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4.Auf der anderen Seite

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Schnell entbrannte eine Diskussion darüber, ob überhaupt, und wenn, wer den Lichtstrudel durchqueren sollte. Ben erklärte, dass es bestimmt nicht einfach sei, drüben am anderen Ort sicher anzukommen. Er konnte sich daran erinnern, dass es beim anderen Turm bestimmt noch drei oder vier Meter steil hinab ging. Somit stand fest, dass sie erst ein langes Seil oder ähnliches brauchten, bevor sie überhaupt einen solchen Versuch wagen konnten. Kiki war sich nicht ganz sicher, ob sie nicht eigentlich noch andere, wichtigere oder größere, Probleme hatten. Am Turm herunter zu klettern war das Eine, aber was war mit dem Rückweg? Was, wenn man am Seil nicht zurück klettern konnte oder es reißen würde? Niemand sollte schließlich verletzt werden oder verloren gehen. Timmy war in der Zwischenzeit verschwunden, worüber Ben nicht sehr erfreut war: „Ach, dieser Hasenfuß. Jedes Mal, wenn es interessant wird, macht der sich in die Hose und verschwindet!“. Der Junge warf einen wütenden Blick zu seinen beiden Freundinnen, die nun ebenfalls grimmig dreinschauten. Doch sie waren zu unrecht wütend, denn einige Minuten später erschien Tim wieder auf der Bildfläche, und was soll man sagen, er hatte ein dickes Seil um die Schultern gewickelt. „Ich gehe zuerst!“, waren seine Worte: „Schließlich habe ich das Loch entdeckt. Jetzt will ich auch wissen, was dahinter ist.“ Die Freunde konnten es kaum glauben. Ausgerechnet Timmy wollte in das Loch steigen? Ihr Tim Petersen, der sonst als Erster verschwunden war, wenn es brenzlig wurde? Der Tim Petersen, der sich einmal nicht getraut hatte, gegen ein kleines Mädchen aus dem Dorf anzutreten, als dieses sich mit ihm prügeln wollte? Damals hatte er den ganzen Zuckerfabrikkindern Schande bereitet und nun wollte ER in das Loch steigen? Kiki, Vanessa und Ben standen fassungslos vor ihrem Freund, während dieser sich schon das Seil um die Hüften band. Schneller als sie überhaupt widersprechen konnten, rückte er sich das Sofa zurecht und machte sich bereit. „Ihr holt mich entweder in einer halben Stunde oder wenn ich drei Mal ziehe zurück!“, gab Timmy seinen Freunden zu verstehen. Die Drei nickten kurz. Sie hatten verstanden worum es ging. Tim zögerte nicht lange, zwei, drei Mal federte er auf dem Sofakissen hoch, um letztendlich mit einem gekonnten Hechtsprung im blauen Strudel zu verschwinden.


Das Seil wickelte sich langsam, auf dem Boden liegend, immer weiter ab. Erst im letzten Augenblick begriff Ben, dass sie es nirgends befestigt hatten. Mit einem gewagten Sprung stürzte er sich auf das drohende Ende des Seils und hielt es fest. Dabei schrie er so energisch, dass selbst die Mädchen aus ihrer Starre erwachten und ihm halfen. Es schien gerade noch rechtzeitig gewesen zu sein. Zumindest spürten sie ein enormes Gewicht, welches sie halten mussten. Dies konnte nur bedeuten, dass Tim noch auf der andere Seite am Seil hing. Langsam gaben sie mehr und mehr Leine nach, bis kein Zug mehr auf ihr lastete. Timmy musste den Boden erreicht haben. Vanni wirkte nervös und setzte sich auf das Sofa. War es die richtige Entscheidung ,die sie da getroffen hatten? Es ging nun wirklich alles ein wenig schnell, vielleicht hätten sie die ganze Sache doch besser überdenken sollen? Was, wenn Timmy etwas passieren würde oder er nie wieder nach Hause käme? Wie hätten sie dies seinen Eltern erklären sollen? Vanessa machte sich fürchterliche Sorgen und schwere Vorwürfe. Kiki hingegen blieb entspannt, obwohl sie das Seil keine Sekunde aus den Augen ließ. Immerhin hätte daran augenblicklich gezogen werden können. Dies war das vereinbarte Signal gewesen, dass Tim zurückkehren wollte, doch, ...es rührte sich nichts. Trotzdem blieb sie gelassen, denn sie wusste, bevor es gefährlich werden würde, wäre Tim der Erste gewesen, der davon gelaufen wäre oder sich versteckt hätte. Ihm konnte somit eigentlich nichts passieren, egal wo immer er sich auch aufhalten würde. Ben stand am Fenster und blickte unentwegt auf seine Uhr. Mittlerweile waren schon fünfzehn Minuten um. Kein Signal, nichts. „Wäre ich doch nur gegangen.“, dachte er sich die ganze Zeit und kaute an seinen Fingernägeln herum, was eigentlich Timmys Art war, um seine Nervosität zu bekämpfen. Doch er war sehr angespannt. Tim war sein bester Freund und sie hatten ihre ganze Kindheit miteinander verbracht. Er konnte sich nicht ausmalen, wie es wohl ohne seinen Freund wäre. Sorgenvoll runzelte er die Stirn und stierte weiter auf seine Uhr. Die Sekunden vergingen wie Stunden. Ab und an lauschte er daran, um sicher zu gehen, dass sie nicht kaputt war. Weitere, nicht enden wollende, quälende Minuten lagen noch vor den Kindern. Im Turmzimmer herrschte eine bedrückende Stille und niemand wollte etwas sagen. Vanni war mittlerweile vom Sofa aufgestanden und ging lautlos auf und ab. Sie konnte das Warten nicht mehr ertragen. Kiki beobachtet sie dabei, verlor jedoch nie das Seil aus ihren Augen. Doch es rührte sich nichts. Nicht das kleinste Zucken war zu erahnen. Ben schaute weiter auf seine Uhr. Nach unendlich langer Zeit zählte er herunter: „Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, ...null.“ Die halbe Stunde war abgelaufen und er schaute gebannt auf das Seil, welches regungslos auf dem Boden lag. „Was machen wir denn jetzt?“, warf Vanessa verängstigt in den Raum. Ihr Gesicht spiegelte alle Sorgen wieder, die sie hatten. Kiki zuckte mit den Schultern: „Warten wir, was sollen wir sonst machen?“ Doch das konnte und wollte Ben auf keinen Fall tun. Er wollte seinen Freund nicht im Stich lassen und er ging auf das Seil zu. Mit beiden Händen packte er es an, spuckte in die Hände und begann damit, es vorsichtig zu ziehen. Doch er konnte es viel zu leicht zurück holen und somit war ihm sofort klar, dass Timmy niemals am anderen Ende daran hängen konnte. Verzweifelt ließ er die Leine wieder los. Augenblicklich konnten sie wirklich nichts anders tun als abzuwarten. Es verging eine weitere sorgenvolle halbe Stunde. Noch immer gab es kein Zeichen von Tim.

