Читать книгу Der Fluch von Shieldaig Castle - Thomas Riedel - Страница 5

Оглавление

Kapitel 2

»Liebst du ihn nun … oder liebst du ihn nicht?«, fragte Ella McKnee ihre Schwester ganz aufgeregt. »Nun sag schon, Morgan.«

Ella hatte helles, fast weißblondes Haar. Sie war gerade dreiundzwanzig Jahre alt geworden. Das Leben schien so überaus einfach für sie zu sein, dass sie jedem neuen Morgen entgegenträllerte.

Ihre Schwester dagegen war ganz anders. Morgan hatte langes, dunkles Haar. Auch ihre Augen waren von einem dunklen Braun. Ihr Gesicht war sehr schmal geschnitten, ihre ganze Figur war im Gegensatz zu Ella, die eher rund und etwas mollig war, recht zierlich.

»Natürlich liebe ich ihn. Du weißt es doch«, erwiderte sie lachend. »Wir haben es ja schon unzählige Male darüber gesprochen.«

»Trotzdem scheinst du dir nicht sicher zu sein«, gab Ella zurück.

»Nicht sicher? Zweifelst du an meinen Gefühlen für Ryan O’Connor?«

Ella blickte ihre Schwester entwaffnend an.

»Ich glaube es dir ja, wenn du es sagst … aber ich frage mich, warum du dann nichts unternimmst?«

»Was soll ich denn tun? Soll ich ihm etwa um den Hals fallen? Du weißt genau, dass es sich für ein Mädchen nicht schickt. Ich möchte nicht, dass er schlecht über mich denkt.«

Morgan McKnee war nur ein Jahr älter als ihre Schwester. Sie stemmte die Hände in die Hüften.

»Wenn ich so hübsch wäre wie du …«, antwortete Ella mit einem frechen Grinsen, »ich würde es genau wissen.«

»Ach, Ella, rede doch keinen Unsinn. Ich kann nicht einfach auf Ryan zugehen und ihm sagen: ›Ich liebe dich, nun nimm mich endlich in deine Arme und küsse mich‹.«

»Wie lange kennt ihr euch eigentlich?«

»Na, … ich kenne ihn jetzt …«

»Nein, nein! Du weißt ganz genau, was ich meine«, unterbrach Ella ihre Schwester. »Ich meine eure abendlichen Spaziergänge. Wie lange macht ihr die schon?«

»Ungefähr sechs Monate.«

»Meine Güte«, entfuhr es Ella erstaunt. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie Morgan durchdringend an. »Und in all der Zeit hat er tatsächlich den Anstand gewahrt und es nicht gewagt dich zu küssen?«

»Nein«, gestand Morgan kleinlaut. »Ryan ist ein wahrer Gentleman.«

»Und du tust nichts dazu? Gar nichts?«

»Wir sind wieder einmal am Anfang des Gesprächs, Ella. Wir drehen uns im Kreis«, mahnte Morgan. »Du weißt es doch selbst, dass es mir der Anstand verbietet den ersten Schritt zu machen.«

»Lächelst du ihm denn nicht manchmal aufmunternd zu?« Ella ließ nicht locker.

»Ich bin so befangen, wenn er nur meine Hand ergreift«, entgegnete und senkte den Blick.

»Aber warum denn?«

»Ich weiß es nicht«, seufzte Morgan und ließ die Schultern sinken. »Ich weiß überhaupt nichts.«

»Soll ich mal ein bisschen Cupido spielen? So per Zufall?«, bot sich Ella an. Ihre kleinen Grübchen in den Wangen wirkten fröhlich, und ihre dunklen Augen funkelten unternehmungslustig.

»Untersteh dich«, winkte Morgan lachend ab. »Ich glaube, dann würde er mir niemals seine Liebe gestehen.«

»Wie du meinst«, zog sich Ella zurück. »Was du überhaupt an einem so schüchternen Mann findest, verstehe ich nicht … außerdem ist er Schulmeister.«

»Oh, bitte, Ella«, bat Morgan leise, »nenne ihn nicht Schulmeister. Er ist Lehrer … zugegeben, aber er ist dennoch der beste Mann der Welt. Ich liebe ihn ja gerade, weil er nicht so aufdringlich ist wie all die anderen Gentleman.«

»Dann wirst du dich eben mit seiner Schüchternheit abfinden und abwarten müssen, bis er endlich …«

»Ella«, unterbrach Morgan ihre Schwester, »bitte, rede nicht so, … sonst schütte ich auch dir nie wieder mein Herz aus. Ich liebe ihn eben.«

»Das sagtest du schon, Schwesterherz, aber es dreht sich in mir alles im Leib um, wenn ich dich so leiden sehe.«

»Leiden ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Ich kann nur nicht einsehen, warum er kein Wort der Zuneigung zu mir sagt.«

»Das Essen ist fertig, Kinder! … Kommt bitte herüber«, wurden die beiden jungen Frauen unterbrochen.

