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John

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Thomas Holtbernd


Per Email in den Himmel





Roman













John war ein Mann. Jedenfalls war er sich dieser Bestimmung seiner sexuellen Ausrichtung sicher gewesen. Seine Gewissheit hatte sich in eine Form von Orientierungslosigkeit verwandelt, die wie bei einem Kippbild ihn mal das eine und mal das andere sehen ließ. John fühlte sich wie ein Wandler zwischen den Welten. Er wollte eine Sicht der Realität festhalten und die anderen Möglichkeiten ausblenden. Das ständige Hin und Her ermüdete ihn. Sicherlich kannte er auch vorher schon die Schwierigkeit, mit den Ambivalenzen in seiner Sicht der Welt umzugehen. Ambiguitätstoleranz, so hatte er irgendwo einmal gelesen, hieß die Fähigkeit, solche Spannungen auszuhalten. Doch es war für John bislang mehr ein intellektuelles Problem gewesen. Angefangen hatte alles mit einer Email. Vor einigen Wochen bekam er diese Email, die er öffnete, obwohl er den Absender nicht kannte. Normalerweise löschte er Mails mit einem unbekannten Absender sofort, weil er keinen Wurm oder Trojaner auf seinem PC haben wollte. John kam es nun so vor, als hätte sich ein Wurm in seinem Hirn eingerichtet. Er fühlte sich in allem, was er bislang gedacht und gefühlt hatte, verunsichert. Nach wie vor hatte er keine Zweifel daran, dass er biologisch ein Mann ist. Das Mannsein war für ihn jedoch fürchterlich anstrengend geworden. Wäre er ein richtiger Mann, müsste er doch Spaß an seinem Mannsein haben. Immer häufiger wünschte er sich, eine Frau zu sein. Obwohl er auch das nicht wirklich wollte. Frauen schienen es in vielen Alltagssituationen einfacher zu haben. Sie können die Hilflose spielen und schon sind irgendwelche Kerle da, die ihre Hilfe anbieten. Frauen nimmt man es weniger übel, wenn sie launisch sind. Dann heißt es, die hat halt ihre Tage. Männer, die Stimmungsschwankungen haben und auch zeigen, werden gleich mit dieser typischen Handbewegung kommentiert, die angeblich viele Schwule haben: „Ach Du, hat er wieder seine Tage. Lass uns mit Wattebäuschchen werfen!“ Ihm ging das alles ziemlich auf die Nüsse. Ständig dieser Konkurrenzkampf, dieses Machogehabe, dieses männliche Getue im Geschlechterkampf. Es war ihm schlichtweg zu beschwerlich, seinen Mann zu stehen. Überhaupt hatte er das Gefühl: Das Leben ist anstrengend. John war das Leben im Ganzen zu schwer geworden. Jeden Morgen aufstehen, seinen Job machen, abends nach Hause kommen, das bisschen Haushalt erledigen, irgendeinen Schwachsinn in der Flimmerkiste anschauen, im Bett noch ein wenig lesen, einschlafen und am nächsten Morgen wieder rein in den ewig gleichen Alltagstrubel. Er sehnte sich nach der Unbeschwertheit seiner Kindertage zurück. Zumindest glaubte er, dass er als Kind ein leichtes Leben gehabt hatte und ohne Mühe die Tage verbrachte. Ein fröhliches Kind war er gewesen, so wollten es seine Erinnerungen. Von all dieser Fröhlichkeit war ihm nur wenig geblieben. Manchmal hielt er seinen Zynismus und Sarkasmus für den Ausdruck von Lebensfreude. Aber John hatte nicht nur einmal von anderen zu hören bekommen, dass seine „witzigen“ Bemerkungen ganz und gar nicht lustig seien. Manche fühlten sich sogar verletzt und hatten den Kontakt zu ihm abgebrochen. John fand nichts dabei, jemandem ironisch seine Schwächen und Gebrechen entgegen zu schleudern. Bei Männern fand er mit dieser Art durchaus Gleichgesinnte. Frauen fühlten sich sofort verletzt oder nahmen Partei für die Angegriffenen ein. Dann machte es keinen Spaß mehr. Ihn nervte es, wenn mal wieder so eine Emanze seine anzüglichen Bemerkungen als vermutete Impotenz kritisierte. Gleich kam dann auch die übliche Bemerkung über sein Auto: „Du brauchst wohl diese Schwanzverlängerung.“ Er fuhr einen Daimler, den er bei einem Autotuner ein wenig hatte veredeln lassen. Wobei die Kosten für das Tuning das Jahreseinkommen so mancher in Brot und Arbeit stehender Menschen überschritt. Natürlich brauchte er so viel PS nicht, doch es war ein tolles Gefühl zu wissen, welche Power er unter der Motorhaube hat. Die Frauen fanden seinen Schlitten im Allgemeinen ziemlich scharf. Doch auch das hatte einen Haken. Die Frauen, die er in den Discos abschleppte und die sich vor lauter Staunen über seinen Wahnsinnsschlitten schon auszogen, wenn er den Motor aufheulen ließ, erwiesen sich meist schon nach einer Nacht als BMW mit der Ausstattung für einen Fiat Panda. Der Sex mit diesen Silikonpuppen, wie er sie oft nannte, war wie Selbstbefriedigung bei einem dieser Pornostreifen, die man aus dem Netz holen konnte, nur schlechter. John versprach nach einem solchen One-night-stand anzurufen, doch er tat es nie. Wenn die Frauen bei ihm anriefen, hatte er immer einen wichtigen Termin in der Firma oder er ließ einfach irgendeine Gemeinheit los. Darin war er gut, er wusste genau, wie er die Frauen verletzen konnte. Er traf ins Schwarze und die Frauen waren geschockt fürs Leben. Sie ließen ihn in Ruhe. Die Frauen mit ein bisschen Grips dagegen wollten dann darüber reden. Das war ihm einfach zu anstrengend und er spielte den prolligen Macho mit Muskeln ohne Hirn. Dann war er auch die Frauen mit mehr als zwei Hirnwindungen los.

