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Bei dem kleinen Doppeldecker mit dem Sperrholzrumpf, den man auf die untere Tragfläche aufgesetzt hatte, handelte es sich um eine nagelneue ›de Havilland‹ vom Typ ›60G Gipsy Moth‹. Der Zweisitzer war das Nachfolgemodell der ›Humming Bird‹, die als untermotorisiert galt. Ihre Tragflächen bestanden aus einer Holzkonstruktion mit Stoffbespannung. Die ›Gipsy Moth‹ war wegen ihres niedrigen Kaufpreises und ihrer ausgesprochenen ›Gutmütigkeit‹ bei Privatpersonen sehr beliebt. Sie beherrschte zurzeit fünfundachtzig Prozent des zivilen Flugzeugmarktes im Empire, was sich in einer Auslieferungsrate von mehr als drei Maschinen pro Tag zeigte.

Diese kleine blaugrau angestrichene Maschine mit der Nummer ›VH-UAQ‹ setzte nach einem fast dreistündigen Direktflug vom ›Croydon Aerodrome‹ im Süden Londons, auf dem Flugplatz des ›Scottish Aero Club‹ auf – etwas über vier Meilen von Perth gelegen.

Der hochgewachsene Mann mit den energischen Gesichtszügen schnallte sich los, griff nach seinem flachen Lederkoffer und kletterte vom hinteren Sitz über die Tragfläche aus der Propellermaschine. Kaum hatte er festen Boden unter seinen Füßen, zog er sich die Fliegerkappe vom Kopf, löste den weißen Schal und öffnete die dunkelbraune Lederjacke.

»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug, Mr. Bradley«, bemerkte sein Pilot, der ebenfalls aus der Maschine geklettert war.

»Den hatte ich definitiv, Mr. Crosley. Sie sind ein ausgesprochen guter Pilot. Ich werde Sie gern wieder in Anspruch nehmen.«

»Das höre ich gern«, lächelte der ältere, etwas untersetzte Mann, der, wie Bradley von ihm erfahren hatte, unter Division Commander Hugh Trenchard im ›Royal Flying Corps‹ am Großen Krieg teilgenommen hatte. »Wenn ich Sie so anschaue: Sie sollten das tatsächlich öfter machen. Ihre Wangen haben eine frische Farbe bekommen und ihre Lunge konnte auch mal wieder richtig durchatmen. Da kann keine Ihrer filterlosen Zigaretten mithalten, meinen Sie nicht auch?«

»Vermutlich haben Sie recht. Ich sollte Ihren Rat beherzigen.«

»Ja, tun Sie das«, grinste Crosley.

Bradley, der sich inzwischen die Fliegerjacke ausgezogen hatte, reichte sie ihm, samt Schal und Mütze, dann schlüpfte er in seine Anzugjacke, setzte sich seinen ›Homburger‹ auf, nickte ihm noch einmal freundlich zu und verließ das Flugfeld in Richtung des kleinen Gebäudes, in dem sich auch die Flugsicherung befand.

Er hatte die niedrige Wellblechhalle des Terminals noch nicht betreten, als ihn auch schon eine äußerst attraktive Frau mit Beschlag belegte. Sie entsprach jener weiblichen Sorte, die jeden Männerblick auf sich zog: Erst den zufälligen, dann den genauen Betrachtungen, der das erotische Kopfkino ankurbelte.

Sie wirkte elegant und sexy in ihrem pastellfarbenen Kleid mit der niedrigen Taille. Der gegenwärtigen Mode zum Trotz, die in dieser Saison die Säume wieder auf Knöchelhöhe hatten sinken lassen, war es kurz. Dazu trug sie eine modische Jacke, hauchzarte hautfarbene Seidenstrümpfe mit rückseitiger Naht, und ihre Absatzschuhe ließen ihre Beine noch länger wirken als sie es ohnehin schon waren. Mit ihrem Bubikopf und der lang herabhängenden Glasperlenkette sah sie aus wie eine Revuetänzerin oder schlicht wie ein ›flottes junges Ding‹.

Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die lackschwarzen, Haare, blinzelte in die blendende Helligkeit des gleißenden Sonnenscheins und studierte die vereinzelt ankommenden Reisenden. Immer wieder sah sie dabei auf einen Zeitungsausschnitt und das Foto eines Mannes.

Bradley versuchte es mit einem charmanten Lächeln.

Sie lächelte zurück. Ihre Haarfarbe und ihr schmales Gesicht mit den etwas schräg stehenden mandelförmigen Augen, deuteten auf einen gewissen Anteil asiatischen Blutes hin. Das war für Großbritannien nicht ungewöhnlich, schließlich trug der stete Zufluss aus den dem Empire zugehörigen Staaten seinen Teil dazu bei. Nicht sehr häufig hingegen war diese an Perfektion grenzende Vollendung, sowohl was Ihr Gesicht und die Verpackung, als auch die sich darunter mehr als deutlich abzeichnende Figur betraf.

»Mr. Bradley?«, sprach sie ihn mit angenehmer, leicht rauchiger Stimme an, als er auf ihrer Höhe war. Das Rot ihrer klassisch geschwungenen Lippen passte zu ihren Fingernägeln, ihre Augenbrauen waren gezupft, und die Wimpern waren stark getuscht.

Er nickte nur, denn noch immer war er von ihrem Anblick gefesselt, schaffte es aber, ihr zur Begrüßung einen flüchtigen Kuss über die Hand zu hauchen.

»Mr. Clive Barwick hat mich geschickt«, ergänzte sie. »Ich bin Lee Sullivan, seine Sekretärin und soll Sie vom Flugplatz abholen.«

Ihre Stimme verriet eine winzige Spur von Akzent. Er vermutete, dass sie einige Zeit im Ausland aufgewachsen war und tippte auf das Protektorat Borneo.

Sie begleitete ihn durch die kleine, niedrige Wellblechhalle und führte ihn zu einem Stellplatz, wo ein cremefarbener ›Chrysler Model B-70‹ mit Weißwandreifen den Parkraum zweier Wagen beanspruchte. »Steigen Sie bitte ein«, forderte sie ihn freundlich lächelnd auf. »Mr. Barwick erwartet Sie in seinem Büro.«

»Ihr Chef scheint ein ausgesprochener Erfolgsmensch zu sein«, erwiderte er und ließ dabei völlig offen, ob er den neuen Wagen oder sie meinte.

Lee Sullivan lächelte und schwieg, was ihm sehr an ihr gefiel.

Schnurrend zog der 8-Zylinder des Chryslers an. Sie chauffierte die Limousine sicher und reizte gekonnt dessen kraftvolle Motorleistung aus. Mit fast fünfundsiebzig Meilen pro Stunde näherte sie sich Perth. Von Norden kommend steuerte sie den Wagen über die ›Smeaton's Bridge‹, die seit 1771 den längsten Fluss Schottlands, den ›Tay‹, überspannte. Während der Fahrt hatte er ausreichend Zeit eine größere Anzahl ›Follies‹, ›Narreteien‹, sinn- und zweckloser Bauten zu betrachten, die begeisterte Landbesitzer zur Zeit der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus einer Laune heraus auf die Bergkuppen gesetzt hatten. Etwa zwanzig Minuten später erreichten sie das feudale Wohn- und Geschäftsviertel am ›King's Place‹. Vor einem modernen Hochhaus stoppte der Wagen.

»Das ist das Gebäude der ›Eakins Bank‹«, erklärte die junge Frau mit den Mandelaugen. Kaum war sie mit ihrer Begleitung ausgestiegen, sprang bereits ein uniformierter Türsteher herbei und übernahm das Fahrzeug.

Sie durchquerten die pompös eingerichtete Eingangshalle, wobei sich Bradley immer leicht hinter ihr hielt, um mit einem Lächeln ihre Kehrseite zu betrachten. Wenige Minuten darauf erreichten sie eine Tür, auf der in Messing nur zwei Buchstaben prangten: ›C. B.

