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Kirche in Berlin: Spiegel der Zeitgeschichte

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„Dieses Kreuz passte wirklich nur für Berlin“, erklärt mir Wolfgang Weider, als ich ihn auf sein erstes Brustkreuz anspreche. Er trug es ab 1982 als Berliner Weihbischof und wurde damit im gesamten Bistum bekannt. Weider: „Mir kam der Gedanke, etwas von der zerrissenen Situation unserer Stadt auf meinem Bischofskreuz darzustellen.“ Wer heute die Unterkirche von St. Hedwig besucht, findet dieses sprechende Erinnerungsstück, das von dem Künstler Hubert Kleemann aus Neu-Zittau gestaltet wurde, in der kleinen Domschatzkammer. Wie eine Dornenkorne sind da die Konturen der Stadt im Schnittpunkt des Kreuzes abgebildet – für mich ist das die kürzeste Predigt über eine ganze Epoche. „Dieses Kreuz mit dem Hinweis auf die Mauer und West-Berlin war in der damaligen politischen Situation für die ,roten Machthaber‘ natürlich eine Provokation. Ich wurde zwar nie darauf angesprochen, weiß aber heute, dass die Staatssicherheit dieses Symbol sehr wohl verstanden hat“, meint der Weihbischof emeritus nachdenklich.

Tatsächlich spiegelt das Schicksal der katholischen Kirche in der Hauptstadt gemeinsam-geteilte deutsche Vergangenheit in besonderer Weise. Das 1930 gegründete Bistum wurde nach dem Mauerbau – anders als sämtliche Gesamtberliner Institutionen, darunter auch die Evangelische Kirchenprovinz – nicht zerstückelt, sondern konnte seine kirchenpolitische Einheit entlang der systempolitischen Demarkationslinie des Kalten Krieges verteidigen. Nicht zuletzt wurde dies durch die Politik von Kardinal Preysing (1880 – 1950) vorbereitet, der 1947 alle Priester des Bistums dazu verpflichtete, „Erklärungen zu Zeitfragen“ nicht abzugeben. Für solche Statements im Namen der katholischen Kirche sei vielmehr „die Gesamtheit der Bischöfe Deutschlands“ zuständig. Es blieb Wilhelm Weskamm, Preysings Nachfolger, mit seiner ostdeutschen Diasporaerfahrung vorbehalten, auf dem 75. Deutschen Katholikentag 1952 in Berlin zum Bau einer Gedenkkirche zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit aufzurufen. Dieser Plan, der schließlich in Maria Regina Martyrum seine Ausführung fand, wurde von den Machthabern im Ostteil Berlins als Zeichen kirchlich-katholischer Selbstvergewisserung durchaus wahrgenommen.

Das war und ist für katholische Berliner ein Grund, das Pontifikat von Alfred Bengsch (1961 – 1979) als „Bewahrer der Einheit“ besonders in Ehren zu halten. „Der Rat der EKD, deren Vorsitzender Präses Scharf ist“, hieß es dagegen im Neuen Deutschland wenige Wochen nach dem Mauerbau, „hat durch seine offizielle Zustimmung zum Militärseelsorgevertrag der westdeutschen Kirche mit Adenauer und Strauß die schwere Verantwortung und volle Schuld für diese verhängnisvolle Unterwerfung der westdeutschen und Westberliner Kirchenleitungen unter das Kommando der NATO auf sich geladen.“ Wer solche „aggressiven Zielsetzungen“ wie Präses Dr. Scharf und der Rat der EKD vertrete, der könne „selbstverständlich nicht auf dem Territorium der DDR und ihrer Hauptstadt wirksam sein“24.

Dem gebürtigen Berliner Bengsch dagegen gelang es, die Einheit des Bistums nicht zuletzt durch einen Amtssitzwechsel in Richtung Osten abzusichern. Als die DDR das „Fluchtloch“ zumauerte, entging der sechste Oberhirte des 1930 gegründeten Bistums jenem Schicksal, das am 13. August 1961 Präses Scharf als Repräsentanten der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg ereilte: die Aussperrung. Drei Tage nach dem Mauerbau dagegen konnte der im Osten lebende Weihbischof – als Nachfolger von Julius Kardinal Döpfner (1957 – 1961) – zum neuen Gesamtberliner Oberhirten ernannt werden.

