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Anno 1730 - Neuer Lebensabschnitt

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In den fast drei Jahren, seit er nun schon hier in der Reichsstadt wohnte, war einiges geschehen.

Mehrere Blitze schlugen am 10. Mai 1728 bei einem plötzlichen und heftigen Gewitter um Mitternacht in die Spitalkirche ein. Der Dachstuhl der Kirche brannte lichterloh. Mit lautem Getöse stürzte der obere Teil des Turmes ein. Erst neigte sich die Spitze und dann brach der Glockenstuhl zusammen. Die in die Sakristei fallenden drei Glocken bimmelten ohrenbetäubend, bis sie unten zerschellten. Der Bevölkerung gelang es jedoch den Brand in der Kirche zu löschen bevor das Dach und die Decke in sich zusammenfielen.

Schlimmer noch war, dass mehrere Scheunen und Stallungen in der Nachbarschaft bis auf die Grundmauern niederbrannten. Ein Großteil der Vorräte und viele Schafe des Hospitals fielen dem Feuer zum Opfer.

Wieder einmal hatte es die Ärmsten und die Kranken der Stadt getroffen.

Besonders der Umsicht des Oberrichters Georg Wilhelm von Keget war es zu verdanken, dass viele mithalfen, die beschädigten Gebäude des Hospitals so schnell wie möglich wieder instand zu setzen. Gerade die Armen und Kranken brauchen unsere Hilfe, meinte er immer wieder.

Mithilfe vieler Spenden aus der Bevölkerung konnte der Schaden bis zum kommenden Wintereinbruch wieder behoben werden. Lediglich für eine neue Uhr und für die Glocken reichte es noch nicht.

Dank weiterer Stiftungen wurde dann im Laufe des Jahres 1729 eine neue Uhr eingebaut. Sogar für eine Orgel reichte das Geld noch. Der Orgelbauer Johann Christoph Wiegleb aus Wilhermsdorf baute eine kleine, aber sehr schöne Orgel ein. Auch die Decke wurde neu gestaltet. Johann Friedrich Maucher fertigte und vergoldete dann die herrliche neue Stuckdecke.

Am 4. und 5. Juli 1729 verwüstete ein fürchterliches Hagelwetter fast die gesamte Ernte. Nun hatten weite Kreise der Bevölkerung Hunger zu leiden. Wer keine Vorräte aus dem letzten Jahr hatte, und das waren Viele, für den wurde es bereits ein harter Sommer. Der Rat der Stadt beschloss, für die am stärksten Betroffenen die Zehntabgaben zu erlassen und verteilte sogar Mehl und Getreide aus den städtischen Vorräten. Ab und zu konnten dann die armen Handlanger und Tagelöhner auch noch ein Stück Fleisch in der Freibank ergattern.

Langsam war es Winter geworden, ein milder Winter, Gott sei Dank. Zu Weihnachten fiel etwas Schnee, das neue Jahr kam ohne großes Spektakel daher und es ging mit Riesenschritten bereits auf den Sommer 1730 zu.

In diesem Juli stand ein großes Fest an. Vor 200 Jahren hatte die Stadt die Augsburger Konfession, das Bekenntnis zum evangelischen Glauben, öffentlich angenommen und trat damit offiziell an die Seite der evangelischen Reichsstädte und Landesfürsten.

Fast wären ja die Reichsstädte Nürnberg und Windsheim nicht mit dabei gewesen. Die Abgesandten Heppstein für Nürnberg und Hagelstein für Windsheim trafen sich in Roth, um gemeinsam zum Reichstag nach Augsburg zu reisen. Aber irgendwie kamen sie nicht so recht voran und verfuhren sich auch einige Male. Dem Nürnberger brach kurz vor der Stadt Abenberg mitten auf weiter Flur eine Wagenachse. Leider hatten es die Wagenlenker versäumt, Ersatzteile mitzunehmen. So musste erst ein Wagnermeister mit einer neuen Achse aus Schwabach geholt werden.

In Abenberg, einer befestigten Stadt südlich von Nürnberg, hatten sie sich mit dem Vertreter der Reichsstadt Weißenburg verabredet, um dann gemeinsam weiter zu reisen. Dies war in solch unruhigen Zeiten bestimmt ein großer Vorteil. Über Eichstätt und Neuburg nach Augsburg ins Schwäbische sollte es dann weitergehen.