Ella und Morgan erhoben sich. Liebevoll blickten sie sich einen Augenblick lang an, dann hakten sich unter und verließen den Raum.

Elizabeth McKnee erwartete sie bereits. Der Tisch war geschmackvoll gedeckt und auch an ein paar Blumen in einer stilvollen Vase fehlte es nicht.

Elizabeth McKnee war eine sanfte Frau, die mit ihren fünfundvierzig Jahren mitten im Leben stand. Sie hatte – wie es jeder in der Gegend wusste – vor einem Dreivierteljahr ihren Mann verloren und bezog eine ausreichende Rente von der ›Equitable Life Assurance‹. Im Gegensatz zu vielen anderen Witwen ihres Alters, brauchte sie deshalb keiner Tätigkeit mehr nachzugehen, was ihr immer wieder geneidet wurde.

Auch Ella und Morgan brauchten nicht zu arbeiten. Ihr Vater hatte es ihnen ermöglicht ein gutes Mädchenpensionat zu besuchen. Nun aber waren sie wieder zurück im elterlichen Haus und gingen ihrer Mutter in der Küche zur Hand, weil diese der Meinung war, dass Mädchen die Kunst des Kochens beherrschen müssen.

›Die Liebe eines Mannes geht eben immer durch den Magen‹, pflegte sie laufend zu sagen. Dabei lachte sie dann spitzbübisch, worauf Morgan in der Regel erwiderte: ›Aber Mutter, du weißt doch, was die Franzosen sagen: Wo die Liebe den Tisch deckt, schmeckt das Essen am Besten.‹

Sie setzten sich und nahmen gemeinsam Mahlzeit ein.

»Und was habt ihr beide heute noch vor?«, fragte ihre Mutter neugierig, als Ella die Teller zusammenstellte. »Wie gedenkt ihr beide den Abend zu verbringen?«

Ella verdrehte die Augen und lachte.

»Na, du weißt schon, Mom. Morgan wird mal wieder mit Ryan durch den Park flanieren und auf einen Kuss hoffen … Ich werde etwas Croquet spielen gehen.«

Morgan war bei den Worten ihrer Schwester rot angelaufen

»Aber Ella, du sollst Morgan nicht immer brüskieren. Ich will das nicht!«, schalt ihre Mutter. »Du weißt, sie ist so viel sensibler als du. Bitte, … lass diese Art der Scherze. Du tust deiner Schwester damit weh.«

»Wie kannst du nur zwei so unterschiedliche Töchter haben, Mom?«, reagierte Ella pikiert. Sie bemerkte nicht, dass ihre Mutter unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschte, während sie das Geschirr in die Küche brachte.

Elizabeth McKnee ergriff Morgans Hand.

»Liebst du ihn sehr?«, fragte sie leise.

»Ja, Mom.«

»Dann lauf zu ihm, mein Kind … und warte auf das Glück. Warten ist die schwerste Beschäftigung für ein junges Mädchen, aber ich bin sicher, es wird sich für dich lohnen. Ryan O’Connor ist ein guter Mann.«

»Meinst du wirklich, Mom?«

»Ja, mein Herz«, lächelte sie. »Ihr beide gebt ein wunderbares Paar ab.«

Freudig gab Morgan ihrer Mutter einen Kuss, dann eilte sie hinaus. Ein rascher Blick in den Spiegel sagte ihr, dass alles tadellos in Ordnung war. Die Rüschen am Saum ihres Kleides wippten fröhlich, als sie mit pochendem Herz aus dem Haus lief.

*

Sie sah Ryan O’Connor schon an der Gaslaterne stehen, wo er sie immer erwartete.

»Da bist du ja«, begrüßte er sie zärtlich.

Morgan errötete schamhaft, antwortete aber nichts. Lächelnd hakte sie sich an seinem Arm ein, wie sie es schon an so vielen Abenden getan hatte, und schweigend machten sie sich wie auf ein unausgesprochenes Kommando den Weg zum Park.

