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2. Kapitel Para Bellum*

„Es stehen hier letzte Entscheidungen über den Bestand der Nation auf dem Spiele … Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo Ihr Wissen, Ihr Gewissen und Ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbieten.“

L. Beck, (Generalstabschef, Reichsheer, Erde, 16.07.1938)

Ort: Psyche, Dai Nippon, Tokio

„Die japanische Armee will Sibirien angreifen, damit die Russen sie nicht bei der Welteroberung stören“, erklärte Richard Sabota, während er die Zeitung zur Seite legte.

„Man muss ihnen Einhalt gebieten.“

„Warum, Hotsumi? Dai Nippon wird vielleicht eines Tages ganz Asien umfassen und nicht nur den Norden Chinas und Teile Sibiriens wie jetzt“, antwortete Richard Sabota spöttisch.

„Wird es nicht. Die Götter sind gegen solche Machtanmaßungen und strafen die, die sie sich zuschulden kommen lassen“, war Hotsumi ganz Demut.

„Du weißt gar nicht, wie recht du hast, Hotsumi. Uns überwachen und betreuen diese Götter zum Beispiel, damit nicht geschieht, was du gerade befürchtest.“

„Und wir? Können wir etwas tun?“

„Selbstverständlich. Wir werden die Russen vor diesem Angriff warnen. Einer der Götter, die du so fürchtest, genauer gesagt eine Göttin, ist dort vor Ort. Ich werde sie informieren.“

„Sie können Kontakt mit Göttern aufnehmen?“

„Schon seit vielen hundert Jahren. Die Göttin, die ich meine, hat einen hohen Dienstgrad in der preußischen Armee und hilft der Roten Armee dabei, den Japanern russische Grenzen aufzuzeigen.“

„Einen hohen Dienstgrad? Sie ist bestimmt General“, vermutete Hotsumi.

Aber Richard Sabota schüttelte den Kopf. „Generale fallen zu sehr auf. Sie ist nur ein Oberst.“

Ort: Psyche, Berlin, Grunewald, Villa Eberbach

„Du bist ein Oberst?“, fragte Takhtusho erstaunt.

il caskar betrachtete sich weiter in dem hohen Spiegel. Takhtushos dummes Gesicht konnte er darin genauso gut erkennen, wie seine neue Uniform. „Diesmal bin ich ein echter Oberst. Als mein Vater von den Problemen hörte, die ich mit meinem in der Revolution erworbenen Dienstgrad hatte, sorgte er im Reichsheer für Ordnung. Er kann das. Er ist der Wehrkreiskommandant.“

il caskar sah, wie Takhtusho die Augen verdrehte, sagte aber nichts dazu. Mochte Takhtusho noch so oft behaupten, das Ehepaar Eberbach sei nicht mit il caskars Eltern identisch, er glaubte ihm nicht.

Leider hatte er nur seine Augen, diese Identität zu prüfen, aber die trogen nicht. Generaloberst von Eberbach und seine Frau sahen aus wie seine Eltern. Die beiden waren hier auf Psyche wesentlich älter, als auf Terra Nostra. Aber das konnte genauso gut eine Maske sein. Eine Maske, die il caskar, wegen seiner nur noch gering vorhandenen VollbürgerFähigkeiten, nicht durchschaute.

„Als Adjutant des Chefs der Luftwaffe bin ich heute zu einer wichtigen Sitzung eingeladen. Der Reichskanzler hat eingeladen. Mal sehen, was er uns zu sagen hat“, erklärte il caskar seinem Spiegelbild. Und natürlich Takhtusho.

„Du bist auch mit dabei?“, staunte der.

„Takhtusho, du bist immer noch schwer von Begriff. Meinst du, so ein hoher General kann da allein hingehen? Wo der General ist, ist auch sein Adjutant. Also ich.“

„Du bist ein Adjutant“, grinste Takhtusho, „bisher war ich immer dein Adjutant.“

„Aber ich bin auch ein Oberst“, belehrte ihn il caskar, dem es nur mit Mühe gelang, die Genugtuung in Takhtushos Stimme zu überhören. „Ein Oberst ist nur noch einen Schritt vom General entfernt. Da mein Vater ein General ist, wird es mir ein Leichtes sein, ebenfalls diesen Dienstgrad zu erlangen.“

„Kowalski ist auch ein Oberst. Die Beförderung erfolgte letzte Woche, hat Ala Skaunia gesagt.“

„Macht es dir eigentlich Spaß, mir jeden Spaß zu verderben? Ich weiß, dass sie Kowalski zum Oberst gemacht haben. Was meinst du, warum ich meinen Vater so bekniet habe, um meinen alten Dienstgrad wiederzubekommen.“

„Deinen alten Dienstgrad? Du warst Oberstleutnant.“

„Ich habe mich während der Revolution selbst zum Oberst gemacht. In einer Revolution darf man das. Da sind alle Gesetze außer Kraft. Nur die eigene Kraft zählt.“

„In einer Revolution? Bei dir zählt doch immer nur die eigene Kraft und dein eigener Wille.“

„Takhtusho, wenn du mich weiter nur unterbrichst, schmeiß ich dich raus.“

„Darf ich dabei sein, wenn du mich rausschmeißt? Es würde mich interessieren, wie du das anstellst. Aber ich wollte sowieso gehen.“

il caskar sah im Spiegel, wie Takhtusho Richtung Tür ging. Mit einem Seufzer drehte er sich zu ihm um. „Nun sei nicht gleich beleidigt und bleib hier. Warum hast du deine Naziuniform an?“

„Dachte schon, du fragst nie. Ich habe auch eine wichtige Besprechung. Der Reichsführer SS will mit seiner SS Führung besprechen, wie es im Staate weitergeht. Besonders die Kirche und die Gewerkschaften haben es ihm angetan.“

