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ОглавлениеHinführung
Die Situation in unseren Pfarreien ist momentan von vielen Herausforderungen geprägt. Trotzdem gibt es weiterhin viele engagierte Menschen, die sich mit Überzeugung für die Kirche vor Ort einsetzen. Einige können mit den Herausforderungen gut umgehen. Andere tun sich mit diesen Herausforderungen schwer.
Die Moderne bringt diese Herausforderungen für die Pfarreien bzw. Gemeinden vor Ort mit sich. Zwischen Tradition und Moderne muss fortwährend vermittelt werden. Das Tun der Kirche findet in der heutigen Gesellschaft statt, hier muss das Handeln greifen, hier muss sie den Menschen nahe sein. Damit geht ein erhöhter Orientierungsbedarf einher. Das machte Klostermann bereits 1981 aus: Es fühlen sich viele, die in der Pastoral tätig sind,
„hinsichtlich der Fruchtbarkeit und damit der Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit verunsichert (…).“1
Unterschiedliche Autoren unterstreichen das in ähnlicher Weise. Die Pastoral braucht verstärkt Orientierung. In Literatur und in der Praxis werden dazu eine Reihe von Hinweisen gegeben, aber
„eine Konkretisierung in überprüfbaren Daten und Fakten dagegen fehlt weitgehend.“2
Orientierung ist nötig. Dann erst kann die Wirkung pfarreilicher Arbeit beurteilt werden. In anderen Kontexten wird von Erfolg gesprochen. Allerdings ist Erfolg als Begriff pastoral bisher nicht verfügbar.3
„Als dringend ausbaubedürftig erweist sich das Feld der Wirkungs- und Erfolgsmessung kirchlicher Aktivitäten. Vermutlich gäbe es bereits ein jähes Erwachen, wenn man z.B. Gottesdienstbesucher danach befragen würde, was bei ihnen von einer Predigt ‘hängengeblieben’ ist oder wovon sie bei Kommunion bzw. Abendmahl erfüllt sind.“4
Wenn man nicht weiß, ob man sich mit dem eigenen Tun grundsätzlich in der richtigen, d. h. wirkungsvollsten Spur befindet, weil man für eine brauchbare Überprüfung keine sinnvollen Kriterien zur Verfügung hat, dann kann man die Orientierung verlieren. Mitarbeitenden fehlt ein solcher unterstützender Kompass, der solche Kriterien anbietet, um die Wirkung des eigenen Handelns zu überprüfen. Gerade für die hauptberuflich in der Pastoral Engagierten besteht immer mehr die Gefahr, in eine Situation zu kommen, die entweder die Motivation nimmt oder sogar krankmachende Effekte zeigt. Das machen z. B. die folgenden zwei Zitate deutlich:
„Für die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergibt sich aus dieser Situation eine Rollenunsicherheit und häufig bei den ‘Hauptberuflichen’ auch eine Berufsunzufriedenheit, die sich im Gefühl von Überforderung und oft auch in entsprechenden aggressiven oder depressiven Reaktionen äußert. Sie werden noch verstärkt durch die weltweit und hierzulande spürbare Umorientierung und Unsicherheit, wie sich der zeitgemäße Dienst der Kirche an und in der Welt vollzieht.“5
„Die kirchliche Lage in unseren Ländern ist sehr zwiespältig; die Stimmung - z. T. gerade beim kirchlichen Personal - ist über weite Strecken sehr gedrückt und missmutig. Ich erlebe bei manchen, wie Kirche krankmachend wirkt.“6
Es lassen sich verschiedene Ursachen ausmachen. Ein wichtiger Punkt wird von Papst Franziskus darin gesehen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedenen Versuchungen (z.B. Pessimismus, Rückzug ins Private, Konflikte, Anerkennungssucht) erliegen (EG 78-109, 266). Andere verweisen auf Ursachen, die sie auf die Art der Ausbildung zurückführen:
„Die Unfähigkeit von vielen akademisch ausgebildeten Theologen, ergebnisorientiert Sitzungen durchzuführen, ihre Gemeindearbeit effektiv zu planen und ihre Planung entsprechend umzusetzen, hat etwas mit der Art und Weise zu tun, wie sie ausgebildet worden sind.“7
Hinzu kommen Rollenveränderungen, die beim Eintritt in das Tätigkeitsfeld so nicht vorgesehen oder gewünscht waren. Gerade die Rolle des Priesters in den Pfarreien hat sich gewandelt. „Vom Seelsorger zum Manager“ ist ein oft gehörter Slogan. Das gilt nicht nur für die katholische, sondern auch für die evangelische Kirche in Deutschland:
„In der Gemeinde besteht ein Großteil der Tätigkeiten von Pfarrerinnen und Pfarrern offensichtlich aus Management. Wenn sie das schon machen müssen, sollten sie dafür auch ausgebildet sein. Damit sie sich dann aber nicht in vielerlei verlieren, bedarf es der Mühe um eine geistliche Identität. Geschieht hier nicht eine Verortung des Engagements, werden Pfarrerinnen und Pfarrer den großen Spielraum ihrer Tätigkeit zufällig und beliebig füllen.“8
Das kann zu einer Überforderung der Einzelnen führen.
