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In der vibrierenden Luft von Lisa Lands geräumiger Wohnung wiegen und schwingen sich die Gestalten der Gäste im gedämpften Licht, während aus den Lautsprechern der Stereoanlage jemand wiederholt behauptet, er habe den Sheriff erschossen. Verstreut auf Tischen und Schränken stehen Flaschen und Gläser sowie halb- und ganz abgegessene Teller, auf denen vereinzelt noch Olivenkerne und Zahnstocher liegen. In der durch die Bewegung erhitzten Luft überflüssig gewordene Kleidungsstücke liegen verstreut auf Stühlen und Polstern, während an den Wänden entlang auf dem Boden Schuhe, die ihren Trägern beim Tanzen zu unbequem geworden sind, eine leicht kurvige schwarz-braune Linie bilden.

Wie üblich etwas abseits des launigen Betriebes, sitzt, tief in die Polster seines Sessels eingesunken, lang und schlaksig, die Knie in dem tiefen Fauteuil beinahe in Kinnhöhe, mit einem hageren Schädel, der durch die scharf geschnittene Hakennase ein beinahe raubvogelartiges Aussehen erhält, mürrisch aus Gewohnheit und, wie stets, unzufrieden mit sich und unzufrieden mit Allem, der bekannte Kritiker des "Städtischen Boten" Holger Fahrt und beobachtet mit seinen schmalen beweglichen Augen das Treiben um ihn her. Mehr als die vom Rhythmus des Sheriff-Bezwingers initiierten Bewegungen der Tänzer inmitten des Wohnzimmers, interessiert ihn im Augenblick aber die Gastgeberin selber, die, unweit von seinem Sessel, mit der ihr eigenen Eindringlichkeit und, infolge der Lautstärke mit der der bekennende Schütze von seinem Abenteuer singt, mit stark erhobener Stimme einem ihr gegenüberstehenden jungen Mann mit dünnem Haar und vorzeitigem Bauchansatz, unter exzessiver Zuhilfenahme von Armen und Händen die nicht zu überschätzende, hörst du mich, überhaupt nicht zu überschätzende Treffsicherheit und Präzision, mit der ein Satz wie "Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen", wie der Schnitt eines Herzchirurgen durch die Haut, die Hülle hindurch, direkt ins Zentrum des nun folgenden Geschehens führt, verdeutlicht, einem Satz, passgenau platziert, verstehst du, ohne Umschweif gleich ins Herz der Sache und überhaupt Proust, zu unrecht nur noch wenig gelesen weil zu lang für unsere schnellebige Zeit, obwohl es ja um Zeit nun gerade in ganz prominenter Weise geht in dem Werk und schon in seinem Titel, aber eben, wer hat die heute schon oder vielmehr nimmt sie sich und alles das, was sagen wir seit dem zweiten Weltkrieg insbesondere hierzulande geschrieben worden ist, ist ein bloßer Abklatsch, was sage ich, eine Verhöhnung der Literatur, die vorher war und welcher Autor wollte denn auch schreiben nach Döblin, nach Joyce und Thomas Mann, insbesondere heute, wo, wie Arno Holz so treffend formuliert, auf den Dichter-Leiern nur noch dünne Därmchen schnurren und so weiter und so fort und in diesem Sinne noch einiges mehr mit von den Umständen erzwungenem Schalldruck ihrem geplagten Gegenüber in die solcherart doppelt belasteten Ohren. "Marquez!" wirft Holger, dem musikalisch und literarisch zugleich beschallten Bäuchigen zuvorkommend, halblaut und lässig aus seinem Sessel heraus in eine von der Natur erzwungene Atempause in Lisas enthusiastischem Vortrag hin, gerade vernehmlich genug um die Referentin zu seinem persönlichen Vergnügen merklich zu irritieren und aus dem Gleis zu werfen und deren Aufmerksamkeit in einen unangenehmen, weil ihren Redefluß hemmenden, Spagat zwischen Jannik, ihrem dünnhaarigen Adressaten einerseits, und ihm selbst, dem die Freude über den kleinen Coup allerdings nichts von seinen mürrischen Zügen genommen hat, andererseits zu zwingen. Sie streicht sich fahrig mit der Linken, da sie in der Rechten ein Champagnerglass hält, durch ihren dunklen Bubischopf, eine Geste, die denen die sie kennen, also allen hier im Raum, unmissverständlich andeutet, daß die Gute, indigniert und aus dem Konzept gebracht, nun zwei bis drei Sekunden brauchen wird um die durch den Einwand einstweilen