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Rendezvous mit dem Tod

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Aber ich habe ein Rendezvous mit dem Tod! Um Mitternacht in einer Stadt in Flammen. Wenn der Frühling gen Norden zieht dieses Jahr. Ich werde Wort halten. Dieses Rendezvous … ich werde es einhalten.

But I’ve a rendezvous with Death. At midnight in some flaming town.

When Spring trips north again this year. And I to my pledged word am true.

I shall not fail that rendezvous. (Alan Seeger, 1888 – 1916)


Es war John F. Kennedys Lieblingsgedicht. Geschrieben hat es der US-amerikanische Dichter Alan Seeger. Seeger war nicht nur Poet, sondern auch ein feiner Romancier dessen Lebensweg dem in einen Käfig geratenen Schwan gleicht. Alan Seeger war auch Fremdenlegionär, auf der einen Seite abgehoben, dann wieder Realist. Ihm widme ich diese Geschichte.

Frankreich, 1919.

Die Gestalt war nicht nur von den Jahren, sondern vor allem von großer Sorge gebeugt. In seiner Westentasche befand sich ein Brief des französischen Kriegsministeriums. Sein Sohn sei gefallen, stand drauf. Höchst knapp und kühl wurden die Umstände erwähnt. Und hier, in der regnerischen Picardie, im Département Somme sollte er zu finden sein. Das Grab. Der Körper. Das, was übrig blieb von seinem Traum.

Den Körper fand er nicht. Oh, er ließ nichts unversucht, hastete von einem Friedhof, von einem einsamen Grab, von einer Hoffnung zur nächsten. Nirgends fand er ein Wort, eine Zeile, nirgends seinen Namen auf einem hölzernen Kreuz. Nichts! Und das, obwohl schon der Hauch der Vertrautheit ihn überall umgab. Er wusste, sein Sohn Alan hatte vor ihm diesen Boden betreten. Er spürte es mit jedem unsicheren Schritt.

Aber ich habe ein Rendezvous mit dem Tod!

An diesem Tag sowie auch an allen darauffolgenden Tagen suchte der Vater umsonst. Wieder und wieder kramte er den zerknüllten Brief hervor, worauf zu lesen stand …

Junger Legionär, voller Enthusiasmus und Energie, der Frankreich leidenschaftlich liebt! Freiwillig zu Beginn der feindlichen Handlungen, bewies er während des gesamten Feldzuges einen bewundernswerten Mut und eine außerordentliche Lebensfreude. Gefallen am 04. Juli 1916.

Als Fremdenlegionär unterschreibt der Kandidat einen Vertrag, der ihn zunächst fünf Jahre lang an die Légion étrangere binden wird. Oder er unterschreibt für die Dauer des Krieges. Wie Alan Seeger. Seeger liebte Frankreich, noch mehr aber liebte er Paris. Und seine Poesie …

Il n’y a dans la nature que deux principes, l’amour et le combat!“

In der Natur gibt es nur zwei Prinzipien: Die Liebe und den Kampf!

Liebe und Kampf. Mit diesen Gedanken im Kopf zog Alan Seeger in den Krieg. Er rannte von einem Schlachtfeld zum nächsten. Und er schrieb. Er führte Tagebuch. Die Sehnsucht, sein Rendezvous nicht zu verpassen, fand sich in all seinen Aufzeichnungen. Das Schicksal enttäuschte ihn nicht, er fand schnell, wonach er suchte.



Belloy en Santerre – 04. Juli, 1916. Die Deutschen hatten sich seit Monaten zur Defensive eingerichtet. Die Landschaft glich Dantes Inferno. Überall waren Bunker, Stacheldraht, Laufgräben. Überall lagen Tote. Tote Soldaten, tote Landschaft, tote Gefühle und getötete Poesie. Zwischen den unablässig heranstürmenden französischen Einheiten und den deutschen Schützengräben zog sich ein Niemandsland. Es waren achthundert Meter Kraterlandschaft, eine halbe Meile aufgewühlter Boden, von Bomben getränkte französische Muttererde. Sie war gesät mit Leichen beider Kriegsparteien, mit den Körpern von Männern, herangeeilt aus fast hundert verschiedenen Ländern.

Die Legionäre der 9. und 11. Kompanie des 3. Bataillons des R.M.L.E. zu denen auch Alan Seeger zählte, gingen durch die Hölle an diesem Tag. Teufel waren es! Und wie Teufel mussten sie auch den Deutschen Soldaten vorgekommen sein, als sie plötzlich in den deutschen Gräben standen. Fremdenlegionäre bespritzt mit Schlamm und mit dem Blut ihrer Kameraden, beseelt von der Aussicht, dass der Krieg bald endet. Verdammter Krieg! Ganz langsam wurden Stimmen auf dem Schlachtfeld laut. Zunächst schrie nur einer, dann, peu à peu wurden es mehr, bis es kein Halten mehr gab.

Vive la Légion, Vive la France!“

Belloy est pris!“ Belloy en Santerre ist eingenommen! Erobert!

In der folgenden Nacht, stockdunkel war sie, hörte man deutlich die Stimme eines einzelnen Legionärs. Es war eine Stimme mit einem fremden Akzent, eine Stimme voller Wucht und Sanftheit und Poesie und voller Wahrheit!

Die Verwundeten hoben ihre Köpfe. Sie bekamen eine Gänsehaut. Es war die Stimme des ebenfalls schwer verletzten amerikanischen Poeten Alan Seeger und er sang.

Estimant infime le paiement de sa dette,

Pour que son drapeau puisse, l’honneur intact,

Flotter sur les tours de la Liberté, de sa poitrine,

Il fit un rempart et, de son sang, comble le fossé.“

„Gering schätzte er die Bezahlung seiner tiefen Schuld.

Auf dass seine Flagge, die Ehre intakt.

Auf den Türmen der Freiheit wehen kann.

Mit seiner Brust baute er einen Wall und

mit seinem Blut füllte er die Gräben.“

Alan Seeger sang die ganze Nacht hindurch und starb im Morgengrauen.

Der alte Mann sah sich um. Seine Hoffnungen enttäuscht - und um das Andenken an seinen geliebten Sohn zu wahren, ließ er auf dem Kirchturm des Dorfes eine Glocke aufstellen. Eine Glocke, die den Namen Alans Mutter trug. Es regnete, als sie zum ersten Mal schlug!

Mais j'ai rendez-vous avec la Mort. À minuit, dans quelque ville en flammes,

Quand le printemps d'un pas léger revient vers le nord. Et je suis fidèle à ma parole.

Je ne manquerai pas à ce rendez-vous-là.

Und leise schließt sich eine Tür

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