Читать книгу Leander und die Stille der Koje - Thomas Breuer - Страница 11

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Das Haus von Nahmen und Hilke Rickmers befand sich in Oldsum am Rande der Marsch, umgeben von einem üppigen Bauerngarten, der um diese Jahreszeit in voller Blütenpracht stand, und einem Friesenwall, der von einer sauber gestutzten Wildrosenhecke gekrönt wurde. Alles sah aus wie für die Zeitschriften Landliebe, Landlust oder Liebes­ Land gestylt und konnte unmöglich von den Besitzern allein in Schuss gehalten werden. Die Zufahrt hatte etwas Herrschaftliches. Statt über Pflaster oder Asphalt rollte der Wagen der Kriminalbeamten über weißen Kies. Das Haus selbst war groß, aber nicht protzig, und gediegen, aber nicht altmodisch. Es ruhte in seinem roten Backstein unter einem relativ frisch gedeckten, noch recht hellen Reetdach. Die Bewohner schienen ein gutes Gespür für den Balance-Akt zwischen Luxus und Bodenständigkeit zu haben. Alles hier strahlte Ruhe und Ordnung aus und ein angenehmes Gefühl von Sicherheit, was so gar nicht zu dem Anlass des Besuches der Kriminalbeamten passte.

Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, als sie aus dem Auto stiegen und auf die Haustür zusteuerten. Bennings drückte auf den Messingknopf neben der Friesentür und trat wieder einen Schritt zurück. Nur Sekunden später öffnete eine blonde Frau mittleren Alters und sah sie aus verweinten Augen an.

»Guten Tag«, begann Bennings vorsichtig. »Frau Rickmers?«

Die Frau nickte und trat wortlos zur Seite. Offensichtlich hatte sie mit ihrem Besuch gerechnet.

»Mein Name ist Bennings, das ist mein Kollege Dernau. Wir sind von der Mordkommission aus Flensburg.«

»Ich weiß, Torben hat mich eben angerufen und mir gesagt, dass Sie kommen.«

»Torben?«, hakte Dernau nach.

»Ja, Kommissar Hinrichs, Ihr Chef.«

Dernau wollte die Dienstgrade und Vorgesetztenverhältnisse korrigieren, aber Bennings, der seinen Kollegen nur zu gut kannte, gab ihm ein Zeichen, das jetzt zu unterlassen. Die Kriminalbeamten betraten das Haus und folgten Frau Rickmers durch eine marmorgeflieste Diele in ein geräumiges Wohnzimmer mit ebensolchem Bodenbelag. Der Raum war taghell und wies mit seinem bodenständigen Panoramafenster auf die Marsch hinaus. Von hier aus sah man nur ins Grüne, nichts verstellte den Blick.

»Was hat Ihnen unser Chef denn noch erzählt?«, erkundigte sich Bennings beiläufig, als sie auf dem Sofa gegenüber der Witwe Platz nahmen.

»Nichts sonst. Er war ja erst letzte Nacht hier und hat mir vom Tod meines Mannes …« Sie brach ab und mühte sich sichtlich, ihre Tränen in Schach zu halten.

»Wir werden Sie nicht lange stören, Frau Rickmers«, versprach Bennings, »aber wir haben ein paar dringende Fragen. Die ersten vierundzwanzig Stunden nach einer Tat sind nicht selten ausschlaggebend für den Gang und den Erfolg der Ermittlungen. Deshalb können wir Sie auch nicht länger schonen.«

»Ich verstehe das. Haben Sie denn schon eine Spur oder einen Verdacht?«

»Deshalb sind wir hier, Frau Rickmers. Wir brauchen Ihre Hilfe. Zum Beispiel wüssten wir gerne, warum Ihr Mann letzte Nacht in der Vogelkoje war.«

»Genau weiß ich das auch nicht. Er hat gesagt, er habe noch einen wichtigen Termin.«

»Einen Geschäftstermin?«

Hilke Rickmers zuckte mit den Schultern und antwortete zögernd: »Ja, vielleicht. Es kann aber auch sein, dass es mit seinem Posten im Hegering zu tun hatte. Er hatte oft abends Termine, und ehrlich gesagt, hat es mich nicht sehr interessiert, was das für welche waren. Aus geschäftlichen Dingen habe ich mich herausgehalten, und die Jagd interessiert mich nun wirklich nicht.«

»Hat sich Ihr Mann zu solchen Terminen immer an derart merkwürdigen Orten getroffen?«, schaltete sich nun Dernau in das Gespräch ein.

»Wieso merkwürdig?«

»Ja nun, so eine Vogelkoje ist spät abends doch eher ein ungewöhnlicher Ort für einen Geschäftstermin.«

»Wenn es ein Geschäftstermin war. Ich sagte doch, ich weiß nicht, was für einen Termin er hatte. Vielleicht war es ein Jagdtermin, und der könnte ja durchaus in der Koje stattgefunden haben.«

»Warum hat sich Ihr Mann denn überhaupt an so einem merkwürdigen Ort aufgehalten?«

»Nun, wegen der Enten doch, nehme ich an. Mein Mann war oft in der Vogelkoje, schließlich war er Interessent.«

»Er wollte die Vogelkoje kaufen?«, fragte Dernau erstaunt.

»Wieso kaufen?« Hilke Rickmers schüttelte verständnislos den Kopf.

»Nun, Sie sagten, er sei daran interessiert gewesen.«

»Nicht interessiert, Interessent. Das heißt, er war einer der Männer, die Anteile an der Koje haben und dort Enten fangen dürfen.«

Bennings und Dernau verstanden sichtlich kein Wort.

»Also«, erklärte Hilke Rickmers, »das ist so: Die Vogelkojen gehören nicht der Allgemeinheit oder einem einzelnen Besitzer, sondern sie gehören einem Kreis von Männern, die gleiche Anteile an den Fangquoten haben. Dafür teilen sie sich auch die Kosten der Instandhaltung. Diese Männer heißen traditionell Interessenten. Der Anteil ist erblich. Nahmen hat ihn von seinem Vater geerbt, und unser Sohn wird ihn nun von Nahmen erben.«

»Dann hatte Ihr Mann also jederzeit freien Zugang zu der Koje?«, fragte Bennings.

»Natürlich. Jeder Interessent hat seinen eigenen Schlüssel.«

»Also wollte Ihr Mann letzte Nacht Enten fangen, oder was?«, hakte Dernau etwas schnodderig nach.

»Das weiß ich auch nicht. Er war oft spät abends in der Koje. Was er da genau zu tun hatte, weiß ich nicht. Ich sagte Ihnen doch, ich interessiere mich nicht für die Jagd. Und gestern Abend hatte er einen Termin. Wenn der in der Koje stattgefunden hat, weiß vielleicht einer seiner Jagdfreunde etwas darüber.«

»Frau Rickmers«, fragte Bennings, »haben Sie einen Verdacht, wer etwas gegen Ihren Mann gehabt haben könnte?«

Hilke Rickmers wollte antworten, biss sich dann aber auf die Lippe und schüttelte den Kopf.

»Bitte, Frau Rickmers, wir sind auf Ihre Informationen angewiesen. Schließlich kennen wir uns mit den Verhältnissen hier auf der Insel nicht aus. Sagen Sie uns, was Sie denken.«

Hilke Rickmers schwieg mit gesenktem Blick.

»Sie haben doch einen Verdacht!«

In diesem Moment klingelte es an der Haustür. Hilke Rickmers ergriff die Chance und sprang auf. Als sie die Tür öffnete, hörten die Kommissare sie laut aufschluchzen.

Dann vernahmen sie eine beruhigende Männerstimme. »Hilke, es tut mir so leid. Wie konnte das nur passieren?«

Hilke Rickmers schien sich wieder gefasst zu haben, denn sie antwortete nicht auf die Frage, sondern sagte in beherrschtem Ton: »Komm rein, ich habe Besuch von der Polizei.«

Sekunden später kam sie gefolgt von einem Mann mittleren Alters, der trotz seiner eleganten Kleidung etwas grob wirkte, zurück ins Wohnzimmer.

»Das sind die Kommissare Bennings und … entschuldigen Sie, ich habe Ihren Namen vergessen.«

»Dernau.«

»Und das ist Brar Arfsten, ein guter Freund meines Mannes«, fuhr sie fort.

Bennings erhob sich und reichte Arfsten die Hand, Dernau nickte ihm mit verschränkten Armen zu.

»Wir sprachen gerade über Ihren Verdacht, Frau Rickmers«, setzte Bennings erneut an.

»Ich habe keinen Verdacht geäußert«, erklärte Hilke Rickmers in einem Tonfall, der deutlich machte, dass sich mit dem Erscheinen Brar Arfstens etwas grundlegend verändert hatte.

Die Kriminalbeamten blickten sich kurz an, dann wandte sich Bennings an Arfsten. »Und Sie, Herr Arfsten? Können Sie sich vorstellen, welchen Grund jemand gehabt haben könnte, Ihren Freund zu töten?«

Jetzt blickten sich Arfsten und Hilke Rickmers kurz an, dann brach es aus ihm heraus: »Natürlich habe ich das. Das können nur diese Spinner gewesen sein, dieser Wiese und seine Verbrecherbande.«

»Langsam, Herr Arfsten. Wir sind nicht von der Insel und kennen uns deshalb nicht aus. Wer ist Wiese, und von was für einer Bande reden Sie da?«

»Na, diese Elmeere-Spinner. Und Wiese ist der Vorsitzende von dem Verein. Die richten hier noch alles zugrunde mit ihrer sogenannten Renaturierung. Und wir Bauern gucken in die Röhre. Aber das haben die sich so gedacht. Jetzt ist der Bogen überspannt.«

»Sie müssen uns das erklären, Herr Arfsten. Wie gesagt, wir sind nicht von hier.« Bennings war immer noch die Ruhe selbst, während Dernau sichtlich unruhig wurde; aber sein Einsatz war noch nicht gekommen, noch war Bennings an der Reihe.

