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Lügen, nichts als Lügen!

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Eine Familie zu haben bedeutet glücklich zu sein.

Keine zu haben bedeutet verloren zu sein!“

(Hmong Zitat)


Über die Bedeutsamkeit der Familie sind wir uns alle einig. Sie ist Symbol für Geborgenheit und Wärme. Sie verkörpert das mit- anstatt das gegeneinander. Sie bedeutet Kraft. Es ist diese Kraft, die anspornt, über uns selbst hinaus zu wachsen. Von 1985 bis 1987 war ich in Kourou stationiert. Kourou ist eine kleine, gemütliche Stadt in Französisch-Guyana. Flankiert von Brasilien und Surinam bildet der Atlantik die nordöstliche Grenze dieser immergrünen Region. Das geheimnisvolle Tumuc-Humac Massiv mit seinen mal sanft, mal schroff ansteigenden Hügeln und seinen wilden, meist noch unerforschten Tälern, markiert seine Südgrenze. Insgesamt verbrachte ich 455 Tage im Urwald Französisch-Guyanas und was ich dort erlebte raubt mir heute noch den Atem.

Unsere Garnisonsstadt war damals Tummelplatz aller Rassen und Nationen. Überwiegend fanden sich hier einheimische Indianer wie Emerillons, Arawaks, Oyampis und Galibis aber auch Bush-Negroes, Noir-Marrons, Kreolen, Brasilianer, Kolumbianer, Palästinenser, Goldgräber und Glücksritter aus aller Herrenländer. Hier fanden sich Huren aus Santo Domingo und aus Berlin. Und es gab Vertreter des Volkes der Hmong, Exil Asiaten, deren Ursprung den Wissenschaftlern bis heute noch ein Rätsel ist, ein Volk, das in den bergigen Regionen Chinas, der Mongolei, in Thailand sowie in Sibirien und Vietnam zuhause war, ein heute zerrissenes Volk, das jedoch mit klugen Weisheiten aufwarten kann.

Es gab in Kourou auch Korsen, Franzosen und Deutsche. Meist waren es Techniker oder Ingenieure die für die Europarakete Ariane arbeiteten. Und es gab uns Fremdenlegionäre des 3. Regimentes. Die Zeit in La Guyane war die schönste und intensivste meines Lebens! Schön auch deswegen, weil ich zum ersten Mal so richtig weit weg war vom Rockzipfel meiner Mutter. Ich liebte meine Mutter, liebe Sie noch heute, doch das meine ich nicht. Weg vom Rockzipfel damit meine ich, weg vom Pfad den der brave, folgsame und immer pflichtbewusste Mensch beschreitet. Schön auch weil ich, obwohl bereits dreiundzwanzig, erst dort zum Manne wurde. Ich spreche nicht nur von Mut, vom Überwinden der Angst oder davon, dem Tod ins Angesicht zu sehen. Die Rede ist auch nicht von Frauen. Mann wurde ich deswegen, weil ich hier im Dschungel das Lügengerüst abstreifte, welches mir bis dahin noch wie eine zweite Haut eng am Körper haftete. Irrtümlicherweise hatte ich nämlich bis dato geglaubt, ein Mann müsse stark sein.


Ich dachte er müsse in allen Lebenslagen und um jeden Preis seinen Mann stehen. Zu Unrecht meinte ich, dass die Welt dem gehört, der für alle Fragen sofort die richtige Antwort parat hat. Wer Schwächen zeigt und in wichtigen Dingen nicht die erwartete Leistung bringt – so hatte man es mir in meiner Vor- Legionszeit gesagt, war ein Versager, ein erbärmlicher, unbedeutender Wicht.

Misfits. Non conforme. Nicht gesellschaftsfähig!

Erwartungen anderer Menschen nicht erfüllt? Erbärmlicher Versager!

Man hatte mir bis dato auch die wohl allgemein gängige Anschauung aufdrängen wollen, dass ein Überleben nur in der Herde möglich sei, dass in unserer leistungsorientierten Welt stille Einzelgänger wie ich einer war, sang- und klanglos untergehen, in einer Welt, in welcher – so das allgemeine Denken – der, der am lautesten schreit mehr Aufmerksamkeit und somit mehr Achtung und mehr Chancen im Leben geschenkt bekommt.

Lügen nichts als Lügen!

Tief im Dschungel Guyanas wurde ich Mann, weil ich auch lernte, dass man eben nicht immer alles mit Worten erklären kann oder muss. Ich lernte zu handeln, schnell und präzise. Ohne Worte zu verschwenden. In dieser harten Männerwelt lernte ich ein Träumer sein zu dürfen ohne dass die Welt um mich herum gleich zusammenbrach oder aus den Fugen geriet. Es gab Momente, in denen es einfach nur schön und befreiend war, schwach zu sein, die Flügel hängen zu lassen. Ein anderer Legionärskamerad sprang in die Bresche wenn ich mich mal in mein Schneckenhaus zurückzog. Ja, wir wachten, einer über den anderen!

