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Prolog

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Der Mund der sommerlichen Nutte lächelte ihn an. Sehr auffällig gekleidet sah sie gar nicht aus. Doch ihr blanker Arm schmiegte sich an den Türrahmen wie an eine Lanze, und der Blick unter ihrem Wimpernvorhang wirkte prüfend. Welcher Typ Mann stand vor ihr?

Ben war 37 Jahre alt, sehr gepflegt und zugleich so kraftgemeißelt, als läge ein ausmergelnder Sturm hinter ihm. Nervös hatte er im strahlenden Tageslicht sein Carbon-Rad angekettet und versucht, nicht auf die runtergefallenen Wildpflaumen zu treten - unmöglich. Ihr Fruchtfleisch war bereits gärender Matsch.

Das Häuschen duckte sich mit bürgerlicher Fassade umringt von Wohnblöcken, Bäumchen und einer Autowaschanlage in einem Rostocker Stadtteil. Die beiden Klingeln, „Maier“ und „Schmidt“, hätten auch zu Ferienwohnungen führen können.

„Na, Süßer“, flötete die Nutte mit osteuropäischem Akzent, der wie knackende Zwetschgenkerne klang. Sein Herz pochte. „Schüchtern? Du hast mich doch vorhin angerufen, oder?“

„Ja, hab ich.“

In Rostock gab es keinen Straßenstrich. Stattdessen mieteten verschiedene Prostituierte wöchentlich Apartments, schmissen sich für Inserate in Pose und tingelten dann weiter. Berlin, Rom, Sodom - wo auch immer die alte Gier auf Frisches herrschte. Zumindest mussten diese Frauen als frei gelten. Was heißt frei? Sie hatten keinen Zuhälter außer den Bedingungen der Welt. Ben wusste das, obwohl er noch nie eine Nutte - höflicher gesprochen eine Sexarbeiterin - angefasst hatte.

Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und umgarnte ihn mit Parfum. „Dann komm.“

Er hinkte rein.

Durch einen weißen Flur gelangten sie in eine Wohnung mit Couchtisch, schwarzer Venus-Statuette und rosenrotem Bett. Die leichte Dame drückte ihr pralles Dekolleté an Ben und tastete über seine Hose. „Eine halbe Stunde siebzig Euro, nur blasen zwanzig. Vielleicht hast du aber spezielle Wünsche?“

Und nachdem sie ihm etwas vorgespielt hätte? Wie sollte sich dadurch sein Gefühl bessern, dass sein Leben in einer Sackgasse steckte? Er schluckte hart, versuchte seinen Nacken locker zu halten und nicht zu denken.

Würde sie das Geld an eine kranke Mutter in Polen schicken, verprassen oder sparen, damit sie nicht in reiferen Jahren putzen müsste? Wie viele Männer hatten in dieser Wohnung schon abgespritzt? Gedämpft schwoll nebenan Gestöhn.

„Oder erst eine Massage?“

Er zog einen Zwanziger aus seinem abgenutzten Portemonnaie. „Danke, aber ich habe es mir anders überlegt. Das ist für die Umstände.“

Ernst sah sie auf das Geld und zuckte dann clownesk mit der Achsel. „Na gut“, schnappte sie es sich. „Noch einen schönen Tag.“

Ben hinkte wieder raus zu den zermatschten Wildpflaumen. Enttäuscht, unbefriedigt und wütend schwang er sich auf sein Rad.

In einem schweißtreibenden Zickzack-Kurs raste er an den Fußgängern vorbei. Hoffentlich würde ihn ein abbiegender Lkw umnieten!

Doch er landete wieder in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung, die so ordentlich war, als hätte er einen ganzen Trupp Putzfrauen. Dabei tratschte hier nicht mal ein einsamer Fernseher. Ben zog die Schuhe aus, schrubbte sie mit einer alten Zahnbürste und wusch sich im Bad die Hände.

Dann ging er zu einem Bücherregal. Statt gleich das Gewollte herauszuziehen, zählte er jedoch von links die Exemplare ab, bis er zu dem Werk eines buddhistischen Meisters gelangte. Er schlug es beim Lesezeichen auf und setzte sich.

Sinnlos ist es zu beklagen, dass du die Gelegenheit auf einen saftigen Genuss nicht genutzt hast. Was hättest du denn jetzt mehr davon? Die dürre Mumie einer Erinnerung.

Jeder erfüllte Wunsch gebiert ohnehin einen neuen, und die flüchtige Befriedigung lässt uns bestenfalls erkennen, dass wir einer Illusion nachjagten. Darum gleicht die Welt einem eitlen Maskenball, auf dem gedrängelt und geschubst wird. Willst du inneren Frieden und wahre Leidensfreiheit, so entsage.

Das tröstete ihn. Lediglich die irrationale Lehre von der Wiedergeburt übersprang er, denn er glaubte an nichts mehr, an gar nichts.

Die Maskerade

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