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ОглавлениеDer erste Rückschlag traf mich schon drei Tage später mit voller Wucht. Ich saß vergnügt mit meinen Eltern am Frühstückstisch und überlegte, wie ich meinen Tag gestalten konnte. Wenn Eltern sich verbünden, haben Kinder ja nichts zu lachen. An diesem Tag eröffnete mein Vater das Tribunal, indem er mich fragte, wie denn nun meine Zukunft aussehen sollte. Ich hätte zwar eine Ausbildung, aber keinen Job. Die Frage erwischte mich verständlicherweise auf dem falschen Fuß. Ich dachte, dass ich erst einmal eine Weile meinen Leidenschaften nachgehen konnte. Etwa zwei Jahre zuvor erwischte mich das Flohmarktfieber, als ich ein paar alte Bücher meines Vaters verkaufen durfte. Seitdem trieb ich mich auf den Dachböden von Bekannten, in leer stehenden Gebäuden oder in vergessenen Hamburger Ecken herum und frönte meinem Hobby der Krempelarchäologie. Die gefundenen Schätze verkaufte ich auf den Flohmärkten und verdiente so ein gutes Taschengeld nebenbei. Da es in Hamburg noch tausend Ecken gab, in denen ich alte Schätze ausgraben konnte, war meine Zeit eigentlich verplant. Auf die Flohmärkte mit ihrer ganz eigenen Atmosphäre freute ich mich schon. Jetzt wollte ich meinem Vater aber nicht antworten, dass ich Krempelarchäologe sein wollte. Er wusste zwar von meinem Steckenpferd, aber er sah den Trödel nur als Zubrot und als Beschäftigung während der Freizeit. Doch bevor ich meinem Vater antworten konnte, mischte sich meine Mutter ein und packte noch einen drauf. Sie meinte, dass es für mich an der Zeit war, auf eigenen Füssen zu stehen. Das muss man sich einmal vorstellen. Aus heiterem Himmel wird man von seinem eigen Fleisch und Blut vor die Tür in der zugige Kälte gesetzt. Ich war geschockt, auch wenn mir meine Mutter versicherte, dass ich natürlich jederzeit zum Essen kommen durfte. Vollkommen sprachlos verfolgte ich die Planung meiner Eltern, in der ich die nächsten Wochen intensiv nach einer Arbeit suchen und ungefähr in sechs Monaten eine eigene Wohnung beziehen sollte. Nach dem Frühstück brauchte ich erst einmal Luft und schlenderte gedankenverloren durch unsere Straße in eine ungewisse Zukunft. Ich war geistig anscheinend zu weit weg, denn nachdem ich die breite Querstraße am Ende unserer Straße überquert hatte und hundert Meter weiter die nächste Kreuzung erreichte, wartete ich unglücklicherweise nicht auf das grüne Ampelmännchen, sondern schlurfte mit gesenktem Haupt auf die Fahrbahn. Sofort quietschten neben mir die Reifen, gefolgt von aufgeregtem Gehupe. Beinahe wäre ich überfahren worden, aber der Fahrer hatte noch rechtzeitig gebremst. Er war jedoch stinksauer, wetterte schon im Auto über mich und wollte aussteigen. Als er die Tür öffnete, blickte er dummerweise nicht nach hinten und übersah ein Würstchenfahrrad. Ich weiß jetzt nicht, ob jeder ein Würstchenfahrrad kennt. Das sind diese dreirädrigen Fahrräder, an denen hinten oder vorne ein Kasten befestigt ist. Meistens besitzen diese fahrenden Stände auch eine kleine Markise oder ein Dach. Eisverkäufer haben solche Dreiräder auch oft. Das Würstchenfahrrad hatte als Dachdekoration eine große Bockwurst. Der Lenker des Dreirades musste wegen der aufgehenden Autotür einen schnellen Schwenker machen, sonst wäre er voll hinein gerauscht. Im Weiterrollen beschimpfte nun der Würstchenverkäufer den unachtsamen Türöffner. Das ließ sich der Autofahrer natürlich nicht bieten und schimpfte lauthals, mit den Fäusten drohend, hinterher. Ich nutzte die Gelegenheit, zog mich auf den Bürgersteig zurück und schlenderte in anderer Richtung weiter. Als ich mich noch einmal umdrehte, weil die Beiden immer noch schrien, blieb ich dann doch fasziniert stehen. Der Fahrradfahrer schimpfte nach hinten zum Autofahrer, radelte schnurstracks bei rot auf die Kreuzung und in den Querverkehr hinein. Von der Seite näherte sich ein Bus. Kaum registrierte ich die gefährliche Situation, quietschten schon die Reifen und mehrere Autos hupten. Der Bus wich aus, weg von dem sich nähernden Würstchen. Aus der Ausweichrichtung kamen natürlich Autos, die nun ihrerseits heftig bremsen mussten. Jeder kennt ja die Dominosteinwettbewerbe, bei denen nacheinander die Steinchen umfallen. So war es dort auf der Straße. Es krachte zwar nirgends, aber die Fahrzeuge bremsten, quietschten und hupten. Das setzte sich bis zu der Straße, in der ich wohnte, fort. Der letzte Wagen, der mit großer Geschwindigkeit