Читать книгу Der letzte Schnappschuss - Thomas Riedel - Страница 8
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Bradley dachte über den neuen Fall nach. Es war ein ungewöhnlicher Auftrag. Der Tod der Frau war ein Geheimnis, denn schließlich brachte sich niemand ohne Grund um. Nichts ließ darauf schließen, dass Whitney McFlaherty zum Zeitpunkt, als sie zu dieser Verzweiflungstat geschritten war, geistig umnachtet gewesen war. Dass sie sich in einer aussichtslosen Situation befunden hatte, hatte sie in ihrem Abschiedsbrief angedeutet. Eine Zeile mehr wäre schön gewesen und hätte vielleicht erklärt, warum sie sich für diesen Schritt entschieden hatte. Doch diese Zeile war nicht geschrieben worden.
Seine Aufgabe bestand nun darin, den Abschiedsbrief um genau diesen Punkt zu ergänzen. »Das wird keine leichte Aufgabe«, seufzte er halblaut vor sich hin, während er das Autoradio einschaltete. Der Sender spielte gerade ›When the Moon shines on the Moonshine‹ von Bert Williams. Er mochte das Stück und seine Finger klopften den Takt auf dem Lenkrad mit. Er hörte erst auf, als er wieder einen Routineblick in den Seitenspiegel warf. Wie sonderbar, dachte er, dieses schwarze ›Ford Modell T‹ ist ja immer noch da.
Bradley hatte ihn zum ersten Mal bemerkt, als er McFlahertys Grundstück verlassen hatte. Inzwischen war er eine Viertelstunde unterwegs, und der ›Ford Modell T‹ folgte immer noch seinen Stopplichtern. Er machte das Radio aus, um sich nicht ablenken zu lassen. »Da stimmt doch irgendetwas nicht. Kann das ein Zufall sein?«, murmelte er halblaut.
Im Vokabular eines Privatdetektivs durfte es das Wort Zufall nicht geben. ›Zufälle‹ durfte nicht vorkommen, sonst geriet er eines Tages ganz zufällig unter die Räder.
Er beschloss, einen kleinen Test zu machen. Er fuhr auf die nächste besser ausgebaute Straße und beschleunigte ein wenig, wobei er die Geschwindigkeitsbegrenzung mit Absicht deutlich überschritt.
Der ›Ford Modell T‹ überschritt sie ebenfalls. Das war bereits der zweite Minuspunkt für den Verfolger.
Nun änderte Bradley mehrmals die Fahrtrichtung. Der schwarze Wagen blieb hinter ihm. Das konnte kein Zufall mehr sein. Der Bursche macht das nicht gerade besonders clever, dachte Bradley. Wahrscheinlich ein Anfänger. Er blickte grimmig in den Spiegel. Warum interessierte sich der andere so für ihn? Er schüttelte ärgerlich den Kopf. Es kann der Frommste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
Bradley hätte jetzt nach Hause fahren und den Verfolger einfach vergessen können. Da er aber von Natur aus äußerst neugierig war, wollte er der Sache auf den Grund gehen. Er wollte wissen, warum man solches Interesse an ihm hatte – und warum er auf einmal beschattet wurde.
Er verließ London in nördlicher Richtung. Er ließ den ›Cunningham‹ auf eine schmale Sandstraße rollen, fuhr an zwei stillen Weihern vorbei und einer Wiese, auf der eine kleine Herde von britischen Langhornrindern stand, die seine schnelle Fahrt mit melancholischem Interesse betrachtete. Nun fuhr er auf ein kleines Wäldchen zu. Die Sonne strahlte auf die Blätter der ausladenden Baumkronen. Licht und Schatten fanden sich zu einem reflexartigen Spiel. Die sandige Straße führte gerade mitten durch das Wäldchen, bis sie einen scharfen Knick nach links machte. Bevor Bradley in die enge Kurve fuhr, blickte er noch einmal in den Rückspiegel. Natürlich, dachte er grinsend. Mein Schatten ist immer noch da.
Er trat kräftiger auf das Gaspedal. Sein ›Cunningham‹ jagte um die Kurve und entschwand so für kurze Zeit den Blicken des Verfolgers. Nun handelte Bradley blitzschnell. Er trat hart auf die Bremse und ließ die Räder blockierten. Die Pneus knirschten geräuschvoll über den Sand und schon stand der Wagen. Er stellte den Motor ab, nahm den Schlüssel an sich und sprang aus dem Sportwagen
Noch war das ›Ford Modell T‹ nicht zu sehen, aber er konnte ihn bereits hören – vor allem aber konnte er die hochsteigende Staubwolke erkennen, die von dem Fahrzeug aufgewirbelt wurde.
Bradley lief auf das Unterholz zu und versteckte sich hinter dem dicken Stamm einer altehrwürdigen Eiche. Ohne sonderliche Aufregung wartete er ab. Er war neugierig: Neugierig auf den Kerl, der ihn verfolgte. Neugierig auf die Antworten, die ihm dieser Kerl geben musste, wenn er verhindern wollte, dass ihm die Schneidezähne ausgeschlagen wurden.
Der schwarze Wagen schaukelte heran.
Bradley sah ihn, als er vorsichtig hinter dem Baum hervorspähte.
Als der Fahrer Bradleys ›Cunningham‹ erblickte, trat er abrupt auf das Bremspedal. Die Pneus seines Wagens knirschten wie zuvor die Reifen des ›Cunningham‹. Das Automobil kam zum Stehen. Für einen kurzen Augenblick geschah nichts, doch dann öffnete sich der Verschlag auf der Fahrerseite und der Mann im grauen Anzug stieg aus.
Bradley nahm die Nase zurück und wartete ab.
Der Mann betrachtete den Zweisitzer. Dann richtete er sich auf, machte einen langen Hals und sah sich aufmerksam um. Der ›Cunningham‹ war offensichtlich leer. Wo war der dazugehörige Bursche geblieben? Die Blicke des Mannes streiften konzentriert über die nähere Umgebung. Auch die Eiche, hinter der sich Bradley versteckt hatte, nahm er für Sekunden in Augenschein. Doch außer deren rissigen Rinde konnte er an ihr nichts Auffälliges entdecken. Er schüttelte den Kopf und ging zu Bradleys Wagen zurück, beugte sich vornüber und sah hinein. Leer!, musste er feststellen. Er richtete sich wieder auf und blickte sich noch erneut um. Über ihm rauschten friedlich die Bäume, durch deren Blätterneer sporadisch die Sonne blinzelte. Plötzlich erhellte sie das Gesicht des Mannes und warf einen scharfen Nasenschatten auf die rechte Gesichtshälfte, während er sich am Schädel kratzte. Dabei geriet sein blondes Haar in Unordnung, doch das störte ihn nicht. Er schritt ein Stück die Straße ab und kam dadurch dicht an der Eiche des Verfolgten vorbei.
Das war der Augenblick in dem Bradley hinter dem Baum hervortrat und sich hinter dem Kerl aufbaute. »Na, mein Freund … Was wird das? Mal wieder auf der Pirsch?«
Auf der Stelle erstarrte der Mann zur sprichwörtlichen Salzsäule.