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1. Kapitel Criminatio*

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.

J. J. Rousseau (1712 – 1778)

Ort: Psyche, Berlin, Sakanias Wohnung

Die Frau war fast zwei Meter groß. Schlank, durchtrainiert, muskulös und braun gebrannt.

Die beiden Männer wirkten dagegen blas. Obwohl sie größer und muskulöser waren als die Frau.

Alle drei waren nackt.

Das ist manchmal so, wenn man Sex hat.

Sakania versuchte verzweifelt, wegzusehen. Wer will seine eigenen Brüder schon in einer solchen Situation überraschen?

So sehr sie sich aber auch anstrengte, es gelang ihr nicht. Sie fühlte sich wie eingefroren und hatte keine Kontrolle über ihren Körper.

Wenn sie wenigstens in der Lage gewesen wäre, ihre Augen zu verschließen. Oder ihre Ohren.

Obwohl … Dann hätte sie vielleicht nicht die Stimme gehört, die plötzlich in ihrem Kopf dröhnte.

Die Stimme des schwarzen Herzogs?

Sie klang so. So ähnlich zumindest. Denn diese sprach, als sei ihr Inhaber im spanischen Sprachraum aufgewachsen. Dem Herzog hörte man in jeder Sprache an, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen war.

Die Menage a trois hatte wenigsten mit ihren gymnastischen Übungen aufgehört. Um ebenfalls der Stimme zu lauschen. Wie Schüler ihrem Meister

Der gab genaue Anweisungen, wie es auf Psyche weiterzugehen habe. Sie hatten keine Einwände gegen seine Vorschläge. Sakania hingegen fand das, was sie hörte, einfach nur abscheulich. Ihre Feiglinge von Brüdern protestierten nicht, sondern neigten die Köpfe und nickten ergeben.

Nur die Frau wagte etwas einzuwenden: „Was du vorhast, wird weder Sakania, noch Wihtania gefallen.“

Stimmt, dachte Sakania wütend, und wir werden alles unternehmen, diese Pläne zu durchkreuzen. Das Lachen darauf dröhnte so in Sakanias Kopf, dass sie glaubte, der würde zerspringen.

„Wenn die beiden Gören sich gegen uns stellen, werdet ihr doch wohl in der Lage sein, sie aufzuhalten. Oder?“

Was Sakania am meisten erboste, war die devote Zustimmung der drei. Das bekamen die auch zu hören, denn Sakania hatte endlich die Kontrolle über ihren Körper wieder. Sie anschreiend und fieberhaft nach ihrem Schwert suchend, stürmte sie auf ihre Brüder und deren Freundin zu.

Aber die verschwanden einfach in der RaumZeit, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen.

Unsagbare Wut schüttelte Sakania.

Wut, die ständig ihren Namen rief?

Mit der Stimme Takhtushos?

Als sie die Angst in dessen Gesicht sah, war sie mit einem Schlag hellwach.

„Huldrich und Gerrich“, stotterte sie, „haben Furchtbares mit Psyche vor. Es wird einen schrecklichen Krieg geben und sie werden versuchen, den Psychanern für diesen Krieg die Macht des Atoms zu verschaffen.“

Takhtusho war erleichtert, dass Sakania endlich aus ihrem Alptraum erwacht war und mit ihm sprach.

Aber um den Inhalt ihrer Worte richtig zu verstehen, benötigte er, wie immer, sehr lange. Dann sah er sie ungläubig an. „Nuklearwaffen? Für diese Menschen? Die werden ihre Welt vernichten.“

„Das ist ihr Plan. Der Geist dieser Welt will es so.“

Takhtusho musterte Sakania aufmerksam. „Bist du dir sicher? Er riskiert seine eigene Existenz?“

„Das ist ja das unverständliche … Seine Stimme klang wie die des schwarzen Herzogs, nur in Nuancen anders“, versuchte Sakania sich an den Inhalt ihres Traumes zu erinnern, „also kann es nicht der Herzog gewesen sein. Aber wer war es dann?“

„Einer seiner Verwandten?“

„Da gibt es tausende, die in Frage kämen.“

„Aber nur wenige, die so mächtig sind, dass sie eine ganze Welt beherrschen könnten.“

Beide überlegten eine Weile.

„Paulos“, rief Takhtusho dann, um sofort von Sakania unterbrochen zu werden: „Paulos hat keine Macht.“

„Aber nur, weil ihm der Herzog diese entzogen hat, um ihn dann zu verbannen. Als Familienoberhaupt darf er das, ohne den Hohen Rat fragen zu müssen.“

„Das weiß ich doch. Ich habe zwar noch nicht gelebt, als ihr den Krieg der Kinder vom Zaun gebrochen habt, aber ich hatte bei Richard Kummer Geschichtsunterricht. Schon vergessen? Deshalb weiß ich auch, wo Paulos ist.“

„Hol ihn her“, schlug Takhtusho vor.

„Wenn das so einfach wäre“, erwiderte Sakania und überlegte. Eine ganze Weile. Dann erklärte sie Takhtusho ihren Plan.

Was sie verschwieg, war die Beteiligung der dritten Person an der Verschwörung. Jener Frau, die Sex mit Huldrich und Gerrich hatte.

Schon dafür gehörte sie bestraft. Allerdings durfte Takhtusho nie erfahren, dass es gegen seine Schwester ging. Vielleicht würde er dann die Seiten wechseln. Sie brauchte ihn aber. Nicht nur, weil sie ihn liebte. Er war auch der einzige, der Bcoto gewachsen war, sollten sie gegen sie kämpfen müssen.

Ort: Psyche, Dai Nippon, Tokio

Die beiden Kämpfer standen sich gegenüber. Jeder hatte ein Schwert in der Hand. Die Klingen waren aus Bambus und die traditionellen Visiere ihrer Samuraihelme verbargen ihre Gesichter. Der Gaijin musterte sie mit Kennermiene. Das gefiel seinem Begleiter überhaupt nicht. Er wollte dem eingebildeten Deutschen mit diesem Besuch einer japanischen Kampfschule eigentlich zeigen, die Japaner seien die besten Kämpfer der Welt. Japanische Samurai sowieso.

