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2. Kapitel

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„Ich war unterwegs in den Ski-Urlaub nach Engelberg. Dort wohnt ein guter Freund von mir. Ich kenne ihn noch aus Schulzeiten und ich fahre da jedes Jahr hin. Dieses Mal hat mich allerdings das Wetter böse erwischt. Es war so ein starker Schneefall, dass ich fast nichts mehr gesehen habe, schon gar nicht die Fahrbahn.“

Der Inspektor sitzt regungslos und mit gelangweilter Miene zurückgelehnt auf seinem Stuhl. Da von ihm jetzt wohl keine Frage kommen wird, rede ich einfach weiter: „Dann war irgendwann die Straße gesperrt, die ich nehmen wollte und ich bin der Umleitung nachgefahren, die ausgeschildert war. Trotzdem muss ich dabei wohl irgendwo falsch abgebogen sein und habe dann vollkommen die Orientierung verloren. Ab da habe ich mich dann mehr oder weniger nach der Himmelsrichtung orientiert, aber das hat wohl nicht so gut geklappt.“

„Aber warum haben Sie nicht einfach angehalten und den Schneesturm abgewartet?“

„Na ja, wissen Sie: Man glaubt ja immer, dass man die Situation noch beherrscht.“

„Sie haben sie jedenfalls nicht beherrscht. Wir haben Ihr Auto gefunden. Es ist ausgebrannt und komplett zerstört.“ sagt der Inspektor mit ermahnender Stimme.

„Ja stimmt, aber der Wagen ist erst hinterher angezündet worden.“

„Mutmaßlich!“

„Nein, Herr Inspektor, da bin ich mir sicher!“

Der Inspektor macht eine kurze Denkpause, kommt aber offenbar zu keinem Ergebnis: „Das klären wir besser später.“

„Ich habe jedenfalls nicht mein eigenes Auto angezündet, um die Versicherung zu kassieren, wenn Sie das meinen!“

„Na schön, dann mal weiter.“ Der Inspektor schreibt sich etwas auf seinen Notizblock. Ich komme mir vor, wie in einer Schulprüfung.

Ich werde so wie so nicht herausfinden, was er da genau aufschreibt, also kehre ich zu meiner alten Taktik zurück und erzähle einfach weiter: „Auf so einer kleinen Landstraße mitten im Nirgendwo bin ich ins Schlingern geraten und so einen VW Bus kann man dann nur sehr schwer abfangen. So bin ich dann von der Straße gerutscht und gegen einen Begrenzungspfahl oder einen Stein geprallt. Besser gesagt, bin ich da voll drüber gefahren, mit dem Erfolg, dass die Radaufhängung gebrochen ist. Also konnte ich nichts weiter tun, als den Wagen dort zu lassen, wo er war. Ich habe mir dann ein paar von meinen Sachen geschnappt und bin zu Fuß weiter marschiert, in der Hoffnung, dass ich zu irgendeiner Siedlung komme, oder zu einem Bauernhof.“

„War nicht sehr angenehm bei dem Wetter, oder?“

„Na ja, sehr weit musste ich gar nicht laufen. Vielleicht anderthalb Kilometer weiter war ein Dorf, ‚Klamm’ war der Name. Vielleicht kennen Sie es ja.“

„Jetzt schon, aber erzählen Sie weiter.“

Ich möchte reden, aber ich spüre, wie mein Puls in die Höhe schnellt. Bilder jagen wieder durch meinen Kopf: Feuer, Schreie, Blut, Kälte. Das Atmen fällt mir schwerer und diese unangenehme Enge, die meinen Oberkörper langsam immer weiter einschnürt, treibt mir den kalten Schweiß auf die Stirn.