Brar Arfsten und Hilke Rickmers sahen einander erneut an, als wären sie sich darin einig, dass diese Typen vom Festland allesamt nichts taugten. Hilke Rickmers machte nun einen fast entspannten Eindruck, so als habe sie mit dem Erscheinen Arfstens die Regie für alles Weitere abgegeben.

»Gut«, sagte Arfsten gnädig. »Dann noch mal ganz langsam zum Mitschreiben. Wir Bauern haben auf einer Insel nur eine begrenzte Fläche zur Verfügung, die wir landwirtschaftlich nutzen können. Wenn dann diese Ökospinner kommen und das bisschen Land aufkaufen, unter Wasser setzen und verwildern lassen, damit sich dort Gänse und anderes Flatterzeug fröhlich vermehren können, bleibt für die Landwirtschaft nichts mehr übrig. Das bedroht unsere Existenz und die Versorgungssicherheit der Insel.«

»Aha«, reagierte Bennings, um die Richtung des Gespräches wieder in die Hand zu nehmen. »Und dieser Herr Wiese ist so ein Ökospinner?«

»Genau. Der sammelt Spenden von ahnungslosen Urlaubern, die ganz begeistert sind von so viel Natur und dann auch noch Mitglieder in seinem Verein werden. Und von dem Geld kauft er eine Fläche nach der anderen auf. Demnächst gehört denen die ganze Insel und wir können sehen, wo wir bleiben.«

»Wer verkauft ihm das Land denn, wenn es sich um knappes Bauernland handelt?«

»Sagen Sie mal, Sie verstehen wirklich absolut gar nichts von Ackerbau und Viehzucht, was?«, empörte sich Arfsten, wurde aber gleich wieder zahmer, als sich Dernau einen Schritt auf ihn zu bewegte. »Auf Föhr hat es früher über hundert Landwirte gegeben. Naturgemäß fast alles kleine Höfe. Aber von so einem Kleinbetrieb kann heute niemand mehr existieren, also wandern die Bauern ab aufs Festland oder funktionieren ihre Höfe um zu Ferienhöfen. Für die paar Ponys, mit denen die dann Urlauberbälger durch die Gegend führen, brauchen sie nicht mehr als eine Weide. Dann werden die übrigen Acker- und Weideflächen halt zum Kauf angeboten. Will sich ja niemand mehr die Finger dreckig machen, wenn man statt der Kühe heute die Touristen so viel leichter melken kann. Und dann kommt Elmeere und kauft das Land auf.«

»Warum kaufen Sie die Flächen nicht, ich meine die Landwirte, die weitermachen wollen?«

»Weil wir keine milden Spender haben, die uns das Geld dafür geben. Wir können nicht jeden Preis zahlen. Außerdem muss das Land dann ja auch bestellt werden, und dazu braucht man Leute.«

»Das heißt also, das Land ist für euch Landwirte eh zu viel«, erklärte Dernau mit provokantem Unterton. »Worüber regt ihr euch dann auf?«

»Mann«, fuhr Arfsten ihn an, »weil dieses Land dann für uns für alle Zeiten verloren ist. Wenn es erst einmal von der Entwässerung abgeklemmt ist und unter Wasser steht, werden wir es uns nie mehr leisten können, es wieder trockenzulegen und zu bewirtschaften. Und es sind ja nicht nur die Landwirte, die dadurch geschädigt werden, die Jäger sind auch stinksauer. Fragen Sie Hilke mal – ich meine Frau Rickmers – fragen Sie sie mal, was ihr Mann für ein Theater hatte, wenn er in seinem eigenen Revier jagen wollte.«

Bennings sah Hilke Rickmers herausfordernd an.

»Na ja«, ging die auf seinen Blick ein, »es stimmt schon, was Brar sagt. Die Entenjagd ist traditionelles Kulturgut auf Föhr. Aber in letzter Zeit flüchten sich die Tiere in die sicheren renaturierten Bereiche. Und wenn die Jäger sie über den angrenzenden Wiesen abschießen, gibt es Ärger, weil das angeblich die brütenden Vögel aufscheucht und vertreibt.«

»Sie hätten mal erleben müssen, was ich für ein Theater wegen meiner Kanonen gehabt habe. Die Viecher gehen gerne mal ins Saatgut; klar, ist ja leichtes Futter. Also habe ich Druckkanonen auf meinen Äckern aufgestellt, um die Biester zu verjagen. Angezeigt hat der Wiese mich, der Dreckskerl. Das Ordnungsamt war da. Wenn ich weiterhin die brütenden Vögel auf den angrenzenden Flächen aufscheuche, muss ich hunderttausend Euro Strafe zahlen. Hunderttausend Euro! Das ist doch irre! Dass wir demnächst verhungern, weil wir kein Korn mehr ernten, ist egal, solange die Austernfischer nur ausreichend Nachwuchs kriegen.«

»Tja, das ist ja alles ganz interessant«, erklärte Dernau, »aber was hat das mit dem Mord zu tun? Warum sollte dieser Herr Wiese Ihren Freund Rickmers erschlagen? So wie Sie die Sachlage schildern, war er doch klar im Vorteil und hatte überhaupt kein Motiv.«

»Dem ist alles zuzutrauen!«, antwortete Brar Arfsten zunächst ganz allgemein, fuhr dann aber fort, als er Bennings’ Stirnrunzeln sah: »Weil Nahmen sich das nicht gefallen lassen hat. Der hat mit seinen Leuten trotzdem gejagt und über die Kreisjägerschaft Druck gemacht. Zum Glück jagen die Herren in der Kieler Regierung auch ganz gerne und haben ein offenes Ohr für unsere Probleme. Sie hätten mal erleben müssen, wie Wiese mit Nahmen rumgetobt hat, als aus Kiel das Aus für seinen Naturerlebnishof kam. Der wollte seine Wasserflächen den Touristen zeigen und ihnen mit Kaffee und Kuchen das Geld aus der Tasche ziehen, nur um dann noch mehr Land unter Wasser setzen zu können. Aber dafür hat er keine Genehmigung bekommen. Das hat Nahmen immerhin erreicht. Ist doch klar, dass Wiese sauer auf ihn war.«

»Also, Herr Arfsten, Sie beschuldigen Herrn Wiese des Mordes. Ist das nur eine Vermutung, oder haben Sie dafür auch handfeste Beweise? Wenn nicht, muss ich Sie warnen: Das ist ein verdammt schwerer Vorwurf, den Sie da erheben.«

Bennings zückte demonstrativ seinen Block, um sich nun die entscheidenden Notizen zu machen. Derartige Beschuldigungen kannte er zur Genüge, deshalb hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, etwas auf den Busch zu klopfen, um einschätzen zu können, ob die Wut oder der Verstand die Mutter beziehungsweise der Vater des Gedankens war.

»Langsam, Herr Kommissar«, begehrte Arfsten auf. »Sie waren es, der nach meinem Verdacht gefragt hat. Ich habe Ihnen gesagt, mit wem Nahmen Streit hatte, mehr nicht.«

»Sie haben also keine Beweise?«

»Ich war nicht dabei, wenn Sie das meinen!«

»Nicht?«, hakte Dernau nach und warf einen Seitenblick auf Hilke Rickmers, die erschrocken zusammenzuckte. »Frau Rickmers hat uns erzählt, dass ihr Mann einen Termin hatte. Hatte er den zufällig mit Ihnen, um das weitere Vorgehen gehen diesen Verein abzusprechen? Wo waren Sie denn, als Herr Rickmers erschlagen wurde?«

»Das ist ja wohl der Gipfel. Bin ich jetzt verdächtig?«

»Nur, wenn Sie kein Alibi für die Tatzeit haben«, erklärte Bennings ruhig.

»Ich weiß nichts von Nahmens Terminen. Mit mir hatte er jedenfalls keinen. Wenn wir etwas zu besprechen haben … hatten, trafen wir uns immer hier oder auf meinem Hof. Und gestern Abend war ich bis spät in die Nacht im Oldsumer Krug und habe Skat gespielt. Der Wirt kann das bezeugen, und Hein Frerich und Malte Ottensen auch, meine Skatbrüder.«

»Und Sie, Frau Rickmers? Entschuldigen Sie, wir müssen das fragen.«

»Ich war hier zu Hause, zusammen mit meinem Sohn.«

»Wie war Ihre Ehe, Frau Rickmers?«, wechselte Bennings das Thema.

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, waren Sie glücklich verheiratet?«

»Natürlich! Im nächsten Jahr hätten wir Silberhochzeit, wenn …«

»Gab es im Leben Ihres Mannes andere Frauen?«

»Nein!«

»Sicher?«

»Ja!«

»Und Sie, Frau Rickmers?«, mischte sich Dernau jetzt ein. »Wie ist das bei Ihnen?«

»Jetzt reicht es ja wohl!«, donnerte Brar Arfsten.

»Sagen Sie mal, Herr Arfsten, warum regen Sie sich jetzt so auf?«, erkundigte sich Dernau grinsend.

»Wie meinen Sie das?«

»Wessen Freund waren Sie noch mal? Der von Herrn Rickmers oder doch eher der Freund seiner Frau?«, schob Dernau nach.

