Читать книгу Omnipotens - Thorsten Klein - Страница 9

Оглавление

2. Kapitel Von hinten erdolcht

Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken.

P. von Hindenburg (1847 – 1934)

Ort: Psyche, Wedding

Kowalski blieb ruhig. Obwohl Baltheisser ihm eine Pistole an die Schläfe hielt. Sicher eine geladene.

„Ich weiß, du denkst, du könntest andere erschießen. Einfach so, weil du Lust dazu hast. So, wie den Minister Erzberger und den Kriminalrat Renatus. Trotzdem ist es Mord. Mich zu ermorden, bringt dir gar nichts.“

Kowalski wusste, er war unverwundbar. Der Hauptmann würde das gleich herausfinden. Allerdings waren zu viele Leute anwesend. Bestimmte Geheimnisse bleiben besser geheim. Kowalski hätte das Geheimnis seiner Kugelfestigkeit gern für sich behalten.

Baltheisser reagierte auf Kowalskis Vorwurf, indem er die Pistole entsicherte. Mit dem Daumen. Und ohne sie dabei abzusetzen. Kowalski konnte das nicht sehen. Aber er kannte das charakteristische Geräusch.

Luitpold Ether kannte es auch. Er stand auf. „Wenn du ihn erschießt“, sagte er, während er seine Pistole zog und auf Baltheisser richtete, „stirbst du auch. Ich war ebenfalls im Krieg. Auch ich kann schießen. Glaube mir, manchmal treffe ich sogar. Bei dir treffe ich ganz bestimmt.“

Luitpolds Zwillingsbruder Heinrich stand die ganze Zeit wie teilnahmslos am Fenster und sah nach draußen. Er sagte nichts, aber die Pistole, die er nun ebenfalls auf den Hauptmann Baltheisser richtete, sagte genug.

Der zog seine zurück, sicherte sie und steckte sie ins Halfter. „Verräter gehören erschossen“, knurrte er dabei, um wenigsten verbal zu erreichen, was ihm mit Taten nicht gelungen war.

„Er ist kein Verräter, nur weil er uns verlassen will. Auch ich werde bei eurem Scheiß nicht mehr mitmachen. Ich verlasse eure Organisation des Fememordes noch heute“, erklärte Luitpold Ether.

Nicht nur sein Bruder sah ihn erstaunt an, auch die anderen. Nur Kowalski schien nicht überrascht zu sein. War klar, dass beide gemeinsame Sache machten, dachte Baltheisser. „Gehst du auch nach Russland?“, fragte er.

Luitpold Ether schüttelte den Kopf. „Ich gehe nach Berlin und werde Schauspieler.“

„Schauspieler? Du bist ein hervorragender Soldat. Wie kann man da Schauspieler werden wollen?“

„Ich muss. Es ist tief in mir drin. Ich spüre das. Schon seit langem. Warum sollte ich die Freiheiten nicht nutzen, die wir jetzt haben? Du nutzt sie doch auch.“

Den letzten Satz sagte er mit einer Betonung, die den Hauptmann Baltheisser rot werden ließ. Die anderen sahen das mit Erstaunen. Nur Kowalski nicht. Der schien zu wissen, warum Baltheisser errötete. Er schwieg aber.

Heinrich Ether stand immer noch am Fenster. Er war ein großer Fan davon, alles unter Kontrolle zu haben. Auch die Sicherheit der Gruppe. „Bullen“, sagte er, ohne den Blick vom Fenster zu wenden. „drei in Uniform, einer in Zivil. Sie kommen in unser Haus.“

„Wollen die zu uns?“

Baltheissers Frage fand eine schnelle Antwort, denn das charakteristische Knarren der Polizeistiefel war bereits vor der Wohnung zu hören. Ohne vorher anzuklopfen, traten die Polizisten ein. Der Hauptwachtmeister in der Mitte, flankiert von zwei einfachen Gendarmen. Der Zivilist stand hinter ihnen. Im Schatten des Hausflures war nur sein Umriss zu erkennen.

„Guten Abend, die Herren“, grüßte der Hauptwachtmeister höflich. „Befindet sich unter Ihnen ein Herr Baltheisser, ehemaliger Hauptmann des Reichsheeres?“

„Ehemaliger Hauptmann?“, polterte Baltheisser, die Hand auf dem Pistolenhalfter. „Ich befinde mich immer noch im aktiven Dienst, Herr Hauptwachtmeister.“

Der Hauptwachtmeister ignorierte die Hand an der Pistole und entfaltete mehrere Blätter. Seine Ruhe schien unerschütterlich. „Ich fürchte, der Herr Baltheisser irrt sich. Ich habe hier eine Verfügung vom Wehrkreiskommando in München bezüglich der Außerdienststellung des Herrn Baltheisser, ehemals Hauptmann, um ihn der zivilen Justiz zu überstellen. Außerdem einen Haftbefehl über die nämliche Person. Seien Sie also so freundlich, Herr Baltheisser, und lassen Sie sich festnehmen.“

„Mich festnehmen? Verdammt noch mal, was werfen Sie mir eigentlich vor?“

„Der Vorwurf ist ganz meinerseits, Herr Baltheisser.“ Diese Worte kamen von dem Herrn in Zivil draußen im Flur. Er trat dabei aus dem Schatten. Sicherlich, um besser erkannt zu werden. Baltheisser erkannte ihn auch und wurde blass. „Was machst du hier? Warum bist du nicht tot? Ich habe dich erschossen.“

Genau das wollte der Herr in Zivil hören.