Es war eine große Grünanlage, in der viele alte Bäume standen. Inmitten des Stadtgartens gab es einen kleinen See, den Morgan ganz besonders, insbesondere der Enten wegen, liebte. Zumeist nahmen sie auf einer Bank an dessen Ufer Platz und betrachteten das Wasser und die Vögel. Auch an diesem Abend war es nicht anders.

Mit wildem, aufgeregtem Geschnatter kam ein Erpel näher, kaum, dass Ryan die erste Brotkrume geworfen hatte. Ihm folgten zahlreiche weitere Enten. Die Tiere waren so zutraulich, dass sie bis dicht zu ihnen an die Bank herankamen.

Morgan und Ryan schwiegen, bis auch das letzte Stückchen Brot verfüttert war. Dann, als die Entenschar durcheinander schnatternd zurück ins Wasser watschelte, ergriff Ryan ihre Hand.

»Morgan«, sagte er sanft, »lange, sehr lange habe ich überlegt, warum du eigentlich an jedem Abend mit mir hierherkommst.«

»Bist du draufgekommen?«, fragte sie leise, mit zum Boden gesenkten Blick.

»Morgan, … liebst … du … mich?«

»Ja, Ryan«, hauchte sie, hob den Kopf und wandte sich ihm zu.

Sie blickten sich zärtlich an – und plötzlich war alles so einfach. Sie verstand ihre Angst und die Ungeduld der letzten Wochen nicht mehr. Sie brauchte nur in die blauen Augen des Mannes zu sehen, der neben ihr saß – und alles war gut.

»Ich liebe dich, Morgan.«

»Ich weiß, Ryan.«

»Woher weißt du es?«

»An deinen Blicken konnte ich es ablesen, dazu jede Handbewegung und jede kleine Geste. All das hat es mir verraten.«

Er ergriff ihre Hand und fuhr sanft mit den Fingerspitzen die feinen Linien der Fläche nach. Dann führte er sie an seine Lippen und hauchte einen zarten Kuss darauf.

Die sanfte Berührung ließ Morgan erbeben. Ihr wurde ganz sonderbar zumute und ihr Herz hämmerte gegen die Rippen. Dann zog er sie zu sich heran, nahm sie in seine Arme, und der Kuss war genauso, wie sie ihn sich erträumt hatte – sanft und besitzergreifend zugleich.

Sie hätte später nicht zu sagen gewusst, wie lange sie nun so dasaßen, sich küssten und streichelten. Sie fuhren erst auf, als sich Schritte des Weges näherten. Aber es war ebenfalls ein Liebespaar – als es Morgan und Ryan bemerkte, entfernte es sich schnell wieder.

Ryan hatte sich eine Zigarette angesteckt und einen Arm um ihre Schultern gelegt.

»Ich hätte es dir schon viel früher sagen sollen, Morgan«, gestand er ihr. »Ich liebe dich schon sehr lange.«

»Warum hast du es nicht getan, Liebster?«

»Weil …«

»Ja?« Gespannt sah sie ihm in die Augen.

»Weißt du eigentlich, dass ich noch bei meiner Mutter lebe, und dass sie an den Händen gelähmt ist?«

»Das wusste ich nicht, Ryan. Ich glaubte …«

»Meine Mutter verlässt deswegen nicht mehr das Haus, schon seit über fünf Jahren.«

»Seit über fünf Jahren? Aber sehr viel länger wohnst du doch noch gar nicht in ›Shieldaig‹

»Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen, Morgan … seit wir hier wohnen. Meine Mutter ist auf Hilfe angewiesen. Ich kann sie nicht verlassen.«

»Ryan«, unterbrach Morgan schnell. »Ich werde deine Mutter bestimmt mögen. Ich liebe dich, und sie hat dir das Leben geschenkt. Wenn sie nicht wäre, würde es dich nicht geben, und du bist der Inhalt meines Lebens.«

»So siehst du es?« Er sah sie erstaunt an.

»Ja.«

»Und ich hatte die Befürchtung, nein, vielmehr Angst, dass … Nun, deswegen hatte ich mich getraut …«

»Weiß sie, dass du mich liebst?«

»Nein.«

»Nein?«

»Sie ist beinahe krankhaft eifersüchtig, Morgan. Wahrscheinlich fürchtet sie den Tag, an dem ich sie verlassen könnte. So oft ich ihr auch gesagt habe, dass das nicht passieren wird, … sie glaubt es mir wohl trotzdem nicht. Sie fürchtet die Frau, der ich meine Liebe schenken könnte.«

»Aber sie braucht mich doch nicht zu fürchten«, begehrte sie lächelnd auf.