Bevor Lee Sullivan anklopfen konnte, öffnete sich die Tür und ein Mann in sündhaft teurem Anzug kam zum Vorschein, eine Zigarre wie eine Kanone zwischen die Zähne geklemmt. Es war Clive Barwick, Präsident der ›Eakins Bank‹ und Verfasser einer ziemlich dringenden Nachricht an die Detektei ›Colin Bradley‹ in London.

»Guten Tag, Mr. Bradley«, begrüßte ihn Barwick und an seine Sekretärin gewandt: »Es ist gut, Miss Sullivan. Ich danke Ihnen.«

Bradleys Begleiterin lächelte höflich, nickte ihm noch einmal freundlich zu und verschwand gleich darauf durch eine andere Tür in einem Nebenzimmer.

*

»Kommen Sie bitte herein.« Der Bankier machte eine einladende Geste und führte ihn in sein Büro. Der Raum war ebenso elegant wie sein Bewohner – wie das gesamte Gebäude einschließlich der Sekretärin. Durch die riesigen Fenster an der Rückseite hatte man einen Panoramablick auf den angrenzenden ›South Inch‹-Park.

Barwick schob einen schweren Ledersessel vor seinen Schreibtisch, forderte Bradley auf, Platz zu nehmen und ließ sich selbst in seinen Sessel hinter dem großen barocken Schreibtisch. »Ich bin sehr erfreut, dass Sie gekommen sind«, begann Barwick und beförderte einen vergoldeten Humidor über den Tisch, nachdem er seinen Spazierstock mit dem Hundekopf aus Silber, dessen Tieraugen aus grünfunkelnden Steinen gefertigt waren, beiseitegelegt hatte. »Zigarre?«

»Danke, nein«, lehnte Bradley höflich ab, der seine Aktentasche neben sich abgestellt und seinen ›Homburger‹ einfach auf eine Ecke des Schreibtisches abgelegt hatte. »Ich bin eingefleischter Zigarettenraucher., wenn Sie verstehen?« Dabei fingerte er seine Schachtel ›Woodbines‹ hervor, nahm eine Filterlose heraus und setzte den Tabak in den Brand. Ihn interessierte zu erfahren, weshalb man ihn angefordert hatte. Das Telegramm hatte dringend geklungen und direkt eine private Flugreservierung beinhaltet. Er hatte ein paar Erkundigungen über Barwick eingeholt, und das, was er erfuhr, genügte, der Bitte zu folgen. Sein potentieller Auftraggeber war nicht der Mann, der wegen einer Kleinigkeit den Kopf verlor. »Nun?« Er sah den Bankier fragend an.

»Mr. Bradley, … ich will ehrlich sein …«, seufzte der Mann. »Ich stecke in einer äußerst heiklen Situation.«

»Durchaus nachvollziehbar. Es geht doch darum, dass man Ihre Bank beraubt hat?«, erwiderte Bradley.

»Ja, ganz genau.« Barwick zog erstaunt die Brauen hoch. »Woher wissen Sie davon?«

»Davon berichteten sogar die Zeitungen in London, Mr. Barwick«, erwiderte Bradley, süffisant lächelnd. »Allerdings ist das schon eine geraume Zeit her … Zwei oder drei Monate, wenn ich mich recht erinnere.«

»Davon wusste ich nicht, aber es stimmt«, bestätigte der Banker. »Aber deswegen habe ich Sie gar nicht angefordert, Mr. Bradley. Es geht nicht darum, dass Sie das Geld wieder herbeischaffen …«

»Sondern?«

»Nun, das Problem ist ein viel Diffizileres: Ich habe das Geld bereits zurückerhalten …«

»Aber?«

»Es ist das falsche!«

Jetzt war es Bradley der Augenbrauen hochzog. »Sie meinen Falschgeld?«

»Nein, durchaus nicht. Es ist tadelloses Geld. Es ist so echt wie die Goldreserven der ›Bank of England‹ …« Er nahm einen kräftigen Zug von seiner Zigarre. »Es ist leider nur das falsche!«

»Das müssen Sie mir schon etwas genauer erklären«, forderte Bradley den Bankier auf.

