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ОглавлениеDer Weinkönig
Koblenz Hauptbahnhof. Der Regionalexpress nach Trier steht abfahrtbereit auf Gleis 9, ganz hinten. Gäbe es ein Gleis 999, der Zug würde wahrscheinlich von dort abfahren. Kein Lift, nicht einmal ein Gepäckband, das defekt sein könnte. Keine drei Tage nach der vollmundigen Ankündigung einer Charme-Offensive der Deutschen Bahn ist das Triebfahrzeug übersät mit Papierschnipseln. Der Zug passiert Karden, wo ich mal in einem Hotel genächtigt habe, in dessen Frühstücksraum dem Gast Trinksprüche zusicherten, ein Leben ohne einen edlen Tropfen und den Kuss eines schönen Mädchens sei nicht wert, gelebt zu werden. Die dazu gehörige Weinlage allerdings strafte sie Lügen: Kardener Juffermauer. Das ist die Untermosel, jene Region, in der sich gerade slow food für die Erhaltung des Roten Weinbergpfirsichs einsetzt. „Meine Damen und Herren, die Deutsche Bahn begrüßt den Gesangsverein Mosel, der eine Fahrt zur Landesgartenschau unternimmt.“ Großes Hallo auf Gleis 3 in Cochem.
Mein Gegenüber scheint weniger in Feierstimmung zu sein, im Gegenteil. Der Mann hat sich gleich in die Ecke gedrückt, die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen, und angefangen, leise in sich hinein zu weinen, was heißt leise: Verborgen bleibt es nicht direkt. Auffällig die Krone, die er durch seine Hände kreisen lässt, als wäre sie ein Rosenkranz. Ab und zu durcheilen Schluchzer den durchaus muskulösen Körper, ein erbarmungswürdiger Anblick, da muss man eingreifen, denn der Mann hat den Blues, das arm’ Tier, die Flemm, wie man im Trierischen sagt. Ich spreche ihn behutsam an, frage, ob ich ihm irgendwie behilflich sein könne, und zu meiner Überraschung antwortet er bereitwillig, nachdem er die Spuren seines Kummers notdürftig aus dem Gesicht getilgt hat. Er stellt sich vor und erzählt mir von seinem harten Schicksal, und ich nutze die Gunst der Stunde zu einem spontanen Interview.
Frage: „Sascha Muscheid, Sie waren Deutschlands erster und bislang einziger Weinkönig. Nun sind Sie Ihres Amtes verlustig gegangen. Warum?“
Muscheid: „Einziger stimmt nicht, es gab 1999 einen König in Trittenheim, ein Mann aus Ghana namens Céphas Bansah, aber das war eher ein Jux. Ich bin ein ernstzunehmender König. Oder war.“
Frage (investigativer): „Noch einmal: Warum?“
Muscheid: „Sie fragen warum? Wegen der Politik, wegen der Quote. Ich bin in eine Frauendomäne eingebrochen, mein Wahlsieg war eine Riesenüberraschung, gerade mal vier Wochen ist das her. Manche haben zunächst wieder an einen Ulk geglaubt, als ich meine Kandidatur bekannt gegeben habe. Viele, die mich gewählt haben, wollten nur anderen Kandidatinnen eins auswischen.“
Frage: „Und nun?“
Muscheid: „Es hat zwei Wochen gedauert, bis die Frauen am Ort sich formiert hatten. Gemobbt haben sie mich. Und dann mit einer Verfassungsklage gedroht. Dieser Beruf sei ausschließlich Frauen vorbehalten, und damit basta.“
Frage: „Was hat Sie überhaupt dazu bewogen, Weinkönig werden zu wollen?“
Muscheid: „Warum nicht? Es gibt ja auch männliche Politessen.“
Ich: „Aber bisher haben die Weinköniginnen doch die Sache des Weins würdig vertreten, oder nicht?“
Muscheid: „Mag sein. Die Winzer haben sich aber gesagt, dass Weinköniginnen vor allem Männer ansprechen – und die muss man nicht motivieren, die trinken ohnehin. Mit einem Weinkönig haben wir gehofft, auch weibliche Kreise für den Wein zu begeistern.“
Frage: „Wurden Sie denn auch von Frauen gewählt?“
Muscheid steht auf und wirft sich in Pose. Er ist muskelbepackt und erinnert leider an den Schauspieler Ralph Möller.
