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Kapitel 2

D

er Wetterfrosch, ein Laubfrosch, dem in einer eigentlich nicht zutreffenden Weise unterstellt wird oder wurde, das Wetter vorhersagen zu können, verdankt seinen Mythos der Beobachtung, dass besonders die europäischen Laubfrösche bei sonnigem Wetter an bodennahen Pflanzen hochklettern, weil bei einer solchen Wetterlage die Insekten, die ihnen als Nahrung dienen, höher fliegen als bei kaltem Wetter. Aus diesem Verhalten heraus entstand die irrige Vorstellung, die Laubfrösche könnten das Wetter nicht nur anzeigen, sondern gar vorhersagen, und so sperrte man in früheren Zeiten dazu Frösche in Gläser, in denen sich eine kleine Leiter befand. Stieg der Frosch die Leiter nach oben, bedeutete das demnach gutes Wetter, blieb er unten war es schlecht. Nichts lag näher, als Meteorologen in einer spöttischen Übertragung als ›Wetterfrösche‹ zu bezeichnen, und diese hatten für heute schlechtes Wetter vorhergesagt. Windig, kalt und ausgesprochen regnerisch sollte es ihren Erkenntnissen nach werden. Von dieser Prognose war tagsüber noch nicht viel zu spüren gewesen, doch jetzt am späten Abend schien sich einer jener Stürme zusammenzubrauen, wie sie der Herbst nur allzu gern mit sich brachte. Und es war dunkel geworden – sehr dunkel.

Detective Chief Inspector Blake vom New Scotland Yard harrte fröstelnd der Dinge, die da möglicherweise kommen würden. Die Straße lag einsam und verlassen da. Nur die erleuchteten Fenster der zahlreichen Villen in dem Nobelviertel des Londoner Westends schienen etwas Wärme und Schutz zu verheißen. Das stete Heulen und der feuchte modrige Geruch des sterbenden Jahres hatte etwas Bedrückendes. Nach den letzten abenteuerlichen Aufträgen rief diese Atmosphäre ein unheimliches Gefühl in ihm wach. Er hatte erlebt, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gab als die Schulweisheit glauben machen wollte. Er versuchte dieses seltsame Befinden nicht weiter aufkommen zu lassen, und beruhigte sich damit, dass es einfach daran liege, dass er sich augenblicklich auf verlorenem Posten glaubte.

Seine momentane Situation verdankte er einem höchst seltsamen, in seinen Augen völlig unnötigem Auftrag, den man ihm und Detective Sergeant Cyril McGinnis übertragen hatte. Merkwürdig war der Auftrag gleich in mehrerlei Hinsicht, denn zum einen bekamen sie ihre Anweisungen in der Regel vom Chief Superintendent, nicht wie in diesem Fall unmittelbar von oberster Stelle, nämlich vom Chief Constable Sir Reginald Endicott persönlich, und zum anderen sprang die Mordkommission nicht direkt wegen eines anonymen Anrufes, sondern überließ das zunächst einmal dem Metropolitan Police Service – den Kollegen vom ›MPS‹.

Ungeachtet all dessen stand er hier, während sein Sergeant einen Background-Check erledigte und beobachtete das prächtige Herrenhaus von Lord William Dwerryhouse. Eigentlich wäre es die Aufgabe seines Sergeants gewesen auf Beobachtungsposten zu stehen, aber der Chief Constable hatte darauf bestanden, dass er es höchst persönlich tat.

Er sollte die Augen aufhalten, das Haus beobachten und wenn erforderlich klingeln, so hatte es ihm Sir Reginald im persönlichen Gespräch in dessen Büro gesagt. Dort würde sich etwas mit einem Mädchen namens Meagan Sandford abspielen, hatte der Chief Constable weiter ausgeführt. Ein direkt bei ihm eingegangener anonymer Anruf habe von Mord gesprochen und von einer Leiche im Swimmingpool. Auf seinen Einwand, dass dies doch zunächst durch den ›MPS‹ abgeklärt werden könne, hatte Sir Reginald Endicott nur lakonisch geantwortet, dass mit Lord Dwerryhouse etwas nicht stimme, die Situation Fingerspitzengefühl verlange und er da genau der Richtige sei. Und nun hatten er und McGinnis diese ominöse Angelegenheit am Hals.

