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Der Angeltörn auf der Nordsee oder: Manche Fehler macht man eben doch zweimal

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„Immer bin ich derjenige, der die dicken Plünnen schleppen muss.“ In meinen gerade reifenden Vollbart grummelnd hievte ich die beiden schweren Koffer aus dem Gepäckabteil unseres Golfs und setzte mich Richtung Eingangstür in Bewegung. Der Floh war zwischenzeitlich zusammen mit der kleinen Reisetasche bereits im Haus verschwunden.

Da waren wir also wieder einmal. An der Nordsee. In Onkels Haus in Harlesiel. Der Floh und ich. Der Onkel war verreist. Es war spätes Frühjahr oder früher Sommer. Je nach Standpunkt. Das Wetter überzeugte mit kühlen Schauern, Wind bis Stärke 5, ab und an mal Sonne und abends mit Nebel in schöner Regelmäßigkeit.

Vor uns lag für zwei Wochen ein Haus für uns alleine (wir waren zwischenzeitlich verlobt, weswegen unseren Eltern bei der Sache zwar nicht ganz wohl war, sie aber sämtliche Augen zudrückten), lag viel Faulenzen, lagen ausgedehnte Entdeckungstouren, die wir entlang der Störtebeker-Straße unternehmen wollten und abends vielleicht einmal ein Gang auf einen ‘Lütten’ in unsere Stammkneipe ‘Fischer’s Kroog’, direkt auf dem Harlesieler Abschlussdeich gelegen.

„Spitzenprogramm“, konstatierte der Floh.

„Bestimmt noch ausbaufähig“, beurteilte ich die Aussichten etwas skeptischer.

Während wir dann in den darauffolgenden Tagen mit dem Auto die Störtebeker-Straße von Greetsiel bis Wilhelmshafen erkundeten, bekannte und unbekannte Häfen besuchten, die riesige Langwellen-Sendeanlage von Norddeichradio bestaunten und in so mancher verträumten Fischer-Kneipe einkehrten und die lokalen Spezialitäten verkosteten, bahnte sich draußen auf See eine Entwicklung an, die unserem Urlaub eine ganz besondere Würze hinzufügen sollte : die Makrelen standen gut !

Waren Sie, liebe Leser, schon einmal abends bei Nebel zu Fuß in einem Hafen unterwegs? Im Yacht- und im Fischereihafen von Harlesiel werfen Straßenlaternen ihr diffuses Licht auf nasses Kopfsteinpflaster, der Leuchtturm von Wangerooge winkt matt im roten Gleichtakt über das Watt, Yachtcrews sitzen unter Deck im Schein von Petroleum-Laternen und trinken auf die christliche Seefahrt; auf dem Krabbenkutter, der vorhin mit der letzten nautischen Dämmerung eingelaufen ist, wird nun das Deck aufgeklart, ..... ich sage Ihnen, das ist Romantik pur, zumindest für zwei, die mit dem Wasserbazillus... na, Sie wissen schon.

Voll dieser Eindrücke betraten wir also an solch einem Abend ‘Fischer’s Kroog’ und setzten uns an die Theke. Nicht dass die Kneipe gerammelt voll gewesen wäre, ganz im Gegenteil. Aber hinter der Theke stand ‘Käpt’n’ Lüders, bekannt für seine spannenden Stories aus seinem äußerst wechselvollen Leben und, nicht zuletzt, für seine Angelfahrten mit der Seenixe. Zugleich war er der Wirt und allgegenwärtige ‘Master next God’ dieses Etablissements. Wie immer bestellte ich „ein großes und ein kleines ‘Jever’ und zweimal ‘n`Sööten’ Der ‘Sööte’ war ein spezielles Kräutergebräu, dem man nachsagte, dass es nach Genuss auch gröberer Dosen am nächsten Morgen ohne Nachwirkungen bliebe. Als sich dann zwei Rettungsmänner von der Max Carstensen, dem damaligen DGzRS-Rettungsboot auf Wangerooge, zu uns setzten, kam ein Gefühl von Ernst, Erhabenheit und Respekt vor der See in uns auf.