Muscheid: „Was glauben Sie? In meiner Freizeit stemme ich Weinfässer. Barrique.“
Frage: „Toll! Was haben Sie jetzt vor?“
Muscheid: „Ich fahre nach Mainz, dort will ich meine Krone abgeben, im Landtag. Sollen die ruhig alle erfahren, wie’s zugeht an der Mosel.“
Frage: „Wie ist es denn um Ihre Würde bestellt?“
Muscheid: „Würde? Die hat man mir genommen!“
Im Grunde hat er Recht: Was ist so außergewöhnlich an einem Weinkönig? Schließlich ist Alfred Biolek Sonderbotschafter des deutschen Rieslings geworden, da ist es bis zum König nicht mehr weit. Um den Adel ist es in Deutschland ohnehin nicht gut bestellt, der einzige Repräsentant von Rang war lange Zeit Ernst-August, und der bevorzugte harte Sachen. Königin Pastete, Kaiser Franz, Steffi Graf, Roman Herzog, damit erschöpft es sich auch rasch.
Frage: „Die Amerikaner haben überhaupt keine Monarchen, weder männliche noch weibliche. Wie sehen Sie das?“
Muscheid: „Ach ja? Und was ist mit King Elvis und Prince, was mit Burger King und Dairy Queen, mit King- und Queen-size-Betten?“
Frage: „Sie scheinen sich ja auszukennen!“
Muscheid: „Ich habe drei Jahre in Kalifornien gelebt.“
Der Mann hat aber auch schwer gelitten. Immerhin scheint ihm bewusst zu sein, dass es anderen noch sehr viel schlechter geht als ihm: „Vielleicht ist es auch gar nicht so schlimm, ich meine, was kann man als Weinkönig anderes machen als repräsentieren? Auf der Grünen Woche in Berlin herumstehen, bis die Aigner vorbeikommt zum Posieren, wenn man Pech hat, grauenhafte Vorstellung!“
Es ginge sogar noch schlimmer: „Veronika Ferres!“
Muscheid erbleicht und sagt: „Oder irgendwelche andere Schnapsnasen des öffentlichen Lebens. Horrornationen, wie ich sie scherzhaft zu nennen pflege.“ Nun, das Scherzhafte ist nicht so sein Ding.
Frage: „Braucht denn die Welt überhaupt Weinkönige oder Königinnen?“
Er schiene mir eher der optimale Botschafter des Blues zu sein. Die Arme hat er jetzt um seinen Oberkörper geschlungen, damit er nicht auseinander bricht, eine klassische Loser-Position aus der Grunge-Ära. Verquollen der Blick, und wären seine Haare nicht tipp-topp in Schuss, jeder halbwegs zum Mitleid begabte Mensch würde spätestens jetzt sein Portemonnaie zücken. Auf meine Frage nach Sinn und Zweck von Alco-Royals nickt er trotzig.
Muscheid: „Das Anforderungsprofil für Wein hat sich drastisch verändert. Die Konkurrenz schläft nicht. Die Braubranche hat das Biershampoo zur Bierdusche weiterentwickelt, Malz and more. Nicht zu vergessen Schwester Trester. Hartes Zeugs, das die Natur häufig zu einem Freiluftvomitorium degradiert. Was mich aber fertig macht, sind diese ständigen Imageschwankungen, die gehen voll auf die Psyche. Die Weinskandale in den Siebzigern, die Verschärfung der Promillewerte in den Achtzigern, der beginnende Fitnesswahn in den Neunzigern ... Rheinland-Pfalz kam längere Zeit nicht durch erlesene Weine in die Presse, sondern mit dem Team Gerolsteiner. Eine Schande für ein Land, in dem die Trunksucht sozusagen erfunden wurde.“ Vom Doping mal ganz zu schweigen.