»Das will ich gern tun«, gab Barwick zurück, der einen weiteren Zug nahm und sich bedächtig in seinem Sessel zurücklehnte. »Wenn Sie den Fall in den Journalen verfolgt haben, wissen Sie vielleicht wie das vor Monaten war. An einem Montagmorgen stellten meine Angestellten fest, dass der große Safe aufgebrochen und geleert wurde. Und das, obwohl unsere Sicherheitsanlage auf dem modernsten Stand ist und den gesetzlichen Vorgaben genügt. Dieses Gebäude steht schließlich erst seit drei Jahren.« Seufzend blickte er ihn direkt an. »Der oder die Einbrecher müssen also geradezu über geniale technische Fähigkeiten verfügt haben.«

»Verstehe«, nickte Bradley abaschend. »Darf ich erfahren, wie hoch die Beute genau war?«

»Ich weiß bis heute nicht, warum sich der oder die Täter genau diesen Zeitpunkt ausgesucht haben … Aber sie haben einen bedeutenden Fischzug gemacht, denn sie haben eine halbe Million Pfund Sterling in gebrauchten Scheinen herausgeholt. Nur ein verschwindend geringer Anteil bestand aus neuen Banknoten. Da es sich um Geld handelte, das wegen veralteter Sicherheitsmerkmale aus dem Verkehr gezogen werden sollte, hat mein Bankhaus natürlich alle Nummern notiert.«

»Und weiter?« Bradley nahm noch einen Zug von seiner Zigarette und drückte den Stummel im Aschenbecher aus, ehe er sich wieder zurücklehnte und die Beine übereinanderlegte.

»Scotland Yard fand schnell heraus, dass es das Werk eines einzelnen Mannes war … auch wenn ich das bis heute nicht glauben kann … Jedenfalls hatte man dort auch einen bestimmten Verdacht, der sich gegen einen gewissen …«

»Glasgow-Ambrose richtete«, ergänzte Bradley den Satz.

Barwick nickte. »Richtig!« Er legte seine Zigarre beiseite. »Kurz darauf haben sie den Burschen auch festgesetzt. Der Einbruch bei uns war nicht der einzige, der ihm zur Last gelegt wurde. Erstaunlicherweise war der Mann sofort geständig und lieferte sogar den größten Teil seiner Beute ab … Ja, und so bekam ich das Geld zurück. Bis hier wäre es ja noch gut gewesen …« Er seufzte wieder schwer. »Aber gestern früh musste ich feststellen, dass die Nummern dieser Banknoten nicht mit denen auf der erstellten Liste übereinstimmen. Mit anderen Worten: Es handelt sich nicht um dieselben Scheine, Mr. Bradley!«

»Wie kommt es, dass Ihnen das nicht früher aufgefallen ist. Wurden die Nummern nicht abgeglichen als Sie das Geld zurückbekamen?«

Sein Gegenüber grinste verlegen. »Nun, ich muss gestehen, dass das auf eine Nachlässigkeit in meinem Haus zurückzuführen ist … Ich sagte Ihnen schon, dass der Einbruch an einem Wochenende stattfand. An diesem Sonntag erkrankte mein Hauptkassierer und musste für einen Eingriff ins ›Perth Royal Infirmary‹ eingeliefert werden. Er wurde direkt am Montag operiert. Am selben Tag entdeckten wir den Einbruch. Natürlich wurden wir seitens der Polizei sofort nach den zugehörigen Nummern der Scheine gefragt. Meine Mitarbeiter waren jedoch nicht in der Lage die entsprechenden Unterlagen zu finden und den Hauptkassierer konnte ich erst am Mittwoch danach fragen. Er stand wohl unter Schock als er von der Sache erfuhr und vermochte sich nicht mehr zu erinnern … Sie müssen verstehen, er ist noch ein Bankkassierer alter Schule, korrekt vom Scheitel bis zur Sohle, geschwächt durch die Operation … er erfährt von dem Einbruch in den Haupttresor …«