Der tat, als kenne er sich aus. Wie sollte er? Nur, weil er fehlerfrei japanisch sprach? Gut, auch mit ihren Traditionen kannte er sich aus. Aber beim Kämpfen?

Die beiden Schwertkämpfer zeigten eine knappe halbe Stunde, was sie bereits gelernt hatten. Dieser kleine Einblick in den Kenjutsu schien den Fremden ebenfalls nicht zu beeindrucken.

„Diese Schüler waren gut, aber sie müssen noch viel lernen. Vor allem Geduld. Sie wussten, dass ich zusehe, nicht wahr?“

Ozaki Hotsumi2 wurde nicht schlau aus diesem Mann, den er gern als seinen Freund sehen würde. Der gab sich als Russe aus, arbeitete aber für eine renommierte deutsche Zeitung in deren Sprache.

Hotsumi verneigte sich vor dem Wissen des Gaijin und antwortete: „Sie wussten, dass Sie ein Reporter sind. Deshalb ihre Aufregung.“

„Aufregung beim Kampf ist immer ungünstig. Es sei denn, man macht sie sich zum Verbündeten. Ihr Lehrer ist Shigetada Tōgō. Richtig?“

„Sie kennen Shigetada Tōgō?“

„Wir sind uns ein paar Mal begegnet. In einem früheren Leben. Er war Lehrer in Jigen-Ryū. Ich konnte ihm ein paar Tricks mit dem Katana beibringen. Zur Belohnung zeigte er mir seine Kampfkunst.“

„In einem früheren Leben? Haben Sie unser Leben so verinnerlicht, dass Sie zum Hinduismus übergetreten sind?“

„Weil ich weiß, das Leben ist eine beständige Wanderung zwischen Geburt, Tod und Wiedergeburt? Nein. Die Palingenese ist kein asiatisches Monopol. Auch die Jünger des Pythagoras aßen keine Bohnen, da sie glaubten, die Seelen Verstorbener könnten darin wohnen. Ich allerdings ziehe die Körper von Menschen als Behausung meines Geistes stets vor.“

Hotsumi verstand den Sinn dieser Antwort nicht. Er glaubte aber, eine Gelegenheit gefunden zu haben, sich dem Fremden erkenntlich zu zeigen. „Ich kann Sie dem Meister vorstellen. Ich hatte selbst einige Zeit die Ehre, sein Schüler zu sein.“

„Darum wollte ich dich gerade bitten.“

„Unter welchem Namen? Wenn ich Ihren damaligen Namen benutze, erkennt er Sie vielleicht aus Ihrem früheren Leben wieder.“

„Höre ich da Spott in deiner Stimme? Ich habe in dieser Welt nur einen Namen. Stell mich also bitte als Richard Sabota vor.“

Ort: Psyche, Berlin, vor dem Reichstag

„Richard Sabota lebt natürlich noch. Den habe ich ja nicht umgebracht?“, gab il caskar zu.

„Kann es sein, dass Richard Kummers Geist in sein östliches Alter Ego geflüchtet ist und jetzt in Richard Sabotas Körper lebt?“, fragte Takhtusho.

„Das ist nicht möglich“, widersprach il caskar. „Denk doch an Alexandra Al Kahira. Die Geister zweier Vollbürger in einem Körper verursachen schwere psychische Krankheiten. Richard Sabota ist geistig gesund und so mächtig wie eh und je. Aber für uns ist er keine Gefahr, da er nur im Osten herrscht.“

„Dann solltest du dich zuerst einmal mit der Frage beschäftigen, was Richard Kummers Geist anstellt, eh du versuchst, in der Nazipartei Macht zu erlangen“, brachte Takhtusho seine Bedenken nochmals auf den Punkt.

„Ich habe keine Vollbürgerkräfte mehr. Hast du das vergessen? Ich bin fast so ein Nichts, wie die Ureinwohner dieser Welt. Der Hohe Rat hat mich schwach gemacht, weil er Angst vor mir hat. Also muss ich schnell wieder stark werden. Das geht am schnellsten durch die Macht des Faschismus. Schließlich habe ich den erst mächtig gemacht.“

„Deswegen haben sie dich doch verurteilt. Wenn du weiter mit den Nazis zusammenarbeitest, zeigst du, dass du das Urteil nicht annimmst und gibst ihnen das Recht, dich doch auf eine einsame Welt zu verbannen.“

„Meinst du?“, fragte il caskar nachdenklich.

„Ich denke, der Herzog wollte genau das. Er tat so, als komme er dir entgegen. Dabei hofft er auf dein Scheitern, um dich dann doch noch für Jahrhunderte unschädlich zu machen. Nach dem Krieg der Kinder hat es doch auch geklappt.“

il caskar sah seinen großen Freund überrascht an. „Du hast recht. Das könnte sein Plan sein. Dann müssen wir anders vorgehen.“

„Aber wie?“

„Nun lass mich doch erstmal überlegen.“ Das tat il caskar dann auch. Lange.

„Ich habe doch die Aufgabe, Psyches Europa wirtschaftlich und politisch zu einigen“, begann er dann das Ergebnis seiner Überlegungen mitzuteilen.

„Stimmt. So steht es im Urteil.“

„Da steht aber nicht drin, wie. Also bedeutet das, in dieser Frage habe ich freie Hand.“

„Kann man so interpretieren“, war Takhtusho nicht ganz überzeugt.

„Kann man nicht, muss man.“ il caskar hatte wie immer keine Zweifel. „Die Nazis wollen ganz Europa erobern. Daraus machen sie ja keinen Hehl, auch wenn das die Politiker der anderen Länder ignorieren. Wir helfen ihnen und bleiben dabei immer schön im Hintergrund. So können die Nazis diesen Plan umsetzen und ich erfülle damit die Auflagen meines Urteils.“

Nun überlegte Takhtusho eine ganze Weile. Länger, als il caskar. Wer ihn bereits aus den vorherigen Büchern kennt, weiß noch, Denken war noch nicht so seine Stärke. Kämpfen eher. Mit Kämpfen hatte il caskars Plan wenig zu tun. Aber viel mit dem, was der Hohe Rat seit Jahrhunderten auf Psyche machte. Also stimmte er seinem Freund zu und versprach, zu helfen.