Bislang hatte sich nichts Nennenswertes ereignet. Die Villa lag still und verlassen da. Der alte Prachtbau stammte noch aus einer Zeit als Grund und Boden in London preiswert zu haben waren. Entsprechend üppig war das Grundstück ausgefallen. Das war auch der Grund, warum das Haus des Lords gegenüber den anderen Villen der Nachbarschaft, die in Größe nichts nachstanden, ungemein protzig und teuer wirkte. Hinzu kam noch die exponierte Lage im exklusiven Londoner Westend.

Das Westend war für Blake wie ein Dorf. Eingebettet im Grün, mit all den vielen uralten Bäumen, den prunkvollen Herrschaftshäusern, die eher von Menschen bewohnt wurden, die offen der Nostalgie anhingen, konnte das Gefühl aufkommen, dass man sich in einem Kurort aufhielt. In dieser Gegend wurde noch allergrößter Wert auf Etikette, Privatsphäre und Stille gelegt – alles andere passte in keiner Weise zu dem hier vorherrschenden altbritischen, konservativen Lebensstil.

Chief Inspector Blake konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, was ihm bevorstehen sollte. In ihm herrschte nur ein Wunsch vor, nämlich der, dass er möglichst rasch von seinem Beobachtungsposten fortkam. Er zog seine altmodische silberne Taschenuhr mit dem Sprungdeckel hervor, klappte sie auf und sah nach der Zeit. Eigentlich tat er es ohne Grund. Oder nein, er tat es, um überhaupt etwas zu tun.

Es war jetzt exakt vier Minuten nach zehn abends.

Bereits seit kurz vor acht war er nun schon vor Ort, mittlerweile zitternd und frierend. Nur einmal waren zwischenzeitlich Geräusche aus dem Park, hinter der großen das Grundstück einschließenden Mauer, gekommen. Aber das hatte für ihn nach irgendwelchem Viehzeug geklungen – vermutlich eine Katze auf Mäusejagd.

Tiefdunkel war es inzwischen geworden und in dem zunehmend stärker gewordenen Wind, schien alles zu schwanken. Die Baumkronen wiegten sich, die Sträucher neigten sich und selbst die alten Bogenlampen bogen sich. Ja, selbst das reiche Gitterwerk vor den Häuserfronten klapperte leicht. Staub wirbelte auf und geriet Blake in die Augen.

Nicht weit entfernt sah es so aus, als würde eine schemenhafte Gestalt hin und her schleichen. Aber das war relativ weit weg und er hatte nur den Auftrag, die Hausnummer 17 im Blick zu behalten. Dennoch entging auch das nicht seinem kriminalistisch geschulten Auge. Irgendetwas daran wirkte seltsam und es erregte instinktiv seine Aufmerksamkeit. Er spürte eine aufkommende Unruhe.

Jetzt wiederholten sich auch die seltsamen Geräusche hinter der Grundstücksmauer. Diesmal waren sie etwas lauter, aber es änderte nichts - auch jetzt konnte er sie nicht eindeutig zuordnen. Sie klangen nicht menschlich, schienen aber auch nicht tierischen Ursprungs zu sein. Es klang anders - beunruhigend anders!

Blake wurde es zu bunt. Da er sich beobachtet wähnte, ging er ein Stück weiter und sah dabei in einer Art zu Boden, als habe er etwas verloren und suche danach. Gleich an der nächsten Ecke bog er in die Nebenstraße ein. Als er im Schutz des Eckhauses einige Minuten gewartet hatte, glaubte er, sich entfernende Schritte zu vernehmen.