Der Vorsitzende des Heimat- und Trachtenvereins von Klüsserath sei ins Gefängnis gekommen, führt Muscheid weiter aus, weil er auf dem Dachboden eine illegale Schnapsbrennerei betrieben hat. Dafür gäbe es im weiten Umkreis kein Verständnis, d.h. für die Brennerei schon, für die Strafe jedoch nicht. Es folgt die etwas heikle Geschichte eines Landrats aus der Pfalz, der eines Abends seinen Fahrer schon nach Hause geschickt hatte und bei der Rückfahrt von irgendeinem geselligen Beisammensein ein eher drängendes menschliches Bedürfnis verspürte, und während er diesem nachging, merkte er, dass er die Handbremse im Dienstwagen nicht angezogen hatte. Beim Sprint muss er gestolpert und unter den Wagen geraten sein, schreckliche Geschichte, er trug neben einer Beinfraktur einen Haarriss am Schädel davon und konnte wegen seines hohen Promillegehaltes – der böse Volksmund hatte seinem Nachnamen stets den Begriff „Schoppe“ vorangestellt – in der Klinik nicht narkotisiert werden, weswegen alle Rettungsversuche vergeblich bleiben mussten. Ein pfälzisches Schicksal, bemerkt Sascha Muscheid eher trocken, um diese Geschichte schließlich etwas salbungsvoll mit einem Bibelspruch zu beenden, aus Johannes 15,5: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“
Muscheid mag kein ernsthaft ersprießlicher Reisegefährte sein, aber immerhin ist er ein Reisegefährte und in seiner Eigenschaft als Weinkönig ein wandelndes Lexikon. Die Kulisse, die sich draußen vor dem Auge des Betrachters entfaltet, könnte passender nicht sein. In Flussnähe zwar Hochwassererwartungsland, aber die Hänge sind voll gestellt mit Holzstecken, stachelig-punkig, wie ein überdimensionaler Igel. Wie heißen diese Dinger noch gleich, die an diesen Stecken stecken, mit grünen Blättern dran? Ah, richtig: Weinbrandbohnen. Wie erwähnt, das Scherzhafte ist nicht sein Metier.
In Wittlich steht ein Sonderzug mit dem etwas sonderbaren Namen www.euro-strand.de. Eine junge Frau, die Flasche mit dem Pfirsichsekt in der rechten Hand, die Linke auf dem Fensterrand, spuckt in hohem Bogen aufs Festland. Muscheid wendet sich ab.
Muscheid: „1971 fing das Elend an der Mosel an, mit dem Anbau billiger Rebsorten, die hatten mehr Alkohol und waren leichter zugänglich. Ganz früher zählte Moselwein zu den Spitzenprodukten, der schlechte Ruf war dann lange nicht aus den Köpfen herauszukriegen.“ Oft seien die Namen nicht unbedingt ermutigend, werfe ich ein, ich denke da an den „Enkircher Batterieberg“, den würden doch viele gleich mit der Energiekrise in Verbindung bringen. Vielleicht sollte man auch einmal über innovative Marketingstrategien nachdenken.
Muscheid: „Angesichts des unveränderten Trends zu esoterischem Schnokus haben wir Weinmeditationen angeboten, die sind von hohem Erholungswert, weil eine überwiegend denkaktivitätsfreie Zone. Ein weiteres Problem ist allerdings, dass ein Großteil des Weins systematisch im Land vernichtet wird, damit er anderswo keinen Schaden anrichtet!“
Nun, die Schweizer halten das genauso, und von den Franzosen weiß man, dass sie ja auch ihre besten Käsesorten lieber im Land vertilgen, bevor sie sie den „boches“ überlassen.