„Sakania wird bestimmt auch mitmachen. Sie hat sich über deine Verurteilung gefreut und gesagt, vielleicht besserst du dich, damit sie dich irgendwann mal leiden kann.“

„Über Sakania reden wir später. Können wir wieder über Heinrich Ether reden?“

Wegen Heinrich Ether war il caskar nämlich im nächtlichen Berlin unterwegs. Er wollte herausfinden, was dieser hochgestellte Nazi mitten in der Nacht in Berlin zu tun hatte.

il caskar glaubte, ein Treffen Ethers mit Richard Kummer gesehen zu haben. Eines sehr jungen Richard Kummers, zugegeben. Dieser Kummerritter schien auch nicht sehr helle gewesen zu sein, meinte il caskar. Aber das Gesicht war unverkennbar.

„Schade, dass ich nicht dabei war“, bedauerte Takhtusho.

„Ja, du hättest mir helfen können, die beiden gefangen zu nehmen.“

„Nein, ich hätte mir seine Aura ansehen können. Du kannst das ja nicht mehr. Dann wären wir sicher gewesen, ob es wirklich Richard Kummer ist. Sakania sucht ihn, seit er gestorben ist. Sie hätte sich über ein Wiedersehen mit ihm gefreut.“

„Wir suchen ihn doch. Er muss hier irgendwo sein. Hilf mir, ihn zu finden, dann kannst du seine Aura nicht nur scannen, sondern ihn gleich gefangen nehmen und deiner kleinen Freundin apportieren.“

„Ich hatte für heute Abend eigentlich andere Pläne“, maulte Takhtusho.

„Du kannst deine Schöne ficken, wenn wir ihn gefunden haben. Glaub mir, sie wird viel williger sein, wenn du ihr den Kummerritter bringst.“

Ort: Psyche, Dai Nippon, Tokio

Ozaki Hotsumi brachte Richard Sabota also zu dem berühmten Kampfkunstlehrer. Erstaunt war er nicht nur über dessen Begrüßung des Gastes, sondern auch darüber, dass sich der Lehrer in seinem Gespräch dem Fremden sofort unterordnete. Als sei er dessen Untergeber. Im Japanischen erkannte man das bereits an der Art und Weise der Wortwahl und der Gesprächsführung. Sabota ging mit dem Lehrer um, als sei er dessen Fürst, der einem von ihm besonders geschätzten Samurai die Ehre eines Gespräches erwies.

Danach versammelte der seine Schüler. Die kurzen Befehle, die er sprach, erstaunten Ozaki Hotsumi noch mehr. Es sollte einen Kampf geben. Der Fremde gegen alle Schüler. Damit es nicht unfair sei, sprach der Meister, würde der Fremde unbewaffnet kämpfen. Den Schülern gestatte der Fremde alle Waffen, die ihnen genehm seien. Auch scharfe.

Der Fremde hatte sich derweil seiner gesamten Kleidung entledigt und stand nackt im Zentrum der Tatami.

Er versprach dem Schüler, der als letzter gegen ihn bestehen würde, die Ehre eines Zweikampfes.

Die Schüler musterten den Fremden nach diesem Angebot, das so sehr nach Prahlerei klang, noch wesentlich aufmerksamer als vorher. Er bestand nur aus durchtrainierten Muskeln, das mochte schon sein. Aber für einen Gaijin war er nicht sehr groß. Und gegen ihre Gruppe hatte er sowieso keine Chance. Glaubten sie.

Ort: Psyche, Berlin, vor dem Reichstag

il caskar glaubte bereits zum wiederholten Male, Richard Kummer erkannt zu haben.

Takhtusho fand das nicht mehr lustig, sondern betrachtete seinen Freund mit Besorgnis. Hatte der Hohe Rat gepfuscht? War ihnen ein Fehler unterlaufen, als sie il caskar seiner Kräfte beraubten? Nach einer Weile schlug er sich gegen den Kopf. Was war er doch immer noch für ein Idiot. Trotz der erfolgreichen mentalen Ausbildung durch Sakania.

„Gib mir deine Hand“, forderte er il caskar auf.

„Ich kann schon allein laufen. Auch im Dunkeln“, antwortete der gewohnt unfreundlich.

Also ergriff Takhtusho einfach il caskars Hand und forderte ihn auf: „Erinnere dich an das Bild des Menschen, den du für den Kummerritter gehalten hast. Sieh mich nicht so bescheuert an. Mach einfach.“

il caskar machte einfach. Takhtusho sah dabei aus, als würde er mit glasigen Augen träumen. Dann nickte er und wies vor sich. „Wir müssen in die Richtung“, sagte er.

„In den Reichstag?“

„In den Reichstag. Und entsichere deine Pistole. Du kannst dich auf einen Kampf gefasst machen.“

Das hatte il caskar befürchtet.

Ort: Psyche, Dai Nippon, Tokio

Ozaki Hotsumi hatte befürchtet, sein ausländischer Freund würde nicht lange in diesem Kampf bestehen. Nun befürchtete er, die Schüler könnten den Kampf nicht lange genug bestehen, um die Lehre zu verstehen, die ihnen der fremde Meister erteilen wollte.

Dass es um eine solche ging, war Hotsumi nach wenigen Augenblicken des Kampfes klar.

Richard Sabota bewegte sich rasch. Musste er auch. Bei so vielen Gegnern. Aber er griff dabei auch an. Zu allererst die, die ihn mit einer scharfen Waffe bedrohten. Geschickt schlug er die so, dass sie sich mit ihren Waffen selbst verletzten. Nicht gefährlich, aber schmerzhaft.

Immerhin zeigten die Verletzten so viel Mut und innere Festigkeit, selbständig die Tatami zu verlassen, um den noch kämpfenden Schülern nicht im Wege zu sein.