„Interessant. Zwei solche Besprechungen am gleichen Tag? Dabei haben sie erst in der letzten Woche alles verhaftet, was sie an Kommunisten auf der Straße und in den Verstecken finden konnten.“

„Wenn die auch den Reichstag anzünden müssen“, erwiderte Takhtusho harmlos. il caskar schnaubte. „Du weißt, das war nur ein Vorwand. Die Kommunisten waren von dem Augenblick an fällig, als die Nazis an der Macht waren. Umgekehrt wäre es genauso gewesen.“

„Ja, sie haben ganz viele Menschen festgenommen. Keiner weiß aber, wo die alle hingekommen sind. Sakania hat mich gebeten, das herauszufinden.“

Ort: Psyche, russisch chinesische Grenze

„Wie haben Sie das herausgefunden, Genosse Oberst?“

„Wir hatten viel Zeit, alle taktischen Möglichkeiten dieser neuen Waffengattung auszuprobieren, Herr General“, betonte Wihtania in ihrer Antwort das Wort Herr.

General Schukow lächelte. „Ihr Kapitalisten seid alle gleich. Ich wette, Sie sind von Adel, Herr Oberst?“

„Von allerhöchstem, Genosse General. Ich bin ein Ehrlichthausen. General von Ehrlichthausen ist mein Vater.“

General Schukow hatte Mühe, seine Reaktion zu verbergen. Er hätte sich fast vor dem Oberst verneigt, als er den Namen des Generals hörte. „Es muss schön sein, einen solchen Mann zum Vater zu haben. Seine Talente hat er Ihnen jedenfalls vererbt. Darin besteht kein Zweifel.“

„Danke, Genosse General. Allerdings benötigt man keine besonderen Talente, um die Vorzüge dieser neuen Waffengattung zu würdigen. Panzer machen einen Krieg schnell, beweglich und erbarmungslos. Allerdings nur, wenn sie aus der Luft und durch Artillerie unterstützt werden.“

Der sowjetische General nickte. „Vergessen Sie die Infanterie nicht, Herr Oberst. Wir können noch so viele Panzer in die Schlacht schicken, ohne Soldaten werden die nichts ausrichten. Wir haben die Japaner auch dank unserer Überlegenheit geschlagen.“

Wihtania sah über das Schlachtfeld. Die vielen toten Russen und Japaner, die dort lagen, interessierten sich sicher nicht für die taktischen Erörterungen ihres Oberbefehlshabers. Die waren einfach nur tot.

Aber für eine gute Sache gestorben. Ob Schukow das ebenfalls wusste?

„Wir haben hier den nächsten großen Krieg entschieden, Genosse General. Ist Ihnen das klar?“

Der lachte über diese Bemerkung, die er für übertrieben hielt. Hörte aber sofort auf, als er die ernste Miene des preußischen Offiziers sah. „Wir haben nur ein paar Japsen über den Chalchin Gol gejagt, Herr Oberst. Mehr nicht.“

„Wir haben sie so gescheucht, dass sie um Frieden betteln werden. Ihr Botschafter erhält gerade entsprechende Anweisungen. Sie werden in Zukunft die Finger von diesem Land lassen und sich scheinbar schwächeren Gegnern stellen. Das war gut und wichtig.“

„Ich verstehe kein Wort, Herr Oberst.“

Wihtania lächelte. Während die beiden Offiziere ihren Aussichtspunkt verließen, referierte sie ein wenig: „Verständlich, Genosse General. Aber ein paar Worte mehr und Sie verstehen alles. Japan benötigt Rohstoffe für seine Industrie. Also haben sie den Marionettenstaat Mandschukuo gegründet, um die ungestört aus China schaffen zu können. China ist schwach. Es kann sich nicht wehren. Die Sowjetunion hat in Sibirien Rohstoffe für mehr als nur ein Imperium. Aber dieser Weg ist nun versperrt. Es gibt nur noch einen Gegner, den Japan angreifen kann. Die Vereinigten Staaten. Damit wird aus diesem kleinen asiatischen Grenzkonflikt irgendwann ein Weltkrieg. Die Sowjetunion wird den aber nicht gegen Japan führen müssen. Das haben wir gerade verhindert.“

„Was Sie da erzählen, mein lieber Oberst, ist durchaus plausibel. Sie vergessen dabei aber eines: Unser Woschd3 möchte keinen Krieg, er möchte Frieden, um unser Land weiter aufbauen zu können. Außerdem, wer soll uns angreifen?“

3 russ. Führer, so ließ sich Wissarew immer ansprechen

„Deutschland“, antwortete Wihtania schlicht.

„Deutschland?“, fragte der General verblüfft, um dann lauthals loszulachen. „Wir haben gültige Verträge mit Deutschland und unsere Länder sind befreundet.“

„Euer Woschd hat Appetit auf das neu geschaffene Polen. Deutschland ebenfalls. Euer Führer möchte seine Außengrenzen weit weg von seiner Hauptstadt haben. Der neue deutsche Führer möchte gern die deutsche Hauptstadt als Welthauptstadt sehen. Unter solchen Umständen sind Staaten nicht sehr lange befreundet.“

„Woher kennen Sie die strategischen Überlegungen des sowjetischen Oberkommandos?“, fragte der General misstrauisch.

Wihtania lächelte nur. „Man muss nur einen Blick auf die Karte Europas werfen, dann sind die strategischen Überlegungen des sowjetischen Oberkommandos offensichtlich.“

„Sollte es zu einem sowjetisch-deutschen Krieg kommen, hoffe ich, dass Sie dabei kein höheres Kommando erhalten, Herr Oberst“, knurrte der General.