Muscheid: „Die Moselbahn wurde seinerzeit als Kanonenbahn gegen die Franzosen installiert. Tucholsky hat sich weiland über das ‚Saufbähnchen‘ von Bullay nach Trier ausgelassen. Heutzutage würde so ein Bähnchen sicher ‚Mosel-Saar-Groover‘ heißen.“ Er sagt tatsächlich: Weiland.
Kurzer Einwurf: „Heißt nicht längst das ganze Anbaugebiet nur Mosel?“
Muscheid zuckt die Achseln. Vielleicht ist es auch ein Schluchzer.
Unser Zug fährt durch den Prinzenkopftunnel, Zell lassen wir links liegen. Dort gibt es eine Kulturinitiative, die sich Seitwärts/Aufwärts nennt, und keiner weiß zu erklären, ob das mit der traditionellen Rivalität der moselanischen Längs- und Querschiffahrt zu tun hat oder ob sich Seitwärts/ Aufwärts auf die Fortbewegungsweise der Moselmanen nach Weinfesten bezieht. Die abstrusesten Geschichten über die Schifffahrt, die herzliche Feindschaft zwischen den Zellern und den Kaimtern oder die Rivalitäten unter Winzern vermag virtuos Uli Stein zu erzählen, ein Winzer aus dem Städtchen mit dem schönen Ortsnamen, der selbst Amerikanern ein Lächeln ins Antlitz zaubert: Alf. Sein Haus Waldfrieden verfügt über einen einzigartigen Veranstaltungsraum, ein Rondell hoch über der Doppelstockbrücke über die Mosel (unten Autos, oben der Zug – wie in Amerika), von dem man den Fluss gleich zweimal sehen kann. Innerhalb der Mittelmoselgemeinden, so Uli Stein, gälten die Alfer als Schlawiner, in den Tag hinein lebende Faulenzer, wie Steinbecks Charaktere in Tortilla Flat. Ewig erinnerlich ist mir ein schmales Schaufenster, in dem neben zwei Herrenoberhemden und einer Marienfigur auch zwei Flaschen Underberg standen.
Als in Ehrang die Türen aufspringen, strömt sehr heiße Luft ins Abteil. Das Klima an der Mosel – „Deutschlands nördlichstem Süden“ – ist römisch-mediterran. Die französischen Soldaten, im Volksmund „Bären“ genannt, wurden hier auf Tropentauglichkeit getestet. Damit die Einheimischen ihr Glück, in dieser von Natur und Geschichte so verschwenderisch ausgestatteten Region leben zu dürfen, nicht allzu deutlich im Gesicht tragen, um so den Neid der Nachbarvölker auf sich zu ziehen, haben sie den Viez erfunden – ein Apfelweingetränk mit 13 g/l Säure. In Trier ist fast alles schwarz, selbst das Wahrzeichen, die Porta Nigra. Schwarz scheint auch die Zukunft des jungen Mannes zu sein. Deshalb kann ich es kaum erwarten, die Moselmetropole zu erreichen, denn dort werde ich eine Pause einlegen und versuchen, Sascha Muscheid abzuschütteln. Er mag zwar Reisegefährte sein, aber längst ein ermüdender, und seine Niedergeschlagenheit birgt Ansteckungsgefahr. Auf dem Bahnsteig wirbt eine Tafel für Kümmerling – „der sanfte Bitter“. Dieser Begriff ließe sich ebenso gut auf Muscheid anwenden. Ich mag ihm gar nicht sagen, dass er in Cochem auf dem falschen Gleis eingestiegen ist, denn dieser Zug fährt nach Saarbrücken, und von da muss er sich durchs Nahetal durchschlagen, um nach Mainz zu kommen. Das zieht sich. Über Koblenz wäre das schneller gegangen. Aber vielleicht haben sie ja an der Nahe Bedarf an einem Weinkönig – Publicity brächte das allemal.