Aber auch die wurden immer weniger. Schließlich stand, wie von dem Fremden angekündigt, nur noch ein Gegner vor ihm. Der griff nicht an, sondern lauerte auf eine Gelegenheit dazu.

Mit allem gebotenen Respekt, was Hotsumi für vernünftig hielt. Jetzt keinen Respekt vor dem Fremden zu haben, wäre eine gefährliche Überheblichkeit.

Richard Sabota, der des gegenseitigen Belauerns müde schien, griff nun seinerseits an. Zum Teil mit Finten, die die Schüler nicht einmal bei ihrem Meister gesehen hatten.

Nun verstand Hotsumi auch den Respekt, den der Meister diesem Fremden entgegenbrachte. Der Respekt des unterlegenen Kampfkünstlers.

Die anderen Schüler sahen mit Erstaunen sowohl die Angriffe des Fremden, als auch das Ausweichen und Verteidigen ihres Mitschülers. Den hatten sie bisher ob seiner Zurückhaltung beim Kampf für ein Weichei gehalten. Nun sahen sie, was er konnte.

Hotsumi vermutete, genau das habe Richard Sabota beabsichtigt. Denn plötzlich, nach einem letzten Angriff, den er nicht zum siegreichen Ende führte, trat er einen Schritt zurück und verneigte sich vor seinem Gegner. Wie ein Meister, der die Leistung seines besten Schülers anerkennt.

Der schien froh zu sein, so aus dem Kampf zu kommen, und verneigte sich tiefer, als es der Respekt erfordert hätte.

Ort: Psyche, Berlin, im Reichstagsgebäude

il caskar bekam Respekt vor Takhtusho. Nur zähneknirschend zwar, aber immerhin Respekt. Dieses Gefühl ließ er nur langsam zu.

Immerhin hatte Takhtusho Fähigkeiten, die il caskar immer mehr vermisste. Kein Wunder, dass der besser war, als er. Er hatte auch diesen Menschen entdeckt, der dem Kummerritter so ähnelte. Mitten im Sitzungssaal des Reichstages. Und trotz der Dunkelheit.

„Ob der den Fußboden reinigt?“, fragte il caskar. In der Hoffnung, Richard Kummers Reinkarnation sei als Reinigungskraft in diese Welt zurückgekehrt.

„Mit Benzin? Wohl kaum.“

„Das ist Benzin? Will der die Bude abfackeln?“

„Sieht so aus.“

„Wir nehmen ihn fest, präsentieren ihn der Polizei und sammeln Pluspunkte. Bei den Nazis, den Bullen und beim Hohen Rat.“

Takhtusho hielt il caskar zurück. „Hast du vergessen, dass die SS jetzt die Polizei ist. Der Typ hat mit Ether gesprochen. Ether ist die SS. Die wissen also Bescheid. Ich glaube kaum, wir bekommen mit dieser Enthüllung bei irgendjemandem Pluspunkte. Sakania sagt immer, der Hohe Rat surfe auf den Ereignissen, ohne sie zu beeinflussen.“

„Sakania sagt …“, maulte il caskar. „Mag sein, du machst nur, was Sakania sagt. Aber ich muss nicht auf deine kleine Prinzessin hören.“

„Und warum nicht? Wenn sie doch recht hat. Dieser Mensch scheint ein schweres Verbrechen begehen zu wollen. Wären wir nicht da, würde es seinen Lauf nehmen. Also lass ihn machen und wir überlegen, was sich daraus machen lässt.“

„Einverstanden“, stimmte il caskar nach kurzem Überlegen zu. „Wir nutzen es zu unseren Gunsten.“

Ort: Psyche, Berlin, im Polizeipräsidium

„Wie wollen Sie das zu Ihren Gunsten nutzen, Herr Polizeipräsident? Es sind doch nur Fotos.“

Jörgensen, ehemals Chef der Berliner politischen Polizei und jetzt Polizeipräsident von Berlin, sah den Kriminalrat Renatus verdattert an. „Ja aber … Erkennen Sie denn die Frau auf den Fotos nicht, Renatus?“

Der schüttelte den Kopf und der Polizeipräsident seufzte. „Sie müssen mehr in die Gesellschaft gehen, Renatus. Sie kapseln sich ab. Diese Frau, die hier nackt zu sehen ist, hat letztes Wochenende geheiratet.“

„Dann muss man ihr gratulieren. Jetzt wird sie solche Bilder nicht mehr nötig haben. Obwohl das schade ist. Sie ist sehr schön. Vor allem nackt.“

Der Polizeipräsident drohte mit dem Finger. „Ich weiß nicht, ob die Sitte bei Ihnen in den richtigen Händen ist, Renatus. Die vielen leichtlebigen Frauen, die Sie alle anschmachten. Wer soll da stark bleiben?“

„Sie vergessen, lieber Graf, dass ich bereits mit zwei Frauen verheiratet bin. Das ist Weiblichkeit genug.“

Der Polizeipräsident lachte. Dieser Renatus und seine Witze. Der war der eingefleischteste Junggeselle, den man sich vorstellen konnte. Und der begehrteste. Ohne das scheinbar zu merken. „Geben Sie mir die Fotos“, bat er stattdessen. „Ich bin mit dem Reichsführer SS zum Essen verabredet. Die werde ich ihm zeigen. Er wird prächtig verdauen, wenn er sie gesehen hat.“

Nur Renatus Lächeln zeigte, dass genau das seine Absicht gewesen war, als er die Bilder übergab.

Ort: Psyche, Berlin, Grunewald, Villa Eberbach

il caskars Mutter übergab die Bilder.

Die andere Frau betrachtete sie.

il caskars Mutter betrachtete derweil diese Frau.

Die sah wie ihr eigenes Ebenbild aus. Nur älter.

Diese Ähnlichkeit würde der Psychanerin jedoch verborgen bleiben. Genau wie die Gleichheit der Namen, die beide Frauen trugen. Beide waren sie Gattinnen eines Generalobersts von Eberbach. Der Gatte der älteren Frau war Kommandant des Berliner Wehrkreises. Der der jünger aussehenden, einer der mächtigsten Götter des Hohen Rates. Und il caskars Vater.

