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Pfui, Herr Präsident!
ОглавлениеKleopatra stand vor dem Spiegel ihres Ankleidezimmers und war außer sich. Vor zwei Wochen war sie nach Kapstadt gereist und hatte sich in die magischen Hände des berühmten Chirurgen Nils Hügglmayer begeben, der mit der göttlichen Gabe gesegnet war, mittels modernster Operationstechniken die edelsten und vornehmsten Damen des internationalen Geldadels noch vollkommener und begehrenswerter zu machen. Sie bezahlte ein Vermögen für vierzehn kleine Korrekturen an den Augenlidern und Wangenknochen, und da sie nun schon die Unannehmlichkeiten der weiten Reise auf sich genommen hatte, ließ sie sich auch noch die Fettpölsterchen an Po und Hüfte absaugen - eine Folge ihres enormen Appetits auf Schweizer Schokolade.
Morgen würde Cäsar nach langer Abwesenheit mal wieder in Ägypten eintreffen und diese seltene Gelegenheit zum Samenraub durfte sie sich keinesfalls entgehen lassen. Doch an den besagten Stellen waren immer noch leichte Schwellungen und bläuliche Einblutungen zu erkennen. Ihre Wut nahm geradezu monströse Ausmaße an.
Als ersten traf ihr Zorn den treuen Eunuchen Jademon, der dieses Mal zur falschen Zeit einen mitleidigen Blick aufgesetzt hatte und Kleopatra mit seinem Mienenspiel derart rasend machte, dass sie ihn augenblicklich hinrichten ließ. Mit den Zähnen knirschend bestellte sie umgehend ihren kränkelnden Leibarzt, den kurzsichtigen Friseur und die Verantwortlichen für Körperpflege und Konfektion zum Krisengespräch ein. Die Brisanz und Gefährlichkeit dieser Anordnung war den Betreffenden durchaus bewusst und nur Minuten später war sie umringt von ihren demütigen Vasallen, denen sie unmissverständlich klar machte, was sie von ihnen erwartete. Doktor Sommerbrink, der deutsche Kurarzt aus Bad Wurzach, empfahl ein heilsames Vollbad in Kamelmilch, angereichert mit wohltuenden Essenzen und kostbaren Pflanzenauszügen… und anschließender Ganzkörper-Eischneepackung. Udo, ihr gefügiger Friseur, schlug kleinlaut eine asymmetrische Dauerwelle vor, in die er bläuliche Strähnen einarbeiten wollte und wurde noch vor Beendigung seiner Ausführungen ohne Vorwarnung dafür geohrfeigt. Glück gehabt, schoss es ihm durch den Kopf, als er an das Schicksal seines Zimmergenossen Jademon dachte.
Die Styling- und Kosmetikfraktion versprach alles Menschenmögliche zu tun, um sämtliche Unebenheiten und Verfärbungen unter einer hauchdünnen, dennoch blickdichten Schicht feinster, französischer Camouflage verschwinden zu lassen. Sollte dies wider Erwarten nicht gelingen, gab es noch die Möglichkeit, ihre Anmut mittels eines transparenten Seidenschleiers effektvoll verhüllend und umso aufreizender in Szene zu setzen. Sie fügte sich. Sie hatte ja keine Wahl. Oh, wie sie es hasste ausgebremst zu werden. Widerwillig und übelgelaunt ließ sie also die Prozedur über sich ergehen. Doch zuvor puderte sie ihr Näschen noch mit einer Prise Koks.
Ausgerechnet heute Abend musste sie in ihrer Funktion als Vorsitzende des Lions Club von Kairo eine Charity-Veranstaltung eröffnen, bei der es um die Verbesserung der angeblich beklagenswerten Lebensbedingungen ägyptischer Sklaven gehen würde. Jenes nimmersatte Gesindel, das ihr jetzt schon die Haare vom Kopf fraß. (Dieser Gedanke mündete in die Idee, sich eine neue Perücke anfertigen zu lassen.)
Sie würde wie immer im Mittelpunkt stehen, belauert von den missgünstigen Weibern des internationalen Jetsets, die wie die Geier nur darauf warteten, dass sie sich eine Blöße gab.
Und das in ihrem bejammernswerten Zustand. Doch falls sie dieses bedeutende, gesellschaftliche Ereignis absagte, würden sich die Hyänen erst recht ihre Lügenmäuler zerreißen und nebenbei den anwesenden Pressefuzzis ein paar „vertrauliche“ Informationen zuspielen. Als Begründung für ihr Nichterscheinen war von einer mittelschweren Depression über ein kleines Alkoholproblem bis hin zum Gebärmutterhalskarzinom alles denkbar. Morgen früh könnte sie sich dann den ganzen Mist vorlesen lassen. An solchen abscheulichen Tagen verwünschte sie die Last ihres Amtes. Sie puderte sich noch einmal die Nase, sagte nicht ab und zog die Sache durch.
Aufgekratzt und beinahe euphorisch betrat Kleopatra dann gegen zwei Uhr ihr Schlafzimmer. Sie fühlte sich wider Erwarten gut an diesem Abend; auch der Champagner zeigte seine Wirkung. Erneut hatte sie allen die Schau gestohlen. Ihre „Predigt“ war einfach sensationell gewesen. Bukowskiih, ihr genialer Redenschreiber, lieferte wie erwartet einen perfekten Bericht menschlichen Elends ab, den sie nur noch mit tränenerstickter Stimme und zittrigen Händen vortragen musste.
Beider Talente ergänzten sich perfekt und waren im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert. Die anwesenden Gäste und Nutznießer des kostenlosen Banketts, die von den unerträglichen Leiden tausender, halbverhungerter Sklaven zu Tränen gerührt waren, zückten ihre dicken Scheckbücher zwischen Aperitif und Dessert beinahe reflexhaft, um sich derartige Schilderungen künftig nicht mehr anhören zu müssen. Wie einfach es doch war, an das Geld anderer Leute zu kommen. Sie überschlug kurz, was der Abend wohl eingebracht haben könnte, multiplizierte einfach die Anzahl der Gäste mit einer Mindestsumme je Spender und kam so unschwer auf einen 7-stelligen Betrag. WOW! Der neue Aston Martin war bezahlt. Sie liebte dieses Auto.
Den Nimmersatten musste sie allerdings auch ein wenig abgeben. Etwas Sichtbares; etwas, das man von außen wahrnehmen konnte. Vielleicht einen Sanitärwagen an der Transportstrecke zur Pyramidenbaustelle. Dann würde es dort auch nicht mehr so übel stinken. Und in Kürze hatte sie Geburtstag, dies könnte man zum Anlass nehmen, den Ausgezehrten ein paar Ochsen am Spieß und Freibier zu spendieren. Das Feuilleton hätte eine hübsche Geschichte und nebenbei erntete sie die ausgezeichnete Publicity für diese großmütige Geste und die Teilhabe des Volkes an ihrem Ehrentag. Eine glänzende Idee.
Sie würde jetzt nicht einschlafen können, wollte jedoch ausgeruht und frisch aussehen, wenn Cäsar eintraf. Deshalb suchte sie in ihrer gut sortierten Pillendose nach den kleinen, rosafarbenen Helfern, um sie mit einem Schluck Mineralwasser runterzuspülen. Eine halbe Stunde später war sie im Sessel eingenickt.