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2.1 Schulforschung: Schule spielt keine Rolle – Schule spielt doch eine Rolle
ОглавлениеHistorisch und empirisch hat sich die Unterrichtsentwicklung als Mittel zur Veränderung herauskristallisiert. Um unser Verständnis von Unterrichtsentwicklung einzuordnen und zu klären, wird im Folgenden kurz skizziert, wie die Unterrichtsentwicklung historisch und empirisch zum zentralen Element der Schulentwicklung wurde, um die Schule und die Unterrichtspraxis zu verändern. Es hat wesentlich auch damit zu tun, dass sich die empirische Beforschung von Schule und Unterricht in dem, was sie genau und wie sie es untersucht, wandelt. Damit einher gehen andere Antworten auf die Frage, was eine gute Schule und guten Unterricht ausmacht.
Die gleichermassen einflussreiche wie kontrovers diskutierte Studie des US-amerikanischen Soziologen James S. Coleman in den 1960er-Jahren (Coleman et al., 1966) zu Fragen der Ungleichheit beziehungsweise Gleichheit von Bildungschancen kam zum Ergebnis, dass der Leistungsunterschied zu grossen Teilen auf den sozialen und familiären Hintergrund der Schülerinnen und Schüler zurückzuführen ist. Mit anderen Worten, Schulen haben im Verhältnis zu den Eltern wenig Einfluss auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Damit kam für eine Verbesserung der Situation auch nicht eine Veränderung von Schule und Unterricht in den Blick. Das Ergebnis basiert auf dem Einbezug von Schuleigenschaften wie zum Beispiel der Ausstattung der Schule, Ausgaben pro Schüler oder Gehälter, also inputseitige Faktoren auf der Ebene der Schule.
Untersuchungen zur Qualität von Schulen in den 1970er-Jahren – als Reaktion auf die Coleman-Studien – zeigten hingegen insbesondere grosse Unterschiede zwischen den Schulen auf, die auf Merkmale der einzelnen Schulen zurückgeführt wurden: Schule spielt also eine Rolle (z.B. Rutter, Maughan, Mortimore & Ouston, 1979; Mortimore, Sammons, Stoll, Lewis & Ecob, 1988). Dass die einzelne Schule als «pädagogische Handlungseinheit» hoch bedeutsam ist, fand breite Anerkennung (Fend, 1986). Forschungsmethodisch haben komplexere konzeptuelle Modelle, die Variablen auf den verschiedenen Ebenen des Schulsystems berücksichtigen, sowie die Weiterentwicklung statistischer Verfahren, insbesondere die Mehrebenenanalyse, dazu beigetragen (Teddlie & Stringfield, 2007; Scheerens, 2015).
Mit Begriffen wie «Schulethos» (Rutter et al., 1979), Schulkultur oder Schulklima (Fend, 1977, 1986; La Schoen & Teddlie, 2008) wurden sozioemotionale Merkmale einer Schule wie Werte, Normen und kollegiale Kooperation, die zur Schulqualität beitragen, beschrieben. Teddlie und Stringfield (2007) fassen aus verschiedenen Studien folgende neun Eigenschaften effektiver Schulen zusammen:
1 effektive Schulleitung («leadership»)
2 allgegenwärtiger Fokus auf das Lernen
3 positive Schulkultur
4 hohe und angemessene Erwartungen an alle
5 kontinuierliche Überwachung («monitoring») der Fortschritte auf allen Ebenen
6 effektiver Unterricht
7 produktiver und angemessener Einbezug der Eltern
8 Weiterentwicklung des Personals in der Schule
9 Betonen der Verantwortung und Rechte der Schülerinnen und Schüler
Solche Schuleffektivitätsstudien nahmen ihren Anfang in Grossbritannien und den USA und wurden dann auch im übrigen europäischen Raum übernommen (Creemers, 2007).