»Das ist ja wohl eine Unverschämtheit!«, brüllte Arfsten und lief dunkelrot an. »Das wird Folgen für Sie haben. Ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten beschweren!«

»Bei Herrn Hinrichs?«, fragte Dernau lachend.

»Wollen Sie nicht die Frage meines Kollegen beantworten?«, wandte sich Bennings in ruhigem Ton an Hilke Rickmers.

»Herr Arfsten ist ein Freund der Familie«, erklärte sie. »Reicht das?«

»Gut, wir werden Ihre Alibis überprüfen. Jetzt würden wir gerne mit Ihrem Sohn sprechen.«

»Maarten ist nicht da.«

»Wann kommt Ihr Sohn nach Hause?«

»Keine Ahnung. Eigentlich müsste er längst hier sein, aber der Tod seines Vaters hat ihn sehr getroffen. Ich nehme an, dass er bei Freunden ist, um Trost zu suchen.«

»Eine letzte Frage noch, Frau Rickmers.« Bennings schaute sie durchdringend an. »Ihr Mann hat Ihre Fleischereikette geleitet. Von Herrn Hinrichs wissen wir, dass Sie sich da weniger engagiert haben, und Sie haben das ja eben auch bestätigt. Können Sie sich vorstellen, dass sein Tod etwas mit dem Geschäft zu tun hat?«

»Unsinn«, antwortete Hilke Rickmers entschieden. »Was soll das denn miteinander zu tun haben? Die Läden laufen gut, wir achten darauf, dass wir nur bestes Fleisch einkaufen. Außerdem hat mein Mann ja schon länger kaum noch etwas mit dem Tagesgeschäft zu tun. Wir haben eine Geschäftsführerin, der wir vollständig vertrauen. So konnte sich mein Mann intensiv um seine Position in der Jägerschaft kümmern. Er hatte da noch Ambitionen.«

»Davon haben wir gehört«, lenkte Bennings ein. »Dann sind Ihre Geschäfte ja nun nicht gefährdet, nachdem Ihr Mann sie nicht mehr leiten kann.«

»Nein, Frau Olsen ist sehr selbstständig. Mit ihr haben wir großes Glück. Die Läden laufen sehr gut und werden von Jahr zu Jahr gewinnbringender. Nach dem Abitur soll mein Sohn Betriebswirtschaft studieren und dann bei uns einsteigen. Er wird sich, wie man so schön sagt, in ein gemachtes Nest setzen.«

»Gut, Frau Rickmers. Das war es zunächst einmal. Wir werden uns morgen wieder melden«, sagte Bennings und erhob sich. »Und mit Herrn Wiese werden wir selbstverständlich auch reden.«

Als sie hinausgingen, grinste Dernau Brar Arfsten an, als wollte er sagen: ›So, nun tröste du mal schön die Witwe.‹

Der drehte sich zum Fenster und blickte starr hinaus in die Marsch, ohne den Abschiedsgruß der Polizisten zu erwidern. Auch Hilke Rickmers hatte es sehr eilig, die Haustür hinter ihnen zu schließen.

»Warte mal«, sagte Dernau und huschte um die Hausecke herum, um kurz darauf siegreich grinsend zurückzukommen. »Sag ich ja, sie liegen sich in den Armen.«

»Das muss nichts heißen. Er ist ein Freund ihres Mannes.«

»Klar, und Kinder bringt der Klapperstorch. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass in Rickmers’ beruflichem Umfeld schon wieder eine Frau ins Spiel gekommen ist?«

»Diese Frau Olsen, ja. Sollte mich nicht wundern, wenn beide Ehepartner ihre Abwechslung gesucht haben. Aber wohin führt uns das? Arfsten hat wahrscheinlich ein Alibi.«

»Die Olsen vielleicht nicht«, hoffte Dernau.

Die Kommissare setzten sich in ihr Auto und fuhren zurück zur Wache.

Dort erwartete sie bereits Oberkommissar Hinrichs in schwerer Gemütserregung, die er trotz heftigen Bemühens nicht verbergen konnte. Dernau hatte sichtlich Spaß an der tiefroten Gesichtsfarbe des Inselpolizisten und daran, dass seine Stimme ziemlich gepresst klang, so als müsse er sich beherrschen, um nicht loszubrüllen.

»Was machen Sie denn schon wieder hier?«, fragte Bennings. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen sich ausruhen?«

»Ausruhen, ausruhen! Wie soll ich das denn machen, bei dem Theater hier auf der Insel?! Schließlich bin ich hier verantwortlich. Das Telefon steht nicht still«, erklärte er mühsam und wenig überzeugend. »Zuerst hat der Bürgermeister angerufen und wollte wissen, wer Nahmen Rickmers umgebracht hat. Er war stinksauer, als ich es ihm nicht sagen konnte. Sie sollen sofort zurückrufen, wenn Sie wieder da sind.« Er schob Bennings den Schwenkarm mit dem Telefon über den Schreibtisch und starrte ihn abwartend an.

»Später«, erklärte Bennings leichthin und schwenkte das Telefon wieder zurück.

»Aber, der Bürgermeister …«

»Tangiert mich im Moment extrem peripher«, stellte Bennings klar.

Als Dernau Hinrichs’ ratloses Gesicht bemerkte, übersetzte er beiläufig: »Geht ihm am Arsch vorbei.«

»Interessiert mich im Moment nur sehr am Rande«, korrigierte Bennings. »Sie waren dabei, uns Bericht zu erstatten. Also, fahren Sie fort.«

Hinrichs brauchte einen Moment, um die Unverschämtheit dem Bürgermeister gegenüber zu verarbeiten. »Gut«, begann er dann mühsam wieder und räusperte sich, »eben hat Hilke Rickmers angerufen. Sie war etwas, wie soll ich sagen …«

»Sauer?«, half Dernau grinsend aus.

»Genau«, brauste Hinrichs wieder auf, »weil Sie ihr ein Verhältnis mit Brar Arfsten unterstellt haben.«

»Das haben wir zwar so ausdrücklich nicht, aber ich finde es nett, dass sie es uns auf die Weise bestätigt«, kommentierte Bennings. »Noch etwas?«

»Ja, Arfsten hat kurz danach angerufen und mich gefragt, wann ich endlich etwas gegen diesen Wiese unternehme, wenn der jetzt schon unbescholtene Leute umbringt, nur weil sie nicht seiner Meinung sind.«

»Aha, und hat Ihnen Herr Arfsten auch die nötigen Beweise geliefert?«

»Äh, nein, nicht direkt.«

»Was hat er denn indirekt an Beweisen zur Hand?«

»Äh, nun ja, Drohungen, und … Tja, das weiß doch jeder, dass Wiese den Rickmers gehasst hat.«

»Soso, weiß das jeder? Das ist aber kein Beweis. Beim nächsten Mal weisen Sie Herrn Arfsten bitte darauf hin, dass üble Nachrede strafbar ist. Noch etwas?« Bennings drehte sich zu seinem Büro um, als erwarte er nicht wirklich weitere Neuigkeiten.

»Sagen Sie mal, Herr Kollege, was ist eigentlich los hier auf der Insel?«, erkundigte sich Dernau mit lauerndem Unterton. »Was ist das für ein Kampf zwischen Rickmers, Arfs­ten und Wiese?«

»Ach, der Wiese zerstört die Existenzgrundlage der Bauern hier – kauft ihr Land auf und setzt es unter Wasser. Und ständig erstattet er irgendwelche Anzeigen, weil angeblich ein Landwirt mit Druckkanonen die Gänse aufscheucht oder ein Jäger über Elmeere-Flächen Vögel abschießt. Gestern musste der beste Zuchtbulle seines Nachbarn auf einer seiner Flächen abgeschossen werden, nur weil er die Vögel aufgescheucht hat. Und letzte Woche soll sogar jemand einen Anschlag auf ihn verübt haben.«

»Was denn für einen Anschlag?«, erkundigte sich Bennings und wandte sich wieder dem Inselpolizisten zu.

»Irgendjemand hat ihn angeblich in der Marsch in den Graben gedrängt. So ein Quatsch! Ich sage Ihnen, der ist einfach selber in den Graben gefahren.«

»Warum sollte er das denn machen?«

»Um seine Gegner anschwärzen zu können. Glauben Sie mir, das ist so einer. Die kommen vom Festland hierher und müssen sich irgendwas beweisen, und das auf unsere Kosten.«

»Herr Wiese ist nicht von der Insel?«, hakte Bennings nach.

»Nein, der kommt vom Festland«, wiederholte Hinrichs. »Hat hier eine Pension geerbt und ein paar Appartements gebaut und ruht sich jetzt auf dem Geld aus. Ein Schmarotzer, der noch nie richtig gearbeitet hat, wenn Sie mich fragen.«

»Gut, da Sie ja offenbar keine Ruhezeit benötigen, fahren Sie jetzt los und holen mir diesen Wiese her. Immerhin ist er unser einziger konkreter Anhaltspunkt bisher.«

»Wer? Ich? Warum ich?«, stotterte Hinrichs.

»Weil Sie der Oberkommissar sind und ich der Hauptkommissar, und weil ich, der Hauptkommissar, Ihnen, dem Oberkommissar, das sage«, erklärte Bennings seelenruhig.

»Sie haben mir gar nichts zu sagen«, begehrte Hinrichs auf. »Ich bin der Kripo nicht unterstellt. Holen Sie sich den Kerl doch selber.«

»Da hat er jetzt auch wieder recht«, stimmte Bennings an Dernau gewandt ironisch zu.

»Der hat doch nur Schiss«, stellte Dernau hämisch grinsend in Bennings’ Richtung fest.