„Keine Angst, ich bleibe in Russland. Meine Brüder konnten mich überreden, Ihnen in diesem Land zu helfen. Ich wollte erst nicht. Aber ich habe bald gemerkt, wie nötig Sie, Genosse General, meine Hilfe haben.“

Der schritt stumm weiter. Nach einer Weile sah er auf. „Die Deutschen wollen uns angreifen?“

„Ich habe jenes Buch des neuen Reichskanzlers gelesen, indem er seine Ziele ganz offen darlegt. Wie würden Sie die Redewendung interpretieren, den Deutschen neuen Lebensraum im Osten zu verschaffen?“

„Ich werde mit dem Genossen Wissarew ein ernstes Wörtchen über unsere geplante Außenpolitik wechseln müssen“, knurrte der General, nachdem er eine Weile überlegt hatte.

Mehr wollte Wihtania nicht.

Ort: Psyche, Berlin, Wilhelmstraße 77

„Ich will doch nur auch mit dabei sein“, wiederholte il caskar bockig seine Forderung.

Der Staatssekretär war immer noch geduldig. „Ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, dass es unmöglich ist. Und ich muss weiterhin darauf bestehen. Es sind nur die Kommandeure der Truppenteile eingeladen. Außerdem der Kriegs- und der Außenminister und der Herr Reichsmarschall. Die Aufgabe der Adjutanten ist es, hier draußen geduldig zu warten.“

„Aber da drinnen werden Fragen von weltpolitischer Bedeutung erörtert. Verstehen Sie? Ich muss dabei sein.“

„Fragen von weltpolitischer Bedeutung? Es geht nur um die Zuteilung von Stahl an die Marine. Allerdings bereden die Herren dieses Thema sehr ausführlich, will mir scheinen“, fügte der Staatssekretär hinzu, während er seine Uhr aus der Westentasche zog und einen besorgten Blick darauf warf. Als er aufsah, war der renitente Oberst verschwunden.

Ort: Psyche, Dai Nippon, Tokio

„Ist er verschwunden?“, fragte Ozaki Hotsumi.

Richard Sabota war sich sicher, sie wurden bei Ihrer Spionagetätigkeit von keinem Agenten der Gegenspionage beobachtet. Seine Inneren Sinne signalisierten keine Gefahr, während sein Begleiter in jeder harmlosen Person einen Agenten der Geheimpolizei Tokubetsu Kōtō Keisatsu vermutete.

Sabota sah seinen Freund lächelnd an. „Er ist schon lange verschwunden. Du musst keine Angst vor ihm haben. Er war harmlos. Außerdem werden Spione nur selten erwischt. So wichtige wie uns erwischt man erst, wenn unsere Zeit gekommen ist.“

„Wenn unsere Zeit gekommen ist? Wollen Sie mich veralbern oder erschrecken?“

„Weder noch. Wir werden durch unser Spionieren den Krieg so beenden, wie wir es uns erhoffen. Außerdem werden wir dadurch weltberühmt. Dafür und für das schöne Abenteuer lohnt es sich doch, zu sterben. Oder?“

„Ihren Humor in allen Ehren, aufregend ist es schon.“

„Was verlangst du dann mehr? Befriedigt dich deine journalistische Arbeit?“

„Sie ist ein Broterwerb, mehr nicht. Wie Sie wissen, wäre ich lieber Dichter. Aber davon kann man nicht leben.“

„Und man wird nur manchmal berühmt. Erinnere dich immer an das Versprechen, das ich dir gab.“

„Nachdem Sie die Zukunft meines Landes in den schwärzesten Farben malten? Jeden Tag und jede Nacht denke ich daran. Ich kann kaum noch schlafen.“

„Diese Aufregung gibt sich. Beim Spionieren ist Routine viel gefährlicher als Aufregung. Wir werden die abfotografierten Unterlagen nun einem Kurier übergeben, der dafür sorgt, dass sie in Moskau von den richtigen Leuten gelesen werden.“

„Kenne ich den Kurier?“

„Neugierde ist für Journalisten nützlich. Spione wissen nur, was sie für ihre Arbeit wissen müssen. Du kennst mich, das muss reichen.“

Ort: Psyche, Berlin, Prinz Albrecht Straße

„Das muss mir reichen?“, brüllte der Reichsmarschall wütend.

Heinrich Ether beobachtete interessiert, wie sich dessen Gesichtsfarbe veränderte. Ob der wohl platzt, wenn er sich weiter so aufplustert, fragte er sich mit einem inneren Grinsen. Nach außen hin zeigte sein Gesicht keine Emotionen. Nur jene Kälte und Entschlossenheit, die er sich bei seinem ehemaligen Kampftrainer il caskar abgeschaut hatte.

„Der Führer hatte die Freundlichkeit, sämtliche Polizeiverbände meiner Person zu unterstellen. Auch die preußischen. Haben Sie nicht die Aufgabe, eine schlagkräftige Luftwaffe aufzubauen, Herr Reichsmarschall? Ich bin mir sicher, diese Aufgabe liegt Ihnen mehr, als langweilige Polizeiarbeit.“

„Was mir mehr liegt, weiß ich selbst wohl am besten“, brüllte der Reichsmarschall zwar immer noch, aber die zurückgehende Rötung seines Gesichtes zeigte, dass er sich wieder beruhigte.

Schade, dachte Ether, er hätte platzen sollen. Damit wären interessante Posten frei geworden, auf denen des Reichsmarschalls dicker Arsch immer noch saß. Man würde sehen. Vielleicht später.

„Sehen Sie es doch positiv. Eine zentralisierte Polizei hat die Bürger viel besser im Griff, als die föderale der alten Republik. Wir bereiten den Krieg vor. Die Bürger jedoch wollen Frieden, Wohlleben und dicke Bäuche (wobei Ether den dicken Bauch des Reichsmarschalls so geflissentlich übersah, dass dem das auffallen musste). Wir müssen also mit einer defätistischen Stimmung in der Bevölkerung rechnen, wenn wir den Krieg beginnen.“

„Daran arbeiten wir gerade“, begann der Reichsmarschall zu prahlen. „Der Reichspropagandaminister hat einige Filme in Auftrag gegeben.“

„Filme? Schön“, unterbrach ihn Ether kalt. „Wir haben uns um die Gewerkschaften gekümmert und um die Genossen von der SPD. Die anderen Parteien werden nicht so zicken und sich selbst auflösen.“

„Sie haben sich um die Gewerkschaft gekümmert?“, fragte der Reichsmarschall, dem es gar nicht gefallen hatte, so grob unterbrochen zu werden.