»Ich verstehe.«

»Dem Yard habe ich daraufhin erst einmal mitteilen müssen, dass meiner Erkenntnis nach, keine Notierung der Nummern erfolgt sei. Dann, zwei Monate später, wurde der Täter dingfest gemacht. Er gestand unter anderem den Einbruch in meine Bank und führte die Beamten zum Versteck des Geldes. Erstaunlicherweise fehlten nur ein paar tausend Pfund … und ich erhielt das Geld zurück.«

»Und dann wurde Ihr Kassierer wieder gesund.« Bradley glaubte den Rest der Geschichte bereits zu kennen.

»Ja, wenngleich er schwer krank war und es entsprechend lange gedauert hat. Er kam gestern zum ersten Mal wieder in die Bank zurück. Als erstes fiel ihm die Liste mit den Nummern in die Finger, die er offensichtlich doch angelegt hatte … handschriftlich. Hätte sich die Aufstellung im Sekretariat zur Abschrift befunden, wäre ja alles kein Problem gewesen.« Er lächelte verstehend. »Er ist halt noch ganz schön ›Old School‹ und macht vieles, wie er es früher gelernt hat.«

»Die Nummern stimmten also nicht überein«, stellte Bradley fest.

»Genau. Die stimmten ganz und gar nicht. Das zurückgegebene Geld stammt nicht aus dem Einbruch in meiner Bank.«

»Und dessen sind Sie sich absolut sicher?«

»Ja, natürlich«, erwiderte der Bankier verständnislos.

Ich kann mir nicht helfen, dachte Bradley bei sich, aber ich werde das unbestimmte Gefühl nicht los, dass an seinen Ausführungen etwas faul ist. »Wissen Sie, Mr. Barwick, … etwas an dieser Geschichte irritiert mich.«

»Das wäre?«

»Nun, wieso liegt dieses Geld weitere zwei Monate in Ihrem Tresor, wo Sie ohnehin den Auftrag hatten es aus dem Verkehr zu ziehen und zum Umtausch vorzubereiten? Und weshalb haben Sie sich an mich gewandt. Wäre nicht Scotland Yard der richtige Ansprechpartner? Soweit mir bekannt ist, hat man dort in dieser Sache eine Sonderkommission eingerichtet.«

»Erstens«, betonte Barwick, der seine Zigarre nochmals anzündete und einige Züge nahm, bis der Tabak richtig glühte, »ließ ich die Banknoten unangetastet, weil ich von Anfang an ein seltsames Gefühl dabei hatte … Ich sagte Ihnen schon, dass dieser Bursche auch einige Bündel nagelneuer Scheine erwischt hatte. Das wusste ich ja. Gerade deshalb habe ich mich gewundert, dass ausgerechnet diese Banknoten fehlten. Ich bin zwar kein Experte, aber ich würde doch denken, dass ein Bankräuber, der die Wahl zwischen abgenutzten und neuen Scheinen hat, nicht gerade die behält, an den die Farbe noch frisch ist …«

»Und zweitens?«

»Dieser Punkt betrifft Sie, Mr. Bradley«, lächelte Barwick. »Das Geld muss ja irgendjemandem gehören, wenn es nicht aus meiner Bank ist … Welchen Sinn würde es also machen, damit Scotland Yard zu behelligen?«

Bradley konnte ein Gefühl der Verärgerung kaum unterdrücken. Dafür hat er mich extra aus London einfliegen lassen?, fragte er sich. »Hören Sie,« brummte er daher, seine Unzufriedenheit nicht verhehlend, »machen Sie da nicht eine Menge Wind, wo längst Flaute ist, Mr. Barwick? Dieser Kerl hatte schließlich noch mehr auf dem Kerbholz. Soviel ich weiß, hat er auch an die anderen zurückgezahlt. Vermutlich hat er einfach nur die Scheine vertauscht. Bei soviel Geld kann man sich leicht vertun, meinen Sie nicht auch?«