angefahren kam und eine Vollbremsung machen musste, war ein Baulastwagen mit flüssigem Teer. Das Schwappen des Tankinhalts brachte den Lastwagen ins Schleudern und Sekunden später krachte er seitwärts kippend in das Schaufenster des hiesigen Friseurs. Dann kehrte Ruhe ein und alle Wagen im weiten Umkreis standen still, während der widerlich stinkende Teer, wie zähe, ausgebrochene Lava, aus dem aufgerissenen Tank quillte. Ich erwähnte ja schon, dass ich mir in dieser Situation ein Lächeln nicht verkneifen konnte, aber vor allem deshalb, weil mir gleichzeitig eine geniale Idee gekommen war. Ich wusste urplötzlich, wie meine Zukunft aussehen sollte. Ohne großartig Zeit zu verlieren, stiefelte ich zur nächsten Bushaltestelle und fuhr zur Handelskammer. Ich brauchte Informationen, aber die Bürokraten sind ja nicht so schnell wie energische, junge Unternehmer. Bei der Kammer angekommen, hielt mich leider schon der Pförtner zurück, denn man benötigte natürlich eine Besuchsgenehmigung. Ungeduldig brummend ließ ich mir einen Termin für die darauffolgende Woche geben und machte mich auf dem schnellsten Weg nach Hause, um meine Strategie genau zu durchdenken. Als ich an dem Friseurladen vorbei kam, wurde der flüssige Teer schon hart und der Barbier raufte sich die Haare. Für dessen Sorgen hatte ich in dem Moment aber keine Zeit und deswegen hielt ich mich bei der gaffenden Menge nicht auf. Ich schnappte mir ein paar leere Blätter vom Schreibtisch meines Vaters und zog mich in mein Zimmer zurück. Das Würstchenfahrrad brachte mich auf die Idee, dass es in Hamburg noch keinen mobilen Konditor gab. Ich wollte selbstständiger Unternehmer werden und mir so ein Dreirad zulegen, um meine Leckereien an exponierten Stellen der Stadt zu verkaufen. Neben besonderen Süßigkeiten sollte es an meinem mobilen Stand auch Torten und Kaffee geben. Ein Lieferservice für Veranstaltungen wie Geburtstage, Firmenfeiern oder ähnliches rundete meine Geschäftsidee ab. Mir war vollkommen klar, dass ich die lüsternen Weihnachtsmänner nicht offen auf der Straße verkaufen konnte, aber ich hatte genug Ideen für andere saisonale Kreationen mit Pfiff. Meine Krempelarchäologie wollte ich nutzen, um an Startkapital zu kommen. Im Geiste plante ich eine ganze Armada von Pralinendreirädern, um das gesamte Stadtgebiet flächendeckend versorgen zu können. Auf meinen Zetteln listete ich erst einmal die nötigen Anschaffungen auf. Neben dem Dreirad brauchte ich einen Haufen Zutaten für die ersten Torten, Pralinen und Kreativleckereien. Das Herstellen plante ich für den Anfang in der heimischen Küche, aber ein paar Utensilien waren trotzdem nötig. Einen Führerschein wollte ich ebenfalls machen und mir ein billiges Auto kaufen, denn für die Krempelarchäologie, für die Flohmärkte und für Großaufträge brauchte ich ein größeres Transportmittel. Als ich die Liste, die immer länger wurde, zusammenrechnete, bekam ich einen gehörigen Schreck. Mit mindestens viertausend D-Mark Startkapital musste ich rechnen. Auf dem zweiten Zettel, wo ich meine laufenden Kosten bei einer eigenen Wohnung zusammenaddierte, standen ebenfalls schon fünfhundert D-Mark pro Monat, obwohl ich ein wöchentliches Essen bei meinen Eltern berücksichtigte. Ich legte die Zettel daraufhin zur Seite und entschied mich, das Beratungsgespräch bei der Kammer abzuwarten. An den Tagen bis zu dem Termin plante ich inzwischen mein saisonales Sortiment und an welchen Ecken von Hamburg die besten Aussichten auf Verkaufserfolge zu erwarten waren. Ich sprühte voller Tatendrang und war mir sicher, dass ich eine schöne Aufgabe gefunden hatte. Die deutsche Bürokratie wollte mir allerdings einen Strich durch die Rechnung machen, denn hierzulande darf man ja nicht einfach seine Idee umsetzen. Ich will jetzt nicht in allen Einzelheiten schildern, was mir an ausgewachsenen Stolpersteinen in Form von Formularen, Papierkram und Genehmigungsverfahren in den Weg gelegt wurde. Zum Glück hatte ich meine Eltern, die meinen Plan mit Freuden unterstützten, sonst hätte ich bestimmt entmutigt aufgegeben. Mein Vater versprach mir, bei dem bürokratischen Papierkram zu helfen und meine Mutter stellte mir ihre Küche zur Verfügung. Zusätzlich erhielt ich von den Beiden ein dickes Startkapital von eintausend D-Mark. Durch die vielen staatlichen Vorgaben und kostenpflichtigen Anträge war mein notwendiges Startkapital auf fünftausend D-Mark angewachsen. Ich ließ mich jedoch nicht beirren und