Langsam ging er den Weg wieder zurück. Von der schemenhaften Gestalt war nichts mehr zu sehen. Allerdings bedeutete das keineswegs, dass sie nicht mehr da war – möglicherweise hatte sie sich nur ein anderes Plätzchen gesucht.

Er fragte sich, ob es sich bei den Schritten, um die einer Frau gehandelt haben könnte. Aber er kam zu keinem abschließenden Ergebnis.

Dann war er es endgültig leid. Er wollte der Sache ein Ende machen. Noch länger um das Haus zu schleichen, machte in seinen Augen keinen Sinn mehr.

Zielstrebig hielt er auf die Villa zu und staunte über die unverschlossene Gittertür. Damit hatte er nicht gerechnet. Über einen kurzen Kiesweg schritt er auf das Herrenhaus mit seiner großzügigen Freitreppe zu. Schwungvoll nahm er mit zwei Sätzen die vier weißen Marmorstufen.

Entschlossen drückte er auf den Bronzeknopf, der aus einer ziselierten, an der Wand verschraubten, Bronzeplatte hervorragte. Geduldig wartete er einige Minuten, aber da niemand reagierte, klingelte er erneut.

Die dicken Glasscheiben der Tür waren von innen mit Gardinen verhangen. Eingeschaltetes Licht hätte Blake direkt sehen können, aber es blieb dunkel.

Rein zufällig bemerkte er dann eine kaum merkliche Bewegung der Gardinen. Er war sicher, dass ihn jemand, der lautlos über die Fliesen der Eingangshalle gehuscht war, durch einen minimalen Spalt beobachtete.

Noch einmal betätigte Blake die Klingel.

Endlich flammte Licht auf. Gleich darauf hörte er, wie sich jemand an der Verriegelung zu schaffen machte, und dann öffnete sich die Tür.

Blake sah sich einer höchst merkwürdigen Person gegenüber. Ein kleiner Mann von höchstens fünf Fuß Körper-maß, dunkler Hautfarbe und rabenschwarzen Haaren, die streng nach hinten gekämmt waren und mit einem Wachs glattgebügelt geworden zu sein schienen, in einem schwarzen Livree mit Goldbesatz, stand vor ihm. Seine wie schwarze Diamanten funkelnden Augen betrachteten ihn voller Neugier.

»Sie wünschen, Sir?«, erkundigte er sich steif.

»Detective Chief Inspector Isaac Blake von Scotland Yard«, stellte sich Blake vor. »Könnte ich wohl seine Lordschaft sprechen?«

»Etwas spät, finden Sie nicht auch?«, erwiderte der Mann, mit den auf Hochglanz polierten Lackschuhen. »Aber da Sie von Scotland Yard sind ... bitte sehr, Sir.« Er trat einen Schritt zurück und ließ Blake hinein. »Ich heiße Sharukh Bhattacharya und bin der Sekretär seiner Lordschaft.«

»Es wird nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen«, stellte Blake in Aussicht. »Ich habe nur einige Fragen an Sir William.«

Sharukh Bhattacharya, wie er sich nannte, schloss die Tür und ging voraus. Blake musste ihm nur wenige Yards folgen, als sich in der Halle ein Mann aus einem Sessel erhob und auf ihn zukam.

»Seine Lordschaft, wenn ich mich nicht täusche?«, erkundigte sich der Chief Inspector mit aller Höflichkeit, die die vorgerückte Stunde seines Besuchs gebot.

»Erraten«, antwortete Lord Dwerryhouse mit einem amüsierten Lächeln. »Aber das war ja auch nicht sonderlich schwer.« Gleich darauf wurde er ernst. »Was führt Sie zu mir, Chief Inspector Blake?«

»Ich hätte nur ein paar Fragen, Sir“, erklärte Blake und fügte entschuldigend hinzu: „Leider dulden sie keinen Aufschub, daher auch mein so spätes Erscheinen in Ihrem Haus.«

»Schon gut, Chief Inspector“, winkte der Lord ab. „Lassen wir das. Keine weiteren Entschuldigungen mehr. Bitte kommen Sie.«

Blake folgte Lord Dwerryhouse in einen kleinen Salon, der in ihm den Eindruck erweckte, als wäre er gezielt für derartige Gäste eingerichtet worden, die man rasch abfertigen wollte. Der Raum war geschmacklos und kalt.