Doch langsam füllte sich das Lokal. Unser Wirt war mit einem Gast am anderen Ende der Theke ins Gespräch vertieft. Ich weiß, der Lauscher an der Tür...

Trotzdem kam ich nicht umhin, ein paar Fetzen mitzubekommen. „..... du machst dein Angelzeug klar. Makrelen stehen gut. Wir treffen uns dann Punkt acht am Steg. Dann haben wir ablaufend Wasser. Weißt du, wo die Seenixe liegt?“ Ich schaute den Floh an. Der hatte auch lange Ohren.

Flüsternd „Sollen wir...?“

„Klar, frag doch ‘mal.“

„Warum denn immer ich ? Du kannst genauso gut fragen.“

„Red’ nicht lange, mach’ schon!“

„Sagen Sie mal, Käpt’n, haben Sie noch Platz für zwei Bordgäste?“

„Klar, morgen früh um acht, drüben im Yachthafen, am Steg, Spitzgatter, grüner Rumpf, weiße Aufbauten. Aber warten tu’ ich nicht!“

Na Klasse, da hatten wir es!

Die Seenixe war nicht schwer zu finden gewesen. Ein schwimmendes Etwas. Dort, wo der Name stand, musste der Bug sein. Ansonsten war der Kahn vorne wie hinten, eben ein klassischer Spitzgatter. Nichts ungewöhnliches, denn Rettungsboote baute man früher immer so. Und nichts anderes war die Seenixe: ein umgebautes, siebeneinhalb Meter langes, ausgedientes Rettungsboot! Halbdeck eingezogen, Kajüte daraufgesetzt und Mast aufgestellt. Die Segel müssen ja schließlich irgendwo festgemacht werden. Und falls der Wind einmal nicht so wollte wie der Skipper, hatte man auch einen Motor vorgesehen. Mercedes 190 D, Baujahr irgendwann-vor-langer Zeit.

Andi und ich schauten uns an. Ein Seelenverkäufer ! Wir hatten auf einem Seelenverkäufer angeheuert!

Den Käpt’n indes schienen Bedenken solcherart nicht anzufechten. Wir hörten ihn munter unter Deck herummurksen.

Flüsternd: „Was meinst du, wenn d e r Vertrauen zu dem Kahn hat, dann können wir doch auch, oder?“

„Und wenn wir jetzt noch einen Rückzieher machen, was denkt der denn dann von uns?“

Laut : „Moin, Moin, Käpt’n!“

„Moin, na, geht’s gut? Los, an Bord. Die Segel hab’ ich schon angeschlagen. Und da kommt ja auch endlich unser Angler. Vorwärts, mach ‘mal hin. Wir haben Tidegleichstand, die Schleuse ist offen, da müssen wir schnell noch durch. Leinen los und ab dafür !“

Während seines Monologs hatte unser Skipper den Diesel zum Leben erweckt, was dieser auch ohne Murren über sich ergehen ließ, sodass wir nun auf die zur Durchfahrt freien Schleuse zunagelten.

„Käpt’n, kriegen wir bei dem ablaufenden Wasser nicht Probleme mit den Sanden zwischen Wangerooge und Spiekeroog?“

„Bei ablaufend Wasser sparen wir Zeit und Diesel, weil uns der Ebbstrom mitzieht und mit den Sänden, na, keine Sorge, da kenn ich mich aus.“

Gut, dass ich damals noch nicht wusste, dass mir dieser letzte Nebensatz, ausgesprochen von unserem Skipper mit voller Überzeugungskraft, noch einmal lautstark in den Ohren klingen sollte.

Wir motorten also durch den Fischereihafen und orientierten uns dann an der Prickenreihe, die das Harle-Fahrwasser einlaufend an Steuerbord begrenzt. See ruhig, Wind zwar gegen die Tide, aber höchstens mit Stärke zwei, registrierte ich im Stillen. Uns schien ein gemütlicher Törn bevorzustehen. Nur kalt war es an diesem Morgen. Ich beglückwünschte uns zu unserer Entscheidung, uns mit dicken Jeans, Troyern und Öljacken auszustatten.