Ort: Psyche, Moskau, Kreml

Genau das wollte der Genosse Bolschoi hören. Vorwürfe. Passende Vorwürfe. Passend zu seinen politischen Plänen für die Zukunft des Landes.

„Der Genosse Wissarew war also ein wenig grob zu dir?“, vergewisserte er sich.

„Ein wenig grob?“ Alexandras Empörung ließ jenes Temperament erahnen, das einst Psyche mit Revolutionen überzogen hatte. Im Moment überzog sie Wladimir Iljitsch mit Vorwürfen. Die betrafen das Verhalten des Genossen Wissarew.

Bolschoi hörte diese Vorwürfe nicht ungern. Er lag in seinem Bett und hatte Schreibzeug auf der Bettdecke vor sich liegen. Er schien an einem wichtigen Brief zu schreiben. Aber, so wichtig das Schreiben auch war, ein Besuch Alexandras war immer wichtiger.

Denn Alexandras Vorwürfe enthielten ähnlichen politischen Sprengstoff, wie der Brief, den er schrieb. Politischer Sprengstoff musste im richtigen Augenblick gezündet werden.

„Der Genosse Wissarew wurde gerade zum Generalsekretär unserer Partei gewählt“, erinnerte Bolschoi seine schöne Besucherin und fuhr mit Bitterkeit fort: „Den anderen Genossen blieb auch gar nichts weiter übrig, als Wissarew zu wählen. Der kann sehr überzeugend sein, wenn er will. Auf eine so brutale Art allerdings, die Kommunisten nicht kennen sollten und die mich für die Zukunft der Partei fürchten lässt.“

„Der Genosse Wissarew kümmert sich doch nur darum, dass er für seine Zukunft nicht fürchten muss.“

„Stimmt. Deshalb werden sie sich bekriegen. Michael Arx und Pepi Wissarew werden sich einen Kampf um meine Nachfolge liefern.“

„Dann regle deine Nachfolge, bevor sie kämpfen.“

Bolschois Lachen endete schnell in einem Hustenanfall. „Unsere Partei ist demokratisch organisiert. Die Gremien und deren Leitungen werden gewählt. Ich müsste von allen Ämtern zurücktreten, um sie für neue Kandidaten freizumachen.“

„Dann tritt zurück. Gönne dir die kurze Zeit, die dir noch verbleibt, um ein ruhiges Leben zu führen. Und betrachte als Außenstehender, wie deine Nachfolger dein Werk fortsetzen.“

Er versuchte, nicht über Alexandras naives Angebot zu lachen. Aber die Geste, mit der er ihre Vorschläge beiseite fegte, sagte genug. „Ich habe endlich erreicht, was ich immer wollte. Mein Leben lang habe ich dafür gekämpft. Nun will ich die paar Tage noch genießen, da hast du vollkommen recht. Genießen werde ich sie aber als Führer meines Landes. Denn wer die Macht hat, darf diese nie aufgeben. Er würde nicht nur die Macht, er würde alles verlieren.“

„Verlierst du nicht deine Selbstachtung und deine Ideale, wenn du zulässt, was in diesem Land geschieht?“

Bolschoi sah Alexandra aufmerksam an. Es war ihm nicht verborgen geblieben, dass er eine fast gänzlich andere Frau vor sich hatte. Nicht ihrem Äußeren nach. Aber jenes fanatische Feuer in Ihr, das nach Veränderungen schrie, schien erloschen. Die alte Alexandra ging ihren Weg, ohne zu zweifeln. Die Alexandra, die nun an seinem Bett saß, schien zu suchen. Sich selbst und den Weg, den sie einschlagen wollte.

Wenigstens den konnte er ihr weisen. „Du hast immer noch großen Einfluss auf Arx und Wissarew“, stellte er deshalb fest.

„Du meinst, ich könnte dafür sorgen, dass die beiden in deinem Sinne weitermachen, statt mit ihrem Kampf gegeneinander alles zu zerstören?“

„Frauen, die klug und schön sind, gibt es selten. Wir haben viele Frauen in unserer Partei. Aber ganz oben gibt es nur wenige von ihnen. Geselle dich dazu. Du bekommst einen Ministerposten und einen hohen Posten in unserer Parteihierarchie. Und ich bekomme die Gewissheit, dass nach meinem Tod wenigstens ein echter Kommunist in diesem Land weitermacht.“

Alexandra überlegte. Es würde sowohl in ihre, als auch in die Pläne des Hohen Rates passen. In fremden Welten durfte man nicht nach Macht streben. Das verstieß gegen das Innere Gesetzt. Von den Mächtigen dieser Welten Macht übertragen zu bekommen, verstieß nicht dagegen.

Sie hatte vor zwei Jahren diesen großen Brand namens Revolution entfacht. Also musste sie nun auch mit dazu beitragen, ihn zu löschen und Verbranntes wiederaufzubauen.

Politisch war in Russland viel zu tun, denn der Bürgerkrieg war endlich zu Ende. Die Weißen hatten das Land verlassen. Hauptsächlich wegen Michaels taktischem Geschick und seinen militärischen Fähigkeiten. Aber auch durch den Einsatz der von ihm geschaffenen Roten Armee.

