernstfall auch wiederfinde, was ich brauche. Das stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Zunächst packe ich die leeren Hinterradtaschen unter das Fußende des Schlafsacks, der auf der Schaumgummimatte liegt. Meine wenige Bekleidung ist in Plastetüten verpackt, die ich unter und neben das Kopfende des Schlafsacks platziere. Sie bilden mein Kopfkissen. Die Vordertaschen stelle ich ins Vorzelt neben den Eingang. Neben ein paar anderen Utensilien enthalten sie im Wesentlichen mein Kochgeschirr und den Mundvorrat. Taschenlampe, Waschzeug und Handtusch liegen neben dem Schlafsack. Auf der anderen Seite stapeln sich Helm, Handschuhe und Fahrradklamotten, soweit sie nicht schon gewaschen auf der Leine hängen. So könnte es gehen.

Jetzt folge ich meinem dringenden Bedürfnis zu duschen. Der Sanitärtrakt des Platzes liegt gleich um die Ecke. Um morgen früh Zeit zu sparen, rasiere ich mich zuerst. Ich ziehe die Nassrasur der elektronischen Trockenrasur vor, da bin ich etwas altmodisch. Ich liebe den mit Rasierpinsel aufgetragenen Schaum, das Kratzen der Klinge, das frische Gefühl auf der Haut und das angenehme Brennen auf den Wangen, wenn ich sie mit dem Rasierwasser leicht abklatsche.

Nach der Ganzkörperreinigung ziehe ich den warmen Vliespulli drüber, um auf der Freisitzfläche des Restaurants nicht zu frieren. Ich fühle mich frisch und bin hungrig. Das Abendbrot, das ich in guter Qualität bekomme, sättigt mich. Zufrieden schlüpfe ich mit dem Dunkelwerden ins Zelt. Ich genieße es, in den kuschligen Daunenschlafsack zu kriechen, der mich warm umhüllt. Auch bei den zu erwartenden niedrigen Temperaturen in der Nacht sollte ich darin nicht frieren.

Am nächsten Morgen stelle ich fest, dass die Nacht doch nicht so gut verlaufen war, wie ich es erhofft hatte. Das hängt weniger mit der Kälte zusammen, die mir nichts anhaben konnte, als vielmehr mit der dünnen Schaumgummiunterlage. Ich habe durch sie hindurch den harten Boden sehr deutlich gespürt und bin deswegen immer wieder aufgewacht. Da ist Abhilfe erforderlich, sobald sich dazu die Gelegenheit ergibt.

Doch jetzt ist erst mal das Frühstück dran. Es beginnt mit einem großen Löffel Haferflocken und einem mit Leinsamen, die ich mische. Mit dem Wasser, das ich auf meinem Gaskocher heiß gemacht habe, entsteht so mein Müslibrei. Der Kocher ist ein Aufsatz, der auf der Kartusche mit dem Propan-Butangasgemisch sitzt und verriegelt wird. Das ist wirklich eine prima Erfindung, leicht und gut handhabbar. Mein alter Benzinkocher ist wesentlich schwerer, braucht Benzin und zum Anwärmen Brennspiritus. Das macht seine Handhabung aufwändig. Dennoch liegt er noch als Reserve in meiner Campingkiste. Ich konnte mich noch nicht gänzlich von ihm trennen, da er hat mir treu und zuverlässig auf meinen Bergfahrten gedient hat.

In der Tasse mit dem heißen Wasser hängt der Teebeutel, den ich jetzt herausnehme und ausdrücke. Ich esse zum Müsli einen Apfel und eine Kiwi und danach einige Brotscheiben mit Butter, Käse und Marmelade. Zu meiner Fahrradverpflegung gehören auch Espresso-Sticks und einige Portionen Kaffeesahne. Es fehlt an nichts und das macht mir schon am Morgen gute Laune. Dafür benötigt der ganze Aufbruch einschließlich Frühstück aber auch seine Zeit. Mir fehlt noch die Übung. Obwohl ich schon sechs Uhr aufgestanden bin, ist es schon Viertel nach acht, als ich den Campingplatz Richtung Würzburg verlasse.

Es fährt sich ruhig und gemütlich auf dem Main-Saale-Radweg nach Schweinfurt. Er ist gut ausgeschildert. Ich habe mir vorgenommen, auf dem äußeren Ring der Stadt zu bleiben und das Zentrum auszulassen. Für Würzburg möchte ich mir etwas mehr Zeit nehmen. Es ist unmöglich, jede interessante Stadt am Pilgerweg näher zu erforschen, das habe ich schon bei der Vorbereitung meiner Reise feststellen müssen. Deshalb begnüge ich mich jetzt mit Eindrücken von Schweinfurt, von den Menschen und dem Verkehr. Alles das macht eine Stadt lebendig, verleiht ihr Charme oder lässt sie hektisch erscheinen. Ich versuche, die Momente aufzunehmen, die mich in Schweinfurt berühren und da ist vieles: der fließende Verkehr, die rastlosen Menschen, die über die Straßen und Plätze eilen, zielgerichtet und erfolgsorientiert, nicht nach links oder rechts schauend, und da bin ich, mittendrin auf einem großen Parkplatz im Einkaufszentrum. Ringsum begrüßen mich Geschäfte und Märkte mit vertrauten Namen.