schon gar nicht von meinem Plan abhalten. Ich klapperte in der Folgezeit alle Verwandte und Bekannte ab und trommelte für meine Idee. Fast überall erhielt ich die Zusage, dass ich für zukünftige Feiern etwas liefern durfte und ein paar Verwandte stockten sogar mein Kapital auf. Gleichzeitig bettelte ich mir alten Krempel zusammen, den ich auf dem Flohmarkt verkaufen wollte. Als Zwischenlager räumte ich unseren Keller auf und verstaute alle eingesammelten Schätze geordnet in einem Raum. Mit einem geliehenen Anhänger für mein altes Fahrrad besuchte ich nun jedes Wochenende die Flohmärkte der Umgebung. Mein Kapital wuchs langsam aber stetig und bald war der Keller wieder leer. Ich brauchte Nachschub und verbrachte die freie Zeit zwischen den Märkten damit, nach verkäuflichem Krempel zu suchen. Einmal hatte ich besonderes Glück, sogar in zweifacher Hinsicht. Es war nämlich so, dass ich mir angewöhnt hatte, meine Umgebung genau zu beobachten und regelmäßig auf Veränderungen zu kontrollieren. Es gab in jeder Straße leer stehende Häuser, aber ich wollte dort nicht einfach so einsteigen und nach Krempel suchen. Das änderte sich natürlich immer dann, wenn klar war, dass kein Eigentümer Interesse an dem Inhalt des verlassenen Ortes hatte. Bei einem Haus, ein paar Straßen weiter, erhielt ich das Signal zur Ausbeutung, als ein Bauzaun aufgestellt wurde. Das Haus sollte anscheinend abgerissen werden. Bevor die Bauarbeiter alles demolierten, wollte ich eine archäologische Expedition in die alten Gemäuer wagen. Die Zeit drängte und weil ich den Arbeitern nicht in die Arme laufen wollte, plante ich meinen Erkundungsausflug für die dunkle Zeit des Tages. Erfreulicherweise sparen Firmen ja immer mehr, deswegen wurde bei dem leer stehenden Haus nur vorne ein hoher Bauzaun aufgestellt. Von hinten kam man, wenn man zwei Nachbargärten durchquert hatte, problemlos dran. Ich kleidete mich schwarz ein und neben einer Taschenlampe trug ich eine große Stofftasche bei mir. Mein Fahrrad mit dem Anhänger stellte ich in der Nähe vor einem Haus ab und nach vorsichtigem Schleichen durch die dunklen Gärten, stand ich genau um Mitternacht an der rückwärtigen Seite des leeren Gebäudes. Jetzt war meine Expedition bis zu diesem Zeitpunkt ja schon mächtig aufregend und mein Herz pochte auch bis zum Hals, aber ich hätte niemals gedacht, was mich dort erwarten würde. Eines der hinteren Fenster stand offen und so gelangte ich ohne Probleme hinein. Den Schein der Taschenlampe deckte ich mit der linken Hand so weit ab, dass ich gerade genug sehen konnte, denn ich sollte von draußen cht bemerkt werden. Im vorderen Teil des Hauses verzichtete ich am Anfang ganz auf die Lampe, denn die Straßenbeleuchtung gab genug Licht durch die Fenster. Trotzdem fand ich es ganz schön unheimlich. Überall hingen schimmelige Tapetenreste von den Wänden, es war staubig und roch muffig. Das Erdgeschoss war vollkommen leer und auch im ersten Stock war nichts Interessantes zu entdecken. Die alte Holztreppe, über die man zu den oberen Stockwerke gelangte, knarrte verräterisch, während ich leise die Stufen empor schlich, aber dabei dachte ich mir nichts. Im zweiten Stock fand ich ein paar alte Postkarten, die mit Reissbrettstiften an einer Wand befestigt waren, aber ansonsten war auch dort alles leer und ausgeräumt. Weil ich im letzten Stock ebenfalls nichts Verwertbares fand, wuchs langsam meine Enttäuschung, denn es gab nur noch den Dachboden und den Keller als mögliche Fundorte. Als ich die Holztür zum Dachboden aufzog, verursachte ich einen ziemlichen Lärm. Die alte Tür klemmte und schabte mit einem hässlichen Geräusch über den Dielenboden. Als ich erschreckt in die Stille horchte, war mir im ersten Moment so, als ob ich von unten ein Knarren hörte. Ich wagte nicht mich zu bewegen, aber es blieb alles still und nach einer Weile zwängte ich mich durch die Tür hindurch. Eine schmale, steile Holztreppe führte unter das Dach. Dort angekommen, schien auch der Dachboden auf den ersten Blick leer zu sein, doch dann entdeckte ich im Schein der Taschenlampe in einer hinteren Ecke einen Haufen Gerümpel. Aufgeregt lief ich zu meinem Fund und nachdem ich mir die unangenehmen Spinnweben aus dem Gesicht gewischt hatte, inspizierte ich das Gerümpel genauer. Zwei kaputte Stühle, Teile eines Kinderbettes und zwei Säcke mit alter Bettwäsche lagen dort, wenn man oberflächlich hinschaute. Den Schatz entdeckte man nur, indem man die zwei Säcke