Welche politischen Wirren auch immer herrschten, die militärische Lage in Russland war eindeutig.

Ort: Psyche, Berlin, Reichstag, Plenarsaal, Untersuchungsausschuss Krieg der Kaiser

„Eine militärische Lage ist niemals eindeutig.“

Der SPD-Abgeordnete Schöneberg war durch das, was der Herr General von Dietrichstein gerade von sich gegeben hatte, irritiert. „Eine militärische Lage ist niemals eindeutig? Ich glaube, das müssen Sie näher erläutern, Herr General.“

„Aber das ist doch leicht zu verstehen. Kein Kommandeur weiß genau, was auf der anderen Seite der Front vorgeht. Man weiß nur, was man aufgeklärt hat. Die Fakten, die uns bekannt waren, legten nahe, die Gegenseite um einen Waffenstillstand zu bitten“, antwortete ihm General von Dietrichstein.

„Das taten Sie, um eine Niederlage zu vermeiden, die unumgänglich war?“, unterbrach ihn Herr Brandenburger.

„Nicht unbedingt, Herr Reichskanzler. Einen Waffenstillstand kann man auch dazu nutzen, seine Truppen neu zu strukturieren und Truppenverbände aufzufüllen, um bei Wiederaufnahme der Kampfhandlungen viel stärker zu sein.“

„Sie hatten also immer noch vor, die Entente zu schlagen und den Krieg zu gewinnen?“

„Warum nicht? Wenn ich Ihnen eine militärische Koryphäe zitieren darf, den General von Ehrlichthausen: Solange man noch ausreichend Soldaten hat, ist der Krieg nicht verloren.“

„Ich finde es schön, dass Sie den General von Ehrlichthausen zitieren. Das Hohe Haus wollte ihn sowieso befragen“, unterbrach Brandenburger Dietrichstein erneut und fuhr fort: „Mein Vorschlag: Wir ziehen ihn zu dieser Befragung mit heran. Wenn die Herren … Entschuldigung, ich meine natürlich, wenn die Herrschaften einverstanden sind?“, fragte er in die Runde der vollständig versammelten Abgeordneten des Deutschen Reichstages.

Herrn Brandenburger war es nicht nur zur Gewohnheit geworden, General von Dietrichstein ständig zu unterbrechen. Es piepte ihn auch an, dass Schöneberg den Vorsitz der Befragung führte. Die Wahl zum Ausschussvorsitzenden hätte er lieber gewonnen. Außerdem war es ungewohnt, auch Frauen im deutschen Parlament zu sehen. Als Gäste jederzeit. Aber als Abgeordnete? Nicht nur, dass Frauen in dieser deutschen Republik wählen durften, sie wählten auch noch Frauen in ihr Parlament. So schwer hatte sich Herr Brandenburger die Politik in einer Demokratie nicht vorgestellt.

Was er nicht wusste, der General von Ehrlichthausen hatte vor, es ihm noch schwerer zu machen.

Ort: Psyche, Moskau, Hotel Sagowor

„Der Genosse Bolschoi macht es mir schwerer, als es ohnehin schon ist“, maulte Wissarew.

„Er hat halt Bedenken, die Revolution könne untergehen, wenn er nicht mehr ist“, wagte der Tscheka-Vorsitzende Tscherkassow einzuwenden.

„Deshalb muss man doch nicht gleich die Wahl eines neuen Generalsekretärs der Partei vorschlagen und einen so bösen Brief an die Genossen schreiben. Weil ich angeblich zu grob und zu unhöflich bin, bin ich für diesen Posten ungeeignet? Was für ein Schwachsinn“, beschwerte sich Wissarew.

Tscherkassow gratulierte sich dazu, eine hervorragende Selbstbeherrschung zu besitzen. Irgendwas in ihm wolle laut loslachen. Aber er ließ es nicht heraus.

Der Genosse Wissarew hingegen lief wütend im Hotelzimmer herum und hatte deshalb keine Zeit, darauf zu achten, wie sich Tscherkassow bemühte, seine Miene unter Kontrolle zu halten.

„Die Partei besteht aus so vielen unterschiedlichen Gruppierungen, dass sie ständig auseinanderzufallen droht. Eine harte Hand ist für den Zusammenhalt der Partei deswegen hilfreich und vor allem notwendig“, stimmte Tscherkassow stattdessen Wissarews Grobheiten zu.

„Richtig, aber dieser an sein Krankenbett gefesselte Greis ist kaum in der Lage, so etwas richtig einzuschätzen oder zu würdigen. Die Revolution hat ihn verbraucht. Er hatte seine Erfolge. Es ist an der Zeit, die auch anderen zu gönnen.“

„Aber er gönnt doch dem Genossen Arx seine militärischen Erfolge von ganzem Herzen“, stichelte Tscherkassow.

Die Provokation hatte Erfolg. Wissarew hörte auf, im Raum herumzulaufen, schnappte sich stattdessen das Anzugrevers des Genossen Tscherkassow, um diesen an sich heranzuziehen. „In meinem Beisein vom Genossen Arx zu sprechen, ist sehr ungesund. Verstanden?“, knurrte er.

„Und wenn ich eine Idee habe?“, fragte Tscherkassow.