»Herr Hinrichs, es wäre nett, wenn Sie unsere Arbeit unterstützen und uns den Verdächtigen zuführen könnten. Sie können gerne einen Ihrer Kollegen mitnehmen, wenn Sie alleine zu viel Angst vor dem skrupellosen Mörder haben«, meinte der beiläufig.

Hinrichs murmelte etwas Unverständliches, das alles andere als freundlich klang, gab seinen Widerstand jedoch auf, nahm seine Jacke und winkte seinem Kollegen Groth, der ihm geduckt zum Streifenwagen folgte.

»Gib mir mal das Telefonbuch«, forderte Bennings Dernau auf. »Dann werde ich jetzt den Boss der Insel anrufen.« Er angelte sich das Telefonbuch aus Dernaus Hand über den Schreibtisch heran, blätterte auf die Amtsseite und wählte die Nummer des Bürgermeisterbüros. Von der Sekretärin ließ er sich durchstellen und hatte Sekunden später den aufgebrachten Bürgermeister am Ohr.

»Sagen Sie mal, Herr Bennings«, dröhnte der auch sofort los. »Was treiben Sie eigentlich auf meiner ruhigen Insel? Eben hat sich der Bauernvorsitzende bei mir beschwert, dass Sie sich benehmen wie eine Besatzungsarmee.«

»Woher weiß Herr Arfsten – ich nehme doch an, dass er der besagte Vorsitzende ist – woher weiß er denn, wie sich eine Besatzungsarmee benimmt?«, erkundigte sich Bennings in ruhigem Ton.

»Was? Was soll das denn heißen? Wollen Sie mich jetzt auch noch verarschen? Sie konfrontieren unbescholtene Bürger mit Ihren abstrusen Vorwürfen und wollen jetzt auch noch frech werden?«

»Also, Herr Bürgermeister, nur, damit das ganz klar ist und wir uns in Zukunft nicht falsch verstehen: Was Sie abstruse Vorwürfe nennen, nenne ich Verdachtsmomente, und Ihr unbescholtener Bürger steht immerhin auf der Liste meiner Verdächtigen. Und frech wird hier im Moment nur einer, nämlich Sie.« Bennings’ Stimme nahm an Lautstärke zu. »Was fällt Ihnen ein, mich so anzukaspern? Ich bin nicht Ihr Untergebener, mein Dienstvorgesetzter ist der Polizeipräsident in Flensburg, und dann kommt der Innenminister in Kiel. Der Wyker Bürgermeister steht in dieser Hierarchie ja wohl eher ganz unten und kommt in der Kette der Polizeivorgesetzten überhaupt nicht vor, oder täusche ich mich da? Haben Sie sonst noch Fragen? Ich erwarte nämlich einen weiteren Verdächtigen zum Verhör und lasse mich ungern in meiner Arbeit behindern.«

»Das ist unerhört, Sie … Das haben Sie nicht umsonst gemacht, das sage ich Ihnen, ich werde mich über Sie …«

Bennings legte den Hörer auf und hatte sichtlich Mühe, sich wieder zu beruhigen. »Was bilden sich diese Provinzfürsten hier eigentlich ein?«, fragte er gequetscht.

»Ruhig, Brauner, ruuuuhig!«, antwortete Dernau besänftigend. »Brrrrrr!«

In dem Moment wurde es draußen in der Wachstube laut. Sekunden später führte Oberkommissar Hinrichs einen stämmigen Mann mittleren Alters mit grauen Haaren und einem ebensolchen Vollbart in Handschellen in das Büro.

»So«, tönte er. »Da wäre dann der Verdächtige Wiese. Wollte sich der Festnahme widersetzen, da musste ich andere Maßnahmen ergreifen.« Stolz deutete er auf die Handschellen.

»Sind Sie für diese Schweinerei verantwortlich?«, schimpfte Wiese und hob seine gefesselten Hände an.

»Sagen Sie mal, Hinrichs, sind Sie eigentlich irre?«, donnerte Bennings los. »Nehmen Sie dem Mann sofort die Handschellen ab, sonst können Sie was erleben!«

»Aber … aber …«

»Los!«, brüllte Bennings und stützte sich drohend mit beiden Händen auf seinen Schreibtisch.

Hinrichs fummelte die Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss die Handschellen auf.

»Und jetzt raus! Oder warten Sie. Herr Wiese, möchten Sie einen Kaffee oder etwas anderes? Herr Hinrichs holt Ihnen alles, was Sie möchten. Herr Hinrichs hat nämlich jetzt einiges wiedergutzumachen. Herr Hinrichs kann froh sein, wenn Sie keine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn einlegen. Ich an Ihrer Stelle würde das nämlich machen.«

»Ein Cappuccino wäre mir recht«, antwortete Wiese grinsend. »Aber mit Milch, nicht mit Sahne. Die Figur, Sie verstehen?«

»Cappuccino haben wir nicht«, erklärte Hinrichs trotzig.

»Dann holen Sie einen. Es gibt doch bestimmt ein Café hier in der Nähe«, antwortete Dernau und schob den Oberkommissar aus dem Büro. »Und wehe, der Cappuccino ist kalt, wenn Sie ihn servieren!«

Oberkommissar Hinrichs setzte seine Mütze auf und trottete fluchend davon.

»Bitte entschuldigen Sie das Vorgehen unseres … Kollegen«, sagte Bennings freundlich und wies auf einen Stuhl.

Wiese nahm Platz und grinste. »Der ist so blöd, dass ihn nicht mal mehr die Schweine beißen, aus Angst, sie könnten sich an Schweinepest infizieren. Obwohl BSE sogar noch näherliegend ist. Oder war das jetzt Beamtenbeleidigung?«

»Nur wenn das jemand hört. Hast du etwas gehört?«, erkundigte sich Bennings bei Dernau.

»Hätte ich das, müsste ich es positiv kommentieren«, antwortete der.

»Nun, Herr Wiese«, wechselte Bennings das Thema, »dann kommen wir mal zur Sache …«

Der geschmähte Oberkommissar hatte inzwischen die Zentral­station verlassen, ohne seinen grinsenden Untergebenen in der Wachstube Beachtung zu schenken. Sicher, er hätte sich über die Anordnung dieser Idioten aus Flensburg hinwegsetzen und Groth oder Jensen schicken können, um den Cappuccino zu holen. Aber insgeheim war er froh, für einige Zeit außer Hör- und Sichtweite zu gelangen, um ungestört nachdenken zu können.

So eine beschissene Situation hatte es in seiner bisherigen Laufbahn nur sehr selten gegeben, und bisher war alles immer halb so wild gewesen, weil nie etwas davon abgehangen hatte. Jetzt aber war das anders. Hinrichs wartete seit Monaten auf die ausstehende Beförderung zum Hauptkommissar. Eigentlich hätte er sie schon bekommen müssen, als er Dienststellenleiter geworden war, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund war er nur zum Oberkommissar befördert worden.

Hinrichs hatte zu keiner Zeit Zweifel an seiner Befähigung für diesen Posten gehegt, im Gegenteil, er fühlte sich zu noch Höherem berufen. Aber Ture Jacobsen, sein Bürgermeister, hatte behauptet, trotz seiner privaten Beziehungen ins Innen­ministerium in Kiel nicht mehr herausholen zu können. Sicher lag das allein an Jacobsens beschränktem Einfluss. Er selbst, Torben Hinrichs, hatte ja gar keine Chance gehabt, sich entsprechend zu profilieren. Was geschah auf so einer verschlafenen Nordseeinsel denn schon groß, dass man in Kiel auf ihn aufmerksam werden konnte? Wie sollte er sich durch erfolgreiche Arbeit selbst empfehlen können, wenn nicht einmal ein gescheiter organisierter Fahrraddiebstahl auf Föhr aufgezogen wurde?

Der Mord an Nahmen Rickmers war seine Chance, oder besser, er hätte seine Chance sein können, zu beweisen, was in ihm steckte. Wie beherzt hatte er doch gleich nach dem Auffinden des Toten in der Vogelkoje gehandelt! In dieser für die meisten Polizisten einfach nur unüberschaubaren Situation hatte er sein Revier im Griff gehabt und zwischen den Vorschriften und der Fürsorgepflicht seinen Insulanern gegenüber geschickt abgewogen. Jeder andere Depp hätte die Leiche einfach so liegen gelassen, wie er sie vorgefunden hatte. Da hätten die Festlandskollegen doch gleich falsche Schlüsse gezogen oder, falls sie richtige gezogen hätten, ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Stellung des Toten das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Diese Formulierung, die Hinrichs da gerade durch den Kopf gegangen war, gefiel ihm, weil sie seine ganze Verachtung für die unsensible Art der beiden Flensburger Kripo-Leute enthielt. Während er an den Schwimmstegen des Yachthafens vorbeischlenderte, glitt ein Grinsen über Hinrichs’ Gesicht, und für einen Moment war er fast schon wieder versöhnt mit seinem Schicksal.

