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Verkehrsachsen

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Zu allen Zeiten überschritten Menschen die Grenzen zwischen den großen zusammenhängenden Landmassen Asien, Afrika und Europa, die wir heute Kontinente nennen. Im Mittelalter geschah dies mit großer Selbstverständlichkeit, denn die wirklichen politischen und kulturellen Grenzen verliefen damals nicht zwischen den Kontinenten, sondern mitten durch diese hindurch. Obendrein veränderten Kriege und andere historische Prozesse diese realen Grenzen zwischen Staaten und Völkern, so dass sich immer neue kontinentübergreifende politische und kulturelle Einheiten ausbildeten.

Das Byzantinische Kaiserreich beispielsweise schrumpfte im Laufe seiner Geschichte zu einem kleinen Staat auf griechisch-bulgarischem Boden, war jedoch in der Blüte seiner Tage ein Großreich mit Besitz in allen drei Kontinenten und mit einer Hauptstadt an der Grenze von zweien. Vom islamischen Kalifat und den ihm untergeordneten Staaten wurde die enge Verbindung zwischen Europa und Nordafrika, wie sie in der Antike geherrscht hatte, zeitweise zerstört. Dagegen schuf die islamische Expansion neue räumliche Einheiten religiös-kultureller Art, die Nordafrika einerseits mit dem Landesinneren südlich der Sahara und andererseits mit dem Nahen Osten und ferneren Teilen Asiens verknüpften.

Völlig unbestimmbar war schließlich eine exakte Grenze zwischen Europa und Asien – eine Beobachtung, die allerdings nicht nur für das Mittelalter gilt. Die Wechselhaftigkeit der politischen Verhältnisse begleitend, etablierten sich im Mittelalter neue Verkehrsachsen, auf denen sich der Austausch von Menschen und Tieren, Waren und Wissen zwischen den Kontinenten vollzog.

Die Seidenstraße

Die Seidenstraße war im Mittelalter das umfassendste Verkehrsnetz der Erde, dessen Hauptroute Ostasien auf dem Landweg mit dem Mittelmeer verband. Als ihr legendärer Begründer gilt in China der kaiserliche Gesandte Zhang Qian, der Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. zweimal in offiziellem Auftrag nach Zentralasien reiste. In Wirklichkeit entstand die Seidenstraße durch die allmähliche Verknüpfung viel älterer Verkehrswege. Die Ausdehnung des chinesischen und des römischen Kaiserreichs in den Jahrhunderten um Christi Geburt machten es möglich, dass sich die Seidenstraße in dieser Epoche als transkontinentaler Reiseweg etablieren konnte. Zu dem Routengeflecht, das seit dem 19. Jahrhundert mit dem Begriff Seidenstraße bezeichnet wird, werden neben der Hauptstrecke über Land auch deren zahlreiche Abzweigungen sowie die Seewege im Indischen Ozean gerechnet.

Der Landweg begann in der alten chinesischen Kaiserstadt Chang’an (Xi’an), heute vor allem bekannt wegen des Grabmals des ersten chinesischen Kaisers Qin Shihuangdi mit seiner Tonkriegerarmee. In nordwestlicher Richtung, zunächst dem Fluss Wei folgend, anschließend vielfach von der Chinesischen Mauer begleitet, streift die Seidenstraße den Rand der Wüste Gobi. Das Tarimbecken und die Wüste Taklamakam werden in einer nördlichen und einer südlichen Route überwunden und treffen in Kashgar wieder aufeinander.

Um Trockenheit und Sandstürmen zu entkommen, müssen Mensch und Tier die Pässe des Pamir überwinden, die bis zu 5000 Meter über dem Meeresspiegel liegen und weite Teile des Jahres über verschneit sind. Anschließend geht es hinunter in das fruchtbare Fergana-Becken, das hauptsächlich auf kirgistanischem Staatsgebiet liegt. Durch die Steppen und Trockengebiete Zentralasiens verläuft die Strecke sodann an den Städten Samarkand und Buchara vorbei nach Persien und in den Irak. Von Bagdad aus dem Euphrat folgend, führt der letzte Abschnitt durch die Syrische Wüste an die Küsten des Mittelmeers.