Wissarew ließ ihn los. „Was für eine Idee?“

„Michael Arx hasst alle Kapitalisten. Das heißt, er verabscheut die Armeen der anderen Länder. Darum bekämpft er sie ja auch so erfolgreich. Aber es gibt eine Gruppe von Verbündeten, die sogar für Kommunisten wichtig ist: Die Feinde unserer Feinde. Besonders, wenn die schwach sind und unsere Hilfe erbetteln.“

„Wer erbettelt unsere Hilfe?“

„Die Deutschen. Sie dürfen in ihrem Land nur noch hunderttausend Soldaten unter Waffen halten. Im Ausland kann sie keiner kontrollieren. Der Oberst Boschestwo-Woyn hat deshalb vorgeschlagen, zukünftige deutsche Soldaten in Russland auszubilden. Dafür bietet er uns an, vom deutschen Wissen über neue Waffen und neue Kampftaktiken zu profitieren. Bei Michael Arx, den er als zuständigen Volkskommissar zuerst fragte, biss er damit auf Granit. Verständlich, der hat schon eine Armee, was will er also mit einer weiteren?“

„Während wir keine Armee haben und die Soldaten deshalb gut gebrauchen könnten. Wenn Bolschoi stirbt, bekommt der die Nachfolge, der die größte Macht hinter sich hat. Ich will diese Macht nicht an einen Cromwell und seine Ironsides abtreten müssen. - Kann ich mit diesem Oberst Boschestwo-Woyn sprechen?“

„Ich rufe ihn an. Er wartet draußen in der Lobby, in Begleitung eines Bodyguards und zweier wunderschöner Frauen.“

Wissarew nickte. Er musterte den Oberst interessiert, als der dann das Hotelzimmer betrat.

Ort: Psyche, Berlin, Reichstag, Plenarsaal, Untersuchungsausschuss Krieg der Kaiser

Dietrichstein musterte Peta interessiert, als der den Plenarsaal betrat. Welches Spiel wollte Peta spielen? Als General hatte er ausgedient. Auch wenn er den einzigen deutschen Erfolg im Krieg der Kaiser vorweisen konnte.

Peta wollte auch abtreten. Soviel hatte er seinem Freund Dietrichstein schon verraten. Er wollte mit einem Knaller abtreten und davor fürchtete sich Dietrichstein. Petas Knaller waren genau so beeindruckend, wie dessen Erscheinung.

Auch Herr Brandenburger war beeindruckt, auf welche Art der General den Plenarsaal einnahm. Es schien nur noch ihn zu geben. Alle anderen waren unwichtig. Nun war er froh, nicht mehr den Vorsitz über die Befragung führen zu müssen.

Der Abgeordnete Schöneberger musste. Zuerst gab es die üblichen Fragen zur Person, damit man sich sicher sei, auch den richtigen General zu befragen. Als ob jemand in der Lage wäre, General von Ehrlichthausen zu imitieren.

Dann gab es die Fragen zum Kriegsverlauf. Hier stimmte Ehrlichthausen seinem ehemaligen Stabschef zu, der Waffenstillstand sei willkommen gewesen.

„Sie wollten die Truppen neu ordnen, um dem Feind weiterhin erfolgreich Widerstand leisten zu können?“, fragte Schöneberger, um die Aussage Dietrichsteins zu verifizieren.

„Nein, das war nicht meine Absicht“, widersprach Peta.

„Also war der Waffenstillstand nötig, weil wir den Krieg nicht mehr gewinnen konnten?“ Brandenburger hatte das hineingerufen, noch bevor jemand anderes etwas sagen konnte.

Herr Schöneberger war wütend über die Unterbrechung, während Peta lächelte. „Sie haben vollkommen recht, Herr Reichskanzler. Und ich verneige mich vor Ihrem militärischen Genie.“ Peta verneigte sich tatsächlich. Aber mit solch spöttischer Miene, dass jedem klar war, was er vom militärischen Genie des Reichskanzlers hielt.

Der hielt sehr viel davon und ging in die Falle. „Das Südreich hatte sich ergeben. In Russland war Revolution und Bolschoi bat uns um den Frieden, den er nötig hatte, um sich an der Macht zu halten. Die Franken und Britannier aber hatten alle Truppen frei, die sie gegen das Südreich eingesetzt hatten. Sie waren uns mehr als doppelt überlegen. Eine Kapitulation war also unvermeidlich. Habe ich die Lage soweit richtig beurteilt, Herr General?“

„Wie ich bereits sagte, Herr Reichskanzler, ich verneige mich vor Ihrem militärischen Genie.“

Der Reichskanzler lächelte triumphierend.

Peta auch. Allerdings so, dass es keiner sehen konnte.

„Sie haben da nur ein paar Kleinigkeiten übersehen, Herr Reichskanzler“, fuhr er fort und ergänzte: „Allerdings ein paar gravierende Kleinigkeiten. Nicht nur in Russland war Revolution. Dieses Virus ist sehr ansteckend und wenn es einmal ausgebrochen ist, führt es meist zu einer weltweiten politischen Pandemie.“

„Sie meinen die Revolution in Deutschland? Wollen Sie etwa auch diese blöde Legende anführen, die deutschen Revolutionäre wären ihrer eigenen Armee in den Rücken gefallen?“