»Nein. Ich weiß das. Du bist sanft und wunderbar.«

Wieder gaben sie sich einen Kuss, und für ein paar Augenblicke vergaßen sie die dunkle Wolke, die über ihrer Liebe schwebte.

»Willst du mich heiraten, Morgan«, fragte er sie unvermittelt.

»Ja, Ryan, … ja«, hauchte sie.

»Wirst du auch zu meiner Mutter gut sein können? Sie ist manchmal recht launisch … Aber sie hat eine Pflegerin, die regelmäßig zu ihr kommt, du wirst dich nicht mit ihr zu unterhalten brauchen, wenn du es nicht magst.«

»Du machst dir ganz unnötige Gedanken, Ryan. Ich werde natürlich so viel wie möglich mit ihr reden, wenn du fort bist, und dann können wir alle drei ein wunderbares Leben haben, nicht wahr?«

Ryan versank in brütendes Schweigen.

»Was hast du?«, forschte sie.

»Manchmal glaube ich, … meine Mutter will nicht, dass ich heirate. Schon einmal, ehe wir hierherzogen, hat sie ein Mädchen fortgejagt. Damals, … es liegt viele Jahre zurück, … damals hatte ich mich verliebt. Ich stellte sie meiner Mutter vor, aber sie brachte es binnen einer Stunde fertig, dass sie weinend aus dem Haus lief.«

»Aber was sollte sie gegen eine Ehe haben? Ich verstehe das nicht.«

»Sie fürchtet die Einsamkeit«, erklärte er. »Ich kann sie ja auch verstehen, aber ich will doch auch mein eigenes Leben haben. Ich liebe sie, … aber ich liebe dich ebenfalls. Ja, ich liebe dich sogar mehr, wenn man die Liebe zwischen einer Frau und einer Mutter überhaupt bemessen kann.«

Morgan legte ihren Kopf an seine Schulter und genoss das zärtliche Streicheln seiner Hände.

»Mich wird sie ganz bestimmt nicht fortjagen können«, flüsterte sie, »denn ich liebe wirklich.«

»Ich muss mir das alles von der Seele reden, Morgan«, erklärte er. »Ich habe nachts Angstvorstellungen, sie könnte dich quälen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Habe ich überhaupt ein Recht, eine Frau an mich zu binden? Muss ich nicht viel mehr auf das Unglück meiner Mutter Rücksicht nehmen und für sie dasein?«

»Nein, das musst du nicht«, antwortete sie entschieden, ergriff seine Hand und drückte viele kleine Küsse darauf. »Bitte quäle dich nicht dauernd mit diesen Fragen. Ich werde deine Mutter ganz sicher mögen, aber bitte, … bitte, lass uns glücklich werden.«

»Würde es dich nicht belasten, mit einer behinderten Frau in einem Haus zu wohnen?«

»Wenn es sich um deine Mutter handelt, natürlich nicht. Wie … kam es zu dieser Behinderung?«

»Wir wurden alle durch einen Hausbrand verschüttet. Meinen Vater hat man auch noch zu retten versucht. Aber niemand schaffte es, bis zu ihm vorzudringen. Es war einfach unmöglich. Ein Deckenbalken hatte ihn … Es brannte immer noch lichterloh …« Er stockte und setzte neu an. »… und meine Mutter … ihre Hände …«

»Du musst es nicht aussprechen. Ich verstehe auch so«, unterbrach sie ihn leise, zog seinen Kopf zu sich herab und küsste ihn heiß auf den Mund. Sie war es, die in diesem Moment Liebe und Zärtlichkeit verströmte, bis Ryan sich wieder gefangen hatte und sie fest in die Arme nahm.

»Willst du sie wirklich kennenlernen, Morgan?«

»Ja.«

»Noch heute?«

»Warum nicht? Ja.«

»Dann komm.«

*

Ryan O’Connor war aufgesprungen. Er zog sie noch einmal kraftvoll in seine Arme und noch einmal bedeckte er ihren Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss. Dann hakte er ihren Arm ein und schweigend gingen sie in die anbrechende Nacht.

Vor einem kleinen Haus blieben sie stehen. Morgan wusste, dass Ryan hier seine Wohnung hatte, aber sie hatte das Haus noch nie betreten und war ganz überrascht, als sie in die Diele kam. Die vornehme Eleganz der Einrichtung, die sie vorfand, hatte sie nicht erwartet.

