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Prolog: Sein und Bewusstsein

Was ihr nicht tastet steht euch meilenfern,

Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,

Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,

Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,

Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.

J.W. Goethe, „Faust – der Tragödie 2. Teil“, (Erde, 1832)

Ort: Großenhain, Wohnung des Chronisten

Denn in Trance benötigt man keine Computertechnik, um den Verfasser eines MindScripts zu sehen. Ich rief ihn und sein holografisches Abbild erschien wie aus dem Nichts und nahm in einem meiner Sessel Platz.

Aber er erzählte nicht, sondern er grinste mich an.

„Ich hoffe, dein Grinsen bedeutet, dass du mir die Geschichte wirklich weitererzählen willst?“, fragte ich.

„Böse, dass ich an der spannendsten Stelle aufgehört habe?“

„Ich habe meine Geschichten immer an der spannendsten Stelle beendet“, erwiderte ich gelassen. „Es ist zwar keine Garantie, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Fortsetzungen ebenfalls gelesen werden.“

„Und ich möchte selbstverständlich weitererzählen. Mein Inneres Programm verlangt das von mir.“

Dieses Geständnis beruhigte mich. Aber ich versuchte, es nicht zu zeigen. Ich wusste, dem schwarzen Herzog kam man besser mit Kratzbürstigkeit. Also griff ich das Thema auf, das ihn kratzen musste: „Ich hatte schon Angst, die Ehe, in die du dich so unerwartet gestürzt hast, hätte dir jeden Ehrgeiz genommen.“

„Wieder verkennt man mich. Für einen, der schon seit über zweieinhalb Jahrtausenden lebt, in dieser Zeit aber noch nie verheiratet war, gibt es doch kein größeres Abenteuer, als eine Ehe.“

„Lass das mal die Herzogin hören.“

„Ich glaube, die weiß das. Sie kennt mich und meine Unfähigkeit zur ehelichen Treue. Aber sie hat etwas, was ich nicht mehr missen möchte.“

„Deshalb hast du sie unsterblich gemacht?“

„Wir sind nicht unsterblich“, erwiderte er fast etwas barsch und fuhr gleich fort: „Nichts ist unsterblich. Ewig ist nur die ständige Veränderung und das, was sie hervorbringt. Aber wir leben viel länger als ihr.“

„Außerdem seid ihr ewig jung.“

„Neidisch? Alter hat auch etwas für sich. Was meinst du, wie lange ich benötige, um einem Menschen, der mich nicht kennt, meine Lebenserfahrung begreiflich zu machen? Für die Alten in den Welten, in denen wir uns aufhalten, zählt weder unser Wissen, noch unsere Erfahrungen, wenn sie uns nach unserem Äußeren beurteilen.“

„Deshalb kümmert ihr euch lieber um die Jugend?“

„Seit dem Krieg der Kinder ist das die alleinige Aufgabe des Hohen Rates. Wir sind Polizei und Jugendamt in Einem. Manchmal macht das sogar Spaß.“

„Wie bei il caskar?“

„Vor allem bei il caskar. Er ist doch eine Herausforderung für jeden, der dazu gezwungen ist, sich mit ihm zu befassen. Ich glaube, ich habe diese Herausforderung ganz gut gemeistert. Der Versuch, ihn zu bessern, ist auf einem guten Weg. Oder was meinst du?“

Ich schätze nie die Arbeit von Kollegen ein. Aber mir wurde durch diese Äußerung vieles klarer, was ich vorher nur vermutete. „Deshalb hat mich Richard Kummers MindScript als Chronisten ausgesucht? Wegen meiner beruflichen Erfahrungen?“

„Auch deshalb“, bestätigte er. „Du hast eine Geschichte gesucht, die du erzählen kannst. Also hat er dir eine angeboten. So ähnlich wie mit il caskar sind wir auf PSYCHE mit Peta verfahren. Das war dir doch klar, oder?“

„Er ist ein Heimatloser, der ein Zuhause sucht. Ihr habt ihm eins geschenkt, also wird er gut darauf aufpassen.“

„il caskar hingegen würde jede Welt zerstören, die man ihm bietet. Auch Psyche.“

„Vielleicht zerstört er damit aber sich selbst?“, lockte ich den schwarzen Herzog.