Überhaupt war ihm das mit den Frauen und ihrer Psyche zu beschwerlich geworden. Dass Frauen „ja“ meinen, wenn sie „nein“ sagen, stimmte nur manchmal und verlässlich war diese Strategie nicht. Oft war das Gegenteil richtig und manchmal etwas ganz anderes. Ihm war es einfach zu beschwerlich, den Frauen ihre Wünsche von den Augen abzulesen. Sowieso lag er mit seinen Vermutungen meist falsch. Auch das mit den richtigen Geschenken wäre, wenn er es schaffen würde, eine Glanzleistung. Als Mann wäre er gezwungen das ganze Jahre aufpassen wie ein Luchs, um die versteckten Andeutungen mitzubekommen. Kurz vor dem Verschenkungstermin müsste er dann eine Prioritätenliste dieser von der Frau angedeuteten Wünsche machen und entscheiden, welchen Wunsch die Frau am meisten favorisiert. Zudem müsste das Geschenk auch noch einen Überraschungseffekt haben und beweisen, wie sehr er sich Gedanken gemacht hat und sensibel für die Wünsche der Partnerin ist. Zum Schluss war es dann meist so, dass sich seine Freundinnen ausgesprochen freuten, wenn er das Richtige getroffen hatte und dann nach dem Kassenbon fragten, weil es vielleicht doch noch etwas gab, was besser passt oder doch noch mehr den Geschmack trifft.

Er hatte sich nach diesen Erfahrungen angewöhnt, Gutscheine zu verschenken. Dann musste er jedoch mit zu einer dieser Einkaufstouren, weil seine Meinung angeblich gefragt war. Zum guten Schluss entschied sich die Frau sowieso nach Kriterien, die er nicht nachvollziehen konnte und bei denen er kaum das Gefühl hatte, seine Anregungen wiederfinden zu können. Die Partnerinnen wählten nur sehr selten das, was er besonders schön fand.

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