Kaum war er eingetreten, betrachtete ihn der Lord von oben nach unten. Er tat dies mit einer gewissen von Argwohn durchsetzten Höflichkeit. Seine Miene war zwar noch freundlich, doch eher abweisend.

Aber auch der Chief Inspector studierte kritisch sein Gegenüber und sein Urteil fiel rasch. William Dwerryhouse schätzte Blake auf Ende vierzig bis maximal Mitte fünfzig, auch wenn er bedeutend älter aussah. Auffallend war die leicht gebeugte Haltung in Verbindung mit dem kraftlosen Händedruck. Das Gesicht zeigte augenblicklich einen etwas leeren und abwesenden Ausdruck. Seine Lordschaft schien ein besorgter Mann zu sein. Er machte den Eindruck, als habe er erst vor nicht allzu langer Zeit einen Nervenzusammenbruch erlitten. In Blakes Augen gab er sich die größte Mühe, seine körperliche Hilflosigkeit zu kaschieren, indem er eine nicht vorhandene Forschheit vortäuschte.

Blake folgte dem Wink des Lords und nahm auf einem der unbequemen Sessel Platz, während der Adelige stehenblieb, obgleich er es nach seinem Empfinden, nötiger gehabt hätte sich zu setzen. Aber das gehörte sicher zu Sir Williams Rolle, denn so musste Blake zu ihm aufsehen und befand sich in einer abgewerteten Position. Er nahm es mit einem innerlichen Lächeln zur Kenntnis und störte sich nicht weiter daran.

»Scotland Yard im Haus«, stellte Dwerryhouse nochmals fest. »Und das zu so später Stunde. Erinnert einen schon etwas an die alten, noch in Schwarz-Weiß gedrehten, Edgar Wallace-Streifen der Sechziger Jahre, nicht wahr?« Er zeigte ein aufgesetztes Lächeln. »Zumindest hoffe ich, dass Sie nicht die schlechten Angewohnheiten vieler Ihrer Kollegen haben.«

Blake ärgerte sich über diesen verbalen Angriff, ließ sich aber nichts anmerken.

»Ganz gewiss nicht, Sir«, erwiderte er höflich. »Es wird schnell gehen. Wie ich bereits sagte, ich habe nur einige Fragen. Sie müssen wissen, wir hatten einen anonymen Anruf im Yard. Im Grunde nehmen wir die nicht besonders ernst, aber in Ihren Fall, da ... nun ja, fühlten wir uns verpflichtet ... Immerhin lässt sich so bereits im Vorfeld ein möglicher Skandal ausschließen.« Unauffällig musterte er den Lord. »Es hieß, Sie hätten etwas mit einer gewissen Meagan Sandford.«

Blake machte eine Pause. Er registrierte, wie seine Lordschaft kurz zusammenzuckte, sich dann aber sofort wieder in den Begriff bekam und sogar ein Lächeln schaffte. Es war das Aufblitzen eines Augenblicks der Heiterkeit.

»Was Sie nicht sagen, Chief Inspector. Tatsächlich?«, bemerkte der Lord mit einem leicht zynischen Unterton. »Und wenn schon? Es ist doch wohl meine Privatangelegenheit, ob ich ein Verhältnis habe oder nicht. Und wenn, dann geht das ja wohl weder Sie, noch Scotland Yard etwas an. Ganz abgesehen davon bin ich ledig. Wie sollte es diesbezüglich also zu einem Skandal kommen?«

»Damit haben Sie durchaus recht, Sir William«, beeilte sich Blake zu sagen. »Das ...«

»Ja, was denn noch?«, murrte der Lord ungehalten und schnitt dem Chief Inspector mit einer eindeutigen Geste das Wort ab. »Und selbst, wenn diese Dame ein Kind von mir erwarten würde, so wäre das früher vielleicht einen Skandal wert gewesen, aber wir leben Gott-sei-dank im 21. Jahrhundert!«

William Dwerryhouse bemühte sich Optimismus zu heucheln, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen - die Leiche im Park hing wie mit Bleigewichten an ihm.

