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Jahrmarkt der Gefühle II

Außerordentlich, unbeschreiblich waren die Reaktionen des Publikums unmittelbar nach der Schließung des Jahrmarktes. Soll zum einen heißen enthusiastisch ob des völlig unerwarteten Erfolges, zum anderen tumultartig, weil die Menschen unter gar keinen Umständen akzeptieren wollten, dass der Markt nun für eine ganze Weile beendet sein sollte. Doch der Reihe nach.

Der weithin spürbare, positive Effekt war die zunehmende Ausgeglichenheit und Gelassenheit in der Bevölkerung. Hochzeiten waren nicht mehr so überschwänglich lustig, dafür die Trauerfeiern nicht mehr so unfassbar traurig. Ausgeglichener eben, so als wenn zum Beispiel bei einem Fußballspiel, in dem eine Mannschaft haushoch überlegen ist, was sich auch im Spielstand niederschlägt, der schlechteste Spieler der unterlegenen Mannschaft mit dem stärksten des führenden Teams in der Halbzeit das Trikot tauscht, um dann beim jeweiligen Gegner mitzuspielen, aus Fairnessgründen halt.

So wie auch in der Schule: Damit der schlechteste und der beste Schüler sich im Leistungsniveau angleichen, muss logischerweise der gute Schüler schlechter werden, denn andersrum geht es ja nicht. Wenn es gehen würde, dann wäre der Schlechteste ja nicht der Schlechteste, oder? Aber jetzt schweifen wir endgültig vom Thema ab.

Die potenzielle Kundschaft, und das waren nun einmal fast alle Einwohner der Stadt, setzte alle Hebel in Bewegung, um den Markt wieder auferstehen zu lassen: Eingaben beim Ordnungsamt, Petitionen beim Bürgermeister, Flugblätter, Kettenbriefe per E-Mail und sogar die sozialen Netzwerke liefen heiß. „Wir fordern die Wiedereröffnung unseres Jahrmarkts“, hieß es lautstark auf allen Straßen, in allen Gassen. Der Erfolg dieser Aktionen ließ nicht lange auf sich warten.

Seit heute früh hängen die ersten Veranstaltungsplakate mit der Bekanntgabe des Eröffnungstermins. Und seit heute früh gibt es kein Halten mehr. Obwohl der Markt erst in drei Wochen beginnt, machen sich die ersten bereits auf den Weg zum Marktplatz und versuchen mit Klappstühlen und Sitzkissen die besten Plätze zu reservieren. Bei aller Euphorie wagen sich jetzt auch die Besonneneren aus der Deckung und beginnen im Vorfeld durch konstruktive Kritik die Qualität des anstehenden Jahrmarktes noch zu erhöhen. Die Anregungen zielen vor allem darauf ab, das Treiben übersichtlicher zu gestalten, beispielsweise durch eine emotionale Sortierung der einzelnen Marktstände. Um den Genuss der meist frischen Waren zu verlängern, so ist von anderen zu hören, möge das bisherige Angebot um einige Artikel aus dem pharmazeutischen Labor erweitert werden. Um auch hier wieder Fairness walten zu lassen (vergleiche das oben beschriebene Fußballbeispiel), bedürfe es aber auch dringend eines homöopathischen Standes, so argumentieren wieder andere. Spontan entscheidet sich der Veranstalter und verspricht die Aufstellung eines Getränkespenders mit Leitungswasser zur kostenlosen Nutzung. Unmut und Empörung machen sich bei denjenigen breit, die diesen letzten Vorschlag eingebracht haben. „Frechheit, Frechheit“, skandieren, ja krakeelen sie lautstark bis in die Nachmittagsstunden. Ob sie sich bis zum Marktbeginn wieder beruhigt haben werden?

Doch diesem kleinen Vorfall zum Trotz ist die Vorfreude in der Stadt riesig, die Begeisterung förmlich zu spüren und sicherlich wird mit jedem Tag die Erwartung weiter ansteigen, bis sie schließlich ein Höchstmaß erreicht haben wird, das alles bisher Gekannte weit in den Schatten stellt. So lasst ihn denn auf ein Neues beginnen, den Jahrmarkt der Gefühle.

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