Taklamakam – Wüste des Todes

Wanderdünen von bis zu 200 Meter Höhe prägen die zweitgrößte Sandwüste der Erde im Tarimbecken. Der berüchtigte Kara Buran („Schwarzer Sandsturm“) treibt sie vor sich her und machte dabei den Tag zur Nacht. Viele Karawanen, ja ganze Städte und – so erzählt die Legende – auch die Armee eines chinesischen Kaisers sind ihm zum Opfer gefallen. Das extrem trockene Klima weist Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht von bis zu 70 Grad auf. Archäologische Funde zeigen, dass verschiedene europäische und asiatische Völker im Mittelalter die Wüste durchquerten. Heute wird das Tarimbecken von Turkvölkern bewohnt und gehört zum chinesischen Gebiet Xianjiang.

Die Seidenstraße war außerhalb von Städten und Oasen selten befestigt und häufig nur für kundige Führer zu erkennen. Viele Abschnitte konnten nicht mit Wagen befahren werden. Das dominierende Lasttier war das Kamel, im Westen das einhöckrige Dromedar, im Osten das zweihöckrige Trampeltier. Die genügsamen Tiere konnten bei einer Last von 250 Kilogramm eine tägliche Wegstrecke von 30 Kilometern zurücklegen und dabei lange Zeit ohne Wasseraufnahme auskommen. Ähnlich gut geeignet für die schwierigen klimatischen Bedingungen waren Esel, Maulesel und Maultier. In den Gebirgszonen kamen gelegentlich auch Yaks zum Einsatz. Als Lastenträger betätigte sich nicht zuletzt der Mensch, insbesondere auf den steilen und engen Pfaden durch Berge und Täler.

Eine Karawane, die fünf Tage in der Woche marschiert wäre und vier Wochen Jahresurlaub genommen hätte, hätte für die ca. 7000 Kilometer lange Gesamtstrecke knapp ein Jahr benötigt. Eine solche Rechnung hat allerdings nur theoretische Bedeutung, denn in der Praxis absolvierte nur ein verschwindend geringer Teil aller Reisenden die Seidenstraße von Anfang bis Ende. In den meisten Fällen wurden die transportierten Waren an Handelsplätzen auf der Strecke an andere Händler weitergegeben, die ihrerseits innerhalb der Grenzen des ihnen vertrauten Territoriums den Weitertransport organisierten. Waren und Informationen wurden so von Hand zu Hand und von Mund zu Mund weitergereicht.

Unterschiedlichste Produkte wurden auf der Seidenstraße befördert. Aus China kam in erster Linie die Seide, eine bereits in römischer Zeit im Westen heiß begehrte und teuer bezahlte Ware. Im Reich der Mitte wurde die Seidenwebkunst schon seit vielen Jahrhunderten auf hohem technischem Niveau ausgeübt. Obwohl sich die Kenntnis der Seidenherstellung und -verarbeitung seit dem frühen Mittelalter auch in den am Mittelmeer gelegenen islamischen und christlichen Ländern ausbreitete, galten die Chinaseiden das gesamte Mittelalter über als besonders qualitätvolle und luxuriöse Stoffe. Ein zweites wichtiges chinesisches Exportgut bildeten Ton- und Keramikwaren, die hauptsächlich per Schiff in den südasiatischen Raum, aber auch in den Nahen Osten und nach Afrika geliefert wurden.

Nach China brachten Händler auf den Seidenstraßen Schmucksteine, Erze und Metalle, Pelze und Tierhäute, Nutztiere wie Pferde und Kamele, aber auch exotische Tiere wie Löwen und Elefanten, schließlich Gewürze, Arzneimittel und Farbsubstanzen. Einmal, im Jahr 1415, schickte ein afrikanischer Fürst sogar eine Giraffe ins Reich der Mitte. Die Länder im Westen bezogen bis zum späten Mittelalter Luxusprodukte wie Gewürze und Seide über die Seidenstraße. Im Jahr 1998 wurde vor der indonesischen Küste das Wrack des persischen Handelsschiffes „Batu Hitam“ entdeckt, das sich offensichtlich auf der Rückfahrt befand und 67 000 Stück chinesischer Keramikwaren geladen hatte. Da vor allem die Europäer im Gegenzug keine im Osten nachgefragten Waren anzubieten hatten, mussten sie mit Silber oder Gold bezahlen.