„Wie meinst du das?“, tat der, als verstünde er nicht.

„Du hast ihn doch verflucht. Ich weiß zwar nicht wie. Aber der Fluch könnte doch so gestaltet sein, wie der von Robert Severe? Ein bestimmtes Ereignis vernichtet den Auslöser dieses Ereignisses.“

„Ich bin doch kein Plagiator“, gab sich der Herzog beleidigt. „Ich bin viel geschickter im Verfluchen, als es Robert Severe je war. Mein Fluch sollte uns helfen. Deshalb haben seine Eltern diesen Fluch auch akzeptiert. Nach langen Diskussionen. Sie hätten ihn auch abschwächen können. Aber das wollte ich nicht.“

Er wollte mir also nicht verraten, wie er il caskar verflucht hatte. Ich startete noch einen Versuch: „Ihr habt euch geschickt angestellt. Erst il caskars Community auseinandergebracht. Dann habt ihr ihm seine Macht genommen. Scheint so, als wäre das nur auf Psyche möglich gewesen. So wie die Heilung Alexandras. Es ist also doch nur eine künstliche Welt für kranke Bewohner der Terra Nostra?“

„Eine Art Krankenhaus von der Größe eines Planeten?“, fragte der Herzog spöttisch zurück.

„Wäre doch möglich“, versuchte ich, ihn in meine Falle tappen zu lassen. „Peta ist jetzt noch der Meinung, es sei eine Art Computerspiel, eine MindGameMap. Bei seinen Fähigkeiten. Da kann er sich doch kaum in seinen Schlussfolgerungen täuschen. Oder?“

Der Herzog musterte mich eine Weile schweigend. Mit sehr ernstem Gesicht. Man konnte trotzdem sehen, wie es in ihm arbeitete.

Dann lehnte er sich zurück. Grinsend. „Ich hätte dir nicht verraten sollen, dass MindScripte nicht sehr helle sind. Du hast versucht, mich zu übertölpeln. Leider nicht sehr geschickt. Was auf Psyche geht, geht nur auf Psyche. Das ist richtig. Aber der Grund dafür ist ein anderer.“

„Ich weiß“, antwortete ich, während ich mich in meinem Sessel entspannt zurücklehnte.

„Was weißt du?“, fragte der Herzog misstrauisch.

„Alles über Psyches Geheimnis. Ihr hättet Bcoto nicht mit der Nase draufstoßen sollen“, deutet ich an.

„Stimmt, das haben wir. Damit sie endlich nachforscht. Das ist dir aufgefallen? Aber du hast nichts davon in deinen Büchern veröffentlicht.“

„Doch. Alles andere wäre meinen Leserinnen und Lesern gegenüber unfair. Es gibt kleine Andeutungen, größere im vorletzten Buch.“

„Aber mehr nicht?“

„Es passte noch nicht rein.“

„Wenn du dir so sicher bist, sag mir doch, was du geschlussfolgert hast“, forderte er mich auf.

Ich tat es. Das dauerte eine Weile, denn ich hielt die Sache für komplizierter, als sie wirklich war.

Danach schwieg er. Lange. Wahrscheinlich arbeitete es wieder in ihm. Schließlich war seine Erscheinung nichts weiter als die Personifizierung seines echten Ichs durch ein hochkomplexes Computerprogramm. Ein Programm, das weder an Raum noch an Zeit gebunden war, aber dadurch auch seine Grenzen hatte.