So saßen der Floh und ich also, warm verpackt, auf der Backbord-Bank, der Angler an Steuerbord und Käpt’n Hauk lehnte sich gemütlich über die Ruderpinne.

Eben griff er in ein Schapp zu seinen Füßen und brachte einige Flaschen Bier zum Vorschein. „Will einer ‘n guten Schluck?“

Andi verzog die Nase. „Nee - so früh am Morgen kann ich das noch nicht haben. Außerdem muss ich dann gleich wieder auf Toilette - gibt’s hier überhaupt ein Klo an Bord?“

„Aber klar!“ lachte der Käpt’n. „Bei uns Männern geht das immer nach Lee, und weit über die Reling. Und für die Damens an Bord steht da hinten in der Kajüte so’n blauer Eimer.“

Na Mahlzeit. Hätte ich mir damals doch bloß an dem Floh ein Beispiel genommen. Aber mich ritt natürlich mal wieder der Teufel. „Geben Sie mir ruhig ‘mal so eine Buddel ‘rüber“, hörte ich mich sagen.

Das Bier war kalt, frisch und beflügelte sozusagen die Lebensgeister. Schwupp, und leer war’s. Hmmmm....

Der Angler war zwischenzeitlich bei seiner dritten Flasche angekommen. „Na Käpt’n, ich nehme auch noch eins.“ Der Teufel hat den Schnaps gemacht....

Unterdessen waren die beiden Inseln nähergekommen und mit ihnen auch das vergleichsweise schmale Fahrwasser dazwischen. Die Dünung wurde merklich rauer, kurze steile Seen bauten sich um uns herum auf. Unser schwerfälliger Spitzgatter begann zu stampfen. Und jetzt meldete sich auch noch das Bier. Was man oben hineinschüttet, muss unten bekanntlicher Weise wieder hinaus. Aber sich bei dem Gedümpel an die Reling stellen, das wollte ich nicht.

„Skipper, ich geh’ mal kurz in die Kajüte.“

„Wenn’s sein muss! Aber nimm den blauen Eimer, bloß nicht einen von den weißen, die sind für die Fische. Aber ich tät da jetzt nicht reingehen.“

Seine Antwort bekam ich nur noch mit halbem Ohr mit, darum machte sie mich auch nicht weiter nachdenklich. Was der Käpt’n gemeint hatte, wurde mir erst klar, als ich aus der Kajüte wieder heraus kam.

Das Stampfen hatte noch zugenommen und rollen tat der Kahn jetzt auch noch, ‘Schlingern’ nennt man wohl diese Bewegungskombination und, oooh, war mir schlecht. Vom Bröckchenhusten war ich zwar noch ein Stück entfernt, aber scheinbar war es meine Gesichtsfarbe, die den Floh mir raten ließ, erst mal ganz ruhig durchzuatmen.

„Das hätte ich dir sagen können, dass man bei Seegang besser nicht unter Deck geht.“ Meine ehemalige Freundin sparte nicht mit guten Ratschlägen.

„Das hilft mir jetzt auch nicht mehr“ kam meine gepresste Antwort. Zu großen Diskussionen war ich in diesem Moment nicht aufgelegt. Ich hatte das Gefühl, besser den Mund zu halten.

„Komm, mein Jung’, lös’ mich mal am Ruder ab.“ Der Skipper schubste mich auf den Platz an der Pinne. „Ich muss dem Angler mal bei seinem Gerät helfen. Kannst du die Tonne da drüben erkennen? Das ist die Buhne H, auf die hältst du zu.“

Oh ja, der Käpt’n Lüders, wenn der wollte, dann konnte er das Gras wachsen hören. „Wenn einer seekrank ist, dann gib ihm an Deck ‘was zu tun. Und am besten etwas, bei dem er auf den Horizont schauen kann.“ Alter Grundsatz alter Seebären.