Der Indische Ozean

Der Indische Ozean war im Mittelalter ein Wirtschaftsraum, der China mit Europa und Afrika verband. Ähnlich den Karawanen auf den Landwegen waren die einzelnen Schiffe oder Flotten meist nur auf einzelnen Abschnitten des riesigen Verkehrsnetzes aktiv. In den angelaufenen Häfen wurden Fracht und Passagiere umgeladen, und neue, mit den Gewässern der Region vertraute Seeleute übernahmen die Verantwortung für das Weiterkommen.

Drei Hauptzonen gliedern das kontinentübergreifende Handelsnetzwerk: Das chinesische Meer, das die ostchinesischen Handelsstädte über Vietnam und Thailand mit der südostasiatischen Inselwelt verbindet. Wichtigstes Verbindungsglied zum Westen war die Hafenstadt Malakka (Malacca) an der gleichnamigen Meeresstraße. Diese Meerenge war von jeher die Durchfahrt für die Handelsschifffahrt von China nach Indien und ist noch heute eine Schlagader des Welthandels. Als Sammel- und Umschlagplatz für den Gewürzhandel gegründet, entwickelte sich Malakka rasch zu einem wichtigen Stützpunkt, an dem Chinesen, Inder und Araber ihre Waren tauschten. Der portugiesische Kaufmann Tomé Pires verdeutlichte Anfang des 16. Jahrhunderts die weltweite Bedeutung der Stadt Malakka mit der Bemerkung: „Wer der Herrscher über Malakka ist, hat seine Hände an der Gurgel Venedigs.“

Zwischen Malakka und Ceylon (Sri Lanka) erstreckt sich der östliche Indische Ozean mit seinen Handelszentren im Golf von Bengalen und an der Ostküste Indiens. Über die an der Südwestküste Indiens liegenden Städte Kotschin und Kalikut erfolgt die Anbindung an die dritte Hauptzone, den westlichen Indischen Ozean. Hier fuhren die meisten Schiffe der Küste in nordwestlicher Richtung entlang, um anschließend durch die Straße von Hormus in den Persischen Golf zu segeln oder aber westwärts entweder in das Rote Meer vorzustoßen oder der Ostküste Afrikas zu folgen.

Die ersten Seefahrer, die den Indischen Ozean querten, waren Perser und Araber. Sie versorgten die Zentren der muslimischen Welt im Nahen Osten mit chinesischen Tonwaren, indischen Stoffen und südostasiatischen Gewürzen und kontrollierten auch den Handel mit Europa. Ihr Reichtum machte aus Mekka, Damaskus und Hormus blühende Städte. Im 8. und 9. Jahrhundert ließen sich Araber und Perser auch in China nieder. Nicht weniger aktiv waren indische Händler, die sich seit dem frühen Mittelalter zu international agierenden Händlergemeinschaften zusammengeschlossen hatten und einen wichtigen Machtfaktor innerhalb der indischen Gesellschaft darstellten. Sie engagierten eigene Söldnertruppen zum Schutz ihrer Handelswege.

Den Rhythmus der Schifffahrt auf dem Indischen Ozean bestimmte der Monsun. Die einheimischen Seefahrer wussten bereits im frühen Mittelalter, dass sie pro Jahreszeit nur in eine Richtung segeln konnten. In Frühjahr und Sommer fuhr man mit dem Südwestmonsun im Rücken nach Norden und Osten, von Afrika nach Indien und weiter nach China. Im Herbst drehten sich die Winde und damit auch die Fahrtrichtung. Natürliches Zentrum des Ostindienhandels war der indische Subkontinent. In seinen Hafenstädten wurden Waren von allen Küsten des Ozeans verkauft und umgeladen; hier lebten die unterschiedlichsten ethnischen und religiösen Gruppen miteinander. Seide und Keramik kamen aus China, Gewürze aus Südostasien; Gold, Elfenbein und Sklaven aus Afrika. Baumwollstoffe aus Indien waren so beliebt, dass sich ein beträchtlicher Anteil der indischen Handwerker in den Küstenregionen auf dieses Exportgewerbe spezialisierte.