verschlossene Schleuse in ihrem Redefluss umständlich wieder in die Höhe zu ziehen und die sich dahinter aufstauende Rede befreien und abfliessen lassen zu können. Der Jungbäuchige sieht die Lücke und will gerade anheben mit seiner gleich seinem blonden Haarschopf etwas schütteren Leidenschaft eine Bresche für die Moderne zu schlagen, als ihm von der geöffneten Balkontüre aus, schneidig und unbekümmert, Doktor Franz Blaubauer, weltmännisch und wie stets im perfekten Dreiteiler einer knapp vergangenen Mode gekleidet, wiederum zuvorkommt, indem er, den Arm samt dem an seinem Ende befindlichen Glas Saint Emilion ausstreckend, deklamiert: "´Viele Jahre später sollte der Oberst Aureliano Buendia sich vor dem Erschiessungskommando an jenen fernen Nachmittag erinnern, an dem sein Vater ihn mitnahm, um das Eis kennen zu lernen.` Ist das ein Satz! Ein Satz wie ein Aufschlag beim Tennis," sagt er und breitet, wie immer etwas theatralisch, beide Hände ins Zimmer aus, "ein Satz, zielgenau und unmittelbar mit Karacho ins Feld des Lesers gesetzt und wenn der bis dahin döste, ist er nun hellwach, wie von einem Lappen mit kaltem Wasser oder einem Beutel mit dem Eis, daß der Oberst im Folgenden erst kennenlernen soll. Ja," spricht der Doktor und legt den Finger auf seinen sorgfältig gestutzten Oberlippenbart, "da laß den Proust doch lange liegen, früh schlafen und spät aufstehen und während der noch an seinem ewigen Weißdorn schnuppert, tobt hier ein ganzes Jahrhundert in seinem überschäumenden Element." Sprichts, verbeugt sich elegant zu Holger hin und grüßt mit seinem Glas. Der, mürrisch-zufrieden mit dem Erfolg seines Einwands, blickt unterdessen auf Jannik, Lisas junges Gegenüber, der sich, solcherart von Blaubauer um seinen Einsatz gebracht, gerade die übergrosse Rechtspfleger-Brille abnimmt und umständlich zu putzen beginnt.

Der Sheriff-Schütze aus den Lautsprechern fordert unterdessen, von dröhnendem Bässen unterlegt, seine Zuhörer mehrfach auf sich zu erheben und einer im Weiteren genauer beschriebenen Sache zu dienen, als sich aus dem wirbelnden Pulk der Tanzenden, mit anmutigem Schwung in den Hüften, die rote Mähne wild ums fein geschnittene Haupt mit den schmalen, edel geschwungenen Lippen wehend, Lisas Freundin und Herzensschwester Paula, genannt die Boa wegen ihrer immensen Beweglichkeit einerseits und ihrer unerschütterlichen Anhänglichkeit andererseits, löst und sich den Disputanten nähert. "Mein lieber Blaubauer," sagt sie, "mein lieber Holger, ich sehe euch wie immer unbeweglich sitzen und lehnen und nur Worte machen und auch ihr, Lisa und Jannik, steht starr wie unkluge Ansichten im Zimmer herum und lebt bloß literarisch. Ich darf euch indes, da ihr einstweilen bei Marquez angelangt seid, jenen katalanischen Weisen ins Gedächtnis rufen, für den alle Literatur nichts taugt, wenn sie nicht zur Erlangung eines neuen Küchenrezeptes dient und daran anschliessend ebenfalls daran erinnern, daß zu Lisas Fest- und Freudentag, der nun in wenigen Augenblicken anbrechen muß," sie deutet mit dem Finger in Richtung der Wanduhr, "einstweilen noch der kulinarische Haupt- und Kardinalsbeitrag fehlt, die Torte nämlich, die zu präsentieren ich jetzt die Ehre habe." Mit der nämlichen Anmut mit der sie sich genähert hat, dreht sich die Boa leicht zur Seite und weist mit der Rechten zur Türe ins Nebenzimmer, die sich nun, da die Wanduhr gerade zwölfe schlägt, öffnet und den Blick freigibt auf zwei orientalisch in Schleier gehüllte Nymphen, bei denen es sich unweigerlich um die Zwillingsschwestern Lara und Sybille handeln muß, die sich soeben anschicken, eine gewaltige Sahnetorte, verziert mit einem flötespielenden jugendlichen Satyren, gemeinsam unter allseitigem Applaus ins Zimmer zu tragen. Ein aufmerksamer Zeitgenosse hat sich unterdessen an der Stereoanlage zu schaffen gemacht, so daß zum Anschnitt passenderweise aus den Lautsprechern in französischer Sprache die Absicht ertönt, hinieden nichts und wieder nichts bereuen zu wollen.