Bei mir jedenfalls half es. Ich fühlte mich fast sofort besser und traute mich bald auch wieder, die eine oder andere Bemerkung fallenzulassen.

Der Angler hatte inzwischen seine Ruten klar bekommen. Ich bin nun kein Angelspezialist, konnte aber erkennen, dass an seiner langen Schnur mindestens acht bis zehn Blinker im Abstand von jeweils ca. einem Meter eingeschäkelt waren. Die Makrele ist bekanntlicherweise ein Schwarmfisch. Zehn mit einem Streich, lautete hier also das Motto.

Unser Skipper machte uns dann auf einen Möwenschwarm aufmerksam, aus dem einzelne Vögel immer wieder auf die Wasseroberfläche herabstießen.

„Wo die oben sind, sind unten die Makrelen. Kurs auf den Möwenschwarm !“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich Angeln immer als ein ruhiges Hobby gemütlicher Zeitgenossen angesehen, bei dem sich Angel und Angler längere Zeit nicht zu bewegen brauchen, bei dem nur hin und wieder etwas passiert und vielleicht sogar einmal ein Fisch an der Leine zappelt.

Was hingegen an diesem Vormittag da draußen auf der Nordsee vor Wangerooge geschah, damit hatte ich nicht gerechnet, das war ein regelrechter Fischzug! Angel ausgeworfen, nach wenigen Augenblicken eingeholt, und an jedem Blinker hing eine Makrele. Angel wieder ausgeworfen, wieder eingeholt, wieder alles voller Makrelen.

Nach ungefähr zwanzig Minuten sahen Andi und ich uns von etwa vierzig Makrelen umgeben, die sich zappelnd um unsere Füße herum wanden. Als ausgesprochener Tierfreund fand ich diesen Anblick wenig erbaulich. Und als ich den Floh ansah, sprach dessen Gesichtsfarbe Bände. Was der schlingernde Spitzgatter nicht geschafft hatte, erreichten vierzig Makrelen spielend. Dem Floh wurde übel!

„Willst du mal an’s Ruder?“

„Nee, geht schon...“ Jetzt wusste ich auch, wie meine Stimme vorhin geklungen haben musste. Immer nach dem Motto: Bloß den Mund halten!

Einige Zeit später war der Fang um die Ecke gebracht worden und das Cockpit wieder einigermaßen aufgeklart. Erst jetzt schaute Andi mich wieder an. Sie hatte die ganze Zeit gebannt aufs Meer hinaus gestarrt und sich so wieder hingekriegt.

Gesegelt sind wir übrigens den ganzen Törn über nicht. Die Rückfahrt verlief ruhig. Erst in Höhe der Hafeneinfahrt löste mich der Skipper an der Ruderpinne wieder ab. Das Klarschiff-Manöver am Steg mit Wasserschlauch und Schrubber hat er uns dann auch erspart. Er wusste schon warum....

Als wir an diesem kühlen, aber trockenen, dabei überwiegend schwachwindigen Tag in der Mittagszeit von Bord der Seenixe gingen, ahnten wir noch nicht, dass selten etwas nur einmal geschieht, dass die Duplizität der Fälle die Regel ist, kurz : dass sich zur selben Jahreszeit am selben Ort unter den selben Umständen alles wiederholen sollte.

Ein Jahr später, spätes Frühjahr oder früher Sommer, je nach Standpunkt. Wetter kühl, windig, Sonne und Wolken wechselten sich ab, abends oft Nebel. Harlesiel, Stammlokal Fischer’s Kroog, der Floh und ich an der Theke. Und wieder standen vor Wangerooge die Makrelen gut.

Wir saßen vor unseren Schoppen und kauten mit Käpt’n Lüders den letztjährigen Angeltörn durch.