Nun galt es, il caskar auf Psyche Eltern zu verschaffen.

Es passte alles, dachte il caskars Mutter. Vielleicht also eine Chance, den Fluch des Herzogs zu kompensieren?

Wenn die andere Frau von Eberbach mitspielte.

Die betrachtete die Fotos schon eine ganze Weile. „Sind Sie sich sicher?“, fragte sie.

Die lächelte. „Hören Sie auf Ihre innere Stimme. Sagt die Ihnen nicht, das könnte Ihr Sohn sein?“

„Leider bin ich nie in der Lage gewesen, meinem Mann Söhne zu schenken“, bedauerte die Psychanerin.

Die jüngere Frau lächelte. Die Kinderlosigkeit dieser Ehe war ihr vertraut. Schließlich lag die in ihrer Verantwortung. Sie war die Göttin des weiblichen Herdfeuers. Und der weiblichen Fruchtbarkeit. Überall im Multiversum. Manchmal können Götter auch Dinge zu ihrem Vorteil nutzen, die sie nie geschehen ließen. Hier war das dringend notwendig.

Nicht im Interesse der Psychanerin. Aber im Interesse der Göttin.

„Er wird Sie auf jeden Fall als Mutter erkennen“, warb die Göttin bei der Sterblichen um Unterstützung. „Sie ähneln seiner Mutter verblüffend. Vertrauen Sie mir einfach.“

„Und mein Mann? Was soll ich dem sagen, wenn wir plötzlich ein erwachsenes Kind haben.“

„War es nicht ihr Mann, der nicht auf die Hochzeitsnacht warten konnte? Dann wird er auch den Rest der Geschichte verstehen.“

„Welcher Geschichte?“

Die jung scheinende Frau erzählte sie ihr. Eine Geschichte, die in Zeiten, die nur verheiratete Mütter tolerierte, oft vorkam. Eine Geschichte, die alles erklärte.

Frau von Eberbach lauschte immer erstaunter dieser unbekannten Dame und erkannte: Genau so könnte es gewesen sein. In vornehmen Familien kommt so etwas manchmal vor. Sie kam aus einer der vornehmsten. Ihr Mann ebenfalls. Also musste er es verstehen.

„Wenn er es aber nicht versteht?“, äußerte sie ihren letzten Zweifel.

Die Göttin lächelte. „Wenn er es nicht versteht, dann ist er nicht ihr Mann. Das wird also nicht geschehen. Aber zu Ihrer Sicherheit verspreche ich Ihnen: Versteht er es nicht, werde ich Ihnen die Hilfe geben, die Sie von ihm erwarten konnten.“

Das beruhigte die Frau.

Ort: Psyche, Berlin, Grunewald, Villa Kowalski

„Es beruhigt mich ungemein, dass du mir hilfst, eine bessere Kämpferin zu werden als Bcoto“, sagte Ala Skaunia.

Keuchend. Sie war nackt und sie war außer Atem. Aber nicht, weil sie mit Kowalski Sex hatte, der ebenfalls nackt und außer Atem war. Nein. Beide kämpften. So etwas kommt in einer ehelichen Gemeinschaft schon mal vor. Aber sie bewarfen sich nicht mit Haushaltsgegenständen, sondern übten sich in echter Kampfkunst. Mit Schwertern, Äxten und anderen geeigneten Gegenständen.

Ala Skaunia war inzwischen viel schlanker und sportlicher, als zu ihrer Zeit in der Community il caskars. Auch wegen solcher Übungen.

Der Keller der Villa Kowalski war erstaunlich, hatte sie festgestellt. Es gab ein Schwimmbecken und eine große Tatami. Auf der stand Kowalski auch noch nach Beendigung der Kampfübungen, während Ala Skaunia bereits ins Schwimmbecken gesprungen war. Ihre Fähigkeiten zu schwimmen waren so gut, dass sie ihre Nacktheit Kowalski wie auf einem Bett liegend darbieten konnte.

Der wusste, was unweigerlich geschehen musste, wenn er auch ins Becken sprang. „Bist du nicht erschöpft vom Kampftraining“, fragte er in einem Ton, als hoffe er darauf.

„Du kannst wohl nicht mehr? Das, was ich mit dir vorhabe, kann ich immer.“

„Dann bist du ja stark genug, nach Bcoto zu suchen, um mit ihr zu kämpfen“, stichelte Kowalski.

„So stark bin ich noch nicht. Mit dir nehme ich es aber allemal auf.“ Dabei zeigte sie Kowalski die möglichen Schlachtfelder an ihrem Körper.

„Tut mir leid“, bedauerte der, „der Oberstleutnant Kowalski ist noch nicht kampfbereit.“

Ala Skaunia war näher herangeschwommen, um den potenziellen Gegner in Augenschein zu nehmen. Ging aber nicht. Kowalski hatte die Hände davor. Also zog sie die weg. „Von wegen, nicht kampfbereit“, neckte Ala Skaunia. „Deine Armee ist groß genug. Du bist nur zu feige, dich dem Kampf zu stellen.“

Ort: Psyche, Berlin, Parteizentrale der Nazis

„Er wird sich der Polizei stellen?“, fragte der Reichsmarschall erstaunt.

Ether nickte. „So ist es ausgemacht. Er wird sich an die Abmachungen halten. Der Mann ist ein kompletter Idiot. Warum der nicht in der Klapsmühle ist, weiß ich nicht. Umso besser für uns.“

„Es darf keine Fehler geben, Ether. Der Führer vertraut uns.“

„Das weiß ich, Reichsmarschall. Haben wir dieses Vertrauen schon mal enttäuscht? Nein.“

„Die Listen sind fertig?“, fragte der Reichsmarschall.

Ether nickte. „Die Listen ja, die Lager noch nicht ganz. Es werden erst einmal Provisorien sein, in die wir unsere Feinde sperren. Und das ist gut so.“

„Das ist gut so?“, wunderte sich der Reichsmarschall.