Als sie nach einer regnerischen Nacht aufbrechen wollten, gab es ein neues Problem. Der Burgvogt von Abenberg, ein Lehnsmann des Markgrafen von Ansbach, verlangte einen hohen Wegezoll für die Überquerung eines kleinen Flusses, der nur an der südlichen Brücke passierbar war. Man wurde sich nicht einig. Endlich konnte der Ritter den Vertretern von Reichsstädten eins auswischen. So lange schon hatte er auf so eine Gelegenheit gewartet.

Die Freie Reichsstadt Nürnberg hatte vor einigen Jahren seinem Vater einige Besitzungen entrissen und ihn nur geringfügig dafür entschädigt. Meinte er zumindest, die Nürnberger waren da ganz anderer Ansicht. Sein Vater soll einer der gefürchtetsten Raubritter gewesen sein der die Handelszüge der Nürnberger Patrizier immer wieder überfiel, und so hatten sie sich doch nur das geholt, was ihnen als Entschädigung zustand.

Aber das half den Bürgermeistern nur wenig. Der Weg nach Süden war versperrt, und so mussten sie einen Umweg von fast einem Tag über Windsbach und Spalt in Kauf nehmen. Von den Schergen des Bischofs, nahe der Stadt Eichstätt, wurde dann der Tross an der Weiterfahrt gehindert. Der katholische Bischof wollte die evangelischen Vertreter von, in seinen Augen, abtrünnigen Städten daran hindern, rechtzeitig auf dem Reichstag zu erscheinen. Nur mit List und unter Zahlung von einigen Gulden setzte sie ein Flößer bei Nacht über die Altmühl.

Nach diesen vielen Hindernissen kamen dann die Vertreter der drei Städte erst zehn Tage nach der Übergabe der Confession in Augsburg an. Allerdings waren auch die Abgeordneten der Städte Heilbronn und Kempten zu spät gekommen. Der kaiserliche Minister ließ sie alle ermahnen, sich auf keinen Fall mit den anderen protestierenden Ständen zu vereinigen. Die Gesandten der fünf Städte ließen sich aber nicht abbringen und unterzeichneten nachträglich die Erklärung im Beisein des Kaisers und der übrigen Stände.

Der Windsheimer Rat gab nun heute aus diesem Anlass zur Erinnerung drei verschiedene Medaillen heraus, eine große für die Honoratioren, eine mittlere für die Gymnasiasten und eine kleine für die Schüler der deutschen Schule. Die Große zeigte auf der Vorderseite eine Stadtansicht und die Umschrift in Lateinisch: Herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt Gottes (Psalm 87, Vers 3) und das Datum 15. Juli 1730. Auf der Rückseite reichten sich zwei Frauen die Hände, die Eine stellte die Wahrheit und die Andere die Stadt Windsheim, mit Bürgerkrone und Reichsadler auf dem Schild, dar. Die anderen Medaillen waren nicht ganz so aufwendig gearbeitet.

Albrecht und sein einige Jahre älterer Freund Michael waren ganz stolz auf ihre Medaillen, die sie vom Schulmeister überreicht bekamen. Natürlich hatten sie nur die Kleine erhalten. Vorne mit dem Windsheimer Adler und die Zahl 1730, hinten mit soviel lateinischen Abkürzungen, die sie nicht lesen konnten. Der Herr Lehrer hatte es ihnen zwar erklärt, aber bereits zu Hause hatten sie es schon wieder vergessen.

Auf alle Fälle ging es um die Confessio Augustana.

Am Morgen des 24. Juni, das war ein Samstag, der Rat hatte für alle arbeitsfrei und Kirchgang angeordnet, begann das Fest mit vielem Glockengeläute. Der Hospitalpfarrer Georg Seyboth hielt die Predigt in der Stadtkirche St. Kilian. Er sprach über Matthäus 10, die Verse 26 und 27,

»Darum fürchtet euch nicht vor ihnen. Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern.«

Ein Thema über Menschenfurcht und Gottesfurcht, über das sich recht gut predigen ließ, noch dazu an so einem Tag. Nach einigen Luther-Liedern setzte der Dekan Johann Georg Neubauer noch einmal eine Predigt aus Römer 1, 16 und 17 drauf:

»Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.« Das Evangelium als Kraft Gottes.«

Die Gemeinde sang daraufhin einige Lieder begleitet von Pauken und Trompeten und anschließend wurde das heilige Abendmahl gefeiert.