Das Geburtstagskind, vom Gang der Dinge aus der ihr entglittenen Situation befreit, ist gerade im Begriff unter allgemeinem Hallo das stimmungsvolle Kunstwerk anzuschneiden, als sich die Wohnungstüre öffnet und, tutto grandezza, schwarzlockig und schnauzbärtig und wie immer umgeben von seiner um einige Jahre jüngeren weiblichen Entourage, angetan mit einem schneeweissen Sommeranzug, einem fliederfarbigen Hemd und mit einem Panama-Hut auf dem Kopf, Enrico Morgen ins Zimmer tritt, nein schreitet, dabei huldvoll um sich schauend, ein Lächeln hierhin werfend, ein Kopfnicken dorthin, unbeirrbar und martialisch selbstsicher an allen Anwesenden vorbei auf die Gastgeberin zusteuernd, diese sodann an beiden Händen fassend und an sich ziehend und mit seiner stadtbekannten Theaterbühnenstimme und seinem ebenso stadtbekannten emotionalen Überschwang also ansprechend: "Liebste Lisa, Einzige unter den Weibern," - die Entourage blickt ein wenig indigniert - "den weitesten Weg würde ich nicht scheuen, käm` ich nicht bloß aus dem Theater, um mit diesen meinen Händen, die so oft gezwungenermassen Nichtiges zu befassen und zu begreifen haben, die Deinen, gerade so wie jetzt, zu nehmen und dich Schlag und Wärme meines Herzens spüren zu lassen, wenn ich sage: Alles Gute, Liebe und Schöne, das Dreigestirn des menschlichen Glücks wünsch ich Dir und für Dich in deinem neuesten Jahr, wo doch noch keins der vorigen alt und jedes folgende nur Bestätigung deiner immerjungen Blüte ist. Alles Gute, Liebe und Schöne also, und wenn Dir auch nur das Schicksal selber dies gewähren kann, so ist doch wenigstens dies Kleinod," er greift elegant nach hinten und nimmt einer der ihn begleitenden Damen ein kleines Päckchen aus der Hand, "dies Kleinod hier von niemandem sonst, als von deinem treuen Enrico!" Sprichts, verbeugt sich tief vor der begratulierten Jubilarin, küsst dieser noch galant die Hand und schielt aus den Augenwinkeln nach der Wirkung seines Auftritts.