„Bereits während der Machtergreifung. Wissen Sie nicht, dass die Proletarier den Generalstreik planten, sollte unser Führer Reichskanzler werden?“

„Dazu ist es ja nicht gekommen“, warf der Reichsmarschall ein.

„Weil wir vorgesorgt haben“, unterbrach ihn Ether wieder. „Mit einer freundlichen Einladung der wichtigsten Arbeiterführer in dieses Gebäude. Hier haben wir ihnen sehr handfest erklärt, was mit ihnen und ihren Familien geschieht, wenn es zum Generalstreik kommt.“

„Sehr handfest?“, fragte der Reichsmarschall zögernd, der sich darunter nichts Bestimmtes vorstellen konnte.

Ether seufzte. Dem Reichsmarschall fehlte einfach die nötige Fantasie, um eine Geheime Staatspolizei erfolgreich zu leiten. Also verdeutlichte seine Geste, was seine Worte dem Reichsmarschall nicht vermitteln konnten. „Natürlich arbeiteten unsere handfesten Argumente so, dass es keine Veilchen, blaue Flecken oder andere sichtbare Folgen unseres Gespräches gab. Aber sie waren schmerzhaft genug, eine Weile in Erinnerung zu bleiben. Damit ist nun endgültig Schluss. Keine Gewerkschaften mehr, keine Parteien mehr und nur eine Polizei. Meine.“

Der Reichsmarschall wollte angesichts dieser Arroganz, zu der er sich allein berechtigt fühlte, gerade wieder eine ungesunde Gesichtsfarbe aufbauen, als ein niederer Dienstgrad der SS, Hacken knallend und den Parteigruß entbietend, Ether ein Schriftstück reichte.

Der las und wurde rot dabei, während der Reichsmarschall sich an Ethers immer wütender werdendem Gesichtsausdruck so sehr amüsierte, dass er meinte, es genüge, wenn einer rot werde.

„Weiß es schon die Presse?“, blaffte Ether.

„Die war bei der Urteilsverkündung zahlreich vertreten. Deutsche Journalisten, aber auch welche aus dem Ausland.“

„Gottverdammte Scheiße“, wollte Ether gerade losbrüllen, als ihn der Reichsmarschall unterbrach: „Darf ich erfahren, welche Nachrichten Sie haben, Herr Reichsführer?“

„Der Reichstagsbrandprozess ist zu Ende. Sie haben alle freigesprochen. Diesen verrückten Holländer natürlich nicht. Der wurde schuldig gesprochen. Aber die anderen Kommunisten sind frei.“

Mit einem so falschen Bedauern, wie es ihm nur möglich war, antwortete der Reichsmarschall: „Das wird dem Führer aber gar nicht gefallen. War Ihre Polizei nicht für die eindeutige Beweislage zuständig? Scheint so, als wäre die nicht eindeutig genug gewesen. Sie wissen gar nicht, mein lieber Ether, wie froh ich bin, dass es allein Ihre Polizei ist.“

Damit drehte er sich um und ging, ein recht anzügliches Kriegslied vor sich her pfeifend, hinaus.

Ether sah ihm wütend hinterher.

Allerdings war es jene kalte Wut, die er immer dann hatte, wenn ihm eine Niederlage drohte.

Als der Reichsmarschall die große Tür hinter sich zuknallen ließ, wusste Ether, wie es weitergehen musste.

„Wir nehmen die freigesprochenen Kommunisten in Schutzhaft“, befahl er seinem immer noch warteten Untergebenen und fügte hinzu: „Außerdem hat sich mein Fahrer sofort bereit zu halten. Ich muss schneller in der Reichskanzlei sein, als dieser fette Ex-Flieger. Ich werde dem Führer erklären, wie gut es war, dass der Prozess so ausgegangen ist.“

Ort: Psyche, Moskau, Kreml

„Es ist nicht allein mein Verdienst, dass die Schlacht so ausgegangen ist, Genosse Vorsitzender, sondern auch das Verdienst meines Beraters.“

Der Genosse Vorsitzende hatte bei diesen dankbaren Worten des General Schukow nur mit halbem Ohr zugehört. Nun sah er sich aber den Berater genauer an. Der trug eine deutsche Uniform.

„Sie sind kein Offizier der Roten Armee?“, fragte Wissarew.

„Oberst von Ehrlichthausen, Genosse Vorsitzender.“

„Sie sind ein Sohn des berühmten Generals? Ich wusste nicht, dass unsere Zusammenarbeit mit dem deutschen Reichsheer immer noch Bestand hat. Seitdem bedauerlichen Tot meines lieben Freundes, des Genossen Arx, habe ich keinen direkten Kontakt mehr zur militärischen Führung dieses Landes“, antwortete Wissarew, ohne bei dieser Lüge zu zögern oder auch nur rot zu werden.

„Es ist eine fruchtbare Zusammenarbeit, Genosse Vorsitzender, die man keines Falls ignorieren sollte.“

„Meinen Sie? Die Britannier und die Großfränkische Republik drängen mich zu einer Erneuerung der alten Entente. Sie meinen, Deutschland wolle uns angreifen. Weiß das Reichsheer von solchen Plänen ihres neuen Kanzlers?“

„Glauben Sie, ein Ehrlichthausen würde militärische Geheimnisse weitergeben?“, erwiderte Wihtania diesen plumpen Versuch mit einer Gegenfrage.

