Читать книгу Kurzgeschichtchen - Thomas Häring - Страница 4
Pfingsten Town
ОглавлениеSie waren so besoffen wie noch nie zuvor in ihrem Leben und sie sprachen in fremden Zungen. „Donnerwetter, dieser heilige Flaschengeist zieht ganz schön rein“, meinte Andreas. „Das kann man wohl sagen. War echt eine coole Idee, geweihtes Bier zu kaufen und zu saufen“, lobte Thomas. „Und um zu taufen, das wollen wir schließlich auch nicht vergessen“, fiel Johannes ein und er schüttete Jakobus eine Flasche Bier über den Kopf. Die Stimmung war ausgelassen und das war auch gut so, denn die jungen Männer hatten viel zu vergessen. Ihren Anführer hatte man gekreuzigt und sie hatten Angst vor der Verfolgung durch die Juden. Petrus, der Besoffenste von allen, stellte sich wankend auf einen Tisch und lallte: „So, jetzt habe ich keine Angst mehr. Diese Gottesmörder können mich mal kreuzweise. Wir gehen jetzt da raus, Jungs, und halten den Leuten eine Moralpredigt, die sich gewaschen hat. Ich habe bereits einen tollen Text vorbereitet und ihn in zwölf verschiedene Sprachen übersetzen lassen. Jeder von Euch nimmt sich einen Zettel und liest laut vor, was darauf steht. Macht Euch keine Sorgen darüber, was passiert. Denn wir sind so besoffen und unzurechnungsfähig, daß wir höchstens in die Ausnüchterungszelle kommen.“ Daraufhin torkelten die zwölf Apostel, für Judas hatte man inzwischen einen Ersatzmann gefunden, nach draußen, stellten sich auf und begannen, ihren jeweiligen Text lallend vorzutragen. Zunächst wurden die Besoffenen ignoriert, doch nach einer Weile blieben immer mehr Leute stehen, hörten sich den Rotz an und lachten sich kaputt. Die roten Nasen der Betrunkenen trugen ihr Übriges zur Heiterkeit der Beobachter bei. Als die Apostel mit dem Vorlesen fertig waren, forderte ein Spaßvogel aus der Menge eine Zugabe und so legten sie gleich noch mal los. Dieses Mal waren sie schon textsicherer und man verstand sogar Manches von dem was sie sagten. Nach der zweiten Runde tauschten sie untereinander die Blätter aus und versuchten sich allesamt jeweils in einer anderen Sprache. Das kam gut an bei den Leuten und der Marktplatz füllte sich immer mehr. Irgendwann traten die zwölf Tippelbrüder nicht mehr neben- und miteinander, sondern nacheinander auf und es entwickelte sich ein richtiger Wettbewerb, wer seinen Text am besten vortrug. Für die Leute war es sehr unterhaltsam, denn dadurch, daß derselbe Text, immer in einer anderen Sprache vorgetragen wurde, wurde es nie langweilig. Andreas rappte seinen Text, Johannes stotterte seinen, Petrus rülpste den seinigen und Jakobus machte aus dem seinigen ein Megaevent. Die Leute waren begeistert ob jener originellen Darbietungen und manche von ihnen fanden es sogar schade, daß man den Anführer dieser lustigen Spaßvogeltruppe gekreuzigt hatte, denn der hätte sicherlich dem Ganzen die Dornenkrone aufgesetzt. Völlig erledigt und durchgeschwitzt kehrten die volltrunkenen Apostel später in ihr Haus zurück. „Jungs, das war ganz große Klasse! Damit haben wir unseren Platz in der Weltgeschichte sicher“, behauptete Petrus. „Aber das ist doch absurd, das glaubst Du doch wohl selber nicht“, erwiderte der ungläubige Thomas. Die Anderen ignorierten ihn und seine Kritik und widmeten sich dem nächsten Kasten Bier. Sie feierten noch bis tief in die Nacht und verabschiedeten sich voneinander in fremden Sprachen, bevor sie umkippten und einschliefen. Der Grundstein für eine Weltreligion war gelegt, sie hatten es sich verdient.