Читать книгу IKEA. 100 Seiten - Thomas Steinfeld - Страница 6
ОглавлениеEin Mann hat eine Idee – wie alles begann
Neues aus Älmhult: Die Entstehung eines Versandhauses
Als Ikea im Jahr 2010 die Glühbirne durch die Energiesparlampe ersetzte, seien 626 Millionen Menschen zu Umweltschützern geworden, heißt es in einem Artikel, der im Jahr 2012 in der amerikanischen Zeitschrift The New Yorker erschien. Selbstverständlich ist der Satz eine Übertreibung, aber nicht nur die Zahl der Kunden dürfte verlässlich sein, sondern auch die darin ausgedrückte Vorstellung von Bedeutung. Ikea ist der größte Möbelhändler der Welt, und das Unternehmen ist viel mehr als das: ein Immobilienentwickler, eine Bank, ein Gastronomie-Konzern, eine Agentur der Moden und der Stile. Im Jahr 2017 erwirtschaftete Ikea in über 400 Filialen in etwa vierzig Ländern einen Umsatz von mehr als 36 Milliarden Euro, knapp 5 Milliarden davon in Deutschland. Auf dem Weg zu einem solchen Erfolg durchdrang Ikea nicht nur alle Gesellschaftsschichten, sondern etablierte sich auch in allen Generationen.
Ingvar Kamprad, gerade siebzehn Jahre alt geworden, hatte die Firma im Jahr 1943 als Haustürgeschäft gegründet: Der Name ist ein Akronym. Es steht für den Vor- und Nachnamen des Gründers sowie für den Weiler Älmtaryd, altertümlich »Elmtaryd«, und die Gemeinde Agunnaryd. Bei der Gründung ging es zunächst gar nicht um Möbel. Ingvar Kamprad verkaufte Füllfederhalter, Uhren oder Brieftaschen – lauter Waren, die sich für Haustürgeschäfte in einer bäuerlichen Umgebung anboten. Das Startkapital hatte er sich, eigenen Aussagen zufolge, schon seit Kindertagen mit einer Vielzahl kleinerer Tätigkeiten erworben und zusammengespart. Mit diesem Geld und einem Kredit in Höhe von 500 Kronen hatte er aus Paris 500 Füllfederhalter importiert. Auf die Füllfederhalter folgten Feuerzeuge aus der Schweiz, später Kugelschreiber aus Ungarn. Während Ingvar Kamprad solchen Geschäften nachging, studierte er zwischen 1943 und 1945 an der Handelshochschule in Göteborg. In den folgenden beiden Jahren absolvierte er seine Grundausbildung im schwedischen Militär. Erst als er diese im Oktober 1947 beendet hatte, widmete er sich ausschließlich seiner Händlertätigkeit.
Gegen Ende der vierziger Jahre begann Kamprad, ein Flugblatt mit dem Namen ikéanytt (›Neues von Ikéa‹) an seine Kunden zu verschicken, um diese über die Neuigkeiten im Sortiment zu informieren. Im Jahr 1947 ging Ikea dann dazu über, in Zeitungen zu inserieren, und vollzog damit den Schritt in Richtung Versandunternehmen. Auf die Annoncen folgten Beilagen, die Kamprad ab 1949 unter anderem dem Verbandsblatt der Landwirte beilegen ließ, einer Zeitschrift mit einer Auflage von 285 000 Exemplaren. Im Jahr 1948 wurden schließlich auch Möbel Teil des Sortiments. Deren Herstellung und Versand übernahmen kleinere Schreinereien in der näheren Umgebung Älmhults: Ein Sessel namens Rut war das erste Möbelstück, das Ingvar Kamprad im Programm hatte. Auch heute tragen alle bei Ikea erhältlichen Gegenstände einen Namen, oft geographischer, manchmal auch persönlicher Art, deren Aussprache die Kundschaft außerhalb Schwedens nicht selten vor Probleme stellt. Der Grund für die allseitige Warentaufe soll – so wurde von Kamprad behauptet – in seinem Unvermögen liegen, sich Artikelnummern zu merken. Tatsächlich verwandeln sich mit den Eigennamen lauter anonyme Dinge in Elemente eines individualisierten Hausrats. Und dass dieser darüber hinaus einen dezidiert schwedischen Charakter trägt, entspricht der Vermarktung des Warenhauses als konzentrierte Version einer »guten« Nation. Die Namen sollen nach Möglichkeit weltweit einheitlich sein und sind nach Produktgruppen sortiert. So tragen Stoffe und Gardinen Frauennamen, Sessel und Sofas schwedische, Teppiche dagegen dänische Ortsnamen. Das manchmal Unbeholfene, ein wenig Sperrige, das in dieser Namensgebung liegt, erscheint dabei als eher sympathischer Eigensinn.
Der mit Entstehen des Versandhandels etablierte Direktvertrieb erlaubte Ikea, günstigere Preise als die Konkurrenz anzubieten. Der Kostenvorteil wurde in Annoncen hervorgehoben, die Zwischenhändler wurden darin sogar als Preistreiber beschimpft. Zwar hatten die ersten beiden schwedischen Versandhäuser ihre Tätigkeit schon in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts aufgenommen, durchsetzen konnte sich dieses Geschäftsmodell allerdings erst später, in Schweden wie in Deutschland: in einer ersten Welle in den zwanziger Jahren, in einer zweiten Welle in der frühen Nachkriegszeit, und zwar jeweils konzentriert auf den Handel mit Kleidung. In beiden Ländern richtete sich das Sortiment dabei vor allem an Kunden in einkommensschwachen und ländlichen Regionen. Standardisierung, Massenproduktion, eine verbesserte Infrastruktur und nicht zuletzt die steigende Nachfrage nach Konsumgütern in der Industriegesellschaft führten dann vor allem im Flächenstaat Schweden dazu, dass der Versandhandel rasch an Bedeutung gewann. Dass Ikea seine Möbel über den Versand verkaufte: Das war etwas Neues.