Читать книгу Verschwörung der Schmetterlinge - Thomas de Bur - Страница 3
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ОглавлениеIch bin mir nicht so ganz sicher, ob meine derzeitige Lage überhaupt dafür geeignet ist, ausgerechnet jetzt über die schnöde Vergangenheit nachzudenken, aber in Ermangelung halbwegs aussichtsreicher Überlebenschancen schwinden mir gerade die Alternativen. Vielleicht ist es auch ein bisschen Melancholie, aber ich habe mich entschieden, meine offensichtliche Ausweglosigkeit zu ignorieren und rede mir lieber ein, dass ich den passenden Schlüssel zum Lösen meiner aktuellen Realitätsverzerrungen in den Wirren längst verdrängter Dummheiten finden kann. Immerhin wirkt das kämpferisch und ist deutlich besser, als aufzugeben, zu jammern oder den Kopf in den Sand zu stecken. Da kram ich lieber in den alten Zeiten und lenke die Aufmerksamkeit meiner zaudernden Gehirnzellen in die schöne Kindheit, in der ich mich ausgiebig an meine phänomenale Anziehungskraft für katastrophale Kausalketten gewöhnen konnte. Im Gegensatz zu dem geordneten Bürger in der kleinen, ober-schlauen Geschichte weiß ich nämlich ganz genau, dass ich meistens selber schuld bin. Nur, und da liegt das eigentliche Problem, dadurch weiß ich noch lange nicht, wann, wo und wie ich welchen ursächlichen Fehler gemacht habe. Bin ich zu dumm? Zu unaufmerksam? Oder einfach nur ignorant? Das will ich jetzt noch klären.
Ich erinnere mich zum Beispiel gut an den Tag, als mein Vater seinen nagelneuen Käfer ertränkte. Er war mächtig stolz auf seinen schicken Wagen und ich vermute, er musste jahrelang sparen, um ihn sich leisten zu können. Jeden Samstag polierte er ihn blitze-blank und sonntags fuhren wir bei schönem Wetter spazieren. Dieser ungeschickte Tag, von dem ich erzählen wollte, war ein Sonntag und wir besuchten meine Großtante Else. Sie gehörte zu der Linie unserer Sippschaft, die gut kochen konnte. Sie fütterte einen dicken Silberpudel.. Der Pudel war der Grund, weswegen wir noch an die Elbe fuhren. Durch ein überaus unglückliches Zusammentreffen von Fresssucht und Spieltrieb bekam das arme Hündchen nämlich einen heftigen Brechanfall. Meine Großtante Else besaß eine große Kiste mit Spielsachen, die für die Beschäftigung kleiner Störenfriede gedacht war. Darin wartete neben einigen leer gelesenen Pappbilderbüchern und einem zerknirschten Teddybären dieser feine Brummkreisel, der regelmäßig meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Ich war an dem besagten Sonntag zwar schon sechs Jahre alt, aber dieses faszinierende Schwindeln, wenn man ihm beim Drehen ganz genau mit den Augen folgte, war überaus anziehend. An jenem Tag wollte ich nicht alleine zuschauen und versuchte den Pudel als Gesellschaft zu gewinnen. Ich wusste genau, wie gerne er die Salami aus dem Kühlschrank fraß und deswegen habe ich den Brummkreisel ein bisschen aufgepeppt. An einem kurzen Band befestigte ich ein Stück Wurst und das andere Ende knotete ich in einem Loch an der Seite des Spielzeugs fest. Nach dem Starten des Kreisels drehte die Salami lockend ihre Runden und es war nicht überraschend, der Pudel lief im Kreis hinterher. Ich bin nicht ganz sicher, ob die Wurst, die Rollmöpse oder die Marshmallows vielleicht zu alt waren, denn nach einer Weile torkelte der Pudel brummend von dannen. Nachdem er in die Pantoffeln meiner Großtante die unverdaulichen Speisen abgelegt hatte und die Tante Else hinein schlüpfte, weil sie den apathisch auf dem Boden liegenden Liebling an die frische Luft bringen wollte, ging der Fernseher kaputt. Ich weiß aus eigener Erfahrung wie schwer es ist, nichts umzuwerfen, wenn man vor lauter Schreck einen unbedachten Hüpfer machen muss. Meine Großtante zumindest warf die Stehlampe um und die wiederum traf den Fernseher genau auf den gewissen Punkt, an dem die Bildröhre bei zu viel Gewalteinwirkung zerspringt. Meine Eltern bekamen anscheinend Angst, dass der rote Kopf von Tante Else ansteckend war, denn wir verabschiedeten uns hastig. So kam es, das wir noch an die Elbe fuhren. Ich vermute, mein Vater war etwas unkonzentriert, weil er die ganze Zeit mit mir schimpfte. Dabei hatte ich den Fernseher oder die Lampe nun wirklich nicht kaputt gemacht und dass der Pudel sich über-fraß, war auch nicht meine Schuld. Mein Vater parkte kurz vor dem Wasser, auf der abschüssigen Straße, die zu der kleinen Fähre hinunter führte. Als wir von unserem Spaziergang zurückkamen, war der Käfer nicht mehr da und am Ufer, wo die Fähre immer anlegte, hatte sich eine große Menschentraube gesammelt. Auf beiden Seiten der Elbe war Stau, denn die Fähre konnte nicht mehr übersetzen. Der Käfer versperrte den Weg, er parkte in den braunen Fluten. Es hat Monate gedauert, bis der Wagen wieder trocken war, aber er fuhr noch. Mein Vater war zu Recht stolz auf seinen Käfer, denn wer überlebt es schon, stundenlang im Wasser der Elbe auszuharren. Die Großtante Else