„Nein, ich meine die Aufstände im Britannischen Imperium. Die Hinterindischen Inseln sagten sich von ihrem Mutterland los. Aber auch direkt vor der Londoner Haustür gab es Aufstände. Nämlich die auf den Inseln Cymru und Eire. Die bekamen die Britannier in den Griff. Aber die in Hinterindien nicht. Dort wurden die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet. Ein wichtiger außenpolitischer Fakt. Aber Außenpolitik mag vielleicht nicht Ihre Stärke sein, Herr Reichskanzler? Dann fragen Sie Ihren Außenminister, Herrn General von Sälzer. Er war damals Botschafter in Washington. Er war dabei, als das alles geschah.“

„Mir sind die damaligen Ereignisse durchaus vertraut.“

„Dann ist Ihnen sicher bekannt, dass die besten Truppen der britannischen Landarmee aus Hinterindien stammten, Herr Reichskanzler? Das freut mich. Diese Soldaten hatten keine Lust mehr, für einen König zu kämpfen, der Krieg gegen ihr eigenes Land führen wollte und nicht mehr ihr König war. Sie erklärten ihre Neutralität und stiegen aus dem Krieg aus. Dadurch schrumpfte das britannische Heer auf knapp vierzig Prozent seiner eigentlichen Sollstärke.“

„Aber warum haben Sie dann kapituliert, Herr General?“, fragte der Vorsitzende Schöneberg fassungslos.

„Dafür gab es viele Gründe, Herr Abgeordneter. Ich war mir mit dem britannischen Oberbefehlshaber Lord Montmorency darin einig, dass der Krieg beendet werden müsse. Er kostete zu vielen Soldaten das Leben.“

„Sie kennen den Herzog von Montmorency? Persönlich?“, fragte Herr Brandenburger.

„Wer hat denn nun eigentlich den Vorsitz über diese Befragung?“, fragte Peta voller Spott zurück. „Der Herr Schöneberger, wie es in der amtlichen Vorladung stand, oder Sie, Herr Reichskanzler, wie Ihre ständigen Unterbrechungen den Eindruck erwecken.“

Herr Schöneberger räusperte sich. Sein Verhältnis zu seinem Parteichef und Reichskanzler war ein sehr angespanntes. „Ich habe den Vorsitz“, erwiderte er, „aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Frage des Herrn Reichskanzlers trotzdem beantworten könnten.“

„Ich kenne den Herzog von Montmorency seit unserer gemeinsamen Kindheit. Wir sind fast wie Brüder. Eigentlich sind wir viel mehr, als nur Brüder.“

Das Lächeln Petas beantwortete seine Frage besser, als seine Worte. Aber niemand verstand es. Mal abgesehen vom General Dietrichstein und dem im Zuschauerraum lauschenden Herzog von Waldenburg.

„Und Sie hatten beschlossen, den Krieg zu beenden?“

Peta nickte wie jemand, der es gewohnt ist, weltpolitische Entscheidungen zu treffen. „Warum nicht? Für Deutschland war er nicht mehr zu gewinnen. Schade also um die vielen Soldaten, die noch sterben würden, führte man ihn weiter. Außerdem war es einfach an der Zeit, denn alle Kriegsziele waren erreicht.“

An seinen Fingern abzählend führte er diese auf: „Einen russischen Kaiser gab es nicht mehr, den osmanischen Kaiser hatte sein Volk ebenfalls verjagt und im Südreich hatten sie nicht nur ihren Kaiser, sondern gleich den ganzen Adel abgeschafft. So weit, alles wie geplant. Blieb also nur noch der deutsche Kaiser. Aber der sollte auch bald abdanken, schließlich waren alle Voraussetzungen dafür erfüllt.“

Schöneberger war fassungslos über das Gehörte. Er sah den General staunend an. Und schwieg.

Deshalb mischte sich Brandenburger wieder ein. Mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit. „Die Revolution vor zwei Jahren kam für uns alle vollkommen unerwartet. Auch Sie konnten nicht wissen, dass sie stattfinden würde.“

„Für den General von Ehrlichthausen kommt nichts unerwartet. Weder eine Schlacht, noch eine Revolution. Die war lange fällig, denn dieser unfähige Kaiser musste weg. Kam sie Ihnen denn ungelegen? Sie riefen die Republik aus. Nicht zu Ihrem Schaden. Oder, Herr Reichskanzler?“

„An diesem Tag haben sie kapituliert, Herr General. Wussten Sie da schon von der Revolution? War dieses Datum der Kapitulation beabsichtigt?“, fragte ein fassungsloser Reichskanzler.

„Ob ich von der Revolution wusste? Muss ich mich wiederholen? Wir haben einzig und allein wegen der Revolution kapituliert. Mit voller Absicht. Dieser Zeitpunkt gab uns die Möglichkeit, hinterher zu behaupten, ihre Revolution wäre der Armee in den Rücken gefallen. Diese Geschichte glaubt inzwischen jeder.“

Ort: Psyche, Berlin, Polizeipräsidium

„Inzwischen glaubt Ihnen das niemand mehr, Herr Kriminalrat Renatus. Sie müssen sich geirrt haben. So etwas kommt zuweilen vor. Wenn man so schwer verletzt ist, wie Sie es waren, ist es sogar verständlich.“

„Ich habe ihn genau wiedererkannt, Herr Staatsanwalt. Es kann gar keinen Irrtum geben. Er war es, er hat auf mich und Minister Erzberger geschossen.“

„Er hat ein Alibi. Muss ich einem gewieften Kriminalisten wie Ihnen sagen, was das bedeutet? Kein Gericht der Welt wird ihn verurteilen.“