Wissarew lächelte: „Wenn es seinen Zielen dienlich wäre, ganz gewiss. Ich habe mit Freude beobachtet, wie Ihr Vater, der alte Fuchs, mit seiner Kapitulation im Kaiserkrieg alle an der Nase herumgeführt hat. Könnte fast von mir sein. Lebt er noch?“

„Er hat sich vollständig aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen“, antwortete Wihtania.

„Der Glückspilz. Generale können das. Wenn sie verloren haben, ziehen sie sich ins Privatleben zurück, damit jedermann ihre Niederlage vergisst, nicht wahr, General Schukow“, bezog er diesen mit der versteckten Drohung wieder ins Gespräch ein, damit der nicht vergesse, der Genosse Vorsitzende gestatte seinen Generalen keine Niederlagen.

„Wenn ich verliere“, fuhr er fort, während er sich umdrehte, um aus dem Fenster zu sehen, „muss ich mit dem Schlimmsten rechnen. Meine Gegner in diesem Land sind ohne Zahl. Sibirien ist nicht groß genug, sie alle aufzunehmen. Das Ausland hingegen scheint die Feindschaft uns gegenüber vergessen zu haben. Nicht nur Britannier und Franken buhlen um unsere Gunst, auch der deutsche Kanzler wünscht einen Pakt mit der bolschewistischen Gefahr … Was meinen Sie, Oberst von Ehrlichthausen? Ist es eine Falle oder ein ehrliches Angebot?“

„Die Deutschen haben Ihnen ein Angebot gemacht?“, fragte Wihtania überrascht.

„Kennen Sie den Grafen von der Schulenburg nicht? Er ist hier Botschafter. Ich dachte immer, die Adligen kennen sich. Meist sind sie doch untereinander verwandt.“

„Natürlich kenne ich den Grafen und er hat im Gespräch gelegentlich bestimmte Andeutungen gemacht. Aber ich habe immer geglaubt, es sei ein Ablenkungsmanöver. Die Nazis haben sich die Vernichtung des Bolschewismus als Hauptziel gesetzt. Mit seinem Todfeind verhandelt man nicht.“

„Sind Sie sich sicher? Sie haben mir ganz im Gegenteil eine fette Beute versprochen. Die östliche Hälfte dieses fränkischen Marionettenstaates, der sich jetzt Polen nennt. Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.“

„Sie müssen es ablehnen, Genosse Vorsitzender. Stellen Sie sich vor, wie das international wirkt, wenn Sie mit den Nazis Verträge abschließen. In den westlichen Staaten macht man keine großen Unterschiede zwischen Ihrem Regime und den neuen Machthabern in Deutschland.“

„Trotzdem verhandeln sie ebenfalls mit uns. Sie bieten mir mit ihrer Entente an, dieselben Fehler zu machen, an denen bereits der Zar gescheitert ist. Ich weiß, wie der seine Fehler bezahlen musste. Ich habe nicht vor, es ihm gleich zu tun.“

„Das werden Sie aber, wenn Sie mit den Nazis paktieren. Wir haben im Osten der Sowjetunion für militärische Klarheit gesorgt, um im Westen die Hand frei zu haben. Denn dort ist ein Krieg unvermeidlich. Der Krieg gegen die Nazis.“

„Das sagen Sie mir? Als deutscher Oberst? Haben Sie nun doch vor, militärische Geheimnisse zu verraten? Oder sind sie nur Teil eines politischen Komplotts? Ich habe gehört, nicht alle Deutschen seine mit der Politik ihres neuen Reichskanzlers einverstanden. Gehören Sie dazu?“, fragte Wissarew, wobei er sein aus-dem-Fenster-sehen geschickt dazu benutzte, um zu verbergen, wo er wirklich hinsah.

Wihtania nickte nur und sah ebenfalls in jene Ecke, die Wissarew so interessierte.

Sie benötigte danach nur den Bruchteil einer Sekunde, ihren Entschluss zu fassen. „Genosse Vorsitzender, ich bitte Sie höflichst darum, als Adjutant des Genossen Schukow in die Rote Armee eintreten zu dürfen. Um meine Demission in Deutschland kümmere ich mich selbst, falls Sie meine Bitte positiv bescheiden.“

Natürlich war Wissarew nicht überrascht von dieser Bitte. Aber er schien ernstlich zu überlegen. Dass er dabei leise vor sich hinmurmelte, wen verwunderte das. Schließlich war eine wichtige Entscheidung zu treffen.

„Als Offizier der Roten Armee müssen Sie aber auch sowjetische Staatsbürgerin werden … Hm … ich wollte sagen, sowjetischer Staatsbürger. Das ist Ihnen doch sicher bewusst.“

„Selbstverständlich, Genosse Vorsitzender.“

Wieder murmelte Wissarew eine ganze Weile in seinen Bart. Schließlich nickte er und drehte sich vom Fenster weg wieder zu den beiden Offizieren um. „Der Genosse Schukow soll Ihnen eine anständige Uniform verschaffen. Als Oberst der Sowjetarmee. General werden Sie erst, wenn Sie sich das verdient haben. Sie dürfen wegtreten, Genossen.“

Das taten die Genossen auch. Wortlos.

Schukow sprach erst draußen, im langen Kremlflur, als beide ausreichend von Wissarews Arbeitszimmer entfernt waren. Er sprach gepresst durch die geschlossenen Zähne, um seiner Wut die nötigen Grenzen zu setzen, die der Kreml von ihm verlangte. „Was soll dieser ganze Scheiß, Herr von Ehrlichthausen. Wir sind hier, weil man mich zum Helden der Sowjetunion gemacht hat. Und nun so eine beschissene Intrige? Von Ihnen?“

„Von mir bestimmt nicht. Haben Sie nicht bemerkt, wohin Wissarew die ganze Zeit geblickt hat. Immer in der Hoffnung, wir merken das nicht.“

„Hingesehen? Er hat Selbstgespräche geführt. Das machen alte Männer in hohen Positionen manchmal.“