Doch als er darüber nachdachte, dass Bennings und Dernau ihm geradezu die Chance auf eine Beförderung kaputtmachten, stieg die kalte Wut wieder in ihm hoch. Was bildeten sich diese Idioten eigentlich ein? Niemals würden sie hinter die Geheimnisse der Insel kommen, kein Mensch würde mit ihnen so reden wie mit einem einheimischen Polizisten, den die Insulaner als einen der ihren wahrnahmen, als denjenigen, der Recht und Ordnung in ihrem Sinne aufrechterhielt und dabei auch einmal fünf gerade sein ließ. Er, Torben Hinrichs, wog genau ab, bevor er das Gesetz gegen einen seiner Fehringer anwandte. Da konnte es auch schon einmal bei einer Verwarnung bleiben, wenn eigentlich nach den Buchstaben des Gesetzes eine Anzeige fällig war. Da drüben zum Beispiel, der Krabbenkutter, der jetzt am Yachthafen vorbeituckerte und dabei weit in die Schutzzone 1 vordrang, obwohl die niemand betreten durfte: Sollte er sich dessen Kennung nun aufschreiben und gleich ein Bußgeldverfahren eröffnen? Nein, natürlich galt es hier abzuwägen. Der Kutter verfuhr schon die Hälfte des Erlöses vom heutigen Fang an Diesel. Wenn der Fischer jetzt auch noch Strafe zahlen musste, konnte er niemals auf einen grünen Zweig kommen. Zudem waren die offiziellen Fanggründe ohnehin schon so überfischt, dass man eben nur in den geschützten Bereichen überhaupt noch etwas fangen konnte. So etwas musste man wissen, dann konnte man auch entsprechend rücksichtsvoll handeln. Jeder Festlandsdepp hätte das doch gar nicht begriffen.

Aber noch war nichts verloren: Er würde weiter den unterbelichteten Inselbullen geben, sich dabei ein wenig herumschubsen lassen und im Hintergrund dafür sorgen, dass die Dinge nicht aus den Fugen gerieten. Sollten die Flensburger ihn ruhig für blöd halten. Im Grunde war das sogar ganz nützlich und verschaffte ihm einen nicht unerheblichen Spielraum. Und später, wenn alles vorbei war, würde er Hilke Rickmers und Ture Jacobsen die Rechnung für seine Diskretion und überlegte Handlungsweise präsentieren. Dann war ihm der Hauptkommissar sicher – wenn nicht sogar mehr.

Hinrichs näherte sich nun dem Café Klein Helgoland, das wie immer bei diesem Wetter draußen keinen freien Platz mehr bot. Also schob er sich durch die Urlauber zwischen den Tischen hindurch in den Gastraum und rief Jupp hinter der Theke seine Bestellung zu. Der nickte nur, ohne aufzusehen, drehte sich um und gab sie zur Durchreiche in die Küche weiter. Zwei Minuten später verließ Hinrichs mit zwei Bechern Cappuccino das Lokal, wühlte sich wieder durch bis zum Radweg unterhalb des Deiches und setzte sich auf eine der Stufen, die zum nächsten Schwimmsteg hinunterführten.

Jetzt erst mal ausruhen, dachte er, nur nicht übereilt zurück rennen. Der Wiese konnte auf seinen Cappuccino ruhig etwas warten. Bei dem Gedanken wurde Torben Hinrichs jedoch etwas mulmig zumute, weil er ahnte, was passieren würde, wenn Wiese sich über den kalten Kaffee beschwerte. Und dem Wiese war das zuzutrauen. Wenn der jemandem eins auswischen konnte, dann tat er es. Und ihn, Hinrichs, hatte der ohnehin auf dem Kieker, weil der Oberkommissar nicht jedes Kinkerlitzchen weiterverfolgte, das der anzeigte. So weit kam das noch, dass die wahren Steuerzahler hier, die Jäger und die Landwirte, ein Bußgeld nach dem anderen zahlen mussten, nur weil dieser Idiot Wiese ihnen ständig auflauerte und jedes kleine Vergehen gleich zur Anzeige brachte. Es wurde höchste Zeit, dass dem endlich einer das Handwerk legte!

Hinrichs nahm einen großen Schluck aus seinem Cappuccino­-Becher und stellte fest, dass die braune Pampe wirklich schon nicht mehr so ganz heiß war. Einen Moment lang kämpfte er noch gegen seinen inneren Schweinehund, verlor aber haushoch und machte sich so wieder auf den Rückweg in die Höhle des Löwen.

Dieser Wiese war ohnehin hochgradig verdächtig, dachte Hinrichs nun. Bestimmt erzählte der den beiden Kommissaren gerade das Blaue vom Himmel herunter. Es war ein nicht wiedergutzumachender Fehler, ihn, Torben Hinrichs, nicht zu der Vernehmung hinzuzuziehen. Niemand kannte den rasenden Naturschützer so gut wie er. Niemand wusste, wozu der Mann fähig war, wenn es um das Leben seiner scheiß Viecher ging. Er hätte fast den vollen Cappuccino-Becher in seiner rechten Hand zerknüllt statt den leeren in der linken. Zum Glück merkte er es noch rechtzeitig und schleuderte den zerknüllten leeren Becher in den nächsten Papierkorb.

Hinrichs dachte sich wieder in Rage. Wenn er die Leitung der Ermittlungen behalten hätte – in diesem Moment vergaß er, dass er niemals die Leitung gehabt hatte –, dann wäre der Fall schon abgeschlossen. Wiese oder Baginski, einer von beiden war der Mörder, da bestand für ihn überhaupt kein Zweifel. Die musste man nur richtig anfassen, dann hätte man mit Sicherheit im Handumdrehen ein Geständnis. Vielleicht sogar zwei, dachte er plötzlich. Natürlich, dieser Baginski war ein fanatischer Naturfotograf. Und Wiese war ein fanatischer Naturschützer. Was, wenn Wiese den Baginski angeheuert hatte, um Rickmers zu töten? Genau! Und der hatte dann Muffe gekriegt, als er die Leiche vor sich liegen hatte. Und um nicht unter Verdacht zu geraten, hatte er die Polizei gerufen. Vielleicht hatten Wiese und Baginski den Mord sogar gemeinschaftlich verübt.

Hinrichs war aufgewühlt, als er nun mit dem Cappuccino in der Hand die Zentralstation betrat. Er stellte den Becher vor Olufs auf den Tisch und deutete mit dem Kopf in Richtung Vernehmungszimmer. So weit kam das noch, dass er für Wiese den Kellner spielte!

»Schieb das Ding aber vorher kurz in die Mikrowelle«, riet er seinem Untergebenen.

Kaum hatte Hinrichs schmollend den Raum verlassen, um den bestellten Cappuccino zu holen, hatte Dieter Bennings die Befragung in versöhnlichem Ton begonnen: »Herr Wiese, nur damit Sie das hier nicht missverstehen, Sie sind selbstverständlich nicht festgenommen, und das ist auch kein Verhör. Es handelt sich lediglich um eine Befragung, zu der wir Sie hergebeten haben. Wir haben Hinweise bekommen, dass Sie und Herr Rickmers, von dessen Tod Sie ja sicher schon gehört haben, vor dessen Ableben Streit hatten.«

»Streit? Das trifft die Sache nicht annähernd. Rickmers hat Krieg gegen meinen Verein Elmeere und auch gegen mich persönlich geführt. Und dabei war ihm jedes Mittel recht. Wenn Ihre Frage aber dahin geht, ob ich etwas mit seinem Tod zu tun habe, dann muss ich das verneinen. Ich bin Naturschützer, wissen Sie, und als solcher ist man Pazifist, jedenfalls gemessen an den militanten Methoden der Umweltzerstörer, wie Rickmers und Arfsten.«

»Machen wir es kurz, Herr Wiese. Wo waren Sie gestern Abend zwischen zweiundzwanzig und ein Uhr nachts?«

»Nun, ich fahre jeden Abend unsere Flächen ab, um die Schäden zu beseitigen, die nette Inselbewohner im Vorbeifahren an den Zäunen und Infotafeln anrichten. Gestern Abend hatte ich den zerstörten Ansitz an unserer Fläche 8 einigermaßen wieder instandzusetzen. Es hat einige Zeit gedauert. Gegen zweiundzwanzig Uhr oder etwas später war ich wieder in der Pension. Dort habe ich meinen Gästen Fotos und Videos über die Umweltzerstörung auf unserer Insel gezeigt. Die Filme habe ich übrigens auch bei Youtube einstellen lassen. Da können Sie sich die Sauerei mal ansehen. So ein Videoabend in der Pension löst immer ausufernde Gespräche aus. Etwa gegen halb eins sind meine Gäste auf ihre Zimmer gegangen. Ich habe noch aufgeräumt und bin dann auch ins Bett. Meine Frau wird Ihnen das bestätigen.«

Die Tür öffnete sich, und Polizeihauptmeister Olufs stellte einen Becher Cappuccino vor Wiese auf den Tisch. Hinrichs ließ sich nicht mehr blicken.

»Herr Olufs, Herr Wiese wird Ihnen gleich einige Namen nennen. Es handelt sich um Pensionsgäste, die sein Alibi für die Zeit ab zweiundzwanzig Uhr gestern Abend bestätigen können. Wenn wir hier fertig sind, bringen Sie Herrn Wiese bitte nach Hause, und lassen Sie sich das Alibi von den Herrschaften bestätigen. Danach fertigen Sie ein Protokoll an und legen es mir vor.«

Olufs nickte und verließ das Zimmer.

»Herr Wiese, wenn ich das alles richtig verstanden habe, waren Sie gestern Abend alleine mit Ihrem Auto unterwegs.«

Wiese nickte und nahm einen Schluck von seinem Cappuccino.