„Sein Alibi stammt von seinen Gesinnungsgenossen. Es ist sogar möglich, dass die mit in die Tat verwickelt waren. Es gab drei Schützen. Nur ihn habe ich erkannt, die anderen beiden nicht.“

„Seine Gesinnungsgenossen, wie Sie sie nennen, sind ehemalige Frontsoldaten. Hoch dekoriert. Zum Teil mit „Pour Le Merite“. Bessere Zeugen gibt es gar nicht. Wenn ich das alles gewusst hätte, als ich den Haftbefehl unterschrieb, Herr Kriminalrat, hätten Sie meine Unterschrift unter den Haftbefehl niemals erhalten. Ich hoffe, Sie belasten Ihren guten Ruf und unsere Geduld nicht weiter, indem Sie Ihre Anfechtungen aufrechterhalten. Eine Anklage wegen Verleumdung wäre noch die geringste Konsequenz, die Sie dann zu tragen hätten.“

Die Art, wie der Staatsanwalt das sagte, ließ den Kriminalrat aufhorchen. „Die geringste Konsequenz?“, fragte er. „Welche Konsequenzen sollte es denn noch geben?“

„Ihre Suspendierung von Dienst, zum Beispiel. Mir ist von vertraulicher Stelle zugetragen worden, Sie verfolgen einen privaten Rachefeldzug gegen den Hauptmann.“

„Ich kenne diesen Mann nicht. Ich habe ihn im Schwarzwald das erste Mal kennengelernt.“

„Der Herr Oberst von Krüger ist da ganz anderer Meinung und hat sich auch sofort als Zeuge zur Verfügung gestellt. Hier, seine Aussage.“ Der Staatsanwalt reichte dem Kriminalrat ein Blatt. „Ein Oberleutnant Baltheisser war in dem Zug mit Verwundeten, über den es so viele Gerüchte gab. Man sprach sogar von Wunderheilungen. Waren Sie nicht der Leiter der Sonderkommission, die den Fall untersucht hat?“

„Das ist absolut richtig. Jetzt weiß ich auch, woher ich dieses Gesicht kannte. Ich habe die ganze Zeit überlegt.“

„Ihre gespielte Überraschung sieht zwar überzeugend aus, Herr Kriminalrat, sie kommt aber zu spät. Vielleicht erinnern Sie sich an diese Dokumente besser, als an Gesichter?“

Der Staatsanwalt legte eine Untersuchungsakte auf den Schreibtisch. Renatus öffnete sie und las aufmerksam. Die Dokumente sahen sehr echt aus. Sogar seine Unterschrift unter dem Vernehmungsprotokoll konnte man als echt bezeichnen. Auf den ersten Blick zumindest. Der Kriminalrat hatte eine Unterschrift, die unleserlich war, aber fast unmöglich zu fälschen. Selbst für den Oberst von Krüger.

Der Kriminalrat war immer bereit, eine Kampfansage anzunehmen. Auch gegen jemanden, wie den Oberst von Krüger, wie sich il caskar auf Psyche gern nannte. Er fühlte sich inzwischen wieder stark genug dafür.

Zuerst musste er jedoch einen strategischen Rückzug antreten. Dem Staatsanwalt zu Liebe. „Ich glaube, Sie haben recht. Die schwere Verletzung scheint mein Gedächtnis beeinflusst zu haben. Ich erinnere mich an Herrn Baltheisser. Vielleicht habe ich unbewusst beide Ereignisse verbunden? Ich werde dem Herrn Hauptmann meine persönliche Entschuldigung übermitteln.“

„Das ist leider nicht mehr möglich und sicher auch unnötig. Er wurde wieder nach München versetzt.“

„In dieses kleine Nest an der süddeutschen Grenze?“

„Dieses kleine Nest ist immerhin die Hauptstadt des Freistaates Bayern. Das dortige Wehrkreiskommando benötigt dringend einen fähigen politischen Offizier. Herr Baltheisser hat diese Stelle übernommen. Irgendwann wird die Zentralregierung in Berlin dem kommunistischen Blödsinn in Bayern und ihrer Räterepublik ein Ende setzten. Dann benötigt die dortige Reichswehr verlässliche politische Offiziere.“

„Ich verstehe, Herr Staatsanwalt.“

„Das ist sehr schön, Herr Kriminalrat. Es hätte mir sehr missfallen, einen fähigen Beamten, wie Sie es sind, zu suspendieren.“

„Mord ist halt nicht mein Spezialgebiet. Ich werde zukünftig von Mordfällen die Finger lassen und mich wieder meiner eigentlichen Arbeit widmen.“

Ort: Psyche, Moskau, Kreml

„Ich werde mich viel ruhiger meiner Arbeit widmen können, wenn ich sicher bin, dass es dem Genossen Bolschoi besser geht“, sagte Wissarew auf eine so einschmeichelnde Art, dass sie jedes Gerücht, er gehe zu grob mit Untergebenen um, widerlegte.

Der Posten vor Bolschois Schlafzimmer war ein altbekannter Genosse, den Wissarew noch aus der Zeit kannte, als dieser Mann ein Gehilfe des Anwaltes Sabota war. Er sah dem Anwalt auch sehr ähnlich, hatte aber kürzere Haare und war wesentlich jünger als der Anwalt. Nur sein Lächeln hatte er seinem ehemaligen Chef geklaut. Es wirkte, als wisse er alles über jeden. Auch die geheimsten Gedanken des Genossen Wissarew seien ihm bekannt, sagte dieses Lächeln.