»Das alles wäre kein Grund«, gestand Blake ein und nahm seinen Faden wieder auf. »Und um etwas Derartiges geht auch gar nicht.« Er warf dem Hausherrn einen ernsten Blick zu. »Die anonyme Mitteilung lautet, dass die genannte junge Frau in Ihrem Haus ermordet wurde und wir sie in Ihrem Swimmingpool finden können. Das hat schon eine ganz andere Qualität, meinen Sie nicht auch, Sir!?«

»Jetzt ist es aber genug«, stieß der Lord mit einem Ton der Entrüstung aus. »Ich habe gar keinen Swimmingpool! Sie müssen doch zugeben, dass ist alles mehr als verrückt! Völliger Irrsinn!«

»Ja, das schätze ich auch«, bemerkte Blake und erhob sich. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Sir. Damit wäre die Sache auch sofort erledigt und vom Tisch. Wir gehen ...« Er unterbrach für eine Sekunde des Nachdenkens. »Übrigens, wenn Sie keinen Swimmingpool haben, dann ist womöglich ein Teich oder Ähnliches gemeint.«

»Im Park gibt es ein altes Wasserbecken«, erklärte William Dwerryhouse. »Ist voll mit Brackwasser. Wurde soweit ich weiß von meinem Großvater vor über achtzig Jahren mal angelegt. Das Becken wird ja wohl kaum in Frage kommen. Das ist ja völlig absurd.«

Blake zeigte ein tiefsinniges Lächeln.

»Nun, dann werde ich jetzt einen kurzen Blick darauf werfen und die Sache ist erledigt«, schlug er vor. »Der Versuch Ihnen etwas anzuhängen wäre entkräftet und ich verschwinde wieder.« Auffordernd sah er den Lord an. »Wir sollten es direkt hinter uns bringen, Mylord.«

Lord Dwerryhouse reagierte nicht sofort. Sein Diener Sharukh stand in der Tür und gab ihm per Zeichensprache zu verstehen, dass es schier unmöglich sei, den Chief Inspector an das Wasserbecken zu führen. Es war klar, dass er sich damit selbst ans Messer lieferte, wenn er dem Wunsch des Kriminalbeamten entsprach.

Blake war nicht entgangen, dass zwischen dem Lord und seinem Sekretär ein stiller Dialog stattgefunden hatte. Ebenso wenig war ihm entgangen, wie das Gesicht des Adeligen blass geworden war. Es war offensichtlich, dass seine Absicht, einen Blick auf das Becken zu werfen, bei den beiden Panik ausgelöst hatte.

Lord Dwerryhouse kämpfte gegen eine aufsteigende Übelkeit an. Er fühlte seinen Puls rasen. In seinen Ohren begann es wild zu pochen. Sein Schädel dröhnte und vor seinen Augen flimmerte es.

»Wir werden das keineswegs tun, Chief Inspector«, brachte er mühsam hervor. »Ich bin ein Ehrenmann und als solcher muss Ihnen mein Wort genügen. Ich habe es absolut nicht nötig, auf lächerliche Verdächtigung von Personen hin, die nicht einmal bereit sind ihren Namen zu nennen, in irgendeiner Art und Weise mit entkräftenden Beweisen reagieren zu müssen. Wenn ich Ihnen sage ...«

»Es wäre aber sicher besser ...«, warf Isaac Blake mit unterschwelligen Nachdruck ein, wobei er sich durchaus seiner Unhöflichkeit bewusst war, dem Lord ins Wort gefallen zu sein. Aber auch er kam nicht dazu auszureden.