zur Seite schob. Ich jauchzte leise vor Freude, denn ich fand einen uralten Reisekoffer. Als ich ihn zu mir heranzog, spürte ich, dass er voll war. Es klapperte im Innern und er war recht schwer. Das alte verrostete Schloss sprang nicht auf und deswegen entschied ich, ihn einfach mitzunehmen. Als ich mich erhob, fing der unangenehme Teil meiner Expedition an. Ich stieß mir an einem Dachbalken heftig den Kopf und musste eine ganze Weile reiben, bis der Schmerz nachließ. Über-vorsichtig schlich ich die steile Treppe vom Dachboden hinunter und nach anschließendem mühsamem Abstieg durch das knarrende Treppenhaus hievte ich den schweren Koffer aus dem Fenster in den Garten hinaus. Ich hätte zufrieden sein können und meinen Ausflug beenden können, aber was man angefangen hat, muss man auch zu Ende führen. Den Keller hatte ich noch nicht kontrolliert und das wollte ich nachholen. Eine brüchige Steintreppe, die vor einer Holztür endete, führte nach unten. Die Tür lehnte nur an und durch den Spalt gähnte ein schwarzes Loch. Langsam schob ich die gefährlich knarrende Tür auf und leuchtete hinein. Ein leerer Gang lag vor mir. Die Wände bestanden aus nackten Ziegelsteinen und der Boden aus gestampften Lehm. Es roch etwas merkwürdig, aber ich konnte den Geruch nicht identifizieren. Mutig trat ich ein und schlich vorsichtig bis zum ersten Raum, der linke Hand lag. Ich hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als mir plötzlich das Herz stehen blieb. Ein martialischer Schrei hallte durch das Kellergewölbe und aus dem gegenüber liegenden Raum sprang ein großer, furchtbarer Schatten auf mich zu. Vollkommen panisch zuckte ich zusammen, schrie hysterisch, wie am Spieß, und zitterte so heftig, dass ich die Taschenlampe fallen ließ. Zweimal blinkte die Leuchte noch, stellte dann aber die Unterstützung ein. Im gleichen Moment wurde ich von etwas Hartem am Oberarm getroffen. Der fiese Schatten schlug mit irgendetwas auf mich ein. Ich steckte in einem dunklen Loch und sollte Opfer eines bestialischen Monsters werden. In solchen Situationen ist es beruhigend, dass zumindest der Fluchttrieb noch einwandfrei funktioniert. Irgendwie schaffte ich es, zur Kellertür zu kommen und zog sie sogar hinter mir zu. Die mich verfolgende Bestie rannte von innen gegen die Tür, dass es krachte. Derweil stolperte ich hektisch nach oben und flüchtete mit einem filmreifen Hechtsprung aus dem Fenster, durch das ich gekommen war. Natürlich klappte das bei mir nicht so elegant wie im Film. Ich stieß mir das Knie am Fenstersims und mein Aufschlagen auf dem Gartenboden hatte auch eher Ähnlichkeit mit dem Fall eines nassen Mehlsackes, aber außer vielen blauen Flecken und einigen Schürfwunden blieb ich von Schlimmeren verschont. Panisch setzte ich meine Flucht durch die Gärten fort und erst als ich bei meinem Fahrrad ankam, sank ich erschöpft und nervlich vollkommen fertig zu Boden. Zum Glück erholte ich mich schon damals von aufwühlenden Erlebnissen recht zügig. Nachdem ich zu Atem gekommen war und sich mein Herzschlag halbwegs normalisiert hatte, fiel mir siedend heiß ein, dass mein Schatz noch im Garten des leeren Hauses lag. Ich konnte unmöglich auf den Koffer verzichten, die ganze nächtliche Tortur wäre umsonst gewesen. Ich überlegte nicht lange und schlich den ganzen Weg zurück. Der Mond schien hell vom wolkenlosen Himmel und leitete mich mit seinem Dämmerlicht durch die Gärten. Bei jedem Schritt hielt ich inne und horchte in die Dunkelheit. Nach einer schieren Unendlichkeit erreichte ich endlich den Garten des alten Hauses. Nichts Gefährliches war zu entdecken, nichts rührte sich in den dunklen Fensterlöchern. Mutig, aber bereit sofort zu flüchten, schlich ich näher heran. Der Koffer lehnte an der Wand unter dem Fenster, durch das ich eingestiegen war. Immer das Fensterloch im Auge behaltend, näherte ich mich behutsam und geduckt meinem Schatz. Als ich ihn erreichte und den Tragegriff mit meinen Fingern umklammerte, dachte ich schon, ich hätte es geschafft. Allerdings soll man niemals den Tag vor dem Abend loben und so war das auch in diesem Fall. Genau in dem Moment, als ich den Koffer packte und anhob, erschien das Grauen aus dem schwarzen Fensterloch. Mit einem wütenden Knurren, das aus einem stinkenden Gebiss mit schiefen, schmutzigen Zähnen ausgestoßen wurde, zuckte eine unrasierte, hässliche Grimasse aus der Dunkelheit auf mich zu und starrte mich aus weit aufgerissenen, blutunterlaufenen