Ether lächelte. „Improvisieren heißt nicht, Möglichkeiten zur Flucht zu haben. Die sind ausgeschlossen. Die Lager werden die Gefangenen selbst errichten. Das spart uns Zeit und Geld. Bei der Bewachung sind wir uns einig? Die übernimmt die SS? Gut. Dann muss ich meine Truppe weiter ausbauen. Für so viele Aufgaben habe ich zu wenige Männer.“

„Dann bauen Sie Ihre Truppe aus. Das wollten Sie doch schon immer, Ether.“

Ort: Psyche, Berlin, Villa Krüger

„Nicht nur Ether weiß davon, der Reichsmarschall auch“, bestätigte Takhtusho. „Ich habe sie belauscht. Ether war beim Reichmarschall. Sie zu belauschen, war nicht weiter schwer.“

„Was haben die für einen Plan?“, fragte il caskar.

Takhtusho erklärte es.

„Der könnte glatt von mir sein“, nickte il caskar anerkennend, als er alles gehört hatte.

„Ist er aber nicht. Sie sind von ganz allein darauf gekommen. Bosheit können Menschen auch ohne uns. Dazu benötigen sie keine göttliche Inspiration.“

„Spricht da Sakania oder Takhtusho?“

„Beide.“

„Du findest es nicht gut, was sich in Deutschland anbahnt? Konzentrationslager und so.“

„Hattest du das auf Terra Nostra auch vor?“

„So etwas Mickriges? Nein. Was ich vorhatte, war viel größer. Zuerst sollten alle Halblinge ausgemerzt werden. Götterkinder, die nicht länger als ein- oder zweihundert Jahre leben können und dabei auch noch altern, sind lebensunwert und müssen sterben. Haben wir die vernichtet, müssten alle Götter daran glauben, die sich meiner Meinung in den Weg stellen.“

„Gegen die hättest du schon vorher kämpfen müssen. Meinst du, sie hätte sich den Tod ihrer Kinder gefallen lassen? Eigentlich kämpfen wir schon lange gegen die anderen Götter. Und wir haben diesen Krieg schon verloren, denn von unserer Community gibt es nur noch dich und mich.“

„Und unsere Community auf der Terra Nostra?“

„Die Gruppe hat sich aufgelöst.“

„Die hat sich aufgelöst? Die Schweine haben einen heiligen Eid geschworen. Auf meinen Hammer.“

„Dein Hammer hat sich auch aufgelöst. Weißt du noch? Bcoto hat ihn kaputt gemacht.“

„Und damit meine Community zerstört?“ Das wurde il caskar erst jetzt bewusst. Wir wissen ja, er sah nur, was er sehen wollte. Für ihn Unangenehmes gehörte nicht dazu. Es sei denn, jemand stieß ihn mit der Nase hinein, wie Takhtusho gerade.

il caskar ging ans Fenster und sah hinaus. Wütend, aber auch ratlos. „Das wird sie mir büßen“, murmelte er nach einer Weile. „Mit ihrem Leben wird sie die Vernichtung meiner Community bezahlen.“

Er sah noch in der Scheibe, dass Takhtusho plötzlich hinter ihm stand. Danach hatte er einen viel besseren Blick aus dem Fenster. Von ganz weit oben. Von Takhtushos ausgestrecktem Arm aus. „Wage es, meine Schwester auch nur anzufassen. Du bist schwach. Sie ist stark. Ich bin stark. Vergiss das nie.“

Es krachte, als il caskar im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden der Tatsachen und auf dem seiner guten Stube ankam.

Er drehte sich zu Takhtusho um. Der sah erschreckend aus in seinem Zorn. Er schien noch größer als sonst zu sein und seine dunklen Augen loderten.

il caskar verfluchte es, so schwach zu sein. Nicht einmal Takhtusho konnte er beherrschen? Dann lächelte er. Dazu brauchte man keine körperliche Stärke. Nur geistige.

„Ich freue mich, dass du immer noch die Loyalität besitzt, die dich einst in unsere Gruppe brachte“, strahlte er ihn an.

Takhtushos ausdrucksstarkem Gesicht war deutlich anzusehen, dass er il caskars Reaktion nicht verstand. „Loyalität?“, fragte er nur.

„Dieses Fremdwort sagt nichts anderes, als das man zu denen hält, die einem wichtig sind. Deine Schwester ist dir wichtig. Das weiß ich. Also habe ich dich provoziert, indem ich sie bedrohte. Bin ich dir noch wichtig?“

„Wenn du Bcoto wehtust, bist du es nicht.“

„Siehst du sie irgendwo? Bedrohe ich sie? Nein. Also, bin ich dir wichtig?“

„Ja.“

„Gut, das wollte ich hören. Ich brauche dich viel mehr, als deine Schwester. Ich bin schwach. Du bist stark. Also beschütze mich.“

„Wo willst du hin?“

il caskar lächelte.

„Dorthin, wo alles beginnen wird.“

Ort: Psyche, Berlin, Villa Eberbach

„So hat es begonnen? Weil ich nicht auf die Hochzeitsnacht warten konnte?“

Sie nickte.

„Wir haben also einen Sohn, den deine Familie vor mir versteckt hat, weil wir noch nicht verheiratet waren, als er geboren wurde? Deine Familie hat ihn dir weggenommen und später auf eine Kadettenanstalt geschickt?“

„Sie hatten Angst, du heiratest mich nicht, wenn du es erfährst“

Generaloberst von Eberbach nahm seine Frau in den Arm. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, was du durchgemacht hast. Aber ich bin stolz auf dich.“

Mit dieser Reaktion hatte sie überhaupt nicht gerechnet. „Du bist stolz, dass ich ein uneheliches Kind habe? Das ist eine große Schande für deine Frau und damit auch für dich.“

„Wir werden die Sache gemeinsam zu einem guten Ende bringen. Indem wir es legitimieren, sollten wir es finden. Er ist dein Sohn. Er ist mein Sohn.“

„Sicher?“

Er hielt sie ganz fest. „Du hast mich noch nie belogen. Da bin ich mir ganz sicher. Außerdem liebst du mich, also kommt ein anderer Mann als Vater des Kindes nicht in Frage.“

„Weil ich nicht schön genug für andere Männer bin?“, fragte sie kokett.