„Du warst zwischendurch ganz schön grün im Gesicht. Aber lass mal, das passiert den meisten Anfängern.“ Der Skipper grinste mich an. Ich suchte in seinem Blick die von mir vermutete Schadenfreude, fand aber keine.

„Oh Mann, Skipper, ich glaube, das mache ich nie wieder. Erst Bier und dann auch noch in die Kajüte. Ich hätte nie gedacht, dass einem davon so schlecht werden kann.“

Ich hatte beschlossen, dass Einsichtigkeit der beste Weg sein würde, die Situation für mich zu retten. Denn einen kleinen Knacks hatte mein maritimes Selbstbewusstsein schon bekommen.

Es ist ein seltsam‘ Ding mit der menschlichen Natur. Man neigt oft dazu, eigene Fehler mit betonter Überlegenheit zu überspielen. Damit erntet man jedoch bei den Fachleuten, den Vielerfahrenen und Könnern nur ein mitleidiges Lächeln. Einsichtigkeit und das „Einen-guten-Rat-annehmen“ erzeugt hingegen Respekt. Ich jedenfalls bin mit dieser Methode beim ‘Erlernen’ des Wassersports und auch sonst gut gefahren.

„Der Gleichgewichtssinn“, erklärte uns Käpt’n Lüders, „liegt im Mittelohr. Man muss sich das wie ein kleines Pendel vorstellen, das durch die Schaukelei an Bord aus dem Takt gerät. Dadurch werden falsche Signale ans Gehirn gesendet. Folge: dir wird schlecht! Du versuchst, die Übelkeit zu bekämpfen, konzentrierst dich automatisch darauf und erreichst das glatte Gegenteil: dir wird noch viel übler.

Als ich dich damals ans Ruder setzte, ging es nur darum, dich erstens mit einer Aufgabe abzulenken, bei der du zweitens deine Konzentration auf einen fixen, nicht rollenden Punkt lenken musstest. Das kann auf See der Horizont, eine Tonne oder auch Landmarke sein. Manche Seekranke brauchen einfach nur eine Aufgabe, bei anderen reicht die Konzentration auf einen Fixpunkt aus, viele aber brauchen beides.“

Das hatte mich nun neugierig gemacht.

„Und woran liegt es, dass manche Menschen, obwohl sie noch nie auf einem Schiff waren, auch bei gröbster See nicht seekrank werden?“

„Das hängt sozusagen mit der „Empfindlichkeit“ des kleinen Pendels im Mittelohr zusammen. Bei manchen Leuten ist es eben sehr unempfindlich, die brauchen sich auf See kaum Sorgen zu machen. Bei manch anderen reicht schon der Gang über einen schwankenden Anleger für ein grünes Gesicht.“

„Übrigens“, der Skipper schmunzelte nun, „habt ihr nochmal Lust auf ‘nen kleinen Makrelentörn? Makrelen stehen gut im Moment.“

Ja, ja. Wie heißt es so schön? Die Zeit verklärt die Erinnerung. Ich dachte in dem Moment an das Gefühl, auch an das Quäntchen Stolz, das ich damals empfunden hatte, zum ersten Mal ein Schiff, und wenn es auch nur ein altes, aufgetakeltes Rettungsboot war, auf See zu steuern.

Andi dachte an die vierzig Makrelen. Ich sagte „Ja“. Der Floh sagte „Nein“.

Am nächsten Morgen um acht Uhr stand ich, seemäßig klariert, an Deck der Seenixe. Auch der Angler war pünktlich. Diesmal musste ich mit ‘ran. Segel anschlagen, Cockpit aufklaren, Leinen aufschießen, so gut ich eben konnte. „Klar vorn und achtern.“ Diesel aufwecken, Leinen los, Gang ‘rein und ab ging’s. Durch Schleuse und Kutterhafen und hinaus ins Fahrwasser, an dessen Begrenzungen aufgrund der zunehmenden Ebbe schon die ersten Sande und Untiefen sichtbar wurden.