Die Wege nach Afrika

Während Nordafrika dem Römischen Kaiserreich als Kornkammer gedient hatte, begannen sich die Länder an der südlichen Mittelmeerküste nach der muslimischen Eroberung im 7. Jahrhundert als Teil der islamischen Ökumene nach Osten zu orientieren. Daneben pflegten die muslimischen Bewohner Nordafrikas stärker als ihre antiken Vorgänger wirtschaftliche und politische Verbindungen zu den Ländern südlich der Sahara. Damit entstand im frühen Mittelalter ein Beziehungsgeflecht, das die innere Einheit des afrikanischen Kontinents verstärkte und diesen zugleich intensiver als zuvor mit Asien und Europa verband. Die wichtigsten Karawanenrouten folgten im Osten dem Nil südwärts in den Sudan. Im Westen war Timbuktu, die um 1100 gegründete, in der ganzen Welt des Islam berühmte Universitäts- und Handelsstadt im Westen des Großen Nigerbogens, das Ziel der Reisenden.

Die integrierende Klammer bildete der Islam, der mit Arabern und Berbern nach Süden in das „Land der schwarzen Menschen“ wanderte. Die gemeinsame Religion erleichterte die Verständigung und das Geschäftemachen. In 70 bis 90 Tagen durchquerten die Händler mit ihren Kamelen die Sahara, die größte Wüste der Welt, die beinahe so groß wie Europa ist und ca. ein Drittel des afrikanischen Kontinents einnimmt. Auf ihren gefährlichen Märschen durch Sand- und Steinwüsten transportierten Araber und Berber Salz, Stoffe, Kunstgegenstände und Pferde, die auf den ost- und westafrikanischen Märkten gegen Gold, Elfenbein und Sklaven getauscht wurden.

Im 14. Jahrhundert, als sich das Königreich Mali auf dem Höhepunkt seiner Macht befand, durchquerten Karawanen mit bis zu 25 000 Kamelen die Wüste. Solche logistischen Großunternehmen mussten sorgsam geplant und geleitet werden. Den westafrikanischen Königreichen und Handelsstädten wie Timbuktu und Niani verschaffte insbesondere die Vermittlung im Goldhandel, das im Golf von Guinea gewonnen wurde, großen Reichtum. Die Besteuerung, die als Gegenleistung für Schutz und Durchzugsrecht gefordert wurde, bildete teilweise die wichtigste finanzielle Einnahmequelle der afrikanischen Staaten südlich der Sahara.

Für die Ausbildung einer homogenen Kultur an der ostafrikanischen Küste zwischen Somalia im Norden und Mosambik im Süden waren die Kontakte zur Außenwelt sogar noch entscheidender. Die hier lebenden schwarzen Afrikaner der Bantu-Völkergruppe betrieben im frühen Mittelalter einen regen maritimen Fernhandel entlang der Küste und den vorgelagerten Inseln. Ihre Handelspartner kamen vorwiegend aus Persien, Somalia und der Arabischen Halbinsel. Viele von diesen ließen sich in den florierenden ostafrikanischen Hafenstädten wie Sansibar oder Mombasa dauerhaft nieder.

Der Hadsch des Mansa Musa

Mit 60 000 Menschen und zwei Tonnen Gold traf der König aus Mali 1324/25 auf seiner Pilgerfahrt nach Mekka in Kairo ein. Seine Freigiebigkeit soll zu einem Verfall des Goldpreises in ganz Ägypten geführt haben. Nach seiner Rückkehr aus Mekka ließ Mansa Musa, tief beeindruckt von der arabischen Kultur und Baukunst, prachtvolle Moscheen und Schulen errichten. Arabische Gelehrte und Künstler in seinem Gefolge unterstützten die weitere Verbreitung des Islam in Mali. So förderte die Wallfahrt nach Mekka die länderübergreifenden Beziehungen innerhalb der islamischen Welt.