„Bist du nicht auch erfolgsorientiert? Was ist dir denn wichtiger, der Weg oder das Ziel? Nicht Rom, das liegt in weiter Ferne, nein, dein Tagesziel. Vergisst du in deiner Orientiertheit auf das Ziel nicht auch, den Weg wahrzunehmen mit seinen Besonderheiten? Achtest du auf die Stimmung des Wegs, auf seine Energie? Spürst du sie als Tourist, als Weltenbummler oder als Pilger?“

„Im Moment spüre ich da keinen Unterschied. Wenn ich akzeptiere, dass ich unterwegs bin, wird die Stimmung meines Wegs sichtbar in den Bäumen am Weg, den Wiesen und Feldern, den Häusern, dem Himmel, der alles überspannt. Ich fühle sie im Wind, der mich mal hindert und mal vorantreibt, der mir Staubkörner in die Augen weht und den schweißnassen Rücken kühlt. Ich kann die Strahlen der Sonne spüren, die meinen unterkühlten Körper wieder erwärmen, wenn ich aus dem Schatten der Bäume heraus in das helle Licht gelange.“

„Fühlst du deine Verbundenheit mit dem, was dich umgibt? Erkennst du darin auch deinen eigenen Ursprung?“

„Ich kann darauf weder mit einem ‚Ja‘ noch einem ‚Nein‘ antworten. Ich fühle noch große Anteile des Touristen in mir, der eine Leistung zu erbringen, ein Tagesziel zu erreichen hat, um am Ende stolz darauf zu sein. Dabei ist es das gerade nicht ist, was mich auf den Weg gebracht hat. Das sollte alles Nebensache sein. Zur Hauptsache bin ich noch nicht vorgedrungen. Doch danke ich dir für den Hinweis.“

„Versuche nicht, etwas zu erzwingen, was du nicht fühlen kannst. Das, was du jetzt fühlst, ist wichtig und wird dir den Weg weisen. Lass dir dafür die erforderliche Zeit. Es geht nicht darum, das alte Ziel durch ein neues, spirituelleres zu ersetzen. Ein solches Streben führt dich auf den Holzweg, in eine neue Rolle. Hol den Zettel von Moni aus der Tasche. Begreife ihren Hinweis als den Weg, der vor dir liegt. Es ist kein Zufall, dass du ihn bekommen hast. Es geht nicht um das Tun, sondern um das Lassen.“

„Als sie mir dieses Kärtchen gab, habe ich mich darüber als ein Zeichen ihrer Zuwendung gefreut: ‚… das Leben sein lassen!‘. Dass es mehr ist als das, erfahre ich jetzt. Ich ahne auch, dass du dahinter steckst, wie üblich, und glaube mir, ich bin dankbar dafür. Oft vergesse ich dich, bin von dir vollkommen abgeschnitten, doch dann merke ich irgendwie: Du bist da, du bist bei mir, meine Seele.“

„Das bin ich in der Tat und es wird der Moment für dich kommen, in dem du dich von mir nicht mehr unterscheiden musst. Im Augenblick des Eins-Seins, in dem du dich selbst als deine Seele erkennst und fühlst, weißt du, wer du wirklich bist. Unser Dialog ist ein Übergangsstadium, das durch deine Akzeptanz ermöglicht wird, eine Seele zu haben. In der vollkommenen Gewissheit deiner selbst ist dir beschieden, diese Seele zu sein. Du wirst dann in deiner Körperlichkeit, in deinem Dasein zum Ausdruck dieser Seele und bringst Liebe und Licht in die Welt, ohne etwas tun zu müssen. Dann ist die Seele, die du bist, nicht länger ‚deine‘ Seele. Du erfährst dich als untrennbarer Teil des Universums, des göttlichen Geistes hinter allen Formen.

Das ist kein Akt des Verstehens, sondern eine Erfahrung des fühlenden Erkennens jenseits des Verstands. Solange dich dein Verstand beherrscht, kann dieses Erkennen nicht stattfinden. Doch du bist auf einem guten Weg. Überlass dich ihm und sieh, was passiert.“

Ich fühle, wie sich eine dankbare Zustimmung in mir ausbreitet. Rings das lärmende Treiben und in mir der Frieden. Er vermittelt mir, dass jede Eile unnötig, jede Sorge überflüssig ist. Das Leben sein lassen, das ist die Wahrheit. Vielleicht ist es auch das Motto für meinen Weg. Langsam schiebe ich mein vollgepacktes Fahrrad über den Parkplatz. Da ist eine gute Stelle, ein Lampenmast, an dem ich das Rad mit dem Seilschloss sichern kann.

In einem Textilgeschäft kaufe ich noch einen Baumwollpulli, ein Sweatshirt, das ich beim Fahren gegen den Wind anziehen will. Mit dem kurzärmeligen T-Shirt ist es mir trotz meiner Weste zu kalt.

Ein Stück rechts von mir sehe ich eine Bäckerei und ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es bereits Mittagszeit ist. Ein Kaffee tut mir jetzt gut und die Butterbrezel dazu auch. Das heißt, ich habe nur die Brezel gekauft und eine Butterportion aus meinen Vorräten herausgefischt, die ich mit dem Klappmesser auftrage. Die Brezel schmeckt, auch wenn sie ein wenig zäh erscheint. Dass ich bei dieser Aktion mein schönes korsisches Klappmesser auf der Bank liegen lasse, fällt mir erst am Abend auf.

Das Leben sein lassen

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