»Hat Sie irgendjemand auf Ihrer Tour gesehen, der bezeugen kann, dass Sie nicht in der Nähe der Boldixumer Vogelkoje gewesen sind?«

»Sie können sicher sein, dass ich gesehen wurde. Ich stehe nämlich unter ständiger Beobachtung hier auf der Insel. Selber habe ich niemanden bemerkt. Aber entlastende Aussagen werden Sie von keinem Bauern hier bekommen. Die wären froh, wenn sie mir endlich etwas anhängen könnten.«

»Kannten Sie Herrn Rickmers näher?«

»Wie man sich so kennt, wenn man jahrelang Zoff mitein­ander hat. Den Arfsten kenne ich besser; hat schon in der Schule immer von mir abgeschrieben und ist heute noch genauso doof wie damals.«

»Moment, ich dachte, Sie kommen vom Festland. Uns liegen Informationen vor, dass Sie zugezogen sind.«

»So ist es, allerdings war ich acht Jahre alt, als ich mit meinen Eltern auf die Insel gekommen bin. Das ist jetzt über vierzig Jahre her, aber zugezogen bleibt man für mehr als eine Generation. Die Friesen sind da sehr eigen.«

Bennings schaute Dernau an und schüttelte den Kopf. »Mir scheint, es gibt vorsintflutliche regionale Eigenarten, die ich gar nicht verstehen will. Gibt es etwas, das uns weiterhelfen könnte? Ich meine, haben Sie eine Ahnung, wer Herrn Rickmers getötet haben könnte?«

»Sie meinen, außer mir? Keine Ahnung. In den Kreisen kenne ich mich nicht aus. Vielleicht war da noch eine Rechnung zu begleichen, ein Streit zwischen seinem Urgroßvater und dem eines anderen Inseldöskopps, wer weiß. Mir gefällt das jedenfalls gar nicht, dass Rickmers tot ist. Der Kerl war berechenbar. Wer weiß, was für ein Heini jetzt die Leitung der Jägerschaft übernimmt. Dieser Paulsen steht bestimmt schon in den Startlöchern, und mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Ich vermute, dass er hinter den Anschlägen auf unsere Flächen steckt. Letzte Woche hat mich jemand mit seinem Wagen vom Weg abgedrängt. Ich kann es nicht beweisen, aber ich vermute, dass er es war. Ich bin im Graben gelandet und hatte hinterher Mühe, das Auto mit dem Trecker wieder freizubekommen. Jedenfalls ist Paulsen wesentlich radikaler als Rickmers und war mit dessen eher liberaler Art überhaupt nicht einverstanden.«

»Haben Sie Herrn Paulsen angezeigt?«

Wiese nickte resigniert. »Klar, allerdings musste das als Anzeige gegen Unbekannt laufen. Und mal ehrlich: Was bringt das schon? Ich hatte keine Zeugen, und bevor denen hier jemand an die Karre fährt …«

»Gut, Sie können dann jetzt gehen. Herr Olufs fährt Sie nach Hause. Stellen Sie ihm bitte kurz Ihre Pensionsgäste vor, die Ihr Alibi bestätigen können, dann ist die Sache vorerst für Sie erledigt.«

Bennings erhob sich und gab Wiese die Hand. Dernau, der dem Gespräch schweigend gefolgt war, nickte ihm nur kurz zu.

»Was hältst du von dem Mann?«, fragte Bennings, als Wiese den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Dernau zuckte mit den Schultern. »Solche Gutmenschen sind mir suspekt. Wir sollten ihn nicht aus den Augen verlieren. Wer weiß, wie weit er geht, um seine Enten zu schützen.«

»Möwen«, verbesserte Bennings ihn grinsend. »Möwen und Gänse, und dann noch Alpenstrandläufer und wer weiß wie viele andere Telegrafenmasthocker.«

»Und nun? Feierabend?«

Bennings schaute auf seine Armbanduhr und schüttelte den Kopf. »Zu früh. Die ersten Ergebnisse der KTU können wir nicht vor morgen Nachmittag erwarten, eher übermorgen. Zuerst muss unser toter Jägermeister mal in Flensburg sein. Frau Rickmers, Arfsten und Wiese haben wir verhört, bleiben noch diese Frau Olsen und der junge Rickmers. Ruf doch gleich mal an, ob er inzwischen zu Hause ist. Ich nehme mir in der Zwischenzeit diese Speicherkarte vor. Ist bestimmt interessant, wie es in der Hütte ausgesehen hat, als der Tote noch dringelegen hat. Mann, Mann, Mann, lässt der einfach die Leiche abtransportieren …! Dieser Hinrichs ist wirklich die letzte Nulpe.«

Dernau ging aus dem Zimmer, um vorne in der Wache zu telefonieren. Bennings nahm die Speicherkarte vom Schreibtisch, zog seinen Laptop aus der Aktentasche und stellte ihn vor sich auf den Tisch. Er klappte ihn auf, ließ ihn hochfahren und suchte derweil nach dem Kartenschlitz. Die Speicherkarte passte aber nicht hinein. Der Laptop hatte einen SD-Karten-Schacht, Baginskis Fotokarte aber war eine der größeren CF-Karten.

»Scheiße«, fluchte er leise. »Kann das denn nicht einmal ganz einfach gehen?«

Er erhob sich von seinem Stuhl und ging ebenfalls nach vorne in die Wachstube. Dernau legte gerade den Hörer wieder auf die Gabel und schüttelte leicht den Kopf.

»Was ist?«, fragte Bennings. »Ist er da?«

»Da ist er schon, aber offenbar nicht ganz bei sich. Hat mich gefragt, ob das nicht Zeit bis morgen habe, er wolle sich gleich mit seiner Freundin treffen.«

»Da müssen Sie sich nichts bei denken«, mischte sich Obermeister Jörn Vedder ein. Er saß mit hinter dem Kopf verschränkten Händen an seinem Schreibtisch und vermittelte den Eindruck eines gemütlichen Beamten, den nichts aus der Ruhe bringen konnte, jedenfalls nicht vor dem Feierabend.

»Ach, muss ich das nicht? Finden Sie es normal, dass der Sohn eines Mordopfers Wichtigeres zu tun hat, als mit der Polizei zu reden?«, fuhr Dernau auf.

»Normal …!«, entgegnete Vedder in demselben gemütlichen Ton wie vorher. »Was ist schon normal? Maarten Rickmers jedenfalls nicht, das ist ein arroganter, verwöhnter Rotzbengel. Hat von seinem alten Herrn immer alles hinten reingeschoben bekommen. Sie müssten mal das Auto sehen, das der schon mit achtzehn Jahren fährt: Mercedes Geländewagen. So was kann ich mir bis zur Pensionierung nicht leisten, und danach wahrscheinlich erst recht nicht. Aber mal abgesehen davon: Hätten Sie Lust, mit der Polizei zu reden, wenn Sie sich stattdessen mit Ihrer Freundin treffen könnten?«

»Da hat er recht«, stimmte Bennings zu. »Andererseits können wir auf solche Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen. Und? Was hast du dem Bengel geantwortet?«

»Dass wir ja eigentlich vorgehabt hätten, ihn zu Hause aufzusuchen. Aber nun hätte ich dazu plötzlich auch überhaupt keine Zeit mehr, und er solle seinen Hintern in Bewegung setzen und sofort hier erscheinen, sonst würde ich unseren Chef zu ihm schicken, und der könnte ganz schön ungemütlich werden.«

»Ihren Chef?«, erkundigte sich Vedder. »Ist der denn auch hier auf Föhr?«

»Ist er«, klärte Dernau ihn auf. »Herr Hinrichs. Jedenfalls hält Frau Rickmers ihn für unseren Chef.«

Vedder lachte laut auf und konnte sich auch nicht wieder einkriegen, als Bennings ihn nach einem Kartenlesegerät fragte. Er winkte nur ab, griff in eine Schublade und zog ein kleines Kästchen heraus, das er Bennings zuwarf.

»Wo ist Hinrichs eigentlich?«, erkundigte sich der.

»Hat sich in den Feierabend verabschiedet, nachdem Sie ihn Cappuccino holen geschickt haben. Das ging ihm dann wohl doch zu weit«, antwortete Vedder grinsend. »Außerdem hat er ab achtzehn Uhr ja wieder Dienst. Da sollte er sich wirklich vorher etwas ausruhen. Sonst ist der nämlich unerträglich.«

Bennings und Dernau lachten und wandten sich wieder dem Nebenraum zu.

»Hinrichs und Chef der Mordkommission«, hörten die beiden Kriminalbeamten den Polizeibeamten noch sagen, als sie schon wieder in ihrem Büro waren, »das ist wirklich klasse! Der findet im Dunkeln nicht mal seinen eigenen Arsch, wenn ich ihm nicht die Kerze halte.«

Dernau grinste breit und schloss die Tür hinter sich. »Unser Freund Vedder kennt seinen Chef aber gut.«

»Kein Wunder, arbeite du mal jahrelang mit so einer Flitzpiepe zusammen«, kommentierte Bennings und fügte vorsichtshalber hinzu: »Kein falsches Wort jetzt! Hüte deine Zunge!«, bevor Dernau zu einem Kalauer gegen ihn ansetzen konnte.

Bennings schloss das Kartenlesegerät an seinen Laptop, wartete kurz die Installationsroutine ab und steckte die CF-Karte in den passenden Schlitz. Auf dem Bildschirm öffnete sich ein Auswahlmenü. Einige Klicks weiter war Bennings in dem Ordner mit den Fotos, die Baginski am Vorabend geschossen hatte.