Ryan hatte sie nicht aus den Augen gelassen.

»Meine Mutter beerbte ihren Bruder. Er war im In- und Export-Geschäft und sehr vermögend«, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage.

Sie nickte verstehend.

Als sie vor Ryans Mutter stand, zitterte sie ein wenig und ihr Herz schlug stürmisch, denn zwei eisgraue Augen sahen sie abwehrend und kalt an.

»Das Morgan McKnee«, sagte er und strahlte dabei eine seltsame Ruhe aus. »Sie wird meine Frau werden, Mutter.«

Morgen konnte deutlich das Erschrecken auf ihrem Antlitz sehen. Ihr Gesicht wurde blass, und die schweren Augenlider schlossen sich für einen Augenblick. Dann aber zeigte sie ein frostiges Lächeln.

»Seien Sie willkommen, liebes Kind. Leider kann ich Ihnen nicht die Hand reichen. Ryan wird Ihnen von meinem Umglück berichtet haben?«

»Ja.«

Unwillkürlich musste Morgan auf die Hände blicken, die Ryans Mutter in ein Umschlagtuch gewickelt hatte.

Die Dorfschwester, eine ältere, dickliche Frau, ging leise hinaus. Sie fühlte, dass sie jetzt nicht gebraucht wurde und fehl am Platz war.

Für Morgan verging die nächste Stunde wie im Flug. Rachel O’Connor konnte angeregt erzählen. Sie machte sogar einen kleinen Scherz – und doch fühlte sich Morgan unter den eisgrauen Augen der Frau recht unbehaglich.

Sie atmete auf, als sie sich verabschieden konnte. Zärtlich schmiegte sie sich in Ryans Arm.

»Wie findest du sie?«, fragte er leise.

»Ich bewundere sie. Sie trägt ihr Unglück mit Würde.«

»Würdest du mit ihr leben können?«

»Ich kann alles, wenn ich nur mit dir zusammensein kann. Ich liebe dich, und ich werde auch zu deiner Mutter eine gute Beziehung aufbauen.«

»Auch, wenn sie zuerst etwas schroff zu dir sein sollte?«

»Auch dann.«

»Ich … ich kann es noch gar nicht fassen, Morgan.«

»Schau mich an, Ryan«, forderte sie ihn auf. »Gib mir einen Kuss, dann ist doch alles gut.«

Sie blickten sich in die Augen, lächelten sich an und küssten sich erneut.

»Du glaubst gar nicht, wie glücklich du mich machst.«

»Du mich auch, Ryan.«

Als sie sich trennten, streichelte er sanft über ihre Wange.

»Du bist ein Engel«, raunte er.

»Hast du schon einmal einen Engel mit schwarzem Haar gesehen?«, lachte sie glücklich. »Die werden doch immer nur mit blondem Haar gemalt.«

»Dann ist das ein Irrtum der Maler«, grinste er frech. »Wäre ich ein Künstler, ich würde tausend Bilder malen, und alle Engel würden schwarzes Haar haben und hätten dein Gesicht.«

»Ach, Ryan«, seufzte sie glücklich.

Noch einmal fielen sie sich in die Arme, dann raffte Morgan ein wenig Kleid und lief glücklich ins Haus.

*

Ryan O’Connor steckte seine Hände in die Taschen und ging frohgemut heim.

Meine große Liebe wird Erfüllung finden, ging es ihm durch den Kopf. Morgan wird meine Frau werden. Wie oft habe ich davon geträumt.

Als er zu seiner Mutter in den Salon trat, sah diese ihn mit vorwurfsvollen Blicken an.

»Woher kennst du sie?«, fragte sie knapp.

»Ich weiß es nicht … Irgendwann lernte ich sie kennen, gleich, nachdem ich hier meine Stellung angetreten hatte. Seit einem halben Jahr machen wir täglich einen Spaziergang. Ich liebe sie, Mutter.«

»Sie ist viel zu jung für dich.«

»Sie ist zweiundzwanzig Jahre alt.«

»Du bist dreiunddreißig.«

»Na und?«, erwiderte er lächelnd. »Weißt du eigentlich, wie seltsam mich meine Kollegen bereits ansehen? Dreiunddreißig und immer noch nicht verheiratet. Du weißt genau, dass ich damit gesellschaftlich ein Außenseiter bin. Laufend wird darüber getuschelt, was mit mir wohl nicht stimmt … Und meinem beruflichen Ausstieg steht es auch im Weg.«

»Es liegen zu viele Jahre zwischen euch«, beharrte sie, ohne auf seinen Einwand einzugehen.