Diesmal kam der Wind mit Stärke 3 quer ein zur Tide, weswegen unser Skipper auch die Hoffnung äußerte, heute „endlich mal wieder segeln“ zu können. Das erweckte auch in mir einige Erwartungen, denn, ich musste es mir ehrlich eingestehen, ich war noch nie auf einem Schiff unter Segeln unterwegs gewesen.

„Ein Bier gefällig ?“ Der Skipper hatte natürlich wieder vorgesorgt.

„Danke, ja“ Die Augen des Anglers leuchteten auf.

„Danke, nein“, blieb ich bei meinen guten Vorsätzen.

Unser Käpt’n grinste wissend.

„Frühestens, wenn wir wieder im Hafen liegen,“ räumte ich ein, „so eine Art..., eine Art ...“

„Ah, du meinst so eine Art ‘Manöverschluck’“.

„Genau, das Wort hab’ ich gesucht. Aber früher auf keinen Fall.“

In der Zwischenzeit lagen Spiekeroog und Wangerooge an Backbord und Steuerbord querab, unrühmlicher Ort meiner ersten negativen See-Erfahrung. Erwartungsgemäß hatte unser alter Dampfer wieder begonnen, sich leicht um seine Querachse zu bewegen. Bei mir allerdings keinerlei Anzeichen von Übelkeit, ich fühlte mich wohl. Insgeheim beglückwünschte ich mich zu meiner Entscheidung gegen den Genuss geistiger Getränke. Na siehst du, es geht doch, dachte ich mir im Stillen.

Wir hatten nun die Inseln knapp achteraus gelassen. Aus dem leichten Auf und Ab in der Bewegung der Seenixe war ein ausgewachsenes Stampfen geworden. Der Skipper machte ein besorgtes Gesicht und begann mit seinen Vorbereitungen zum Segelsetzen.

„Bei diesem Gedümpel können wir nicht angeln. Unter Segeln läuft das Schiff ruhiger ab als unter Motor. Wir setzen Fock und Groß und laufen dann noch ein Stück weiter raus. Hier kriegen wir noch die Kreuzseen von den Inseln ab. Draußen ist es ruhiger.“

Der Skipper nahm den Diesel bis kurz vor Leerlaufdrehzahl zurück, damit er gerade noch Ruder im Schiff behielt und beorderte mich an die Pinne.

„Den Kurs so halten.“ Gerne, wenn’s geht, dachte ich mir. Hat mir der Käpt’n damals einen Kompasskurs genannt? Hatten wir überhaupt einen Kompass an Bord ? Ich glaube nicht, denn unser Skipper verzichtete aus Prinzip auf alles seiner Meinung nach an Bord Überflüssige. So hatte er auch meine Frage nach Rettungsmitteln mit einer wegwerfenden Handbewegung abgetan.

Der Käpt’n turnte also aufs Vordeck, um zusammen mit dem Angler die Fock zu setzen. Ich hielt Kurs oder versuchte es zumindest. Weswegen die ganze Sache dann schiefging, weiß ich bis heute nicht. Dafür fehlen mir auch heute noch die seglerischen Fachkenntnisse. Ich gehöre eben zur motorenden Fraktion. Jedenfalls bekamen Skipper und Angler da vorn die Fock nicht klar. Lag es am Wind? Oder hatten sich irgendwelche Schoten oder Fallen vertörnt? Keine Ahnung. Die Fock kam nicht hoch und die niedrige Drehzahl des Diesels reichte nicht aus, unseren Dampfer auf Kurs zu halten.

„Mehr Drehzahl!“, brüllte der Käpt’n zu mir ‘rüber. Kann er haben. Dachte ich mir. Denn als ich zum Gashebel griff und ihn ein Stück vorschob, gab der Diesel nur ein kurzes ‘Bloff’ von sich.