Die Verschmelzung der Zuwanderer mit der einheimischen Bevölkerung führte zur Entstehung der Suaheli-Kultur (Swahili), die zwar von der Fremdreligion des Islam durchdrungen wurde, ansonsten aber vorrangig von afrikanischen Elementen geprägt blieb. Der Name leitet sich vom arabischen Wort sāhil für Küste ab. Das davon abgeleitete Wort suaheli bedeutet also in etwa „Küstenbewohner“ und dient auch als Bezeichnung für die in Ostafrika von immer mehr Menschen gesprochene Sprache Suaheli (auch Kiswahili). Handel trieben die Suahelis nicht nur mit ihren unmittelbaren Nachbarn, sondern auch mit den Bewohnern ferner Länder – wie dem China der Tang-Zeit. Mit ihren Waren aus dem Landesinneren (Gold, Elfenbein und exotische Tierhäute) waren sie attraktive Geschäftspartner. Berüchtigt waren die Suahelis zudem für eine in der arabisch-islamischen Welt schon im frühen Mittelalter stark nachgefragte Ware: afrikanische Sklaven, die von den Suahelis im Landesinneren geraubt und in ferne Länder verkauft wurden.

Mächtige Stadtstaaten wie Mogadischu, Mombasa, Sansibar oder Kilwa kontrollierten den florierenden Seehandel im 12. Jahrhundert. Auch im Hinterland veränderte sich die politische und soziale Ordnung durch die Eingliederung in das internationale Handelssystem. Lokalhäuptlinge vermehrten durch die Kontrolle des Handels ihre Macht und gründeten größere Herrschaften wie beispielsweise der König von Simbabwe mit seiner prunkvollen Residenzstadt „Groß-Simbabwe“. Wie in Westafrika war es zunächst die politische und wirtschaftliche Elite, die sich durch die Bekehrung zum Islam der internationalen Handelswelt öffnete. Nur langsam drang der Islam über die Karawanenrouten in breitere Volksschichten ein. Im Landesinneren südlich der Sahara blieb Afrika das gesamte Mittelalter über von der Außenwelt noch wenig berührt.

Das Mittelmeer

Am Beginn des Mittelalters um 500 garantierte die Pax Romana, der Friede des Römischen Reichs, den Zusammenhalt der inzwischen vom Christentum durchdrungenen lateinisch-griechischen Mittelmeerwelt. Die römische Ordnung basierte auf einer Infrastruktur von Handelsstädten im Mittelmeerraum, die durch die germanischen Invasionen im 5. Jahrhundert kaum beeinträchtigt wurde. Zu größeren Veränderungen kam es durch die Expansion des Islam. Die Eroberung Nordafrikas und Spaniens durch die Araber machte aus dem ehemaligen römischen Binnenmeer einen Grenzraum. Der Seehandel kam dennoch nicht völlig zum Erliegen. Kontrolliert und befördert wurde er um 800 allerdings vorrangig von muslimischen Händlern und Piraten, die mit ihren Schiffen auch die nördlichen Mittelmeerküsten unsicher machten. Mitte des 9. Jahrhunderts konnten die von den Christen allesamt Sarazenen genannten Muslime nur mit Mühe von der Eroberung Roms abgehalten werden; im südfranzösischen La Garde-Freinet gründeten sie einen Stützpunkt, der ihnen erst nach einigen Jahren wieder abgerungen werden konnte. Lediglich in der Adria und in der Ägäis behauptete die byzantinische Flotte ihre Vormachtstellung.

Bereits im 10.Jahrhundert nahm der maritime Handel im Mittelmeer jedoch wieder festere Formen an. Der Transport der Güter lag bemerkenswerterweise nicht mehr in den Händen muslimischer Seeleute aus Nordafrika, sondern war in jene der Italiener übergegangen. Besonders früh verschrieben sich die Amalfitaner dem Handel zur See. Nachdem sich die Stadtrepublik an der gleichnamigen Küste südlich von Neapel im 9. Jahrhundert die politische Unabhängigkeit erkämpft hatte, wurde sie zur ersten Drehscheibe des Handels zwischen Orient und Okzident. Amalfitaner Seeleute unterhielten Stützpunkte in vielen Metropolen des Mittelmeers von Córdoba im Westen bis Antiochia im Osten. Arabische Reisende rühmten Amalfi als die „reichste und glanzvollste Stadt“ im südlichen Italien. Seine Schiffswerften waren im ganzen Mittelmeer bekannt. Der ökonomische Niedergang setzte im 11./12. Jahrhundert ein, als die Stadt mehrmals von fremden Truppen angegriffen wurde. Bald war Amalfi nur noch ein beliebter Schlupfwinkel für Piraten.