Diese Frage hatte der General oft beantwortet. Immer mit der gleichen Antwort: „Du bist die schönste Frau, die ich kenne.“

„Obwohl ein stattlicher Offizier wie du so oft von schönen Frauen angeschmachtet wird, die sich leicht erobern ließen.“

„Leichte Eroberungen haben mir noch nie gefallen. Du warst mein schwerster Sieg.“

„Trotz der vielen Schlachten, die du geschlagen hast?“

„Die anderen waren rein militärisch und deshalb leicht zu gewinnen.“

„Keine Frauen?“

„Keine Frauen.“

Die innige Zweisamkeit der beiden wurde durch das Läuten des Telefons unterbrochen. Telefone haben bekanntlich die Angewohnheit, sich genau solche Situationen auszusuchen, um sich bemerkbar zu machen.

Der General nahm den Hörer ab und sagte knapp: „Generaloberst von Eberbach.“

Dann lauschte er eine ganze Weile der aufgeregten Stimme am anderen Ende der Leitung. Zwischendurch fragte er: „Und der Stadtkommandant von Berlin oder die Berliner Polizei?“ Hörte aber wahrscheinlich eine verneinende Antwort, denn er versicherte: „Gut, ich gebe meinem Fahrer Bescheid und bin so schnell wie möglich bei Ihnen. Bitte? Sie holen mich ab? Einverstanden. Was, Sie fahren Ihren Wagen selbst, Kowalski? Wie Sie wollen. Ich warte draußen auf Ihre Ankunft.“

„Du musst noch mal weg?“, fragte sie besorgt, als sie sah, wie ihr Gatte nach seinem Mantel griff.

„Irgendeine große Schweinerei ist in Berlin im Gange. Nein, ich weiß auch nicht, was für eine. Kowalski hat gesagt, ich solle rausgehen. Man könne es sehen.“

Seine Gattin folgte ihm, als er nach Draußen ging.

Kowalski hatte recht. Berlin war viel heller als sonst in der Nacht. Ein gewaltiges, unstetes Licht erhellte den Berliner Nachthimmel.

Die Stirn des Generals verfinsterte sich. „So ein Licht kenne ich aus dem Krieg. Es ist das Licht einer brennenden Stadt.“

Seine Frau sah ihn erschrocken an. „Du meinst, jemand hat Berlin in Brand gesteckt?“

Ort: Psyche, Berlin, vor dem Reichstag

„Dass er den Reichstag in Brand stecken wollte, ist ja nun keine Überraschung“, maulte Takhtusho, der il caskars Begeisterung über diese Tat nicht teilen konnte.

„Mehr konnte man von diesem Spasti nicht erwarten. Ganz Berlin anzuzünden wäre besser gewesen. Aber der Reichstag, das Symbol der Demokratie … Wer jetzt nicht versteht, dass es mit der zu Ende geht, ist selbst schuld.“

„Ich denke eher, mit dir geht es zu Ende“, kam die Antwort. Aber nicht von Takhtusho.

il caskar drehte sich auf diese Worte erstaunt um. „Ala Skaunia. Du weißt gar nicht, wie ich mich freue, dich zu sehen. Möchtest du uns nicht vorstellen?“, fragte er mit Blick auf den Oberstleutnant, der in voller Uniform neben seiner Exfrau stand.

„Darf ich dir den ehemaligen Oberstleutnant von Krüger vorstellen, Schatz? In unserer Welt nennt er sich il caskar. Was er als Gott der Krieger verstanden wissen will. Aber er ist bei Weitem kein so großer Krieger wie du.“

Der sah nur stumm auf den mittelgroßen Mann mit mittelblondem Haar, das in der Mitte gescheitelt war. Er fand nichts Großes an ihm, eher nur mittelmäßiges. Und er konnte sich nicht vorstellen, was Ala Skaunia an ihm einmal gefunden hatte.

Aber der schien herausfinden zu wollen, was Ala Skaunia an Kowalski fand und sah jemanden, dessen Äußeres er gern übernommen hätte. Kowalski war groß und stark und die Uniform der Reichswehr schien seine körperlichen Vorzüge noch unterstreichen zu wollen. Nun verstand er, warum ihn seine Ex verlassen hatte. Glaubte er.

„Hast du das Feuer gelegt?“, fragte die.

il caskar schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Aber ich weiß, wer es war. Wir haben seine Vorbereitungen beobachtet.“

„Ihr habt ihn nicht aufgehalten?“, wunderte sich Kowalski.

„Warum? Ist doch ein toller Plan, aus dem sich etwas machen lässt. Heinrich Ether weiß Bescheid. Ich hoffe, er ist auch schlau genug, alle Potenzen zu nutzen, die dieses Ereignis birgt.“

„Potenzen nutzen?“, fragte Ala Skaunia. „Suchst du immer noch im Chaos nach der Macht? Ich dachte, dieses Hobby hat dir der Hohe Rat ausgetrieben.“

„Du irrst. Sie haben mir sogar gestattet, wieder nach Psyche zurückzukehren, wie du siehst. Der Herzog selbst hat mich nach meiner Bestrafung ermuntert, mich wieder bei den Nazis anzubiedern. Er meinte, es würde mir helfen, die Aufgabe zu erfüllen, die mit meiner Strafe verbunden ist.“

„Es ist also wahr? Catarina hat mir davon erzählt. Der Gesamte Hohe Rat hat dich bestraft.“

il caskar nickte. „Damit haben sie sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Ich werde mir Macht verschaffen und so irgendwann dem Hohen Rat wieder von Gleich zu Gleich gegenüberstehen.“

„Du hast nichts verstanden. Genau dieses Streben nach Macht hat dir deinen Ärger doch eingebrockt.“

„Und du? Willst du nicht mehr mächtig sein? Musst du ja nicht, als Liebchen eines Oberstleutnants.“

„Sein Liebchen? Wir sind verheiratet. Ich bin jetzt Frau Oberstleutnant und werde bald die Frau eines Generals sein.“