Ryan ging auf seine Mutter zu und legte ihr sanft seine Hand auf die Schulter.

»Mutter … Sie wird zu uns ziehen. Wir werden eine große, ganz normale Familie sein. Sie wird dich schätzen lernen und du wirst sie auch mögen.«

»Sie wird mich niemals mögen«, erwiderte sie starrköpfig. »Ganz im Gegenteil: sie wird mich ganz schnell aus dem Haus haben wollen.«

»Aber was redest du denn da, Mutter?«

»Glaub mir, ich kenne das Leben. Sie sieht so sanft aus, aber das sind die schlimmsten Frauen, mein Sohn, die mit den sanften braunen Augen. Sie wird dich zu sich ziehen. Sie wird dafür sorgen, dass wir uns nicht mehr verstehen. Sie wird …«

»Hör auf damit, Mutter!«

»Du kannst mir das Reden nicht verbieten!«

Ryan trat zum Fenster. Genau dieses Verhalten hatte er befürchtet. Er wollte und konnte nicht aufbrausen, denn sie war behindert, und er bedauerte sie … aber er liebte sie auch. Wie sollte, konnte er ihr klar machen, dass sich zwischen ihnen nichts ändern würde?

»Sie ist zu jung für dich«, beharrte seine Mutter noch einmal.

Ryan drehte sich zu ihr um und blickte ihr lange in die Augen.

»Mutter, … ich liebe Morgan. Ich werde sie heiraten. Es wird alles gut gehen, wenn du nur bereit bist ein klein wenig auf sie einzugehen. Wenn du nett zu ihr bist, wird sie dich mögen. Ich weiß es. Wenn du sie aber quälst, Mutter, mit deiner grundlosen Eifersucht, … dann werde ich, so leid es mir auch tut, fortgehen.«

»Siehst du, wie sie dich schon vergiftet hat?«

»Nein, Mutter! Es wäre nicht einmal in ihrem Sinn, was ich dir jetzt sage … aber ich denke, es muss einmal ausgesprochen werden. Ich liebe sie, ich möchte Kinder mit ihr haben. Es werden deine Enkel sein, Mutter. Du wirst sie heranwachsen sehen und dich an ihnen erfreuen.«

»Du würdest mich tatsächlich wegen einer Frau verlassen?«

»Ich würde alles für sie tun … alles! Nichts wird mich mehr von meinem Entschluss, sie zu ehelichen, abbringen können. Nichts, Mutter! Du wirst dich mit Morgan abfinden müssen. Sie wird meine Frau werden. Du wirst sie mögen, weil du mich liebst … und wir werden hier ein kleines Paradies haben.«

»Ich hasse sie jetzt schon!«, entfuhr es ihr aus den Gedanken heraus. Unsicher strich sie dabei mit den Händen hin und her, ohne dass sich die deformierten Finger bewegten.

Wortlos verließ er den Raum. Nie zuvor hatte er das getan. Immer wieder hatte er eingelenkt, wenn es darum ging, seine Mutter zu beruhigen. Doch diesmal aber hatte er den Salon tatsächlich verlassen, ohne eine Versöhnung herbeigeführt zu haben.

»Und das alles nur wegen dieses kleines Biestes«, zischte seine Mutter ihm giftig hinterher.

»Ich war viel zu nachsichtig mit dir, Mutter«, murmelte Ryan verärgert, während er die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. »Ich hätte dir längst beweisen müssen, dass ich den Kinderschuhen entwachsen bin. Längst hätte ich dich spüren lassen müssen, dass auch ich ein Anrecht auf ein eigenes Leben habe.«

Nie zuvor war er so entschlossen gewesen, und obwohl es ihn schmerzte, suchte er an diesem Abend seine Mutter nicht mehr auf. Am nächsten Morgen begrüßte er sie jedoch, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen.

Aber sie ging nicht auf seinen friedvollen Ton ein. Sie liebte ihren Sohn, und sie wollte ihn weiterhin für sich allein haben, denn er war alles, was sie auf dieser Welt besaß. Auf keinen Fall würde und wollte sie ihn teilen …

… und schon gar nicht mit dieser Morgan McKnee!

***

Der Fluch von Shieldaig Castle

Подняться наверх