Nur wenig später begann der Aufstieg der oberitalienischen Lagunenstadt Venedig. Kurz vor dem Jahr 1000 gewährte der byzantinische Kaiser der Stadt als Anerkennung für erfolgreiche Flottenunterstützung im Kampf gegen Sarazenen und Slawen Vergünstigungen in Häfen des griechischen Kaiserreichs. Damit begann eine beispiellose Expansion über das offene Meer, die schließlich dazu führte, dass die schlagkräftigen venezianischen Flotten die wahren Herren in byzantinischen Gewässern waren. Zeitgleich wurden Kontakte zu den muslimischen Staaten geknüpft. Exportprodukte in die islamische Welt waren in dieser ersten Phase der Expansion hauptsächlich das für den Schiffbau unentbehrliche Bauholz, das trotz kaiserlicher und päpstlicher Verbote an die arabischen Machthaber geliefert wurde, sowie Sklaven, die größtenteils aus den noch nicht zum Christentum bekehrten slawischen Völkern stammten. Erst mit ihrer Bekehrung im hohen Mittelalter kam diese Quelle zum Versiegen.

Neben Venedig waren Pisa, Genua, Marseille und Barcelona die wichtigsten Handelszentren an der nördlichen Mittelmeerküste. Sich in unterschiedlichen Koalitionen erbitternd bekämpfend, regierten alle diese Städte ein Handelsimperium und besaßen Steuerprivilegien und eigene Stadtviertel in vielen Häfen der Levante und Nordafrikas. Während Venedig, Hauptprofiteur der Kreuzzüge, vor allem in der Levante aktiv war und diese Rolle lediglich im Schwarzen Meer zeitweise mit Genua teilen musste, lag das Wirkungsfeld von Barcelona und Marseille im westlichen Mittelmeerraum.

Das Mittelmeer bildete damit nach kurzen Unterbrechungen im frühen Mittelalter und einer ebenso kurzen Phase muslimischer Vorherrschaft zwischen 1000 und 1500 eine von christlichen Seeleuten dominierte Handelszone, die Europa dauerhaft mit Asien und Afrika verknüpfte.

Die Ostsee und die Wege nach Osteuropa

Grenzüberschreitender Handel wurde in der Ostsee bereits im frühen Mittelalter betrieben. Sein Zentrum fand er zunächst in der um 770 gegründeten Wikingerstadt Haithabu, nahe Schleswig zwischen Nordsee und Ostsee gelegen. Im 9. und 10. Jahrhundert war die erste nordeuropäische Stadt ein wichtiger Handelsplatz mit etwa 1000 Einwohnern. Waren aus der gesamten damals bekannten Welt wurden hier gehandelt. Aus Skandinavien und dem Baltikum kamen vorwiegend Rohstoffe, wohingegen Luxusprodukte aus Konstantinopel und Bagdad bezogen wurden. Der eigene gewerbliche Beitrag zum ökonomischen Aufschwung bestand in erster Linie in Tonwaren, Glas und Werkzeug. Die Bedeutung Haithabus war um das Jahr 1000 immerhin so groß, dass es von dem arabischen Händler und Reisenden Ibrahim ibn Jaqub besucht und beschrieben wurde. Die mehrere Meter hohen Wallanlagen konnten jedoch nicht verhindern, dass die Handelsstadt Mitte des 11. Jahrhunderts zerstört, geplündert und schließlich aufgegeben wurde.