Noch während er sprach hatte Sir William verzweifelt die Arme gehoben, wobei sein linker Arm nur halb in die Höhe kam. Seine Miene hatte einen harten Zug angenommen und seine Augen sprühten böse.

»Nein und nochmals nein!«, erklärte er kategorisch. »Es ist gegen meine Ehre! Auf keinen Fall werde ich irgendwelchem Geschwätz nachgeben. Ein anonymer Anrufer! Sie müssen im Yard endgültig verrückt geworden sein! Und jetzt verlangen Sie obendrein auch noch Beweise!? So etwas ist mir ja noch nie untergekommen!«

Seine Körpersprache unterstrich seine Verärgerung. Zähneknirschend und die Augen leicht verdrehend wanderte Dwerryhouse um den kleinen Tisch, auf dem sich eine schlichte Vase mit künstlichen Blumen befand.

Sein dunkelhäutiger Diener hatte sich ein Herz gefasst und den Raum betreten. Auf seiner Stirn perlte feiner Schweiß. Blake bemerkte, wie der Mann es tunlichst vermied ihn direkt anzusehen.

»Ich würde die Sache sehr gern beenden und mit Ihnen kurz zu diesem Becken gehen, Mylord«, setzte der Chief Inspector noch einmal an. »Dann kann ich mich persönlich davon überzeugen, dass sich keine Leiche im Wasser befindet. Sie wissen doch, dass ich als Kriminalbeamter verpflichtet bin, einer solchen Angelegenheit nachzugehen. Und das auch, wenn es unter Umständen nur eine haltlose Beschuldigung ist.«

»Unerhört! Einfach unerhört, diese versuchte Staats-willkür!«, empörte sich Sir William. Er fühlte wie seine Hände zu zittern begannen. Sie waren eiskalt geworden. Er trat einige Schritte zurück und hielt sich am Rand des Kaminsimses fest. »Wie kommt man bloß darauf mir dergleichen zu unterstellen?«

Blake hielt sich zurück und blieb für den Augenblick stiller Beobachter. Er nahm jede feine Nuance im Verhalten des Lords war. So auch, dass der Lord den Sims derart fest umklammerte, dass dessen Fingerknöchel weiß wurden. Als der Lord die Kante losließ, hinterließ er eine feuchte Spur. Seine Hände waren verschwitzt.

»Sharukh!«, fragte er seinen Diener hilfesuchend. »Sollen wir diese Ungeheuerlichkeit tatsächlich auf uns sitzen lassen?«

Sein orientalischer Bediensteter war keines Wortes fähig. Hilflos zuckte er mit den Achseln.

»Ich bin nur Ihr Sekretär, Mylord. Sie bestimmen!«, versuchte sich sein Diener aus der Affäre zu ziehen.

Sir William Dwerryhouse gab sich geschlagen. Blake ließ sich durch den hinteren Ausgang der Halle in den Park führen.

Die Gedanken des Lords geisterten wie quälende Spukgestalten durch seinen Kopf. Er hatte Angst vor dem Augenblick, an dem der Chief Inspector die Tote finden würde.

Wie würde er darauf reagieren?

Konnte er abstreiten, die Frau zu kennen?

Würde er ihm Glauben schenken, nicht zu wissen, wie sie in das Wasserbecken im Park gelangt war?