»Oha«, kommentierte Dernau. »Und der Mann will Naturfotograf sein? Alles verwackelt, von den Viechern erkennt man ja rein gar nichts. Und total unterbelichtet, das ist dunkel wie im A…«

»Ist ja gut«, ging Bennings dazwischen, »jetzt krieg dich mal wieder ein.«

Er klickte das erste Foto an, das Baginski im Kojenwärterhäuschen geschossen hatte. Zum Glück war so eine Hütte kein bewegliches Ziel. Entsprechend scharf waren wenigstens diese Fotos geworden. Auf dem Bildschirm erschien ein kleiner Raum mit weiß getünchten Wänden. Links an der Wand stand unter einem Fenster ein kleiner Schreibtisch, dahinter ein Regal mit Aktenordnern. Rechts füllte ein Bett fast die ganze Wand aus. Das Bettzeug war durchgewühlt, am Rand ließen sich rote Spritzer und verwischte Streifen erkennen, wahrscheinlich Blut. Vor dem Bett lag auf dem Holzboden der Tote in merkwürdig gerader Haltung auf dem Rücken, als sei er aufgebahrt worden. Nur die Hände hatte man ihm nicht wie zum Gebet auf der Brust verschränkt. Sonst war nichts Auffälliges zu entdecken.

»Sieht nicht gerade spektakulär aus«, fand Dernau. »Wahrscheinlich hat er mit dem Schlag nicht gerechnet, jedenfalls sehe ich keine Kampfspuren. Er hat einen mitgekriegt, ist lang hingeschlagen und genau so liegen geblieben.«

»Dann hätte der Schlag von vorne kommen müssen. Es sieht aber so aus, als sei er von hinten niedergeschlagen worden. Dann ist er am Bett entlang nach unten gerutscht. Also müsste er auf dem Bauch oder auf der Seite liegen oder vor dem Bett sitzen, oder? Auf keinen Fall kann er so da liegen wie auf diesem Foto, parallel zum Bett und so entspannt und geradezu bequem gelagert.«

Dernau nickte. »Vielleicht hat der Täter ihn durchsucht, oder er konnte einfach nicht ertragen, dass Rickmers so verdreht auf dem Boden lag.«

»Ersteres deutet auf Raubmord hin«, überlegte Bennings. »Letzteres weist eher auf eine Beziehungstat hin und auf Totschlag im Affekt, jedenfalls nicht auf kaltblütigen Mord.«

»Es sei denn, der Täter ist ein Anfänger und hat die Sache zwar genau geplant, dabei aber nicht bedacht, dass so eine Leiche einem schon auf den Magen schlagen kann, wenn sie dann wirklich vor einem liegt.«

Bennings nickte und klickte sich durch die nächsten Bilder, bis es draußen im Wachraum laut wurde.

Vedder öffnete die Tür mit den Worten »Sie haben Besuch!« und schob einen jungen Mann im Alter von vielleicht achtzehn oder höchstens neunzehn Jahren herein. Bennings fand den Burschen auf Anhieb unsympathisch. Er trug ein sportliches Outfit aus teuren Markensachen. Damit hob er sich sicher deutlich und bewusst von seinen Altersgenossen hier auf der Insel ab. Seine feinen Gesichtszüge machten ihn garantiert zu einem Mädchenschwarm erster Güte. Dabei umspielte ein arroganter Zug seine schmalen Lippen, momentan gepaart mit Wut über die Unverschämtheit, dass man es wagte, ihn derart herumzukommandieren.

Vedder schloss die Tür wieder lautstark hinter dem Jüngling, der mit hochrotem Kopf vor den Kommissaren stand und gerade wieder lostoben wollte, als Bennings sich erhob und freundlich, aber bestimmt auf ihn zu trat. »Sie müssen Maarten Rickmers sein. Mein herzliches Beileid zum Verlust Ihres Vaters. Bitte, nehmen Sie doch Platz, wir haben einige Fragen an Sie. Wird bestimmt nicht lange dauern. Ich kann mir vorstellen, dass Sie an so einem Tag lieber Ihrer Mutter beistehen würden, aber es geht leider nicht anders.«

Das stoppte den Zorn des Knaben, und er schien sich schlagartig bewusst zu werden, dass er als trauernder Sohn nach dem Auftritt eben nicht mehr durchgehen würde. Jedenfalls entfärbte sich sein Gesicht wieder leicht und nahm einen etwas verlegenen Ausdruck an. Dabei hob er die Hände mit einander zugewandten Handflächen leicht an und ließ sie wieder sinken, was wohl beschwichtigend wirken und ihn harmlos erscheinen lassen sollte. »Schon gut, Sie machen ja auch nur Ihre Arbeit.«

»So ist es. Also, Herr Rickmers, wir fragen uns, was Ihr Vater gestern Abend so spät in der Vogelkoje gemacht hat. Haben Sie vielleicht eine Erklärung?«

»Ja klar, abends werden immer die Enten vom Teich ins Gehege geholt.«

»Und dafür ist Ihr Vater zuständig?« Bennings Ton verriet, dass er das wenig glaubwürdig fand. »Ich denke, dafür gibt es einen Kojenwärter?«

»Ja, schon, aber mein Vater war oft in der Vogelkoje. Er hat das gern gemacht, hat seine Aufgabe als Jäger immer sehr ernst genommen, und dazu gehört ja auch die Hege des Wildes.«

»Ihre Mutter hat uns erzählt, dass Ihr Vater gestern Abend einen wichtigen Termin gehabt habe. Wissen Sie etwas davon?«

Maarten Rickmers schüttelte den Kopf, überlegte aber dabei und antwortete schließlich: »Mein Vater hatte oft Termine, manchmal auch spät abends, geschäftliche und solche, die mit seiner Position in der Jägerschaft zu tun hatten. Ich habe da keinen Überblick.«

»Waren Sie auch gestern Abend in der Vogelkoje?«, erkundigte sich Dernau unvermittelt aus seiner Ecke.

Maarten Rickmers blickte ihn erstaunt an, als habe er ihn zuvor noch gar nicht wahrgenommen. »Nein, warum sollte ich?«

»Wo waren Sie denn dann?«, übernahm Bennings wieder die Befragung.

»Bei meiner Freundin. Das heißt, wir sind ein bisschen rumgefahren.«

»Es gibt also keine Zeugen? Außer Ihrer Freundin, versteht sich. Niemand, dem Sie begegnet sind?«

Maarten Rickmers schüttelte den Kopf, dabei umspielte ein anzügliches Lächeln seine Lippen. »Nicht dass ich wüsste. Wir sind abends gerne allein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und bei uns zu Hause geht das nicht; bei ihr auch nicht, ich habe nicht das beste Verhältnis zu ihren Eltern. Die kommen aus dem Osten und können sich noch nicht so recht an das freiere Leben hier gewöhnen.« Das Letzte begleitete er mit abschätzig verzogenem Mund und demselben Ausdruck von Hochnäsigkeit, den er bei seinem Erscheinen vorhin gehabt hatte.

»Wo Sie genau waren, können Sie uns nicht sagen?«, kam es nun wieder von Dernau, dessen Tonfall weniger verständnisvoll war.

»Anfangs sind wir nur so rumgefahren, später waren wir dann für längere Zeit auf dem kleinen Parkplatz am Siel draußen in der Marsch. Abends ist da keiner mehr, da ist man ungestört. Aber fragen Sie mich jetzt bitte nicht nach der Uhrzeit, das kann ich beim besten Willen nicht sagen.« Wieder dieses anzügliche Grinsen.

»Haben Sie eine Ahnung, wer Ihrem Vater das angetan haben könnte?«, wechselte Bennings das Thema.

»Na!«, wurde der junge Mann nun wieder grimmiger. »Da gibt es ja wohl kaum einen Zweifel. Dieser Spinner Wiese oder einer der Idioten, die er immer im Schlepp hat.«

»Wen meinen Sie genau?«

»Zum Beispiel diesen Quacksalber aus Utersum, diesen Dr. Albertsen, Melf Albertsen, um genau zu sein. Der ist der zweite Mann hinter Wiese, auch so’n Ökospinner. Der glaubt, die Welt geht unter, wenn seine Gänse sich nicht ungestört vermehren können.«

Bennings gab Dernau ein Zeichen, so dass der sich den Namen notierte. »Haben Sie Belege für Ihren Verdacht, oder ist das nur so ein Gefühl?«

»Wer soll das denn sonst getan haben? Mein Vater war ein angesehener Mann hier auf der Insel. Der hatte keine Feinde außer diesen Idioten.«

»Was ist zum Beispiel mit Herrn Arfsten?«, versuchte Bennings einen Vorstoß.

»Ach, Quatsch, Brar hat sich zwar öfter mal mit meinem Vater gezofft, aber die beiden waren Freunde!«

»Worum ging es bei dem Streit?«, hakte Bennings nach.

»Kein Streit, eine Meinungsverschiedenheit.«

»Worum ging es denn da genau?«, beharrte Bennings.