Wikinger aus Skandinavien befuhren seit dem 8. Jahrhundert auch die großen osteuropäischen Flüsse wie Wolchow, Wolga, Dnjepr und Don und stellten so eine Verbindung zwischen Ostsee und Schwarzem Meer her. Gegenstand des Exportes nach Norden waren Seide, Schmuck und Keramik; von Norden gelangten Pelze, Bernstein, Wachse, Honig, vor allem aber Sklaven zu den Handelsplätzen im Süden. Die von den Slawen Waräger genannten Wikinger kamen als Händler, Siedler und Söldner bis nach Konstantinopel und Bagdad. Berühmt für ihre Kriegskunst, dienten Waräger sowohl dem byzantinischen Kaiser als auch russischen Fürsten als Leibgardisten. Andere ließen sich in Osteuropa nieder und bildeten eine dünne Oberschicht unter den einheimischen Ostslawen.

Waräger gründeten das Großreich der Kiewer Rus, in dem sie sich allerdings nach einigen Generationen vollständig slawisierten. Die engen Kontakte zum byzantinischen Reich führten dazu, dass dieser Vorläuferstaat des späteren Russland um das Jahr 1000 zum orthodoxen Glauben übertrat. Nachdem die skandinavischen Handelsrouten zwischen Ostsee und Schwarzem Meer durch die Expansion mongolischer und türkischer Völker an Bedeutung verloren hatten, begann sich der nördliche Russlandhandel neue Wege zu suchen. Der wichtigste Partner dafür waren Kaufleute aus Norddeutschland.

Die große Zeit des grenzüberschreitenden Ostseehandels begann mit dem Zusammenschluss niederdeutscher Kaufleute zur Sicherung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen auch im Ausland während des 12. Jahrhunderts. Die Hanse, ein niederdeutsches Wort für „Gruppe, Gefolgschaft, Schar“, vereinte in den Zeiten ihrer größten Ausdehnung beinahe 200 See- und Binnenstädte Nordeuropas. Als loser Bund zwischen Kaufmannsgruppen entstanden, nahm sie im späten Mittelalter die feste institutionelle Form der „Städtehanse“ an, die zwischen 1340 und 1400 eine nordeuropäische Großmacht darstellte. Die wichtigste Hansestadt an der Ostsee war Lübeck, das gleichsam zum „Einfallstor“ niederdeutscher Kaufleute für den Osthandel wurde. Ehemalige Handelspartner vor allem skandinavischer Herkunft wurden zunehmend vom Markt verdrängt, so dass die Hanse schließlich eine monopolartige Vorherrschaft im Ostseehandel einnehmen konnte. Der Einflussbereich reichte von Flandern im Westen bis nach Reval und dem Finnischen Meerbusen im Osten. Man folgte den alten maritimen Verkehrswegen, die bereits Friesen, Engländer und Skandinavier erschlossen hatten. Hauptstützpunkte der Hanse im Ausland waren die vier sogenannten Kontore in London, Brügge, Bergen und Nowgorod. Dementsprechend waren zwei Verkehrsachsen für die Hanse von zentraler Bedeutung, der Süd-Nordweg vom Rhein und von der Weser nach London sowie eine West-Ost-Verbindung von London durch Nord- und Ostsee bis Nowgorod.

Der Russlandhandel der Hanse wurde durch den Niedergang der warägischen Verkehrswege ebenso gefördert wie durch die Christianisierung der Ostslawen. Endpunkt des profitreichen Tauschhandels von Rohstoffen aus dem Osten – Felle, Holz, Honig, Getreide, Wachs – gegen Fertigprodukte aus dem Westen, vor allem Tuche, war Nowgorod. Hier lag der Peterhof, das östlichste Kontor der Hanse, ein von Palisaden umzäuntes eigenes Stadtviertel, dessen Mittelpunkt die Kirche St. Peter bildete. Die Reise nach Nowgorod, das selbst nicht am Meer lag, war schwierig und langwierig, da die Waren auf flachgehende Flussschiffe umgeladen werden mussten. Die meisten deutschen Kaufleute blieben daher entweder den ganzen Sommer (Sommerfahrer) oder den ganzen Winter (Winterfahrer) über im Kontor. Im Jahr 1494 wurde das Kontor durch Zar Iwan III. geschlossen und zerstört.

Seide, Pfeffer und Kanonen

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