Es dauerte wieder einmal viel zu lang. Nach drei Stunden wurden fast alle etwas unruhig. Von sieben Uhr bis acht Uhr läuteten dann alle Glocken der Stadt.

Albrecht beschwerte sich bei seiner Mutter, dass das Geläute viel zu laut sei, ihm tue schon sein Kopf weh. Zugegeben, es war schon ein gewaltiges Gwerch, aber schön war´s doch.

Zu Mittag fand ein großes Festgelage auf dem Markt statt. Die Ratsherren hatten für alle Bratwürste und Bier gestiftet. Der Brauer hatte dafür ein besonderes Festbier gebraut, etwas billiger. Wahrscheinlich leichter als sonst, heller.

Auch der pompöse Ratssaal, sonst für das einfache Volk geschlossen, konnte heute besichtigt werden. Der Stadtschreiber und die Wache achteten sorgsam darauf, dass niemand etwas anfasste.

An der Stirnwand hing auch das ungefähr zweieinhalb mal viereinhalb Nürnberger Ellen große Bild von Andreas Herneisen, dem bekannten Nürnberger Maler, dass die Stadtväter sich 1601 für acht Gulden gekauft hatten. Der Hilfspfarrer Engelein erklärte jedem der es sehen wollte anhand der Bilder den evangelischen Glauben. Hier war auch darauf zu sehen, dass sich der Windsheimer Vertreter in Augsburg ganz hinten eingereiht hatte.

Das Bild war der ganze Stolz der Windsheimer Bürgerschaft. Zeigte es doch, dass auch die kleine Reichsstadt am großen Weltgeschehen teilgenommen hatte.

Christoph schüttelte den Kopf, was für ein Aufwand. Viele der ehrbaren Meister und Gesellen hatten bis zum Abend ein bisschen zu tief in den Becher geschaut. Christoph, der sich zu den befreundeten Meistern gesellt hatte, musste sich erzählen lassen, was die Windsheimer in den letzten 200 Jahren alles durchgemacht hatten.

Man hatte sich damals auf die Seite der anderen Reichsstädte geschlagen und war auch sehr schnell evangelisch geworden. Die kleine Stadt trat an der Seite der großen und mächtigen Stadt Nürnberg dann auch dem Schmalkaldischem Bund bei. Damit waren sie im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen, besonders auch in dem großen 30 Jahre währenden Krieg immer wieder von kaiserlichen katholischen Truppen oder evangelischen Bündnistruppen bedroht. Die meisten Soldaten machten keinen Unterschied, ob man Feind oder Freund war. Hauptsache sie wurden ausreichend versorgt.

Gott sei Dank war die Stadt nie richtig geplündert worden. Meist konnte der Rat die Windsheimer Bürger durch Zahlung einer etwas größeren Summe an Silber davon verschonen. Daher sagt man heute noch, dass viele der Generäle und Offiziere von der Silbernen Kugel getroffen wurden.

Auch Gustav Adolf, der schwedische König, welcher für die Evangelischen kämpfte, zog mehrmals mit seinen Truppen vorbei und verlangte Unterstützung für die gerechte evangelische Sache. Dies bedeutete, die Stadt musste sich immer wieder freikaufen und Einquartierungen hinnehmen, was sie nur durch die Hilfe der reichen Stadt Nürnberg schaffte.

In den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts wütete dann auch noch der Schwarze Tod in der Stadt und im Umland. Teilweise starben täglich zwischen 60 und 70 Personen. Wegen der durchziehenden Truppen fielen einige Ernten aus. Es gab fast nichts mehr zu essen. Und das Wenige, was es noch gab, fraßen die Soldaten.

Die Menschen waren schwach und sehr anfällig für Krankheiten. Nur so lässt es sich erklären, dass so viele der Pest zum Opfer fielen.

Auch der Amtmann auf Hoheneck, einer Burg, die damals dem Nürnberger Burggrafen gehörte, starb in dieser schlimmen Zeit mit seiner ganzen Familie an den Folgen der Pest, und wurde in der Spitalkirche begraben. Viele Namenlose und die einfachen Bürger wurden vor der Stadt auf dem neuen Friedhof in Massengräbern bestattet. Die Einwohnerschaft der Stadt war auf ein Drittel geschrumpft. Aber dann ab den achtziger Jahren ging es, Gott sei Dank, wieder bergauf.