„Er hat keine Selbstgespräche geführt. Er hat mit meinen Brüdern gesprochen.“

„Mit Ihren Brüdern?“

„Huldrich und Gerrich sind meine Brüder.“

„Die beiden Generale des Zaren? Ich dachte, die seien tot oder in Sibirien.“

„Leider nein. Sie sind immer noch in Moskau und beraten Wissarew. Sie kümmern sich in diesem Land darum, dass die Geschichte ihren richtigen Verlauf nimmt.“

„Sie machen was?“

„Ach Georgi Konstantinowitsch, ich sehe schon, ich muss Ihnen einiges erklären.“

„Dann schießen Sie mal los.“

„Huldrich und Gerrich gibt es schon seit Jahrhunderten“, versuchte Wihtania eine Erklärung zu improvisieren, die der General auch verstand und die sein Weltbild nicht gleich völlig zerstörte. „Sie sind sozusagen ein Teil der Personifizierung Russlands.“

„Ein Teil von was?“

„Der andere Teil ist meine Mutter. Die kennen Sie als Schneekönigin.“

„Haben Sie getrunken, Oberst?“, konnte sich der General die Sache nicht anders erklären.

„Haben Sie mich schon mal trinken sehen, General? Na also. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie meine Familie genauer kennenlernen? Das ist überhaupt die Idee. Wir werden sofort hinreisen. Das geht ganz schnell. Ich glaube, dann muss ich Ihnen nicht mehr so viel erklären.“

Ort: Psyche, Berlin, Prinz Albrecht Straße

„Nein, Sie müssen mir nichts erklären, Herr Reichsführer. Diese Entscheidung unseres Führers war schon lange überfällig“, antwortete Dr. Boelker beflissen.

„Sie billigen sie also, Herr Dr. Boelker?“, fragte Ether.

„Billigen? Ich habe immer gehofft, dass er dieser korrupten und durch und durch von falschen Rechtsgrundsätzen verseuchten Justiz der alten Republik den Garaus macht.“

„Es gibt so vieles, was verändert werden muss. Die Justiz ist nur ein Teil davon. Dieser skandalöse Freispruch der kommunistischen Reichstagsbrandstifter zeigt deutlich, wie notwendig die Gründung eines echten Volksgerichtshofes ist“, stimmte Ether zu.

„Aber dieser Volksgerichtshof darf kein Sondergericht bleiben. Er muss Teil der regulären deutschen Justiz werden, Herr Ether. Ein Oberstes Gericht, gegen dessen Entscheidungen es keine Appellation gibt“, verlangte Boelker.

„Das wird er. Noch in diesem Jahr, Herr Dr. Boelker. Versprochen. Fangen Sie nur rasch mit Ihrer Arbeit an. Der Führer wünscht kurze Prozesse.“

„Wir werden mit diesen Vaterlandsverrätern kurzen Prozess machen. Das verspreche ich Ihnen.“

„Schön. Es ist nötig. Auch wir werden unsere Polizeitaktik ändern, Boelker. Keine nächtlichen Verhaftungen. Kein Erschießen auf der Flucht. Wir holen die Leute am helllichten Tag aus ihren Wohnungen. Wir verurteilen sie in aller Öffentlichkeit durch treue Richter wie Sie. Alle sollen sehen, dieser Staat ist bereit, gegen seine Feinde durchzugreifen.“

„Dann reicht ein Volksgerichtshof aber nicht.“

„Wir arbeiten daran. Es wird bald keinen Teil der Staatsmacht mehr geben, auf den die NSDAP keinen Einfluss hat.“

Ort: Psyche, Berlin, Grunewald, Villa Kowalski

„Du hast umfassenden Einfluss auf den britannischen König? Wie?“; fragte Kowalski erstaunt.

Ala Skaunia lächelte. „So, wie Frauen Männer am Leichtesten in den Griff bekommen. Über eine Frau. Das war gar nicht so schwer. Der König hatte schon als Prinz eine Verachtung für alles Althergebrachte und lebte ein sehr freies Leben. Wie mein Prinz übrigens auch. Er hatte viele Geliebte, aber keine Gemahlin. Anders als mein Prinz. Es war also nicht schwer, ihm die richtige Geliebte zuzuführen. Eine, die weiß, was der Prinz möchte.“

„Und was möchte der Prinz?“

Ala Skaunia flüsterte es ihm ins Ohr.

„Auf so was steht der?“, fragte Kowalski erstaunt und erschüttert zugleich.

„Sex hat auch viel mit Gefühl und Zuneigung zu tun, mein Süßer. Der König hat als kleiner Prinz Gefühle der Zuneigung nur durch solche Handlungen erfahren. Also sind Schläge die einzige Form von Sex, die ihn erfüllt.“

„Es erschüttert mich, wie rational du an dieses Thema herangehst.“

„Keine Angst, mein Prinz, ich liebe dich ja gerade, weil du ein so natürlicher Mann bist. Zumindest, was den Sex betrifft. So einen hatte ich noch nie.“

Kowalski beschloss diesen Aspekt der Diskussion erstmal außen vor zu lassen und sich auf die britannische Monarchie zu konzentrieren. „Aber der König von Britannien? Er ist immerhin mein Cousin.“

„Dieser nicht. Er ist eher dein Ururenkel“, korrigierte Ala Skaunia.

Kowalskis Lippen bewegten sich lautlos, während er nachrechnete. „Stimmt“, bestätigte er dann, „mein Gott, wie alt ich schon bin.“

„Tröste dich, ich bin viel älter als du. Ist doch egal, wenn uns das niemand ansieht. Als nie älter werdende Götter sind wir die Elite. Uns steht die Macht zu.“

„Die wir nutzen, indem wir gegen Königshäuser intrigieren?“, zweifelte Kowalski.

„Du bist ein Mann. Du kannst in den Krieg ziehen. Als Frau kann ich nur intrigieren“, versuchte sich Ala Skaunia schmollend von ihm abzuwenden.