Doch ganz gleich, wie auch immer es ausging, es würde einen Riesenskandal geben und eine breitangelegte Untersuchung nach sich ziehen, soviel war ihm klar. Die Mordkommission und jede Menge Polizei würde sein Anwesen bis in den kleinsten Winkel systematisch durchforschen. Die Presse, insbesondere die Yellow Press, würde ihn belagern und er sah jetzt schon die irrsinnigsten Schlagzeilen in riesigen Lettern auf der Titelseite des ›Daily Express‹, der ›Sun‹ oder dem ›Daily Mirror‹ vor sich. Die Paparazzi würden ihn auf Schritt und Tritt verfolgen, ihm in jeder nur erdenklichen Weise nachstellen, und ganz sicher keine Gelegenheit auslassen, auch noch das Allerletzte aus der Story herauszuholen. Überall und jederzeit würden sie die Auslöser ihrer Digitalkameras bedienen. All das war für ihn schlichtweg undenkbar. Er fühlte den Boden unter sich schwanken, und zugleich, wie sein Mund trocken wurde, sich ein dicker Kloß in seinem Hals bildete und sein Atem schneller ging.

Im sprichwörtlichen Gänsemarsch gingen sie durch den dunklen Park. Chief Inspector Blake ging voran. Lord Dwerryhouse folgte ihm und sein Diener Sharukh bildete das Schlusslicht.

Blake wandte sich einmal kurz um und fragte:

»Stimmt die Richtung, Sir?«

Der Adelige nickte. Erneut bemerkte Blake die Angst in seinem Gesicht, die sich nun zunehmend mit Entsetzen und Verzweiflung mischte.

Das Wasserbecken maß gut zehn mal zwölf Yards. Als sie es fast erreicht hatten, blieb Sir William stehen. Er beobachtete den Chief Inspector, der aufmerksam die Wasseroberfläche absuchte.

Blake umrundete das Becken und nach etwa zehn Minuten wandte er sich wieder Lord Dwerryhouse zu.

»Sehen Sie, ging doch recht schnell!«, rief er dem entfernt stehenden Hausherren zu. »Alles in bester Ordnung. Es war also blinder Alarm. Aber so ist das nun einmal mit anonymen Anrufen. Da wird die Polizei bemüht, und am Ende ist nichts an der Sache dran. Lassen Sie uns zurück ins Haus gehen.«

Lord Dwerryhouse und sein Diener sahen sich völlig fassungslos an. Sharukh reagierte verlegen und wusste sich nicht anders zu helfen, als ein freches Grinsen aufzusetzen. Beide waren gleichermaßen verdutzt. Sie hatten mit dem Schlimmsten gerechnet, nur damit nicht.

Als alle wieder in die repräsentative Eingangshalle zurückgekehrt waren, sagte sich Sir William, dass etwas Unheimliches über der Stille des Hauses lag. Seine Sinne waren geweckt und sein Instinkt warnte ihn.

Auch Detective Chief Inspector Blake machte sich seine Gedanken. Zwar hatte er keine Leiche im Wasserbecken vorgefunden, doch war ihm das auffällige Verhalten der Hausbewohner nicht entgangen. Insbesondere die anfängliche Weigerung des Lords und dessen überzogen zur Schau gestellte Entrüstung, hatten seine Aufmerksamkeit erregt. Es war das typische Verhalten eines Mannes, der etwas zu verbergen und Angst davor hatte erwischt zu werden. Alles deutete darauf hin, dass er selbst das Vorhandensein einer Frauenleiche im Becken geglaubt hatte.

Allein das auffällige Benehmen des Adeligen und seines Dieners gab Blake aber keinen Ansatzpunkt, der obskuren Angelegenheit offiziell weiter nachzugehen. Für den Augenblick blieb ihm nichts Anderes übrig als sich zurückzuziehen.

»Nichts für ungut«, schloss der Chief Inspector und verabschiedete sich höflich.

Die beiden begleiteten ihn zur Haustür.

»Aber, aber«, begann Lord Dwerryhouse und spielte die Sache herunter, »Sie haben doch nur Ihre Pflicht erfüllt, Chief Inspector.«

In Wirklichkeit aber war ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Ihm und seinem Diener merkte man die Erleichterung an, und besonders Sharukh schien aufzuatmen.

Die beiden sahen dem Kriminalbeamten nach, wie er sich langsam über den Kiesweg entfernte.


Die blaue Blume

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