Während die Zwillinge, Jannik, Blaubauer und einige Andere dem so plötzlich erschienenen Bühnenheld und Berufs-Charmeur samt dem beglückten Geburtstagskind nun selber anhaltend gratulieren, sinkt Holger noch ein wenig tiefer und noch um ein paar Grade mürrischer als zuvor in seine Polster ein, teilt er doch mit Enrico weiter nichts als eine tief empfundene gegenseitige Abneigung für das Naturell des jeweilige Anderen und so wie der ewige Kritiker in Morgens theatralischem Überschwang lediglich das schwüle Pathos der Bühne und keine echt empfundene Zuneigung erkennen kann, so kann dieser in den notorisch verdrossenen Zügen Fahrts nichts weiter sehen und lesen als die beklagenswerte Miesepetrigkeit seiner Profession und jedenfalls kein wärmeres Gefühl. Schließlich erhebt er sich aber doch, um sich dem jetzt allgemein einsetzenden Gratulationsbetrieb anzuschliessen. "Sieh da," bemerkt der überrascht tuende Enrico, der sich bis dahin angestrengt bemüht hat, die Anwesenheit seines Leib- und Magengegners geflissentlich zu übersehen, "sieh da, unser alter Magenbitter vom ´Boten` oder soll ich sagen unser alter Bote vom Magenbitter gibt sich die Ehre, unsere freudige Zusammenkunft ein wenig abzubittern und umzugällen! Heran nur, heran mein Bester und reich der wonniglichen Lisa brav die Wermutsflosse hin, damit sich dein verhärmtes Gemüt ein wenig an der Holden versüßt und dir die Gnade winkt wie den Sodomitern, denen der Herr ihren Undank um zehn Gerechter willen völlig verziehen hätte, wie wir dir alle Kritiker-Bosheit heute Abend um eines einzigen lieblichen Wortes willen, das du zu Lisa sprichst, gern verzeihen wollen - aber ich fürchte wie bei jenen findet sich auch bei dir trotz aller Mühe nichts Passendes." "Nichts von deiner bleichen Saccharose jedenfalls," entgegnet ihm Fahrt, "denn wo du bereits dein Zuckerrohr, ich mein es bildlich, wie Moses seinen Hirtenstab über die Gemeinde schwenkst, dabei aber vergeblich deinen tauben Fels nach frischem Wasser abklopfst und -schlägst, wo du also so wie in einer ayurvedischen Ölkur unablässig träufelnd uns bedauernswerten Duldern deiner Kunst die Ohren und das Gemüt bloß mit zähem Sirup klistierst, da bleibe ich doch gern ein wenig kühl und nüchtern und erspare den Gesunden das Träufeln und sage daher unsrer Lisa bloß," an dieser Stelle senkt er seine Stimme und nimmt Lisas Hände aus denen der verschleierten Lara, "herzlichen Glückwunsch meine Liebe, nimm von mir dies!" Dabei greift er etwas linkisch und noch um einige Grade finsterer blickend als zuvor, in die Hosentasche und produziert nun gleichfalls ein kleines Päckchen um es der Begratulierten umständlich zu überreichen. Diese beginnt nun, von dem süffisanten Scharmützel erheitert und von allgemeinem Stimmengewirr und steigender Spannung begleitet, der Reihe nach und also Enricos Geschenk zuerst, auszupacken. Zum Vorschein kommt eine wertvolle antiquarische Ausgabe des "Tao Te King" in der Übersetzung von Victor von Strauss, in einer günstigen Stunde dem alten und nicht immer ganz einfachen Antiquar Zacharias Himmelblau von Enrico "für eine ganz allerliebste Freundin" abgerungen, welche der Bibliothekarin und passionierten Sammlerin seltener Bücher einen regelrechten Freudenschrei entlockt und begeistert ruft sie in die Runde, daß dies Büchlein und sein erster Satz, sie meine jetzt nicht die artige Widmung, die Enrico mit seiner schönen Handschrift hineingeschrieben hat, sondern den ersten Satz dieser uralten Schrift selbst in seiner Bescheidenheit und seiner Behutsamkeit, Proust hin Marquez her, für jeden ernsthaften Autor und, in seinem zarten Respekt vor dem Gegenstand, für jeden Künstler überhaupt ein Ur- und Leuchtbild sei, indem er laute - und hier zitiert sie aus dem genannten Büchlein - "Tao, kann es ausgesprochen werden, ist nicht das ewige Tao". Beifälliges Gemurmel macht die Runde und allgemeines Lob für Schenker und Geschenk wird ringsherum hörbar, während Lisa, immer schön der Reihe nach, nun Holgers Päckchen in Augenschein nimmt, welches sich rasch als eine in schlichtem Packpapier verpackte, exquisite antiquarische Ausgabe des - Tao Te King entpuppt, in der Übersetzung von Richard Wilhelm, in einer günstigen Stunde dem alten Antiquar Zacharias Himmelblau von Holger "für eine wirklich vortreffliche Frau" abgerungen. Das daraufhin einsetzende Gejohle muß nicht weiter beschrieben werden und Lisa, nun in jeder Hand einen Lao Tse, legt einen Arm um Holger und einen um Enrico und haucht ein gerührtes Dankeschön, während der gleiche aufmerksame Zeitgenosse von vorhin die Szene mit der aus den Lautsprechern dröhnenden Behauptung, diesmal auf englisch, man könne nicht immer kriegen was man wolle, durchaus passend garniert.