»Arfsten wollte mit den Elmeere-Spinnern kurzen Prozess machen«, erklärte Maarten Rickmers und begleitete seinen aggressiven Gesichtsausdruck durch heftige Bewegungen mit der geballten rechten Faust. »Die sollten gezwungen werden, ihren Ökokram aufzugeben. Mein Vater hat eher einen Kompromiss gesucht. Zum Beispiel hat er selbst im Namen der Kreisjägerschaft Flächen in der Marsch renaturiert, um den Tieren einen Rückzugsraum zu bieten. Er hat gesagt, wenn wir das machen, brauchen wir kein Elmeere. Dann kriegen die auch keine Spenden mehr, weil sie überflüssig sind.«

»Und damit war Arfsten nicht einverstanden? Das hört sich doch ganz vernünftig an.«

»Nein, das war Arfsten zu liberal, er hat meinem Vater vorgeworfen, nur seine Karriere in der Kreisjägerschaft im Auge zu haben. Arfsten war sauer, dass jetzt auch noch die Jäger Flächen renaturieren, Teiche anlegen und so. Als wenn die verlorenen Flächen von Elmeere nicht schon reichten, hat er gesagt.«

»Wie hat er sich denn vorgestellt, mit Elmeere kurzen Prozess zu machen?«

»Durch die Beziehungen, die Arfsten und mein Vater zur Regierung in Kiel haben.« Jetzt erfasste das arrogante Grinsen das ganze Gesicht des jungen Mannes, als sei er sich seiner herausragenden gesellschaftlichen Stellung nicht nur bewusst, sondern als sei sie sogar sein Verdienst. »Mein Vater kennt da jemanden im Landwirtschaftsministerium, der damals dafür gesorgt hat, dass Wiese seinen Naturerlebnishof nicht ausbauen durfte. Den Kontakt wollte Arfsten jetzt wieder nutzen. Und mein Vater sollte außerdem über die Jägerschaft Stimmung gegen Elmeere machen, damit denen der Geldhahn zugedreht wird.«

»Wie ist der Streit denn ausgegangen? Entschuldigung, die Meinungsverschiedenheit.«

»Wie meinen Sie das?«

»Na, für mich hört sich das an, als hätte Ihr Vater zwischen allen Stühlen gesessen und es jedem irgendwie recht machen wollen. Hat er sich am Ende gegen Arfsten durchgesetzt? Was haben die beiden verabredet?«, erläuterte Bennings seine Frage.

»Das weiß ich nicht so genau. Aber ich denke, dass mein Vater sich nicht hat unterkriegen lassen.« Maarten Rickmers dachte einen Moment nach und schien dann die Bedeutung der Frage zu verstehen. »Andererseits kann es auch sein, dass sie zweigleisig gefahren sind. Kann ja nicht schaden, wenn Druck aus Kiel kommt und gleichzeitig die Jäger hier auf der Insel zeigen, dass es auch ohne Elmeere im Umweltschutz weitergeht.«

»Und was ist mit Arfsten und Ihrer Mutter?«, schoss Dernau nun einen vergifteten Pfeil aus seiner Ecke ab, der dafür sorgte, dass Maarten Rickmers’ Gesichtsfarbe wieder dunkler wurde und seine Hand auf dem Tisch sich erneut zur Faust ballte.

»Was meinen Sie damit?«

»Na, so schwer ist meine Frage doch wohl nicht zu verstehen. Wir haben gehört, Herr Arfsten habe ein Auge auf Ihre Mutter geworfen, und deshalb hätten sich Ihr Vater und sein bester Freund gestritten.«

Maarten Rickmers stutzte einen Moment und schien sich erst orientieren zu müssen, in welche Richtung der Vorstoß ging.

»Wer behauptet sowas denn?« Maarten Rickmers richtete sich nun auf seinem Stuhl bedrohlich auf.

»Ist das denn so abwegig?«, erkundigte sich Bennings betont ruhig.

»Und ob! Brar und meine Mutter kennen sich schon aus dem Sandkasten. Das sind einfach nur gute Freunde, zwischen denen läuft nichts. Mein Vater war eng mit Brar befreundet, auch wenn es da mal Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Das war aber nie persönlich.«

»Ihr Herr Vater soll ja auch nichts anbrennen lassen haben«, behauptete Dernau unschuldig.

»Jetzt reichts aber! Meine Eltern waren glücklich verheiratet. Da hatte keiner ein Verhältnis!« Maarten Rickmers sprang wutentbrannt auf und stieß dabei den Stuhl polternd zurück. »Haben Sie noch mehr als solche Behauptungen auf Lager, oder kann ich jetzt gehen?«

»Setzen Sie sich bitte wieder hin«, forderte Bennings ihn unbeeindruckt auf. »Ein paar Fragen habe ich noch. Sie haben die Karriereabsichten Ihres Vaters erwähnt. Gab es da keine Konkurrenz innerhalb der Jägerschaft?«

»Natürlich war er nicht der Einzige, der gerne in der Kreishierarchie aufsteigen wollte, aber letztlich war er als Nummer Eins hier auf der Insel unangefochten.« Maarten Rickmers ließ seine Blicke unruhig zwischen Bennings und Dernau hin und her wandern. Ihm war anzusehen, dass die beiden Kriminalbeamten sich seine Sympathien endgültig verscherzt hatten.

»Das hört sich alles sehr harmonisch an«, zweifelte Bennings. »Wir haben da eher die Information, dass auch die Jagdkollegen Ihres Vaters nicht mit seiner liberalen Strategie im Umgang mit Elmeere einverstanden waren. Sein Stellvertreter zum Beispiel soll da eine ganz andere Vorgehensweise gefordert haben.«

Bennings war selbst erstaunt, dass dieser Schuss ins Blaue offensichtlich ins Schwarze traf. Maarten Rickmers wand sich verlegen und suchte sichtlich nach den passenden Worten. »Da fragen Sie Herrn Paulsen besser selber. Ich weiß nichts Genaues, nur dass er eher wie Brar Arfsten nach einer härteren Gangart handeln wollte.«

»Das werden wir machen, Herr Rickmers. Geben Sie meinem Kollegen bitte noch den Namen und die Adresse Ihrer Freundin, für Ihr Alibi. Dann können Sie vorerst gehen«, antwortete Bennings freundlich.

»Ariana Jeronski, Lärchenweg 17 hier in Wyk. Aber lassen Sie ihre Eltern aus dem Spiel, die kommen aus Polen, erz­katholisch, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Das heißt, Arianas Eltern mögen Sie nicht besonders? Vor allem Ihre abendlichen Touren mit dem Geländewagen?«, provozierte Dernau, der sich Namen und Adresse notiert hatte.

Maarten Rickmers nickte verlegen. »So kann man das sagen. Ariana soll ihr Abitur machen und dann einen Polen heiraten, am besten einen Bauern.« Er lachte auf und schüttelte verächtlich den Kopf.

»Gut, Herr Rickmers.« Bennings erhob sich von seinem Stuhl. »Sie halten sich bitte zu unserer Verfügung, falls wir noch Fragen haben. Das heißt, Sie verlassen die Insel nicht, ohne uns zu informieren. Und beim nächsten Mal leisten Sie weniger Widerstand, wenn wir Sie sprechen möchten. Das macht nämlich keinen guten Eindruck.«

»Aber Sie sind ja noch jung«, ergänzte Dernau grinsend. »Sie lernen das bestimmt noch.«

Die Kommissare sahen Maarten Rickmers an, dass er sich zusammenreißen musste, als er nun den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.

»Was meinst du?«, erkundigte sich Bennings bei seinem Kollegen.

»In dem brodelt es gewaltig. So grün der hinter den Ohren ist, so arrogant und aggressiv ist er auch. Gefährliche Mischung, wenn du mich fragst.«

»Und seine Einschätzung, was mögliche Verdächtige betrifft?«

»Weiß nicht. Die Sache mit dem Streit zwischen Arfsten und Rickmers scheint heftiger zu sein, als er sie darstellt. Auch ein Verhältnis zwischen seiner Mutter und Arfsten halte ich immer noch für möglich. Vielleicht weiß er nichts davon. Allerdings ist sein eigenes Alibi nicht gerade überzeugend. Und falls es doch stimmt, hat seine Mutter keines mehr.«

Bennings zuckte mit den Schultern. »Das sind im Grunde noch Kinder. Wenn die nicht wissen, wo sie hin sollen, kann es doch sein, dass sie den Rücksitz des Autos gewählt haben. Und dass sie dabei allein sein wollten, kann man ihnen nicht vorwerfen. Außerdem konnten sie nicht wissen, dass sie ein Alibi brauchen. Stell dir nur mal diese Konstellation vor: Arianas Eltern akzeptieren Maarten nicht, weil er ein großkotziger Filou ist, der die Unschuld ihrer Tochter gefährdet; und Maartens Eltern akzeptieren das zugewanderte Polenmädchen aus kleinen Verhältnissen nicht.«

»Drei Nachteile auf einmal, das geht nun wirklich nicht«, feixte Dernau im Tonfall der Überraschungseier-Werbung.

»Wieso drei Nachteile?«

»Na, Polin, Zugewanderte und dann noch unstandesgemäß. Wenn Wiese schon nach vierzig Jahren nicht dazu gehört, was muss wohl geschehen, dass Aussiedler hier akzeptiert werden?!«

»Da hast du recht. Schlimm, aber wahr. In solchen Momenten weiß ich, warum ich nicht auf einer Insel leben will.«

»Gut, lass uns Feierabend machen und etwas essen gehen. Ein frisches Bier auf der Promenade würde mir jetzt gefallen«, schlug Dernau vor. »Das Alibi von dieser Ariana kann auch einer unserer Chefs hier überprüfen. Sonst wird es den Inselsheriffs noch langweilig und die kommen auf dumme Gedanken. Und um Frau Rickmers kümmern wir uns, wenn Maarten Rickmers’ Alibi bestätigt wird. Morgen besuchen wir dann Frau Olsen und diesen Paulsen.«

Bennings stimmte zu und gab dem Kollegen Vedder den Auftrag, Maarten Rickmers’ Angaben bei Ariana Jeronski zu überprüfen. Auch den Zettel mit den Namen der Skatbrüder Brar Arfstens ließ er ihm von Dernau aushändigen, um das Alibi des Landwirts überprüfen zu lassen. Dann verließen sie die Zentralstation und umrundeten das Hafenbecken, um durch das Fluttor am Rathausplatz auf den Sandwall zu gelangen und den Abend dort mit einem guten Mahl und dem einen oder anderen Pils einzuläuten.

Leander und die Stille der Koje

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