Der hoffte, das sei nicht der Fall, und überspielte seine Beunruhigung, indem er das Geschenk hochhielt, das er Bolschoi bringen wollte. „Die Genossin Al Kahira und ihr Freund, der Genosse Arx, haben mich gebeten, das hier abzugeben. Es ist jenes deutsche Konfekt, dass Wladimir Iljitsch im Exil so lieben gelernt hat.“

Der Posten nickte nur und öffnete die Tür.

Sehr zu Wissarews Missfallen, blieb er in der offenen Tür stehen und ließ ihn nicht aus den Augen. Das erschwerte dessen Mission. Also er ließ sich erst einmal Zeit, den schlafenden Bolschoi zu betrachten. Dabei nestelte er, dem Posten den Rücken zukehrend, ein kleines Fläschchen aus seiner Brusttasche.

Das hatte er vom Oberst Boschestwo-Woyn. Der verstand Wissarews Pläne und Ziele vollständig. Da sie den eigenen sehr entgegen kamen, hatte er Hilfe versprochen und gehalten. Auch in Form dieses Fläschchens. Er behauptete, es enthalte ein Gift, welches hier niemand nachweisen könne und das einen natürlichen Tod des Genossen Bolschoi hervorrufen würde.

Wissarew hoffte, der Oberst hätte recht damit. Wie aus Versehen stieß er mit dem Ellbogen einen Becher von Bolschois Nachttisch und füllte dann, als sich der Posten nach dem Becher bückte, das Gift in Bolschois offene Wasserkaraffe.

Was Wissarew nicht bemerkte, der Posten beobachtete ihn trotzdem, sagte aber nichts dazu.

Vielleicht glaubte er auch, der Genosse gieße ein stärkendes Medikament in das Trinkwasser Bolschois und tue das heimlich, um nicht den Ruhm seiner Heilung für sich beanspruchen zu müssen. Während er ihn wieder zurück zur Tür führte, scannte er die Molekularstruktur des heimlich gegebenen Mittels.

Alles lief richtig. Es war ein Hämostatikum. Ein „Blutverdicker“. Mit einem Wirkstoff, den es auf Psyche in keiner Apotheke gab.

Ort: Psyche, Wedding, bei der Familie Ether

Es war eine jener Küchen, wie es sie zu jener Zeit in ganz Deutschland unzählige gab. Luitpold Ether konnte sich nicht daran erinnern, jemals so oft in einem anderen Zimmer der elterlichen Wohnung gewesen zu sein. Ihr Leben fand immer in der Küche statt. Auch heute.

„Kann ich euch denn nicht umstimmen?“, fragte seine Mutter gerade. Ihrem Tonfall war anzumerken, sie hatte keine Hoffnung mehr, es könne ihr gelingen.

Denn die Beschlüsse ihrer beiden Jungs standen fest.

„Wir sind doch schon groß, Mutter. Wir haben den Krieg überlebt und wollen nun auf eigenen Füßen stehen“, antwortete Heinrich für beide zum wiederholten Mal. Er war der jüngere der beiden Zwillinge, stand aber der Mutter näher, als sein älterer Bruder.

„Ich finde es ja gut, dass du studieren willst. Aber Landwirtschaft? Und dann auch noch in München? In diesem Nest? Warum bleibst du nicht in Wedding?“

„Um hier Lehrer zu werden wie mein Vater? Ich habe nicht vor, mich mein ganzes Leben mit den Kindern anderer Leute rumzuärgern.“

„Nein, er ärgert sich lieber mit dem Viehzeug anderer Leute rum“, spottete sein Bruder.

„Das ist immer noch besser, als Schauspieler werden zu wollen.“ Die Mutter konnte mit dem Berufswunsch ihres Ältesten überhaupt nichts anfangen. Theaterschauspieler kannte sie genauso wenig, wie Filmschauspieler. Es konnte kein seriöser Beruf sein, denn sie hatte noch nie davon gehört.

„Luitpold, du hast doch kein Abitur gemacht, um dann mit irgendwelchem Tingeltangel durch die Gegend zu ziehen“, versuchte sie ihren Sohn umzustimmen. Heinrich hatte ihr von den Wanderbühnen erzählt, als ihn seine Mutter fragte, was Schauspieler seien. Um seinem Bruder in den Rücken zu fallen. Dessen ewigen Spott musste man ihm ja auch mal heimzahlen.

„Ich ziehe nicht mit Tingeltangel durch die Welt, ich studiere ebenfalls. Schauspiel ist ein seriöser Beruf, den man erlernen kann. Die Berliner Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst ist weltberühmt und es ist eine Ehre, dass sie mich angenommen haben. Zwanzig Leute nehmen die unter hunderten von Bewerbern. Verstehst du, was das heißt, Mutter?“

Luitpold wollte nicht nur diese Chance, sondern vor allem die Anonymität dieser Großstadt, um er selbst zu sein. Berlin war viel liberaler als Wedding. Er wusste, sein Bruder wollte nicht nur wegen des Studiums nach München. Auch wegen der Kommunisten, die man dort bekämpfen konnte. Aber das alles würde seine Mutter nicht verstehen.