Stielaugen an. Ich war vollkommen hypnotisiert und gaffte apathisch zuckend und jämmerlich winselnd zurück. Sekunden später erschien neben der Fratze ein dicker Knüppel und schlug erneut auf mich ein. Ich fiel schreiend rückwärts auf den Hosenboden und wurde schmerzhaft auf meine Schulter getroffen. Wieder rettete mich mein unbändiger Fluchttrieb, diesmal allerdings ohne den Koffer loszulassen. Wie ein aufgescheuchtes Wildschwein hetzte ich mit dem Koffer in der Hand durch die Büsche und über die niedrigen Zäune der Gärten. Meine Hose ging kaputt, aber meine Zähigkeit lohnte sich. Ohne verfolgt zu werden, erreichte ich mein Fahrrad, verstaute den Koffer im Anhänger und raste nach Hause. In meinem Zimmer leckte ich meine Wunden und seufzte herzerweichend, als ich mich im Spiegel betrachtete. Ich sah übel aus, überall hatte ich blaue Flecken und Schürfwunden. Auch die Hose war nicht mehr zu retten. Ich konnte damals allerdings noch nicht wissen, dass meine nächtlichen Erlebnisse nicht im Geringsten mit den späteren Unglücken zu vergleichen waren, die mich in mein derzeitiges Loch gebracht haben. Aber dazu kommen wir noch. Für all die Schrecken in dem leeren Haus wurde ich fürstlich belohnt, als ich den Koffer mit einem Schraubenzieher öffnete. Der Koffer war randvoll mit Teilen einer Spielzeugeisenbahn. Schon als ich die kleinen, alten Dampfloks in Händen hielt, wusste ich, dass mir dieser Fund viel Geld einbringen würde. Ich sollte Recht behalten. Nachdem ich den Inhalt in einem Geschäft für Spielzeugeisenbahnen hatte anschauen und prüfen lassen, konnte ich alles zusammen für fast zweitausend D-Mark an einen Sammler verkaufen. Durch diesen Schatz hatte ich genug Geld zusammen, um mein eigenes Unternehmen zu starten. Euphorisch begann ich mit den Vorbereitungen. In Bezug auf das Dreirad hatte ich mich bei meiner Planung leider verkalkuliert, ein Neues war viel teurer, als ich vermutet hatte. Aber wer braucht schon was Neues wurde zwangsläufig meine Devise und nach einigem Klinkenputzen ergatterte ich für kleines Geld ein ausrangiertes Eisverkäuferdreirad, reparierte es in tagelanger Kleinarbeit, lackierte es in einem glitzernden Knallrot mit aufgemalter gelber Schleife auf dem Kasten, demontierte die Eistüte aus Plastik und ersetzte sie mit einer großen Praline aus leichtem Blech, die einen schokoladenbraunen Anstrich bekam und durchaus realistisch aussah. Eine silberne Bimmel mit hellem Glöckchenton komplettierte das dreirädrige Glanzstück. Mein rollendes Geschäft war fertig und ich startete in der Küche meiner Mutter die Produktion der Leckereien. Vierzehn Tage später, an einem sonnigen Samstag im März, ging ich das erste Mal in einer blütenweißen Konditoruniform auf große Fahrt. Man konnte es sich ja fast denken, ich hatte einen riesigen Erfolg. Am ersten Tag waren die Schokoladenpistazientorte, der hausgemachte Käsekuchen und der heiße Kaffee aus der Thermoskanne schneller weg, als ich gucken konnte und von meinen edlen Pralinen verkaufte ich zwanzig Tüten a hundert Gramm. Als ich am frühen Abend zurück kam, meine Kasse auf dem Küchentisch ausschüttete und das Geld zählte, standen mir wirklich Tränen in den Augen vor Glück. Ich nahm einhundertachtzig D-Mark ein und es hätte leicht noch mehr sein können. Es lief also richtig gut an und ich beschloss noch einen drauf zu setzen. Diese lüsternen Weihnachtsmänner gingen mir ja nicht aus dem Kopf, aber ich konnte sie unmöglich offen auf meinem Dreiradkasten präsentieren. Auf St. Pauli wäre es vielleicht gegangen, aber die Reeperbahn ließ ich in meiner Planung außen vor, weil die dortigen Passanten eher was Anderes im Kopf haben. Ich wollte aber gerne zu Ostern ein paar Rammelhasen anbieten und so bastelte ich mir eine Lösung. Einen Holzkasten, in dem normalerweise Lebkuchen aufbewahrt wurde, peppte ich innen und außen mit rotem Samt auf. Mit einem ebenfalls aus rotem Samt umwickelten Brett, das man leicht herausnehmen konnte, schuf ich einen doppelten Boden. Auf den Deckel des Holzkastens klebte ich in goldenen Buchstaben die Warnung: »Ab 18 Jahre!« und auf die Vorder- und Rückseite der Kiste: »Nur für Erwachsene!