Endlich wieder einmal ein großes Fest. Grund zum Feiern hatten sie alle.

»Prost!« »Prost!«, schallte es von überall her. Es wurde viel getrunken, gelacht und gesungen.

Die Frauen und die Stadtwachen hatten zu tun die angetrunkenen Männer bis zum Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu bringen.

Auch Christoph und sein Stiefsohn Albrecht stützten sich gegenseitig auf dem Nachhauseweg.

Die Nachtwache wurde sogar angewiesen den Zechern noch eine Frist, bis zu zwei Stunden nach Sonnenuntergang, zu gewähren.

Die Saat auf den Feldern stand gut. Die Ernte würde dieses Jahr besonders reich ausfallen. Der Bürger- und Zunftmeister Franz Jakobus Merklein war letzte Woche verstorben, und die Stadträte und Bürgermeister sollten einen Vorschlag für einen neuen Bürgermeister beim Inneren Rat einreichen. Die Wahl fiel auf Georg Strampfer, dem Wagnermeister in der Stadt, mit dem Meister Bartel sich inzwischen angefreundet hatte.

In seiner Werkstatt stand es sehr gut. Christoph konnte die restlichen Arbeiten vom Meister Bäumer fertigstellen und viele neue Aufträge waren dazu gekommen.

Besonders aber in seiner neuen Familie hatte er sich gut eingelebt. Lena vergötterte ihn, mit dem Knaben kam er leidlich aus. Dieser trauerte besonders seinem Vater nach, aber den wollte er ihm auch nicht ersetzten. Gut Freund wollte er ihm sein.

Albrecht hatte, wie auch seine Schwester die deutsche Schule, gleich hinter St. Kilian, nicht weit von zu Hause, besucht. Hier wurden die Kinder der Meister und Bürger unterrichtet, welche sich nicht die teuere Lateinschule leisten konnten. Die Mädchen durften nur bis zur vierten Klasse zur Schule gehen, die Buben allerdings hatten sechs Jahre Unterricht.

Der Rat der Stadt ordnete für alle Bürgerkinder bereits vor einigen Jahren die Schulpflicht an.

Besonders gute Schüler der Lateinschule bekamen manchmal sogar ein Stipendium, so wie der Sohn vom Kantor und Organisten, Georg Wilhelm Steller, der in Wittenberg Theologie studierte.

Nachdem Albrecht nun schon einige Jahre in der Werkstatt von Christoph mitgeholfen hatte, wurde es Zeit sich um eine Lehrstelle für den Jungen bei einem der Meister zu bemühen. Der Umgang mit Steinen schien das richtige zu sein für Johann Albrecht Bartel, wie der Sohn des Bäumer nun hieß, oder sollte er ihn doch selbst als Lehrling nehmen? Ich muss mich einmal mit dem Stadtmaurermeister Krauß unterhalten, überlegte sich Christoph. Der wohnte gleich hier am Kornmarkt und sie unterhielten sich öfters über ihre Kinder. Die Buben vom Krauß waren mit Albrecht zusammen zur deutschen Schule gegangen.

Seine Angetraute bereitete ihm viel Freude. Sie kamen sehr gut miteinander aus. Anna Maria verstand es Haus, Hof und Garten in Ordnung zu halten. Oft äußerte sie eigene Gedanken und gab manchmal sogar in Anwesenheit von Gästen politische Meinungen von sich. Sogenannte »gute Freunde« meinten ja, er solle seine Frau besser in Zaum halten. Es schickte sich nicht. Eine Frau hatte öffentlich keine Meinung und schon gleich gar nicht einen politischen Standpunkt zu vertreten. Aber Christoph hatte damit keine Probleme. Er war ein freiheitlich denkender Mensch und dazugehörte auch, dass jeder Mensch seine Ansicht sagen durfte, auch die Frauen. Außerdem war sie guter Hoffnung. Nun endlich. Er freute sich sehr und erhoffte sich einen Stammhalter. Anfang Dezember sollte es so weit sein, hatte sie ihm neulich abends mitgeteilt. Alles in allem, er konnte mit sich und der Welt zufrieden sein.

Des Meisters Bartel verlorener Ring

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