„Schließlich leiden Pfarrer wie Manager unter der Zumutung der Allzuständigkeit. Beide sind letztlich für alle Belange des Unternehmens zuständig, sind Krisenmanager, Repräsentanten nach außen, verantwortlich für die Betriebsorganisation und das Betriebsklima und müssen auch zahlreiche repräsentative Verpflichtungen wahrnehmen.“9
Die Situation ist noch ein Stück komplexer. So kommen z. B. die Laiengremien und deren Gestaltungspotential bzw. -qualität in den Blick, das an vielen Stellen nicht ausreichend erscheint:
„Was (…) als relativ einfach beschrieben wurde, scheitert in der Praxis jedoch daran, daß Pfarrgemeinderäte, die vorrangig ein solches Leitungsorgan für die Pfarrgemeinde bilden könnten, sich nicht in der Lage fühlen oder fähig und bereit sind, eine solche Leitungsfunktion zu übernehmen.“10
Kirche wird mehr als Struktur wahrgenommen, die v. a. verwaltet und zu wenig nah bei den Menschen ist. Dazu nochmals Papst Franziskus:
„Außerdem müssen wir zugeben, dass, wenn ein Teil unserer Getauften die eigene Zugehörigkeit zur Kirche nicht empfindet, das auch manchen Strukturen und einem wenig aufnahmebereiten Klima in einigen unserer Pfarreien und Gemeinden zuzuschreiben ist oder einem bürokratischen Verhalten, mit dem auf die einfachen oder auch komplexen Probleme des Lebens unserer Völker geantwortet wird. Vielerorts besteht eine Vorherrschaft des administrativen Aspekts vor dem seelsorglichen sowie eine Sakramentalisierung ohne andere Formen der Evangelisierung.“ (EG 63)
Das Ziel
Für die Arbeit in den Pfarreien gibt viele Herausforderungen und Hürden. In dieser „stürmischen“ Zeit wäre es sehr wünschenswert, das eigene Tun besser einschätzen zu können und ggf. alternative Handlungsprioritäten genannt zu bekommen. Das eigene Tun braucht Orientierung.
Es stellen sich also die folgenden Fragen: Was heißt wirkungsvolle Pfarreiarbeit? Kann man die Ergebnisse pastoralen Handelns erfassen und wenn ja, wie? Wie wird pastorales Handeln in der Pfarrei möglichst wirkungsvoll? Welche Kriterien gibt es, an denen sich Mitarbeitende orientieren können, um so die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns abzuschätzen?
Damit richtet sich der Blick auf die Wirkungen pastoralen Handelns und zugleich auf die Frage, was in der Pastoral verändert werden muss, damit diese Wirkungen möglichst positiv ausfallen. Es braucht eine Art Kompass, mit Hilfe dessen das eigene Tun Orientierung findet, ob man grundsätzlich auf dem richtigen Weg ist, auch wenn man vielleicht Umwege gehen muss oder sich die erhofften Wirkungen momentan nicht einstellen. Manche Ursachen, die gesellschaftlich bedingt sind, wie z. B. die demographische Entwicklung, können gar nicht beeinflusst werden, wohl aber die Qualität des eigenen Tuns. So gehen im Falle der jugendpastoral die Zahlen insgesamt zurück, was z. T. am demographischen Effekt liegt. Aber eine andere Ursache kann u. U. in der Qualität pastoralen Handelns zu finden sein. Diese Ursache müsste dann dringend bearbeitet werden. Aber dazu braucht es dann Qualitätskriterien, die deutlich machen, welcher Handlungsansatz hilfreich ist und daher verfolgt werden sollte.