„Ich muss hinterher gehen und herausfinden was passiert ist.“, schlug Ben entschlossen vor. Jedoch hielt dies Vanessa für keine gute Idee, schließlich vermissten sie ja schon Timmy und sie wollte gerne darauf verzichten auch noch Ben zu verlieren. Langsam geriet auch Kiki in Panik und sie kam nicht mehr von dem Gedanken los, dass sie die ganze Geschichte ihren Eltern beichten mussten. Aber wie erklärt man einem Erwachsenen, dass man in einem verbotenen Turm eingedrungen ist, ein Zeitloch gefunden und seinen besten Freund verloren hat, ohne das man Ärger dafür bekommt? Da ihre Eltern schon streng sein konnten, wenn sie mussten, rechnete sie mit mehr als vier Wochen Hausarrest und wahrscheinlich hätte sie nie mehr mit ihren Freunden spielen dürfen. Es waren schreckliche Gedanken, die ihr da durch den Kopf schossen. Was war Timmy nur geschehen? Kleine Tränen kullerten an ihren Wangen herunter und Ben nahm sie zum Trost in den Arm.

Plötzlich sprang Vanni zwischen den beiden hindurch und riss sie damit auseinander. Wie wild geworden klammerte sie sich an das Seil und zog mit aller Kraft daran. Ben und Kiki kapierten überhaupt nicht was geschehen war. „Es hat drei Mal gezuckt!“, schrie Vanessa völlig außer sich: „Es hat gezuckt! Los, helft mir !“. Als wären sie von einem Schwarm Bienen verfolgt worden, spurteten die Kinder los, um Vanessa zu helfen. Tatsächlich, man konnte ein ordentliches Gewicht auf der Schnur spüren. Mit voller Kraft zogen sie immer wieder gleichzeitig an. Nach einer geraumen Zeit und einer enormen Anstrengung hatten sie es endlich geschafft. Durch das Loch in der Wand erschienen erst die Hände und dann der Kopf von Tim. Vanni sprang auf und half ihrem erschöpften Freund aus dem Lichtstrudel heraus. „Wo warst du Idiot denn so lange? Wir hatten eine halbe Stunde ausgemacht!!! …Eine halbe Stunde! ….Weißt du welche Sorgen wir uns um dich gemacht haben?“ schrie ihn Ben vorwurfsvoll an. Tim setzte sich und schaute seine Freunde an, die ihn angespannt anstarrten: „Mir ist erst dort drüben aufgefallen, das ich gar keine Uhr um habe. So habe ich die halbe Stunde in etwa geschätzt. Ich nehme mal an, es war wohl zu lang, oder?“ Die anderen Kinder konnten es kaum fassen und schüttelten die Köpfe. Kiki fasste Tim an die Schultern, sie bemerkte, wie erschöpft er war: „Du bist aber okay, oder?“. Timmy nickte und warf dabei den Pinsel, den sie vermisst hatten, auf den Boden. Er hatte ihn auf der anderen Seite des Turmes im Gras gefunden und ihn wieder mitgebracht. „Ich bin okay! Aber wir müssen zurück, wir müssen Robert helfen! Er braucht dringend unsere Hilfe!“

Die Zuckerfabrikaner

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