Der Inspektor hingegen sitzt auf seinem Stuhl und sieht mich mit absolut regungslos entspannter Miene an. Seine störrische Ruhe wirkt auf unerklärliche Weise ansteckend und so gelingt es mir doch, weiter zu sprechen: „Klamm ist so ein richtiges Dorf, wie aus dem Bilderbuch: Viele Bauernhöfe, Scheunen, ein Tante-Emma-Laden, eine kleine Kirche und eine Dorfwirtschaft am zentralen Platz. Die Häuser sehen alle noch so aus, wie im Mittelalter. Nicht mal alle Wege sind richtig befestigt, soweit ich das sehen konnte. Es lag ja viel Schnee.“

„Ja, solche Dörfer gibt es hier in der Gegend noch recht oft. Da meint man manchmal, die Zeit wäre stehengeblieben.“

„Ja, Herr Inspektor. Das war auch mein erster Eindruck. Aber ich war natürlich froh, überhaupt so schnell ein Dorf gefunden zu haben bei dem Wetter. Ich bin da also geradewegs rein marschiert. Es war fast niemand auf der Straße, nur so ein seltsamer Kauz, der mitten im Sturm draußen am Schneeschippen war. Als ich da vorbei gegangen bin, hat er aufgehört zu schaufeln und hat mir hinterher gesehen, als käme ich vom Mars. Dann ist mir aufgefallen, dass mich ein paar der Dorfbewohner durch ihre Fenster hindurch beobachten. Aber ich war so durchgefroren und so fertig, dass mir das alles egal war. Manche Sturmböen waren so heftig, dass ich gedacht habe, meine Nase und meine Ohren würden abfrieren und als Eisblock in den Schnee fallen. Ich musste die Augen zusammenkneifen und mich gegen den Wind stemmen, um nicht umgerissen zu werden.“

„Warum sind Sie nicht einfach zu einem der Häuser gegangen und haben um Hilfe gebeten?“

„Na ja, irgendwie kam mir das alles vor, wie ein schlechter Film, als wäre es nicht real. Also bin ich weitergelaufen. Dann habe ich die Dorfwirtschaft gesehen und bin da erst mal hineingegangen, in der Hoffnung auf ein Telefon, aber Fehlanzeige.“

„Wir haben zwar schon 1960, aber trotzdem hat keines der kleinen Dörfer hier einen Anschluss. Das ist zwar alles schon geplant, aber Sie kennen ja die Post.“

„Ja, Herr Inspektor, die Post ist auch meine persönliche Freundin.“

„Wessen nicht?“ Der Inspektor schmunzelt.

Auch ich muss lachen, verkneife es mir aber. „In der Wirtschaft waren ein paar Männer, die an einem Tisch saßen und Bier tranken. Und Anna, die Wirtin war natürlich da.“

„Frau Burleitner war also die Wirtin der Dorfschänke? Das ist ungewöhnlich. Sie ist noch recht jung, etwa Ihr Alter. Eine Wirtschaft in einem Dorf ist wie eine Institution. Das ist eine Männerdomäne. Junge Mädels können sich da nicht behaupten.“

„Da gebe ich Ihnen Recht, aber Annas Vater, dem die Wirtschaft gehört hatte, ist erst vor kurzer Zeit verstorben. Anna führte den Laden dann weiter. Ich glaube aber, dass sie von der Dorfgemeinschaft akzeptiert wurde.“

„Und woran machen Sie das fest?“

„Kann ich nicht genau sagen. Als Reporter bin ich auch ein wenig Menschenkenner. Aber vielleicht bilde ich mir das ja auch nur ein.“

Der Inspektor lacht: „Das mit der Menschenkenntnis?“

„Nein, das mit Anna und der Akzeptanz. Aber zurück zum Thema: Ich bin also in die Wirtschaft rein und die Männer am Tisch haben sofort aufgehört, sich zu unterhalten. Sie starrten mich an und verfolgten jeden meiner Schritte, als ob ich eine teuflische Krankheit hätte, oder so etwas. Auch Anna hat mich zunächst vollkommen entgeistert angesehen. Also bin ich möglichst zurückhaltend und langsam weitergegangen, um nicht irgendwen zu provozieren, aber der alte Dielenboden hat bei jedem Schritt geknackst, als wäre er dreihundert Jahre alt.“

„Kann sogar sein.“ sagt der Inspektor, ohne von seinem Notizblock aufzuschauen.