besuchten wir eine ganze Weile nicht. Mit den Jahren wurde mein Vater gelassener, nur meine Mutter machte sich immer mal wieder um meine Zukunft Sorgen. Die Befürchtungen waren natürlich völlig unbegründet. Oft wird auch viel zu viel Aufhebens um kleine Missgeschicke gemacht und wenn man ehrlich ist, ein bisschen Salz in der Suppe ist sogar nötig. Dabei fällt mir allerdings ein, dass es nicht übertrieben werden sollte. Ich spreche aus eigener Erfahrung, zu viel Salz kann ziemlich unangenehm sein. Ich war einmal der süße Schleppenträger an einem Vereinigungstag. Weil die heiratswütige Schwester meiner Mutter meine Patentante Gisela war, fiel die Wahl auf mich, als sie einen hauchdünnen Ingenieur fand, den ihre fehlenden Kochkünste nicht störten. Meine Mutter äußerte damals ein paar Bedenken, doch für meine Tante Gisela kam nur ich als Träger der weißen Pracht in Frage. Sie entführten mich zum hiesigen Friseur am Ende der Straße und obwohl ich versuchte, mich gegen diesen albernen Seitenscheitelschnitt zu wehren, beendete der Barbier ohne mit der Wimper zu zucken sein grausames Werk. Ich muss gestehen, dass ich ihm seine Methoden außerordentlich übel nahm, er band mich an dem Folterstuhl doch tatsächlich fest. Ich glaube, ich war der Einzige, der zufrieden lächelte, als ein Lastwagen mit flüssigem Teer in sein Schaufenster kippte und er das Haargeschäft zwangsweise aufgeben musste. Das ereignete sich allerdings erst viele Jahre später. Der dunkle, samtene Anzug für die tragende Rolle bei der Hochzeit fand mein Gefallen, am blütenweißen Hemd wallten jedoch zu viele Rüschen, so dass man überall ein tunkte und die schwarzen Lackschuhe glänzten zu sauber. Das Glänzen kaschierte ich vor meinem Auftritt in den heiligen Hallen, als ich aus Versehen in die glitschigen Hinterlassenschaften der Kirchturmtauben trat und die Schuhe im spärlich wachsenden Gras abwischte. Insgesamt habe ich meine Aufgabe an dem besonderen Tag zu allseitiger Zufriedenheit meistern können. Mir ging das alles nur viel zu schnell. Seit meinen Kindergartentagen gehöre ich eher zu den bedächtigen Gehern. Meine Tante war an dem Tag einfach zu sehr in Eile und rauschte forsch zwischen den Bankreihen Richtung Altar. Obwohl ich wegen der ungewohnten Geschwindigkeit stolperte und der Länge nach auf ihren weichen, weißen Kleiderteppich stürzte, ließ sie sich von der Heirat nicht abhalten, sondern zog mich, auf der Schleppe liegend, bis zum erstaunt gaffenden Pastor unter die Kanzel. Außer diesem kleinen Zwischenfall lief trotzdem alles glatt und ihr Auserwählter stimmte allen heiklen Fragen bedenkenlos zu. Gefeiert und gegessen wurde im Gasthaus unserer Straße. Leider konnte ich das Fest nur bis zur Hochzeitssuppe verfolgen. Ich ärgerte mich ein bisschen über den Silberpudel. Er hatte die schlechte Angewohnheit, wenn es etwas zu essen gab, grundsätzlich bei mir unter dem Tisch zu sitzen. In der aufgetischten Suppe schwammen drei dieser leckeren Mettbällchen um den Eierstich herum. Als das erste Bällchen vom Löffel kullerte, war der silberne Vielfraß natürlich schneller als ich. Um es ihm für die Zukunft zu verleiden, wollte ich das Zweite vorsichtshalber etwas würzen und griff zu Pfeffer und Salz. Beim Salzstreuer saß der Deckel leider nicht fest und bevor ich richtig reagieren konnte, hatte ich einen großen Haufen Salz in der Suppe. Ich rettete das unverdorbene Mettbällchen mit den Fingern in meinen Mund, auf dem Anderen häufte sich blöderweise das Salz zu einem weißen, körnigen Berg. Weil ich an dem Kindertisch saß, war das Gelächter natürlich groß. Ich stand entrüstet auf und wollte meine Mutter um ihre Hilfe bei der Rettung des versalzenen Fleischstückes bitten, doch kein geringerer als der Silberpudel machte mir einen Strich durch die Rechnung, denn er sprang an meinem Bein hoch und brachte mich zu Fall. Der Teller zerbrach natürlich und das salzige Bällchen kullerte über den Fußboden, bis es von einer gierigen Hundezunge aufgeschleckt wurde. Erfreulicherweise bekam ich sofort einen zweiten Teller, voll mit Suppe und drei frischen Mettstückchen, so dass ich wegen der unerwartet wohlwollenden Entwicklung in mich hineingrinsen musste. Um nicht den gleichen Fehler zweimal zu begehen, griff ich mir einen anderen Salzstreuer. Es hätte mich stutzig machen müssen, dass alle Kinder, still und gebannt, auf ihre Teller starrten. Das schallende Gelächter, als mir erneut ein riesiger Haufen Salz in die Suppe schwappte, rief logischerweise meinen gekränkten Stolz hervor. Ich fischte den Deckel des Salzstreuers zwischen dem Eierstich heraus und aß, ohne eine Miene zu verziehen, den ganzen Teller ratzekahl leer. Danach habe ich in meinem ganzen Leben nie wieder eine Hochzeitssuppe angerührt. Eine halbe Stunde nach dem Essen holte mich ein Krankenwagen mit Blaulicht ab und ich lernte die Intensivstation des Krankenhauses Hamburg – Barmbek das erste Mal von innen kennen.