Es braucht also ein Herangehen, das die Wirkungen pastoralen Handelns greifbar macht und zugleich darüber informiert, welches Tun mit welchen Wirkungen in Verbindung steht und daher auch gefördert werden müsste. Gerade die Frage nach den relevanten Wirkungen erscheint schwierig: Welche Wirkungen sollten in den Blick genommen werden? Sind es die Kirchgängerzahlen? Oder sollte man sich an Austritten oder Eintritten orientieren? Müsste man nicht eigentlich den inneren Glauben der Menschen irgendwie eruieren? Ist es überhaupt möglich, Wirkungen kirchlichen Tuns zu erfassen? Erst wenn die Frage geklärt ist, ob und wie Wirkungen in der Pastoral fassbar sind, kann auch darüber gesprochen werden, was Handlungsempfehlungen sein können.
Insbesondere für die Gestalter der Pastoral wäre es hilfreich zu wissen, wo man ansetzen müsste, damit Pastoral vor Ort möglichst wirksam ist. Eine spannende, aber zugleich schwierig zu erhaltende Information. Denn nach der Frage, ob „Erfolg“ überhaupt erfassbar ist, stellt sich gleich die Frage, wie das genau gehen könnte. Dazu ist bisher wenig spezialisierte Forschung vorhanden. Diese Arbeit möchte daher eine „Schneise schlagen“, die für nachfolgende Diskussionen eine Orientierung sein kann. Das Ziel der nachfolgend beschriebenen Forschungsarbeit ist es also, die Wirkungen der Pastoral und das Handeln in der Pastoral systematisch greifbar zu machen und miteinander so zu verknüpfen, dass die Handelnden für ihr Tun Kriterien und damit Orientierung erhalten.
Das Vorgehen
Im Hauptteil dieser Arbeit werden die drei folgenden Fragen gestellt und beantwortet:
1. Welche Wirkungskriterien und Handlungsansätze können ausgemacht werden? Dazu wird auf lehramtliche und pastoraltheologische Veröffentlichungen zurückgegriffen, ergänzt durch die Sichtweisen von 18 Interviewpartnern.
2. Welche Wirkungskriterien sind hilfreich und welche Handlungsansätze sollten im gemeindlichen Alltag verfolgt werden? Dem dient eine empirische Befragung. Insgesamt waren Fragebögen von 397 Pfarreien11 und, damit verbunden, 1711 Personen auswertbar.
3. Welche Qualitätskriterien zeigen sich somit für die Arbeit in den Pfarreien? Am Ende der Arbeit werden Handlungskriterien benannt, die für die Gestaltung der Pastoral vor Ort von Nutzen sind.
Bevor allerdings auf Wirkungs- und Handlungskriterien geschaut werden kann, muss in einem Grundlagen-Teil (Kapitel 1) zunächst die Voraussetzung kirchlichen Handelns betrachtet werden. Was macht Kirche aus? Was ist ihr Selbstverständnis? Was ist ihr Auftrag? Das ist unbedingte Voraussetzung, um auf Wirkungsweisen und in der Folge auf Handlungskriterien zu blicken.
Die Vorgehensweise der nachfolgenden Teile benötigt einen methodischen Rückgriff auf ein vorhandenes Instrument, um die Fragestellungen systematisch und belastbar begründet auszurichten. Es wird auf das Instrument der Qualitätsentwicklung zurückgegriffen, so wie es im sogenannten „Total Quality Management“ (TQM) mit dem Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) entwickelt wurde. Allerdings ist dieses Instrument ursprünglich für Unternehmen entwickelt worden. Das stellt eine gewisse Hürde dar. Einerseits muss geklärt werden, inwieweit es überhaupt im kirchlichen Kontext angewandt werden kann. Das geschieht in einem eigenen Teil vor dem eigentlichen Hauptteil. Andererseits kann das Instrument nicht „eins zu eins“ angewandt werden, sondern es braucht eine Übertragung auf den pastoralen Kontext. D. h., das Instrument dient zunächst einer systematischen Sortierung, die inhaltliche Füllung muss aber letztlich für den gedachten Anwendungskontext erst noch vorgenommen werden (vgl. Kapitel 5) - und zwar gemäß des Auftrags, den Kirche wahrnimmt. Der Auftrag modifiziert die Anwendbarkeit.