« Im doppelten Boden warteten dann meine lüsternen Kreationen auf Käufer und zur Tarnung belegte ich das herausnehmbare Brett mit extra großen Alkoholpralinen. Wenn mir ein Käufer nicht geheuer vorkam oder wenn mich jemand kontrollieren wollte, hätte ich nur die Schnaps-Pralinen gezeigt. Bei den Preisen orientierte ich mich an den astronomischen Vorstellungen, die die Konditorchefin bei den Weihnachtskreationen durchsetzte. Also, dieser spezielle Samtkasten, der war nach jeder Ausfahrt ratzefatz leer. Vor allem die Frauen konnten nicht von meinem Stand weg, bevor sie nicht wussten, was in dem geheimnisvollen Kasten drin war. Schnell gewann ich erfreulich viele Stammkunden, die immer wieder von der lüsternen Serie kauften und ihre witzige Errungenschaft anscheinend im ganzen Bekanntenkreis herumzeigten. Durch die Verteilung von Werbezetteln bekam ich nebenbei immer mehr Aufträge für Lieferungen für Veranstaltungen oder besondere Anlässe, so dass auch die Tage in der Woche, wenn ich nicht mit dem Dreirad unterwegs war, schnell mit Produktion und Auslieferungen ausgefüllt waren. Ich hatte mir das Startkapital, das für den Führerschein und das Auto gedacht war, in Reserve behalten. Als der Erfolg auch nach zwei Monaten anhielt, meldete ich mich zur Fahrstunde an. Jetzt mag das etwas übermütig klingen, weil ich ja so ein Glück mit dem Geschick habe, aber mit Konzentration schafft man vieles, was oberflächlich betrachtet unmöglich erscheint. Natürlich würgte ich am Anfang den Fahrschulwagen immer ab oder vergaß die Handbremse anzuziehen. Rückwärts einparken klappte aber ganz gut, nur aus der Parklücke heraus zu fahren bereitete mir oft Schwierigkeiten, weil ich rückwärts mit vorwärts verwechselte. Zwei oder drei Mal gab es Kratzer oder kleine Beulen, aber Fahrlehrer sind ja gut versichert. Zwei Monate später bestand ich die Führerscheinprüfung und ich konnte auf die Suche nach einem netten Auto gehen. Es sollte ein billiges, gebrauchtes Übungsauto mit genug Platz werden. Ich vertrödelte damals viele Tage, um die ganzen Autohäuser abzuklappern, aber ich konnte mich nicht entscheiden. Die Autos, die dort herumstanden, waren mir alle zu gewöhnlich oder zu klein oder zu teuer. An einem sonnigen Spätsommertag, als ich mit dem Dreirad meine Stationen besuchte, entdeckte ich dann endlich mein neues Auto. Es stand an einer Tankstelle und guckte mich schief an. Es war knallrot und hatte überall weiße Blubberblasen aufgemalt bekommen. Ein Citroen 2 CV, eine Ente, und Liebe auf den ersten Blick. Ich kannte die Automarke von einem Bekannten. Wenn man bei diesen Wagen die Rückbank herausnahm, hatte man Platz ohne Ende und dieses sanfte Schaukeln und die mäßige Geschwindigkeit passten ausgezeichnet zu mir. Über eine Ente sagt man, dass es das einzige Auto ist, in dem rohe Eier beim Fahren selbst ohne Verpackung nicht zerbrechen. Ideal für meine empfindlichen Torten, dachte ich. Ein kleiner Nachteil der Ente von der Tankstelle war, dass sie schief guckte, weil sie keinen TÜV hatte. Eine Achse war gebrochen stand auf dem Verkaufszettel. Dafür kostete sie aber auch gerade einmal dreihundert D-Mark. Mein Budget waren Eintausend, also entschied ich mich schnell zum Kauf und machte noch am gleichen Sonntag den Vertrag mit dem Tankstellenbesitzer. Ich hatte keine Ahnung von Autos, aber ich stellte mir das nicht so schwierig vor, eine Achse auszutauschen und TÜV machen zu lassen. Mein Vater kannte eine günstige Werkstatt und so beauftragte ich gleich am Montagmorgen den dortigen Chef, mein neues Auto mit einem Hänger abzuholen und die Achse zu reparieren. Nun, zu der Achse kamen leider noch ein paar Kleinigkeiten hinzu. Die Bremsen mussten komplett neu, zwei Reifen waren abgefahren, der Auspuff war undicht und irgendwelche Dämpfer waren ausgeschlagen. Mit dem neuen TÜV kostete mich der Spaß günstige eintausendfünfhundert D-Mark. Dann wollten noch die Versicherung und die Steuerbehörde ihren horrenden Obolus, damit ich endlich fahren durfte. Wenn ich in den Monaten zuvor nicht so wahnsinnig gute Geschäfte gemacht hätte, wäre ich an den Rand des Ruins getrieben worden. Das war ziemlich schmerzhaft, aber ich erhielt als Gegenwert eine wunderbare Ente und das schnöde Geld war mir noch nie übertrieben wichtig. Wenn zwei Monate später dieser greisenhafte Mercedesfahrer nur nicht so tüddelich gewesen wäre. An dem Tag war ich gerade auf Auslieferungsfahrt. Hinter mir, im großen Kofferraum, schaukelte ich zehn Torten zu einer Hochzeit im Hamburger Hafen. Pfeifend stand ich an einer roten Ampel, denn zehn Torten lieferte ich nicht jeden Tag aus. Außerdem flatterten damals die Schmetterlinge in meinem Bauch, aber dazu komme ich gleich noch. Bei einem meiner obligatorischen, kurzen Blicke in den