Aber er zog sie wieder zu sich heran. „Du bist auch eine große Kriegerin und wirst immer besser im Kämpfen. Irgendwann wird es auch Frauen gestattet sein, in der Armee ihres Landes zu dienen.“

„Auf Terra Nostra dürfen sie das schon lange. Aber aus der Terra Nostra haben sie uns ausgestoßen, weil wir diese Welt zu radikal verändern wollten. Also verändern wir Psyche radikal.“

„Durch Intrigen gegen Könige, die meine Verwandten sind? Klingt doch gar nicht mal so schlecht. Lass uns sehen, was wir noch finden, außer einer skandalösen Geliebten.“

Mit diesen Worten ließ Kowalski eine MindNetProjektion vor den beiden entstehen, in deren Mitte das Bildnis des aktuellen, noch sehr jungen britannischen Monarchen zu sehen war. Um ihn herum flackerten andere Bilder.

Kowalski pfiff durch die Zähne. „Wow, ich habe noch nie einen Herrscher erlebt, der sich in so kurzer Zeit bei so vielen Leuten unbeliebt gemacht hat. Die Konservativen seines Landes fürchten seine linke Einstellung. Die Linken hassen ihn, denn er hat sie als „cranks“ bezeichnet. Er hasst so ziemlich alles, was es gibt, einschließlich seiner eigenen Person.“

„Wie machst du das?“, fragte Ala Skaunia, fasziniert auf die MindNetProjektion sehend.

„Diese Projektion? Das ist ganz einfach. Maria hat es mir gezeigt. Willst du es lernen?“

Ala Skaunia nickte heftig.

„Gut, dann zieh dich aus.“

„Ich wusste, dass so etwas kommt“, erwiderte sie halb schmollend, halb belustigt.

„Nein, es hat nichts mit Sex zu tun, sondern damit, meinen und deinen Körper physisch und psychisch zu verschmelzen“, erklärte Kowalski lachend.

„Also doch so etwas wie Sex“, fasste sie zusammen, während sie sich, genau wie er, ihrer Kleidung entledigte.

„Du wirst sehen, es ist viel intensiver“, versprach er.

Ort: Psyche, Moskau, Kreml

„Ich hoffe, wir werden die Beziehungen unserer beiden Länder in Zukunft noch viel intensiver gestalten“, sagte Wissarew, während er dem deutschen Botschafter zum Abschied die Hand reichte.

„Das hoffe ich nicht nur, es ist auch der Wunsch meiner Regierung“, versicherte dieser, bevor er das Arbeitszimmer des sowjetischen Woschd verließ.

Kaum hatte der Graf das Zimmer verlassen, hob Gerrich seine Tarnung auf und klatschte spöttisch Beifall, während Huldrich schweigend danebenstand.

Wissarew sah das Klatschen mit Missbilligung. Er hatte sich aber schon längst abgewöhnt, gegen das Erscheinen dieser Götter irgendetwas zu unternehmen.

Dazu waren die zu mächtig. Außerdem hatten sie versichert, nur sein Bestes zu wollen. Scheinbar stimmte das, denn Wissarew war immer mächtiger geworden, seit sie ihm halfen. Inzwischen hatte er in diesem Land keine politischen Feinde mehr. Zumindest keine, die noch lebten.

„Gehen Sie ins Theater, General Gerrich? Dann wissen Sie, dass Beifall Zustimmung bedeutet.“

„Richtig, Genosse Wissarew“, antwortete Gerrich, scheinbar zustimmend, „Sie wissen gar nicht, wie mich das freut, Ihr Land mit Nazideutschland auf einem solchen Annäherungskurs zu sehen.“

„Wir haben viel gemeinsam“, bestätigte Wissarew, „denn wir haben den letzten Krieg verloren und stehen in der Welt politisch ziemlich isoliert da. Warum sollen wir uns nicht verbünden wollen?“

„Die Pest und die Cholera gehen zusammen. Wie reizend.“ Huldrich konnte seine Abscheu nicht in spöttischer Missbilligung verbergen, wie sein Bruder. Er sagte offen, was er dachte.

Wissarew auch. „Sind wir in Ihren Augen die Pest oder die Cholera, General Huldrich?“

„Suchen Sie sich was aus“, gab sich Huldrich großzügig.

„Aber, aber, meine Herren, Ihr Streit bringt uns nicht weiter“, war Gerrich immer noch ganz Spott. „Fakt ist, dass uns die Deutschen die Hand gereicht haben. Wir sollten sie ergreifen, um so Zeit zu gewinnen, uns auf ihren Angriff vorzubereiten.“

„Sie werden uns nicht angreifen. Wir werden Verbündete sein“, widersprach Wissarew heftig.

„Die Wünsche des Woschd der Sowjetunion werden nicht immer politische Wahrheit. Ein wenig Denken hilft dabei, das zu erkennen“, spottete Gerrich.

„Es ist nicht nur mein Wunsch, unsere Reiche verbündet zu sehen, sondern auch der des deutschen Reichskanzlers“, argumentierte Wissarew.

„Warum der das will?“, tat Gerrich, als würde er nachdenken. „Ah, ich hab’s“, schien ihm plötzlich die Erleuchtung gekommen zu sein, „der will den Rücken frei haben, wenn er das Großfränkische Reich vollständig vernichtet, nachdem er ihm scheibchenweise faschistische Republiken herausgeschnitten hat, um es zu schwächen.“

„Die Franken kann er gern angreifen“, gab sich Wissarew gönnerhaft, „wenn sich die Kapitalisten gegenseitig zerfleischen, soll uns das nur recht sein.“

„Dann wird der deutsche Reichskanzler die Polnische Republik angreifen lassen?“, tat Gerrich, als müsse er raten.