Aus. Der Diesel war aus! Sofort begann unser Spitzgatter damit, sich quer zur See zu legen und entsetzlich zu rollen.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich unseren Skipper immer als ruhigen, besonnen Seemann erlebt. In diesem Augenblick aber, in diesem Moment, schwang in seiner gepressten Stimme etwas anderes mit. Angst. Unterdrückte Panik. Der Versuch, sich zur Ruhe zu zwingen. Er hatte die Verantwortung für uns Törngäste. Mir wäre es nicht anders ergangen. Bis dahin war auch ich noch einigermaßen ruhig gewesen, einfach aus meiner relativen Unerfahrenheit heraus, die Gefährlichkeit der Situation richtig einzuschätzen. Als wir jetzt jedoch begannen, mit dem Cockpit-Süllrand grünes Wasser zu schöpfen, sackte auch mir das Herz in tiefere Regionen.

„Fang die Fockschot (oder was auch immer) da ein und beleg sie irgendwo.“

Das war an mich gerichtet. An Backbord flatterte eine Leine außenbords. Während ich nach dem wild schlagenden Ding angelte, war unser Käpt’n am Steuer dabei, den störrischen Diesel wieder in Gang zu bringen.

„Verdammter Mist !“

Ich kriegte diese vermaledeite Leine einfach nicht zu greifen. Der Angler stand immer noch auf dem Vordeck und hielt den Mast umklammert. In meinem Rücken ratschte der Anlasser hilflos vor sich hin.

„Ruhig, ganz ruhig, immer mit der Ruhe“, hörte ich die jetzt wieder besonnene Stimme unseres Skippers in meinem Rücken.

Hab’ ich dich, du Biest. „Käpt’n, ich hab sie!“

„Da an der Klampe belegen.“

„Okay, Käpt’n.“ Also, wickel, wickel, wickel, wickel .....

„Mann, wie oft willst du denn noch wickeln? Einmal ‘rum und dann eindrehen, reicht völlig.“

„Okay, Skipper, ist fest!“

Und erst jetzt drang ein gleichmäßiges Nageln in mein Bewusstsein. Der Diesel ! Der Diesel lief wieder!

Wir hatten sofort in die Strömung gedreht und liefen jetzt mit den Seen ab, auf Heimatkurs.

„Keine Chance heute.“

Unseren Käpt’n hatte der Vorfall scheinbar doch ganz schön beeindruckt.

„Kein neuer Anlauf. Wir laufen zurück. Allerdings haben wir jetzt eine Menge Zeit. Wir haben immer noch ablaufend Wasser. Zu wenig Wasser, um jetzt noch nach Harlesiel zurückzukommen. Die Tide kentert in einer Stunde, dann drei Stunden auflaufend Wasser und dann müsste es reichen. Fürs erste gehen wir ‘mal nach Wangerooge.“

Auf der Wattseite der Insel steuerten wir den Hafen an. Erst jetzt merkte ich, wie müde ich war. An meiner linken Hand spürte ich Feuchtigkeit. Blut. Ich hatte mir bei der Aktion vorhin den Handrücken aufgerissen. Wann ? Wo ? Keine Ahnung.

„Auf der Insel finden wir schon was, um dich zu verpflastern. Übrigens, will jetzt jemand ein Bier?“

„Klar Käpt’n, jetzt ja.“ Nach so einer Sache hat man sich ein Bier verdient, meinen Sie nicht auch, liebe Leser? Prompt breitete sich eine warme Wohligkeit in mir aus. Eine Gefahr auf See überstanden zu haben, das ist doch schon ‘was, oder?

„Käpt’n, ich nehm’ mir noch eins, okay ?“

Dann waren wir im Hafen von Wangerooge. Anlegeplätze Mangelware. Einzig eine Kaimauer, wegen des Tideniedrigwassers himmelhoch aufragend. Schild mit der Aufschrift ‘Nur für Berufsschifffahrt !’

„Hier gehen wir ‘ran“, entschied der Käpt’n.

„Geht ihr nicht!“, kam eine Stimme von oben. Der Hafenkapitän, in voller Uniform.

„Gehen wir doch! Und vor allen Dingen, stell dich nicht so an, du .....“

Aha, dachte ich mir, man kennt sich. Der Hafenkapitän entschwand.