In Kapitel 2 wird zunächst auf die Analyse der Situation geschaut. Dieses Teilkapitel dient einem zweifachen Zweck. Einerseits wird damit nochmals deutlich, wo momentan Orientierungsbedarf besteht. Es stellt also eine knappe Situationsanalyse im Überblick dar. Andererseits geht es hier v. a. um die Wirkungskriterien, die dort Anwendung finden. Denn eine Situationsanalyse beinhaltet auch Wirkungskriterien, die die Situation beurteilbar machen. Es schließt sich der Blick in die Literatur an. Sowohl lehramtliche wie auch pastoraltheologische Literatur und angrenzende Ansätze werden befragt, welche Handlungsleitlinien empfohlen und welche Wirkkriterien angegeben werden. Es folgt der Blick in die Gedankenwelt der mit der Pfarreiarbeit Verwobenen. In Interviews geben die Pastoralpraktiker ihre Verständnisse, Herangehensweisen und damit impliziten Ansätze wieder.
All das fließt in einen Fragebogen ein, der in Pfarreien vor Ort zum Einsatz kam. Auf diese Weise konnte eine Gruppe gut wirkender Pfarrgemeinden identifiziert werden, die mit Hilfe des Fragebogens dann auch Auskunft gibt, wie deren Pfarreien die Pastoral vor Ort gestalten.
Auf diese Weise kann am Ende ein Ansatz für ein Qualitätsmodell entworfen werden, das eine erste Orientierung zur Gestaltung einer wirkungsvollen Gemeindearbeit liefert.
Der Blickwinkel wird auf Pfarreien12 beschränkt. Es braucht eine Fokussierung, um methodisch vernünftig auf einen Gegenstand zugreifen zu können. Schließlich nutzt das Qualitätsmodell den Pfarrgemeinden. Es werden sich für sie einige Handlungskriterien zeigen, die offenbar deutlich bessere Wirkungen als andere hervorbringen.
Die Vorgehensweise stellt sich also folgendermaßen dar:
Abbildung 1: Vorgehensweise
Um die Gedanken vom Eingang nochmals aufzunehmen: Die Chance einer Qualitätsbetrachtung kann z. B. darin liegen, dass Mitarbeitende mehr Potential für das eigene Handeln gewinnen. Dazu gehört, dass echte Würdigung stattfinden kann oder dass Mitarbeitende vor Überforderung geschützt bzw. ihre Motivationen erhalten werden können. Das geistliche Leben kann wieder genügend Raum entfalten. Außerdem passiert Verständigung über gelungene Vorgehensweisen, wovon alle profitieren können.13
Noch eine Nachbemerkung: Sollte darauf verzichtet worden sein, die weibliche wie männliche Form zu verwenden, so ist grundsätzlich beides mitbedacht worden. „Mitarbeiter“ meint dann auch die Mitarbeiterinnen.
1 Klostermann (1981), S. 49
2 Schaller(2000),S.250
3 Vgl.Tetzlaff(2005),S.123
4 Raffée(1995),S.172
5 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.) (1995), S. 8
6 Karrer (2001b), S.119
7 Abromeit(2001),S.16
8 Abromeit(2001),S.ll
9 Abromeit(2001),S.13
10 Vögele (1998), S.219
11 Vereinzelt finden sich auch Kirchorte in der Stichprobe, also eine Strukturebene innerhalb einer Pfarrei, die sich um eine Kirche in der Pfarrei organisiert und meistens über einen eigenen Ortsausschuss verfügt, der in einem Pfarrei-Gremium vertreten ist.
12 Vereinzelt auch Kirchorte als eine Strukturebene innerhalb einer (großen) Pfarrei.
13 Vgl. Latzel (2010), S. 107-110