„Das ist noch streng geheim“, bestätigte Wissarew. „Wir werden sie uns teilen. Die Sowjetunion bekommt den Osten, die Deutschen den Westen Polens.“

„Ach, so weit sind wir uns schon einig? Schön. Dann kann ich dem Genossen Wissarew mitteilen, dass er nur noch ein paar Jahre auf seinem sowjetischen Thron sitzen wird. Drei, um genau zu sein.“

Huldrich sah, Wissarew verstand nicht, was sein Bruder ihm mitteilen wollte. Also erklärte er: „Nach dem Überfall auf Polen und der Aufteilung dieser Republik wird Deutschland viel näher an Moskau sein, als jetzt. Gute Gelegenheit für die Faschisten, den Bolschewismus in der Sowjetunion zu vernichten. Also müssen wir Vorkehrungen treffen, um für diesen Überfall gerüstet zu sein.“

„Müssen wir nicht“, widersprach Wissarew heftig, „wir werden Verbündete sein. Die greifen sich nicht gegenseitig an, die stehen einander bei.“

Huldrich winkte ab. „Du redest gegen eine Wand, Bruder. Er will dich nicht verstehen. Spätestens wenn die Nazis vor Moskau sind, wird er das.“

Gerrich nickte und sagte, immer noch spottend: „Es wird der Untergang des Genossen Wissarew sein. Schade, ich hatte mich gerade an ihn gewöhnt. Mal sehen, ob der neue Woschd von Russland sich einsichtiger zeigen wird. In drei Jahren, Genosse Wissarew. Tschüss, bis dahin.“

Einen sehr nachdenklichen Wissarew zurücklassend, verschwanden beide in der RaumZeit.

Es war lange Ruhe in Wissarews Arbeitszimmer. Fast eine halbe Stunde lang. Dann griff der zum Telefonhörer. „Ich möchte den General Schukow in meinem Arbeitszimmer sehen. So schnell, wie möglich … Ja, ich weiß selber, dass er zurück zum Amur will. Halten Sie ihn auf und bitten Sie ihn hierher. Mit aller Freundlichkeit. Verstanden? … Und seinen Oberst Ehrlichthausen soll er mitbringen, mit dem er immer zusammen ist, als wären die beiden ein Liebespaar … Sie sollen herkommen. Termin gestern.“

Dann legte er den Hörer auf und sah aus dem Fenster. Eine Sache hatte er von Huldrich und Gerrich bereits gelernt.

Immer auf alles vorbereitet zu sein.

Ort: Psyche, Blenheim Palace, UK

„Wir sind auf alles vorbereitet, Montmorency, dessen kannst du sicher sein“, erklärte der Herzog von Marlborough seinem Gesprächspartner.

Der ging still weiter durch den Park und achtete, lächelnd, scheinbar nur auf den Weg.

„Dir macht nur die Liebschaft seiner Majestät des Königs Sorgen?“, fragte er leise.

„Sie ist nicht nur ein Skandal, sondern auch ein gewaltiges Politikum, an dem das Empire zerbrechen kann“, echauffierte sich Marlborough.

„Was geht uns der der Sex des Königs an?“

„Er will dieses Weib heiraten. Eine zweimal geschiedene Frau aus Hinterindien. Als Königin des Empires?“

„Weil sie zweimal geschieden ist oder weil sie Amerikanerin ist?“, tat der Herzog von Montmorency, als verstehe er den anderen Herzog nicht.

„Du verschweigst mir etwas. Nicht einmal der MI 6 weiß so viel wie Peta Avatar. Aber einem alten Freund wie mir kannst du es doch verraten.“

Peta blieb stehen und sah den Duke of Marlborough an. „Es ist doch vollkommen egal, dass der König nur einen hochkriegt, wenn man ihn verprügelt. Für einen konstitutionellen Monarchen sollte das kein Problem sein. Dann hat er es im Bett so wie im politischen Leben. Viel wichtiger ist, wo er seine politische Heimat sieht.“

„Du meinst, er sieht sie nicht im Empire?“

„Schon. Aber in einem, wo nicht das Parlament, sondern ein faschistischer Führer das Sagen hat. Er.“

„Er, ein Führer? Er schafft doch nicht einmal die Führerschaft in seinem Bett. Wie will er dann ein Land regieren?“

„Das könnte ja die zweimal geschiedene Dame aus den Vereinigten Staaten für ihn übernehmen.“

„Dieses Land wird weder von diesem König geführt, noch von dieser Hure.“

„Sondern von Winston Churchill, neunter Herzog von Marlborough“, ergänzte Peta.

„Daran arbeite ich schon so lange vergeblich. Weiter als bis zum Minister habe ich es nie geschafft. Und ich glaube nicht mehr daran, dass ich Premierminister werde.“

„Minister sein ist doch auch ganz schön“, spottete Peta.

„Ministerpräsident ist aber besser. Ich würde den Wohnsitz hier gern gegen Ten Downing Street eintauschen.“

„Soll ich dir dabei helfen? Dann wartet aber noch viel Arbeit auf uns.“

„Du willst mir dabei helfen? Was habe ich zu tun?“

„Zuerst einmal müssen wir dafür sorgen, dass der König seine amerikanische Liebste zur Gattin nehmen kann.“

„Er müsste dafür auf seinen Thron verzichten.“

„Das wird er“, antwortete Peta. Schließlich war er in der Lage, die Zukunft zu berechnen. „Danach werden wir bei den Deutschen so lange um Frieden betteln, dass ihnen gar nichts weiter übrigbleibt, als uns den Krieg zu erklären. Der deutsche Reichskanzler wird nicht böse sein. Er hält sich für einen großen Strategen und will die Welt erobern. Die friedliebende britannische Regierung wird dieser Krieg so kompromittieren, dass die Hausnummer Zehn in der Downing Street für den Herzog von Marlborough frei sein wird.“

„Wann?“, fragte der Herzog.

„Weiß nicht so genau“, log Peta, „in zwei Jahren vielleicht.“

* Para Bellum lat.: bereite den Krieg vor

Usus Belli

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