Bei jenem besagten Zeitgenossen handelt es sich übrigens, wie sich jetzt herausstelllt, um den gut betuchten Bestattungsunternehmer Lothar Kelch, der nun, wiewohl sonst einer beruflichen Neigung zufolge eher im Hintergrund sich haltend und zu allen Anlässen stets in Schwarz gekleidet, was seine hagere Gestalt mit dem ebenso schwarzen dichten Haarschopf und der trotz zweimal täglichen Rasur bläulich schimmernden Wangen ein zu seiner Profession durchaus passendes, düsteres, je nach Beleuchtung beinahe dämonisches Äusseres verleiht, der nun also, wie üblich als einer der Letzten, in die stimmwirre Gruppe tritt und sein Geschenk, ein schmales Billett in schneeweissem Umschlag, mit einer förmlichen und irgendwie eckigen Verbeugung unter unverständlichem Genuschel würdevoll übergibt. Lisa, die unter allgemeiner Aufmerksamkeit das Briefchen öffnet, findet darin einen eng mit Tinte beschriebenen Bogen Papier nebst einem mit einem Gummi zusammengehaltenen Bündel Bahnfahrkarten. Sie entfaltet den Bogen und ließt: "Da die Gemeinde Tübingen ihren grossen Dichter, der wenn schon nicht ihr Sohn, so doch ebenso unstreitig wie unverdient ihr Adoptivkind durch die Guttat eines ebenda ansässigen Schreinermeisters geworden ist, weil der den in Not geratenen Poeten bei sich und somit in der Stadt aufgenommen hat, nun dadurch recht zu ehren glaubt, daß sie sein Andenken dem Kämmerer überlässt und aus schnöden Gründen fiskalischer Natur den Turm, worin unser Poet an die vierzig Jahre trauerte und schrieb, weil kostspieliger Renovierung bedürftig, schliessen will und sich somit anheischig macht, dem allgemeinen Trend zur Missachtung unseres grossen künstlerischen Erbes aus tagespolitischen Erwägungen und um einer bloß so genannten Vernunft zu folgen, nachzugeben, ergeht, anlässlich ihres heute zum soundsovielten Male wiederkehrenden Geburtstages, an Lisa Land diese Einladung und Aufforderung, mittels des hier beigefügten Bündels Bahnkarten erster Klasse, sich selbst und eine Gruppe Gleichgesinnter am bestimmten Tage an den Neckar zu expedieren, um in einer noch näher zu erörternden Aktion dem kameralistischen Unsinn Einhalt zu gebieten und, dem alten Schreiner Zimmer gleich, beizustehen dem bedrohten Johann Christian Friedrich Hölderlin. Denn, heilig Gefässe sind die Dichter, worin sich bewahret des Lebens Wein!" In die nun einsetzende Stille spricht endlich Jannik ungestört seine ersten Worte für den Abend: "Bravo, Meister Kelch," sagt er, "das nenn` ich wohlgesprochen! Die Dichter müssen, auch die geistigen, weltlich sein." worauf sich überhaupt ungeteilter tosender Beifall sowie auch ein erneutes ungeheures Stimmengewirr erhebt. "Wie, Hölderlin?" ruft man, "Was? Warum? Woher weißt du das?" und so weiter und so fort und Lothar wird genötigt, zu seinem schriftlichen Billet noch einen mündlichen Vortrag nachzureichen, in dem er noch einmal umständlich erklärt, wie es dazu kam, daß die Stadt Tübingen tatsächlich erwägt, den genannten Turm für das Publikum, wegen kostspieliger baulicher Mängel, zu schliessen. Unterdessen klirren weiter die Gläser, Flaschen werden herumgereicht und der allgemeine Festtags-Umtrieb geht noch etliche Stunden weiter, bis schließlich das Fest im Morgengrauen verhallt und man auseinander geht und von den Teilnehmern ein jedes gehet auf schmaler Erde seinen Gang.

Zimmers Turm

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