Rückspiegel, sah ich einen silbernen Mercedes von hinten kommen. Die Ampel war aber wichtiger, denn ich wollte natürlich nicht im Weg herumstehen. Sie zeiget immer noch rot und ich blickte ganz automatisch noch einmal in den Spiegel. Der Mercedes kam näher und normalerweise denkt man sich dabei ja nichts. In diesem Fall stutzte ich jedoch, weil er immer noch gleich schnell erschien und ich hätte anstelle des Mercedesfahrers schon das Gas zurückgenommen. Ich blickte schnell zur Ampel, doch sie war eindeutig rot. Mein Fuß stemmte sich reflexartig auf die Bremse, so dass meine Bremslichter sicher heller leuchteten, als die rote Ampel. Doch der Fahrer des Silberpfeils dachte nicht daran, meine Signale richtig zu interpretieren. Der silberne Mercedes wurde, wie meine Augen, die gebannt im Rückspiegel festklebten, immer größer und wuchs zur Bedrohung. Kurz bevor der schwere Wagen auf mein Entchen prallte, nahm ich sinnvollerweise den Fuß von der Bremse. Es gab einen lauten, dumpfen Knall und schon katapultierte mich der wuchtige Stoß des Aufpralls, mitsamt den zehn Torten, ein paar Meter nach vorne, über die rote Ampel auf die Kreuzung. Aus heiterem Himmel steckte ich in einem schweren Blitzlichtgewitter, weil die Verkehrsüberwachungskameras mich von allen Seiten ablichteten. Zum Glück war ich angeschnallt und trug keine Blessuren davon, aber mit zitternden Knien stieg ich aus. Von hinten war meine Ente ziemlich geplättet, sie hatte etwa ein Drittel ihrer Länge eingebüßt. Die Torten waren natürlich alle Matsch, ich denke bei den Eiertests war kein silberner Mercedes in die Enten hinein gerauscht. Der Opa mit Hut stieg ebenfalls aus und meinte lapidar, dass mein Auto ja schon ziemlich alt wäre. Am liebsten hätte ich ihm seinen Mercedesstern durch die Nase gezogen, aber ich riss mich gerade noch zusammen. Mit Genugtuung registrierte ich, dass die Polizei dem Greis hundert D-Mark für die Unfallverursachung abnahm. Mit jovialer Geste legte der alte Kotzbrocken den Schein auf den Tisch im Polizeibus. Ich bin vorsichtshalber gegangen und habe die Werkstatt angerufen. Das hässliche Entlein war leider Schrott und nicht mehr zu reparieren. Ich stand wieder ohne Auto da und einen Kunden verlor ich auch, weil die zehn Torten am nächsten Tag natürlich nicht mehr gebraucht wurden. Etwas Glück im Unglück bescherte mir die Versicherung, weil den Zeitwert des Autos und einen Nutzungsausfall überwies. Immerhin zweitausend DM, so dass ich rein rechnerisch keinen finanziellen Verlust an dem Wagen hatte. Aber meinen Herzschmerz konnte natürlich niemand lindern und ich ließ mir angemessen Zeit, bis ich mir ein neues Auto zulegte. Apropos Herzschmerz. Ich war einen Monat zuvor, wie meine Eltern es geplant hatten, zu Hause ausgezogen. Nach langem Suchen und vielen strategischen Überlegungen zog ich in eine WG und bewohnte dort ein kleines Zimmer. Es war nämlich so, dass mir durch die erfolgreiche, aber viele Arbeit, die Sozialkontakte etwas abhanden kamen. Ich dachte mir, dass ich durch den Anhang in der Wohnung etwas Kontaktausgleich bekommen würde. Nun hat das mit dem Kontakt zwar durchaus geklappt, aber ich konnte bald nicht mehr behaupten, dass ich ausgeglichen war. Die Wohnung wurde außer mir von vier Studenten bevölkert. Martin war nett und schwul. Er studierte seit sechs Jahren Soziologie und arbeitete nebenbei in einer Transvestitenbar. Er schlief bis nachmittags und trat nur in Erscheinung, wenn er eine Modenschau abhielt. Oliver hatte reiche Eltern und studierte BWL, aber er war ganz in Ordnung und recht ruhig. Man konnte ihn durchaus als unauffällig bezeichnen. Simone war anstrengend, weil sie andauernd diskutieren wollte. Sie studierte Tiermedizin, aß kein Fleisch und trug immer eine rosa Latzhose. Sie hatte zu allem eine feste Meinung und immer wieder überraschte sie mich mit Themen, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gab. Tanja war die jüngste, aber brandgefährlich. Als ich sie das erste Mal sah, blieb mir die Spucke weg. Ihre Klamotten waren mindestens zwei Nummern zu klein und wenn sie einen mit ihren braunen Augen anschaute, schmolz man unweigerlich zusammen, wie Schokolade in der sengenden Sonne. Sie studierte Jura im ersten Semester und besuchte jedes Musikfestival. In den ersten zwei Wochen habe ich mich gegen die einschlägigen Gedanken in Bezug auf Tanja standhaft wehren können, aber eines Tages wurde ich, innerhalb von drei Sekunden Unaufmerksamkeit, einfach