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2. Der Weltverschlechterer

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Er war Zeit seines Lebens einer von denen gewesen, die überzeugt davon waren, daß man die Menschheit nur mit Hilfe der Paradoxie zu ihrem Glück zwingen konnte, deshalb bezeichnete er sich im Gegensatz zu all den selbst ernannten Gutmenschen, Reformern und Weltverbesserern als "Weltverschlechterer". Doch damit nicht genug. Nicht einmal Diktatoren, selbst wenn es sich dabei um die brutalsten Schlächter handelte, hielten sich für die Bestien, als die sie in der Weltöffentlichkeit bekannt geworden waren, sondern höchstens für die Besten. Die Geldverbesserer von den Banken hatten sich allmählich damit abgefunden, daß der Kapitalismus nicht mehr zu retten war, weshalb sie nur noch darauf bedacht waren, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen, doch da gab es ja auch noch die Leute, in erster Linie Eltern, Kindergärtnerinnen sowie Lehrer an der Erziehungsfront, die darauf pochten, daß die Kinder Grenzen brauchten, an denen sie sich orientieren konnten. Er hielt jenen jedoch entgegen, daß Kinder jene Grenzen nur wollten, um sie wenig später genüßlich überschreiten zu können, so wie es sich etliche Alleinherrscher zum Hobby gemacht hatten, Grenzen zu anderen Ländern zu überschreiten. Was aber war die Essenz des Ganzen? "Du sollst nicht lieben", lautete das Gebot der Stunde, mit dem er über die virtuellen Marktplätze der Welt zog und jenes sorgte für heftige sowie erregte Debatten. Die Einen polemisierten dagegen so laut sie konnten, die Anderen hielten es für bedenkenswert, doch er gehörte zu den Praktikern und da er zufällig auch noch über das nötige Kleingeld verfügte, konnte er das ganze Experiment auf einer kleinen Insel, die er sich ein paar Jahre zuvor zugelegt hatte, durchführen. Es handelte sich bei den Teilnehmern um keine Sektenanhänger, sondern um durchaus selbstbewußte Individuen, die herausfinden wollten, wer sie waren, woran sie glaubten und was das Ding namens Leben eigentlich für einen Sinn hatte, falls es so etwas überhaupt gab. So etwas wie Sinn selbstverständlich, denn daran, daß das Leben als solches existierte, konnte man definitiv nicht zweifeln. Er hatte im Vorfeld des Feldversuchs eine Journalistin auf seine Insel eingeladen, die das ganze Geschehen beobachten sollte und jene führte mit ihm ein Interview, das in einer großen deutschen, überregionalen Tageszeitung abgedruckt wurde, damit auch die Daheim- sowie Zurückgebliebenen an dem Schauspiel teilhaben konnten. Klinken wir uns deshalb, bevor die Klinkenputzer, die auch auf den entlegensten Inseln ihre Staubsauger beziehungsweise Versicherungen anboten, ins Spiel kamen und auf der Bildfläche erschienen, in das Gespräch ein. "Herr Riedle, ihre Kritiker bezeichnen Sie despektierlich als den "neuesten Allmächtigen". Was halten Sie denen entgegen, die behaupten, bei Ihrem Projekt handele es sich lediglich um Schaumschlägerei und den Versuch Ihrerseits, mit Hilfe von gezielten Provokationen Aufmerksamkeit zu erregen?" begann die Interviewerin. "Liebe Tatjana, ich weiß sehr wohl, daß das, was ich hier versuche, mehr als gewagt ist und ich nehme das Risiko des Scheiterns billigend in Kauf. Aber mir bleibt nichts Anderes übrig, als das Unglaubliche zu wagen, denn in den letzten zweitausend Jahren wurde ständig von Frieden, Liebe, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Toleranz und lauter solchen Sachen geredet, jedoch sprachen die Taten der Leute all den hehren Wortgebilden Hohn. Schlimmer kann es ohnehin nicht werden und wenn man sich mal die Statistiken anschaut, wie viele Verbrechen im Namen der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit bis zum heutigen Tage verübt worden sind, dann weiß man eindeutig, daß es allerhöchste Zeit wird, dem Schrecken Einhalt zu gebieten", dozierte Riedle. "Das mag sein, aber Sie propagieren lediglich das Gebot "Du sollst nicht lieben". Was versprechen Sie sich davon?" "Das weiß ich selber nicht genau. Es gab da ja mal angeblich so einen Typen, der den Namen Jesus hatte und der scheinbar übernatürliche Kräfte besaß, etliche Menschen behaupten sogar, er wäre Gottes Sohn gewesen, was auch immer sie damit meinen und dem legte man das Gebot "Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst" in den Mund. Tja, das war eine ziemliche krasse Zielvorgabe und ich glaube kaum, daß das sonderlich vielen Personen in den letzten Jahrhunderten gelungen sein dürfte. Deswegen lege ich die moralische Meßlatte ein wenig tiefer." Sie schaute ihn mit einem bewundernden, zugleich aber auch skeptischen Blick an, bevor sie erwiderte: " "Du sollst nicht lieben", heißt aber ja auch irgendwie, daß man nur an sich zu denken hat und auf die Anderen keine Rücksicht nehmen darf." "Nein, das würde viel zu weit führen, außerdem praktizieren das die Menschen ja schon seit Jahrzehnten, von daher würde uns so etwas nicht weiterbringen. Die Liebe ist sowohl die Geißel als auch das Unglück der Menschheit. Sie zerstört uns innerlich, macht uns krank, abhängig und jämmerlich. In einer Welt, in der die Liebe verboten ist, würde es allen Menschen wesentlich besser gehen." "Eine gewagte These, Herr Riedle. Na ja, dann wollen wir mal sehen, was Ihr Experiment uns allen zeigen wird." Er schaute sie nachdenklich an, bevor er sie ermahnte: "Seien Sie vorsichtig, Tatjana! Ich warne Sie ausdrücklich davor, sich in mich zu verlieben, denn in dem Fall müßte ich Sie einsperren lassen und das wollen wir ja doch wohl alle Beide nicht." Sie schluckte, denn er hatte ihr tief ins Herz geschaut und zielsicher ins Schwarze getroffen. War das etwa der Teufel in Menschengestalt oder wieder nur einer von den üblichen verdächtigen Verrückten, welche der Menschheit ihre kruden Ideen aufs Auge drücken wollten? Die Zeit würde es zeigen.

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