„Ich ging zum Tresen und fragte Anna nach einem Telefon, aber sie hatte keins. Ich saß wirklich fest. Also habe ich mir einen Schnaps bestellt und mich erst einmal an die Theke gesetzt. Anna hat dann gefragt, was passiert sei und ich habe ihr von dem Unfall erzählt und wo ich herkomme und so weiter. Die anderen Männer haben alles genauestens beobachtet und ständig getuschelt. Manchmal war auch eine Bemerkung über meine Kleidung dabei, die dann etwas lauter ausgesprochen wurde, so dass ich sie auch bestimmt hören konnte. Genauer gesagt, glaube ich, dass es um meine Kleidung ging, denn verstanden habe ich die Männer nicht wirklich. Aber Anna war sehr nett und auch irgendwie süß und so waren mir die anderen Leute vollkommen egal.“

„Es sind Bauern, einfache Leute. Sie arbeiten hart und haben nicht viel Abwechslung im Leben. Für die sind sie mit ihrer Großstadtkleidung und ihrem fremden Dialekt wirklich so etwas wie ein Außerirdischer. Das müssen sie hier nicht so ernst nehmen.“

„Habe ich zuerst auch nicht, Herr Inspektor. Aber später habe ich das bereut.“

„Inwiefern?“

„Da komme ich noch zu. Also Anna hat mir dann ein Zimmer im ersten Stock angeboten. Es ist ein Fremdenzimmer, das ewig nicht benutzt wurde. Ich saß ja fest, also willigte ich ein. Daraufhin stand einer der Männer auf und rief sehr laut etwas zu mir und Anna herüber, aber der Dialekt war so stark, dass ich mal wieder nichts verstanden habe. Es könnte aber auch sein, dass der Typ schon total voll war und so gelallt hat, dass es wie ein extremer Dialekt klang.“

„Schon möglich!“ Der Inspektor grinst ein wenig.

„Anna hat dann zurück geschrien, dass dies ihre Kneipe sei und er sich nicht einmischen soll. Der Mann hat sich dann wieder hingesetzt und noch irgendetwas in seinen Bart genuschelt.“

„Wie der Mann hieß, wissen Sie nicht?“

„Nein, Herr Inspektor, leider nicht. Ich hab den später zwar noch ein paar Mal gesehen, aber sonst nichts. Na ja, ich bin dann rauf in das Zimmer. Es sah aus wie ein altes Verließ auf einem Schlossturm. Anna hat mir aufgeschlossen und mir Bettzeug gebracht. Sie hat sich tausende Male entschuldigt, dass das Zimmer so heruntergekommen sei. Es war ihr anscheinend sehr peinlich.“

„Na wie sah es denn da genau aus?“

„Wände, Möbel, Fenster, alles war dreckig und mit Spinnweben überzogen. Aber was heißt Möbel: Es gab ja nur ein Bett und einen Stuhl. Ach ja, ein Waschbecken gab es auch, aber ich glaube bei dem Versuch, sich da zu waschen, wäre man eher noch dreckiger geworden. Ein Klo gab es nicht, nur unten in der Kneipe, was noch zum Problem werden sollte, aber gut. Das es elektrisches Licht gab, war das Erstaunlichste. Es bestand zwar nur aus einer schwachen Glühbirne über der Tür, aber zu diesem Zeitpunkt war mir das alles egal. Selbst die ungefähr zehn bis zwanzig größeren Spinnen an den Wänden und der Decke waren mir egal. Die kleineren habe ich gar nicht erst gezählt.“

„Konnten Sie da überhaupt ein Auge zu machen?“

„Ich hab zunächst geschlafen wie ein Stein. Ich war ja auch ziemlich fertig und der Schnaps tat sein übriges dazu. Aber dann passierte das, was ich wirklich hasse: Ich musste nachts zur Toilette. Das passiert eigentlich fast jede Nacht, aber musste es nun ausgerechnet in dieser Nacht auch so sein?“

Der Inspektor sieht kurz auf zu mir, verzieht aber keine Miene.

„Auf jeden Fall war es noch gar nicht so spät, denn unten in der Kneipe war noch Betrieb. Mir blieb ja nichts anderes übrig, als runter zu gehen, aber als ich die Zimmertür öffnete, konnte ich hören, dass die Männer wie wild auf Anna einredeten und sie unter Druck setzten. Und ganz offensichtlich war ich der Grund dafür. Anna hat sich allerdings mächtig gewehrt.“

„Aber Sie sagten, dass Sie Probleme haben, den hiesigen Dialekt zu verstehen. Wie können Sie dann wissen, worüber ein Stockwerk unter Ihnen gesprochen wurde, zumal vermutlich alle gleichzeitig redeten?“