»Nein«, widersprach der Bankier. »Ich habe mich natürlich umgehört. Die anderen Geschädigten … ohne Ausnahme Bankhäuser im Süden Schottlands … haben genau das zurückbekommen, was sie verloren haben. Nur ich nicht. Verstehen Sie, dass ich nicht die Kleinkrämerei eines Pfennigfuchsers betreibe?«

Bradley überlegte einen Augenblick. »Dementsprechend ist davon auszugehen, dass ein anderer, dem Yard bislang Unbekannter, um etwa den gleichen Betrag geschädigt wurde wie Sie … und das Geld, das man Ihnen zurückgegeben hat, ihm gehört. Sind wir uns soweit einig?«

Barwick nickte heftig.

»Die Frage ist, warum sich dieser Unbekannte nicht gemeldet hat, als Glasgow-Ambrose geschnappt wurde. Da gibt es meiner Ansicht nach drei Optionen …« Er holte noch einmal seine Zigaretten hervor und steckte sich eine zwischen die Lippen, während er fortfuhr. » Die erste ist, dass er sich bereits vorher mit dem Burschen geeinigt hatte. Die zweite, dass er sich nicht melden konnte, weil er selbst etwas vor dem Yard zu verbergen hat. Vielleicht hatte Glasgow-Ambrose auch die Absicht, das Geld dieses Unbekannten bis zu seiner Entlassung auf die Seite zu schaffen … und hat es dann mit den anderen Banknoten vertauscht. Vielleicht wartet der Unbekannte aber darauf, dass er freikommt, um es ihm dann wieder abzujagen.«

»Und wie lautet die dritte Möglichkeit?« Barwick beugte sich interessiert vor.

»Der Unbekannte konnte sich nicht mehr melden, … weil er tot ist!«

Der Banker nickte bestätigend. »Ähnliche Überlegungen hatte ich auch, deshalb rief ich Sie. Sie sollen hier Klarheit schaffen. Wohlgemerkt: Scotland Yard soll vorläufig nicht ins Spiel kommen. Ich glaube, das lässt sich verantworten.«

»Sie wollen nicht riskieren, das Geld zurückgeben zu müssen, ohne einen gleichwertigen Ersatz für Ihren Schaden zu erhalten.«

»Genau ins Schwarze getroffen, Mr. Bradley«, gab der Bankier offen zu. »Ich bin Geschäftsmann und will, dass alles korrekt ist … aber eine halbe Million Pfund Sterling kann und will ich deswegen auch nicht verlieren.«

»Ich muss gestehen: Sie befinden sich in einer ausgesprochen scheußlichen Zwangslage, Mr. Barwick«, lächelte Bradley ironisch. Er drückte seine Zigarette in den Aschenbecher, erhob sich und setzte seinen ›Homburger‹ auf. »Also gut. Ich will sehen, was ich für Sie tun kann.«

Auch Barwick hatte sich aus seinem Sessel erhoben und reichte ihm dankbar die Hand. »Wenn Sie mich sprechen möchten oder etwas benötigen, wenden Sie sich bitte an meine Sekretärin. Sie wird Ihnen gern helfen. Im Übrigen habe ich ein Appartement, eine Etage höher, für Sie herrichten lassen.« Dann griff er nach einem Schlüssel und schob ihn zu ihm herüber. »Unten steht ein Wagen für Sie bereit … Sie können ihn nicht verfehlen … grün, Zweisitzer, Weißwandreifen.«

»Vielen Dank« Bradley nahm sich den Schlüssel und verließ das Büro. Er bedauerte es, die überaus attraktive Sullivan nicht noch einmal gesehen zu haben.


Ein riskanter Trick

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