Dass der kirchenpolitische Weg der Berliner Katholiken jedoch alles andere als klar und deutlich vorgezeichnet war, geht aus einem Brief von Döpfner, der bald darauf Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz wurde, an Bengsch hervor: „Lieber Alfred! Mit tiefer Sorge schreibe ich dir diese Zeilen, die dir wohl qualvolle Überlegungen bereiten, da ich glaube, dir neue Entschlüsse empfehlen zu müssen.“ Der Münchener Erzbischof, der sich als Kämpfer gegen den Kommunismus profiliert hatte, legte seinem pastoral-diplomatisch orientierten Nachfolger nämlich nahe: „Mittlerweile haben sich Tatsachen ergeben, die gebieterisch ein neues Durchdenken fordern. Aus maßgebenden Äußerungen wird deutlich, dass der Bruch zwischen Ost- und West-Berlin als endgültig gedacht ist, dass Ost- und West-Berlin als total entgegengesetzte, unvereinbare Lebensräume gesehen werden. Ein Wirken der Kirche, das der jeweiligen Situation gerecht wird, steht also für diese ideologische Sicht in einem unvereinbaren Gegensatz und kann darum nicht auf die Dauer von ein und demselben Bischof verantwortlich geführt werden. Die Folgerung aus dieser grundsätzlichen Sicht wurde für Präses Scharf gezogen. […] Aber falls du deine Aufgabe jeweils richtig erfüllen willst, und dazu bist du doch fest entschlossen, gehst du unweigerlich dem Punkt entgegen, wo auch deine Stunde gekommen ist. Ich glaube, du müsstest um der rechten Seelsorge in Ost und West willen aus deiner Verantwortung für West-Berlin entlassen werden, solange die gegenwärtige Lage andauert. Wenn du in irgendeiner Weise nach Westen abgeschoben würdest, hätte dies für den Ostteil des Bistums und die Kirche in der DDR unausdenkbar ernste Auswirkungen.“25

Die DDR gestattete Bengsch jedoch, seine im Westteil liegenden Gemeinden zunächst an drei Tagen im Monat zu besuchen. Im Lauf zäher Verhandlungen wurde diese Erlaubnis später auf dreißig Tage im Quartal ausgedehnt. „Auch wenn die DDR die monatlichen Westberlin-Tage erwiesenermaßen erpresserisch handhabte, muss die Ost-West-Zugehörigkeit des Bischofs zum kirchlichen Kapital der Katholiken zu beiden Seiten der Mauer gerechnet werden. Der Ausbau Westberlins zum ,Schaufenster des Westens‘ etwa kam finanziell auch der Kirche Berlins zugute. Ein reges kirchliches Leben, vermittelt durch kirchliche Medien, sollte Ostberliner und ostdeutsche Katholiken ermutigen und die Atheisierungskampagnen der DDR entschärfen. In der Kirche war sogar von der ,Mission Westberlins‘ die Rede.“26

In den Zeiten des Kalten Krieges war es tatsächlich oft einfacher, „von Ost-Berlin nach Pjöngjang zu reisen als nach West-Berlin, obwohl es sich um ein und dieselbe Stadt handelte. Die alten Nachbarschaften von Wien und Budapest, von Sankt Petersburg und Helsinki, von Prag und Nürnberg galten nicht mehr, seit die einen im Bereich des Warschauer Paktes lagen und die anderen im Bereich der Nato.“27 Das alles hat sich vor 25 Jahren grundsätzlich geändert. Berliner reagierten in allen Lebensbereichen besonders sensibel auf politische Vorzeichen am Himmel über der Hauptstadt. Aber wie weiter nach dem Wunder des 9. November 1989? Millionenstädte gab es viele auf dem Globus, aber nur ein geteiltes Berlin. Mit dem Mauerfall ging der Stadt mit einem Mal die Ausnahmestellung verloren. Wurde damit aus dem schwierigsten Bistum der Welt wieder eine ganz normale Diözese?

Dass die einstige „Hauptstadt der DDR“ und die privilegierte Insel „West-Berlin“ keine Sonderrolle mehr spielen sollten, beobachteten manche in Ost und West mit großer Genugtuung. Aber schon bald machten sich Gegenkräfte bemerkbar: Nach der deutsch-deutschen Teilung redete alles vom Zusammenwachsen – und die Hauptstadt wurde plötzlich zur Zukunftswerkstatt und zum Prüfstein für das Deutsche Neuland.

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