„Und wie kommen wir an der Mauer hoch, Skipper?“

„Da vorne ist eine Leiter eingelassen, genau da machen wir fest.“

Jetzt sah ich sie auch, diese elendig schmale, schwarz gestrichene, scheinbar endlos lange Leiter. Doch kam mir in diesem Moment mein durch den Genuss der beiden Biere leicht beflügeltes Selbstvertrauen zu Hilfe. Sprosse für Sprosse, nicht nach unten sehen und - oben stand ich. Kein Problem, ging ganz leicht. Wer so eine Gefahr auf See besteht, der wird schließlich nicht vor so einer blöden Leiter kapitulieren, oder?

Merken Sie was, liebe Leser?

„Da drüben liegt das Seebäderschiff Harlesiel. Die warten auch auf auflaufend Wasser und haben bestimmt eine Notapotheke für deine Hand an Bord. Außerdem können wir bei denen auch noch ein Bier trinken.“

Nett von unserem Skipper, dass er noch an meine Verletzung dachte. Die Blutung hatte aufgehört und ich hatte die Sache schon fast vergessen. Aber gut verpflastert ist halb verheilt.

Tatsächlich war es kein Problem, auf der Harlesiel meine Hand verbunden zu bekommen. Unser Skipper gab im Bordrestaurant eine Runde aus. Auf den Schreck von vorhin. Und als er dann feststellte, dass es Zeit wurde, wieder auszulaufen, weil in der Zeit, die wir vom Inselhafen zum Harle-Fahrwasser brauchen würden, die Tide weit genug aufgelaufen wäre, da gab er noch eine Runde aus. Eine schnelle, zum Abschied.

Unser Spitzgatter da unten, längs der Kaimauer, war uns während unseres Inselaufenthaltes ein beträchtliches Stück entgegengekommen. Gleichzeitig war die verflixte Leiter um das gleiche Stück kürzer geworden. Kein Problem für einen echten Seemann, oder ?

So dieselten wir, leicht müde, ansonsten aber quietsch vergnügt an der beschaulichen Insel vorbei, zurück Richtung Fahrwasser. Auf der Hinfahrt war mir dieser Weg gar nicht so lang vorgekommen. Aber unser Käpt’n hatte die Zeit scheinbar richtig berechnet.

„Jetzt haben wir auf jeden Fall genug Wasser unterm Sporn, um gemütlich nach Hause zu kommen“ freute er sich und blinzelte in die Sonne, die zum ersten Mal auf diesem Törn durch die aufreißende Wolkendeck hindurch schien.

Zwei Minuten später sagte es „Rummms!“

Fahrt Null, der Diesel wirbelte sandiges Wasser auf. Aufgelaufen! Was hatte der Skipper damals gesagt? „Mit den Sanden, da kenn’ ich mich aus!?“ Pustekuchen.

Stille an Bord. Der Käpt’n schaltete die Zündung aus, der Diesel verblubberte.

„Tja, ..jetzt haben wir Zeit, Männer. Will einer noch‘n Bier?“

Zeittotschlagen geht mit einer Flasche Bier in der Hand am besten. Warum also nicht ?

„Ach, und da hab ich ja auch noch ‘ne Buddel ‘n’ Sööten’. Hat einer Lust?“

Zeittotschlagen geht mit einer Flasche Bier in der einen Hand und einem Glas ‘n’ Sööten’ in der anderen noch besser.

Wir mussten an diesem Nachmittag noch einiges an Zeit totschlagen, bis die Seenixe wieder aufschwamm. Mit kleiner Fahrt ging es dann zurück, durch den Kutterhafen, durch die Schleuse und hinein in den Yachthafen. Ganz mitbekommen habe ich das leider nicht mehr. Sehr nützlich wäre meine Mithilfe sicherlich auch nicht mehr gewesen. Ich hatte eben ein bisschen viel Zeit totgeschlagen....

Traumziel Kajütboot

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