„Na ja, ich habe mich stark konzentriert. Ein paar Wortfetzen konnte ich schon verstehen. So etwas wie ‚Du weißt nix über den.’ oder ‚Ich gehe jetzt rauf und schmeiß den Kerl raus.’ Na und Anna habe ich so wie so besser verstanden. Sie schrie immerzu ‚Es ist mein Haus.’ und ‚Jetzt verschwindet endlich.’ und so weiter.“

„Und wie lange ging das so?“

„Eine Viertelstunde vielleicht. Wie lange das vorher schon ging, weiß ich natürlich nicht.“

„Ja und dann?“

„Dann sind die Männer gegangen. Ich bin aber erst runter, als es wirklich komplett still war und Anna nach oben in ihre Wohnung gegangen ist. Bis dahin habe ich angehalten, auch wenn es extrem schwierig war. Oh Gott, Sie können sich nicht vorstellen, wie ich gelitten habe.“

Der Inspektor sieht kurz von seinem Notizblock auf, lässt diesen Sachverhalt aber unkommentiert.

„Ich bin dann ins Bett und habe mir nur gedacht, dass ich morgen so wie so weiterfahren werde und die mich alle einmal … Sie wissen schon.“

„Ja, ja, weiß ich.“

„Nun gut. Am nächsten Morgen bin ich früh raus. Jeder einzelne Hahn in diesem Dorf, und das müssen tausende gewesen sein, hat pausenlos gekräht und das ab vier Uhr morgens. So gegen fünf war ich schon draußen. Unten war noch abgeschlossen. Also bin ich einfach zum Fenster raus geklettert und zurück zu meinem Wagen gegangen. Ich wollte ein anderes Auto anhalten und bis zur nächsten Stadt mitfahren. Der Schneesturm war vorbei. Trotzdem war Klamm an diesem Morgen ein Geisterdorf. Niemand war zu sehen. Na gut, es war ja auch noch sehr früh. Als ich dann zu meinem Auto kam, war es vollkommen ausgebrannt. Ich habe mich erst einmal in den Schnee gesetzt und wollte wirklich anfangen zu heulen, aber meine innerliche Wut war stärker. Also stand ich wieder auf und sammelte ein paar meiner Sachen ein, die rings um das Auto herum verstreut im Schnee lagen. Jemand hatte also erst randaliert und den Wagen dann angezündet.“

„Eine Idee, wer das gewesen sein könnte?“

„Ja, aber dazu komme ich noch. Mir war das am Anfang auch noch ein Rätsel, denn wenn mich die Typen in der Schänke so dringend wieder loswerden wollten, wieso zündeten die dann mein Auto an? Auf jeden Fall bin ich erst einmal wieder zurück ins Dorf.“

Eine Schwester kommt herein. „Herr Inspektor, der Patient braucht jetzt Ruhe. Ich würde Sie bitten, Ihre Befragungen morgen weiterzuführen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ Sie schiebt sich zwischen meinem Bett und dem Inspektor hindurch und beginnt, meinen Puls zu messen.

Der Inspektor steht auf und steckt seinen Notizblock ein. „Gut, Herr Gruber. Ich komme dann morgen wieder. Ruhen Sie sich erst einmal aus.“ Er lächelt und geht.

Ich will noch nicht schlafen. Ich bin noch viel zu aufgeregt dazu. Das viele Erzählen hat mich schon angestrengt, aber müde bin ich keinesfalls. Die Schwester kontrolliert meinen Tropf, geht kurz hinaus und kommt mit einem Tablett zurück, auf dem mein Abendessen steht: Hühnersuppe und ein Pudding zum Nachtisch. Ich habe keinen Hunger, aber ich esse. Vielleicht beruhigt mich das etwas. Ich schaufle das Essen in mich hinein, ohne es recht zu merken, denn meine Gedanken sind bei ihr. Sie konnte nichts dafür, war nur das Opfer. Ich denke an ihr langes dunkelblondes Haar, ihre freundlichen, aber traurigen Augen und ihr Lächeln, das mich vom ersten Tag an in seinen Bann zog. ‚Es geht ihr gut’ rede ich mir ein und sie ist ganz nah bei mir. Doch dann male ich mir wieder aus, was wohl mir ihr geschehen sein könnte. Ich steigere mich in immer wildere und schrecklichere Szenarien hinein, die mich fast vollkommen um den Verstand bringen. Oh Gott Anna, was haben sie Dir angetan.

Flammender Schnee

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