Die verstand vor allem, dass ihre Söhne aus dem Haus gingen. Das musste ja irgendwann so kommen. Aber doch nicht so bald. Vielleicht ließ es sich aufschieben? „Wartet wenigstens noch, bis euer Vater vom Unterricht zurück ist, damit er euch auch verabschieden kann. Werdet ihr uns schreiben?“

„Haben wir von der Front nicht auch Briefe geschickt, Mutter? Natürlich werden wir schreiben“, tröstete Heinrich.

„Wenn wir die Zeit dazu haben“, ergänzte sein Bruder.

„Du wirst wenig Zeit dafür haben. Diese Schauspielerinnen sind alle wunderschön und sehr willig, habe ich gehört“, unterbrach Heinrich seinen Bruder, wohl wissend, der wollte von denen nichts.

Der stichelte zurück: „Deine Bauerndirnen sind auch nicht ohne. Sie haben Ahnung von der Fortpflanzung und an allen ist ausreichend dran.“

Das ging eine Weile noch so und Frau Ether ließ ihre Söhne machen. Auch wenn ihr der Inhalt der Sticheleien nicht gefiel. Die waren viel zu ordinär. Aber so waren junge Männer halt. Sie hatten nur Mädchen im Kopf.

Ort: Psyche, Moskau, Kreml

Der Genosse Wissarew hatte nur eines im Kopf: Die Gesundheit des Genossen Bolschoi. Eigentlich eher dessen baldigen Tod.

Nachdem er erfolgreich das Medikament in dessen Karaffe gekippt hatte, wartete er auf die Bescherung. Wie ein Kind, das hofft, sein sehnlichster Weihnachtswunsch möge in Erfüllung gehen. Es irritierte ihn deshalb sehr, dass ein paar handfeste Genossen vom Komitee zur Bekämpfung der Konterrevolution, Spekulation und Sabotage (Tscheka) ihn in den Kreml baten, um den Genossen Bolschoi zu besuchen.

Lebte Bolschoi etwa noch und war in der Lage, Audienzen zu gewähren? Oder Haftbefehle vollstrecken zu lassen? Hatte der Wachposten etwas mitbekommen und das weltpolitisch so wichtige Medikament aus Bolschois Trinkwasser entfernt? Ging der Genosse Wissarew zu seiner Hinrichtung, statt zu seiner Erhöhung auf den Gipfel der Macht? Es gab Einiges, worüber er grübeln konnte, während er mit seiner Eskorte den Kreml aufsuchte.

Bolschoi lebte. Er lag in seinem Schlafzimmer. Sah aber furchtbar krank aus. Soweit also alles in Ordnung. Nur mühsam konnte er den Genossen Wissarew zu sich heranwinken. Auch das war ein gutes Zeichen.

Weniger gut war, dass Alexandra und Michael bereits im Vorzimmer saßen. Die waren also vor ihm beim Genossen Bolschoi gewesen. Was hatten die ausgeheckt? Wissarew ging ans Krankenbett des Genossen Wladimir Iljitsch und der Posten schloss die Tür des Schlafzimmers, so dass die beiden Revolutionäre allein waren.

„Alexandra hat gesagt, ich hätte nur noch ein paar Minuten, die ich sprechen kann. Eigentlich wäre ich bereits tot, hat sie behauptet. Aber sie konnte mir eine Medizin geben, die mich noch so lange am Leben lässt, bis ich alles Wichtige geregelt habe. Mit Michael habe ich bereits gesprochen. Du wirst der sein, der meine letzten Worte hört.“

„Es ist immer der Nachfolger, der dieses Privileg hat“, hoffte Wissarew.

Bolschoi lächelte. Sehr mühsam, aber er lächelte. „Beim Zaren mag das so gewesen sein. Du weißt das besser, du warst bei Hofe, ich nicht.“

„Dann werde ich nicht dein Nachfolger?“

„Die Partei wird eine kollektive Führungsspitze haben, bei der der Generalsekretär natürlich eine wichtige Rolle spielen wird. Aber er ist nur einer von mehreren Führern.“

„War das Michaels Idee?“, fragte Wissarew.

„Nein, es war die von Alexandra. Das Kollektiv nennt sich Politbüro. Es wird alle wichtigen Entscheidungen treffen. Kollektive Entscheidungen sind besser, als die von Einzelpersonen, hat sie vorgeschlagen. Das leuchtet sogar mir ein und du wirst es auch verstehen“, erklärte Bolschoi.

Wissarew würde also weiterhin Macht in diesem Land ausüben können. Wenn auch nicht als einziger. Aber die Zukunft war ja noch offen. Die würde er ohne Bolschoi gestalten. Dessen Tod gab ihm Zugriff auf die alleinige Macht. Und diese Macht blieb immer bei dem, der sie zu fassen und zu handhaben verstand. Darin war Wissarew viel besser, als Alexandra und Michael es je sein würden.

Der Genosse Bolschoi reichte ihm die Hand. Wissarew ergriff sie. Er zog den alten Revolutionär zu sich heran. Um ihn zu umarmen. Viel lieber hätte er ihm einen Dolch in den Rücken gerammt, um die Sache endlich zu Ende zu bringen.

Als er aber das kurze Zucken spürte und merkte, wie schwer der fremde Körper plötzlich wurde, wusste er, der Dolch war nicht mehr nötig.

Omnipotens

Подняться наверх