weg genascht. Es war eigentlich ein trüber Tag. Ich saß in der Gemeinschaftsküche auf der Eckbank und plante meine Einkäufe. Martin schlief, Oliver und Tanja lernten in ihren Zimmern und Simone kochte etwas zu Essen. In unserem WG-Plan sollte jeder einmal pro Woche für alle etwas kochen. Oliver bestellte immer etwas bei einem Lieferservice, Tanja kochte regelmäßig Nudeln und Simone, Martin und ich versuchten uns laufend etwas Neues auszudenken. Bei Simone fehlte leider immer das Fleisch und bei unseren Gerichten mussten wir die Fleischstücke so groß belassen, dass man sie herausfischen konnte. An dem besagten Tag kochte Simone Tofuschnitzel mit rohen Möhren und Reis. Nebenbei wollte sie meine Meinung über die Robbenjagd wissen. Nun, ehrlich gesagt hatte ich keine Meinung zur Robbenjagd, weil ich mich nie damit beschäftigt hatte. Ich nahm nur an, dass es, wie bei vielen Dingen, auch bei der Jagd auf Robben verschiedene Standpunkte zu vertreten gab. Durch eine geschickte Äußerung brachte ich Simone dazu, mir erst einmal all ihr Wissen über die Robbenjagd näher zu bringen. Während Simone in den Töpfen rührte und mir die Unmenschlichkeit der Robbenjäger plastisch schilderte, gesellte sich Tanja zu uns. Jetzt muss man wissen, dass Tanja eher zu den extrovertierten Mädchen gehörte. Wenn sie in einen Raum schwebte, steuerte sie ihr Ziel immer effektvoll an und erwartete gleichzeitig ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich deutete ja bereits an, dass sie die auch jedes Mal bekam. An diesem Tag kam sie zielstrebig zu mir an den Küchentisch und wollte sich neben mich auf die Bank setzen. Meine Eltern haben mich zur Höflichkeit erzogen und dazu gehört ja ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Ich registrierte also die Absicht von Tanja und nahm gleichzeitig im Augenwinkel wahr, dass auf der Bank noch ein paar Blätter lagen. Ich bin jedoch nicht der schnellste und mein Entschluss, die Papiere für Tanja beiseite zu nehmen, wurde von ihr entweder ignoriert oder irrtümlich untergraben. Zumindest hatte ich keine Chance, schneller als Tanja zu sein. Meine Hand berührte gerade die Blätter, da saß sie auch schon mit ihrem kurzen Rock auf der Bank und meine Hand steckte in der Klemme. Jetzt versuche ich einmal, die nächsten drei Sekunden in aller Ruhe wiederzugeben. Tanja thronte mit eng anliegendem, bauchfreien T-Shirt und kurzem Rock auf meiner Hand und wandte den Kopf langsam zu mir. Ihre rehbraunen Augen blickten mich ganz merkwürdig lächelnd an und ihre Augenbrauen hoben sich, als sie mich flüsternd und scheinbar entrüstet fragte, ob ich das jetzt nicht ein bisschen frech finde. Ich hatte allerdings keine Chance zu antworten, denn meine Tastsensoren der rechten Hand meldeten vollkommen panisch, an alle Hirnregionen gleichzeitig, dass Tanja kein Höschen trug. Jetzt hätte ich vielleicht eine Möglichkeit gehabt, wenn Tanja ihren Irrtum in Bezug auf meine wahren Absichten in der dritten Sekunde bemerkt hätte. Hoffnung keimte auf, als sie sich für den Bruchteil einer Sekunde leicht erhob, aber leider nur, um sich richtungsweisender zu verschieben. Das wars. Irgendetwas in meinem Kopf zerbarst in tausend sprühende Funken und ich glitt ab der vierten Sekunde, wie geschmiert, in einen Filmriss über. Ich kann mich nur dunkel erinnern, dass mir siedend heiß wurde, meine Hose kurz vor dem Platzen war und Simone ganz weit weg im Hintergrund etwas über Robben dozierte. Ich bin nicht ganz sicher, ob meine Hitze von Tanja übertragen wurde oder ob ich Tanja aufheizte. Zumindest legte sie, während mir ein leises Wimmern entwich, ihre kochend heiße Hand ganz keck auf meine Hosenbeule. In willenloser Trance muss sie mich in ihr Zimmer entführt haben, so dass wir das Essen verpassten. Ich weiß bis heute nicht, was ich da alles tat, aber sicher ist, ich tat es die ganze Nacht. Zum Frühstück hatte ich solch einen Hunger, ich habe sogar die kalten Tofuschnitzel aufgegessen. Der Tanja habe ich natürlich nie verraten, dass die Nacht mit ihr meine Jungfernnacht war. Ich hielt das nicht für so wichtig, denn sie schien ganz zufrieden gewesen zu sein. Seit dem Tag war Tanja meine Freundin, für die nächsten vier Monate. An einem Sonntag, als ich von meiner Verkaufstour zurückkam, hatte Tanja den Irrtum leider doch erkannt und vergnügte sich mit Oliver, der gerade badete. Ich habe natürlich total cool reagiert und meinen Schmetterlingen sofort die Freiheit geschenkt.