Sein beleidigter Gesichtsausdruck, nachdem sein „Nachdenken“ beendet war, befriedigte mich. „Ich gehe davon aus, dass ich der Wahrheit ziemlich nahegekommen bin?“, fragte ich nicht ohne Spott. „Keine Angst, ich verrate es niemanden. Eine solche Sensation hebt man sich immer fürs große Finale auf.“

„Mach doch, was du denkst. Ich werde zukünftig überlegen müssen, was ich dir erzähle“, war der Herzog immer noch beleidigt.

„Meinst du, du schaffst das? Wo doch ein MindScript nicht besonders helle ist.“

Er drohte mit dem Finger. „Nutze nur aus, dass ich unbedingt weitererzählen will.“

„Du musst erzählen und ich will zuhören. Wenn du darauf bestehst, entschuldige ich mich für den kleinen Spaß. Aber bitte erzähle.“

Er nickte nur gnädig und machte es sich in seinem Sessel wieder bequem. Die Zigarre, die er sich anzündete, ignorierte der Nichtraucher in mir. Die war imaginär, auch wenn sie noch so echt aussah und entsprechend stank. „Die Nazis wollten il caskar also auf der Flucht erschießen“, begann der Herzog, Zigarre paffend, an der Stelle, an der er das letzte Mal aufgehört hatte.

„Sakania und Takhtusho hatten aber etwas dagegen“, assistierte ich ihm. „Ist die Befreiung gelungen?“

„Selbstverständlich. Sakania hat viel beim Kummerritter gelernt. Allerdings war sie sehr stur und begab sich damit in Gefahr. Richard Renatus durfte ihr eigentlich nicht helfen, tat es aber trotzdem. Weißt du, was Arbiter Deus1 bedeutet?“

„Die wörtliche Bedeutung ist mir klar. Aber ich denke, bei euch hat das noch eine andere Bedeutung.“

„Richtig. Mein Vater ist Arbiter Deus. Nachdem er Jahrmillionen lang ein Gott war, hatte er das Recht, sich in höhere Sphären zurückzuziehen. Damit wird man für die anderen Götter unangreifbar. Hat aber gleichzeitig das Recht, über sie zu richten. Ein göttliches Schiedsgericht, sozusagen. Das hat damals auch Aidoneus verurteilt. Die Arbitri sahen nicht gern, mit welchen Zielen sich die neue Göttergeneration in Psyche einmischte. Sie hatten andere.“

„Götter haben Generationsprobleme?“ Ich lachte.

„Das ist nicht lustig. Zumal Richard Kummer durch seine freiwillige Ermordung ebenfalls den Status eines Arbiters hatte. Noch dazu eines menschlichen Arbiters.“

„Verstehe. Einen menschlichen Arbiter gab es bis dahin nicht?“

Der Herzog schüttelte den Kopf.

„Das muss die alten Herrschaften sehr wütend gemacht haben.“

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr. Sie versuchten nun, alle Pläne des Neuen Hohen Rates zu hintertreiben. Und sie hatten Verbündete. Aidoneus natürlich. Der kochte immer sein eigenes Süppchen und musste in unendlich vielen Intrigen die Finger haben, um sich nicht zu langweilen. Aber es gab auch eine weitere Kraft in Psyche. Eine, die der Krieg der Kaiser erst geweckt hatte. Ein weiterer furchtbarer Krieg würde sie noch mächtiger machen.“

Die dreidimensionale Abbildung einer Gestalt erschien plötzlich.

„Der sieht dir sehr ähnlich. Ein Verwandter von dir?“

Der Herzog verzog das Gesicht. „Ein Ruhmesblatt meiner Memoiren ist er nicht. Riccardo Bellator ist der menschgewordene Geist Psyches. Eine sehr mächtige Gottheit. Und ein furchtbarer Feind. Wenn man ihn sich einmal zum Feind gemacht hat.“

* Latein: Gott als Lenker, Gott als Richter

Usus Belli

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