Sehr schnell wurde mir bewusst, dass in vielen Fällen schwach sein auch tolerant sein bedeuten konnte. Nichts brüskieren. Kein Drängen auf schnelle Entscheidungen, sondern ein Zulassen derselben sodass jedes Ding sich nach seiner Eigenart selbst entfalten kann. Das war unsere Devise. Langsam, still wie Ralph Vaughan Williams und Edward Elgars „the lark ascending!“

Ich lernte auch, dass „… alle Erwartungen erfüllen …“ den eigenen Tod oder schlimmer noch, den Tod anderer bedeuten konnte und dass „… Leistung bringen, um jeden Preis voraus planen und der Zeit weit vorausdenken …“ eine menschliche Torheit war. Eine, die von der Natur sofort unbarmherzig und gnadenlos bestraft wurde.

Je unwirtlicher, undurchdringlicher und gefährlicher die Wälder, desto höher ist die Notwendigkeit nicht um jeden Preis dagegen anzukämpfen. Tust du es, drückt dir die Natur den Stempel Verlierer auf die Stirn. Im Leben ist es wohl genauso. In diesem Sinne sollten wir langsam den Tag beginnen und nicht in aller Frühe schon an den kommenden Tag denken. Das Jetzt zählt! Einatmen, den Moment festhalten … leben!

Das Resultat einer solchen Lebenseinstellung?

Unbeschreiblich, natürlich, zwanzig Kilo Ballast von jeder Schulter werfend!

Das Leben ist wie ein recht turbulent dahin fließender Strom. An bestimmten Biegungen dieses Flusses - und auch das wurde mir sehr schnell klar, ist es für jeden von uns wichtig, mit sich selbst ins Reine zu kommen, Zwischenstation zu machen, Bilanz zu ziehen. Ich für meinen Teil suchte dazu Momente der Einsamkeit. Nur ich, das immersatte Grün in tausend verschiedenen Facetten und die Laute der Natur.

Meiner Seele tat es gut.

Ich verstand schnell. Man (n) muss nicht immer reden oder sich vor anderen profilieren um zu einer gewissen Art von Selbstwertgefühl zu finden. Endlich weg vom verflixten Schema: …. ich rede, ich zeige mich und rücke mich ins rechte Licht, protze mit meiner Intelligenz, mit meinen körperlichen Trümpfen, mit schnöden Mammon oder noch mit dem… was-bin-ich und was-kann-ich-noch-werden Denken!

Intensiv waren meine zwei Jahre in Südamerika, weil erst dort meine Sinne sich richtig entfalten konnten und überhaupt: Ich machte die Erfahrung, dass ich über Sinne und über die sich daraus ableitenden Fähigkeiten verfügte, von denen ich bis dahin noch gar nichts wusste. Kulinarisch gesehen wurde ich ein anspruchsvoller Gourmand.

Poulet au Miel et Ananas – Huhn mit Honig und Ananas – Pirri-pirri, kantonesischer Reis, Ingwer und Kardamom. P’ti Punch, Taffia – weißer Rum aus den Antillen. Zuckerrohr und vegetarische Samosass. Goldbrasse und Merou! Zimt und goldene Mangofrucht Muskat und frischer Koriander.

Ich wurde ein aufmerksamer Beobachter und nimmersatter Zuhörer, ein besserer Liebhaber auch, gab stets mehr, als ich nahm. Kehrte den Spieß um, am nächsten Tag.

Ich erfuhr Toleranz und wurde toleranter, ließ Außenseiter nicht mehr allein am Wegrand stehen. Und in der Kollektivität? Wir gaben Respekt und Vertrauen, erhielten Gleiches im Gegenzug. Wir erreichten unser Ziel zusammen oder scheiterten zusammen. Wir erhielten für den Erfolg stets Lob und Anerkennung und für das Scheitern immer eine zweite Chance und das alles machte uns stark.

Und plötzlich war ich frei wie der Wind! Mein Fazit? Ein Hoch auf die Natürlichkeit, einen Ritterschlag für jeden Menschen der seinen Weg so geht wie er – und nicht ein anderer, es instinktiv für richtig hält. Eine Krone für all diejenigen die sich vom Leben nicht prügeln, sich nicht in Schemen oder Schubladen pressen lassen. Jeder Mensch – mit seinen Schwächen, Unzulänglichkeiten oder mit seinen Stärken, mit seinen Fehlern oder Tugenden – ist einzigartig. Jeder Mensch, genauso wie er sich morgens im Spiegel betrachtet, ist etwas Besonderes.

Und leise schließt sich eine Tür

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