„Ihn hast du geheiratet? Ihn? Aber mich nicht?“

„Dazu gratuliere ich mir heute. Dann wäre ich die Frau eines Krügers, der bei einem Feuer steht und sich über den Verrückten freut, der es angezündet hat. Kowalski hilft, den Schlamassel zu klären. Deshalb sind wir nämlich hier. Um einem General zu helfen. Dem höchsten, den es in Berlin gibt. Wer hat das Feuer zu verantworten, Takhtusho? Ich weiß, du hilfst uns. Du hast mich schon immer gemocht.“

Takhtusho hatte sich eher gefürchtet vor der Ala Skaunia, die er von früher kannte. Die hier hielt er für viel netter. Zumindest wusste die, was sie wollte. Dass sie sich zur vollwertigen Kriegerin entwickelte, hatte ihm ein Scan bereits zu Beginn gezeigt.

„Ich weiß nicht, wie der Typ heißt. Er sieht aus wie Richard Kummer“, antwortete Takhtusho.

„Wie Richard Kummer?“, fragte Kowalski. „Alle haben mir versichert, der sei tot. Selbst Maria Miseria.“

„Maria Miseria? Du kennst meine Tante?“, fragte il caskar misstrauisch.

„Maria ist die Tante von einem wie dir?“ Kowalski musste lachen.

„Auch, wenn ich nicht so aussehe, ich bin ein großer und mächtiger Gott. Das wirst du spätestens dann merken, wenn ich dir deine Frau wieder wegnehme. Ob ich dich dann am Leben lasse, weiß ich noch nicht.“

„Ein großer und mächtiger Gott? Warte mal, deine Stimme kenne ich … Jetzt weiß ich´s. Du bist dieser Verrückte, der damals den Sturmtrupp anführen sollte, aber von dessen Taktik keine Ahnung hatte? Dieser Oberstleutnant von Krüger? Du bist ganz schön geschrumpft.“

„Wenn ich wieder mächtig bin, werde ich so aussehen wie früher. Dann werde ich wieder groß und stark sein und du hast keine Chance gegen mich, Kowalski.“

„Ala Skaunia hat recht“, antwortete der mit Eiseskälte, „du hörst nicht zu. Ich habe dich damals schon in Schach gehalten, ich werde es wieder tun. Hüte dich vor uns.“

Kowalski wandte sich an Takhtusho. „Kannst du dich an die Aura des Brandstifters erinnern?“

Der konnte. Kowalski nahm die Erinnerung entgegen und wandte sich an seine Frau: „Wir gehen zum Generaloberst, Schatz, und werden ihm helfen, den Schlammassel in den Griff zu bekommen. Deinen Ex hast du ja nun gesprochen. Nachdem ich dir diesen Wunsch erfüllt habe, muss ich wieder arbeiten.“

il caskar sah mit Wut, wie sie sich bei Kowalski einhakte und so davonging. Sie hatte kein Wort des Abschieds, nicht mal einen Blick für ihn. Und das nach so langer Zeit.

Auch Takhtusho sah ihr hinterher und beobachtete, wie Kowalski vor einem General salutierte und ihm Meldung machte. In diesem Moment gruben sich il caskars Fingernägel schmerzhaft in Takhtushos Hand. „Der General, Takhtusho. Sieh dir den General an. Wir sind gerettet.“

„Gerettet?“

„Mensch, Takhtusho, erkennst du ihn nicht? Es ist mein Vater. Der wird uns helfen.“

Ort: Psyche, Dai Nippon, Tokio

„Sie wollen mir helfen, Herr Sabota?“, fragte Hotsumi.

„Nicht nur dir, auch deinem Land“, antwortete der.

„Mein Land ist das mächtigste in Asien. Bald wird es das mächtigste in der Welt sein.“

„Glaubst du?“, zweifelte Sabota und konkretisierte diesen Zweifel: „Wird man mächtig, indem man einen Krieg anfängt, den man unmöglich gewinnen kann?“

„Wir haben bis jetzt jeden Krieg gewonnen“, hielt Hotsumi dagegen.

„Umso mehr Angst müssten die Japaner vor jedem weiteren Krieg haben. Man kann nicht immer gewinnen. Jeder Sieg macht die kommende Niederlage wahrscheinlicher. Ich weiß, dass du das spürst.“ Richard Sabota war stehengeblieben und sah den Japaner eindringlich an.

Der wollte eine schnelle Antwort geben, überlegte die sich aber, als er diesen Blick sah. „Ich spüre das? Was meinen Sie damit?“

„Ich kenne deine Gedichte.“

„Sie kennen meine Gedichte? Niemand kennt meine Gedichte. Ich habe sie keinem Menschen gezeigt.“

„Du musst sie mir nicht zeigen. Sie liegen in der Luft. Ganz Japan ist voll von deinen Gedichten. Japan ist voll von jenen Gedanken, die du in Worte gekleidet hast. Gedanken, die sonst noch keiner auszusprechen wagt. Darum hast du auch noch keinem deine Gedichte gezeigt. Veröffentliche deine Werke. Es ist an der Zeit, dass sie gelesen werden.“

„Sie können Gedanken spüren? Sie kennen meine Gedichte, obwohl Sie diese nie gelesen haben? Wer sind Sie? Ein Kami?“

Richard Sabota nickte. „Ich bin ein Kami in allen Arten, die dieses Wort in deiner Sprache ausdrückt. Du bist auch einer.“

„Ich lebe, also bin ich kein Geist“, wehrte dieser ab.

Sabota lächelte. „Ich lebe auch. Trotzdem kann ich sehen, in welcher Gefahr dein Land schwebt, und, dass man diese Gefahr nicht abwehren kann. Auch Deutschland schwebt in dieser scheinbar unabwehrbaren Gefahr.“

Ozaki Hotsumi war unter dem Blick Sabotas wie in Trance.

„Sprich aus, was du siehst. Danach ist es weniger schlimm“, forderte ihn Sabota auf.

„Japan wird einen Krieg beginnen, den es verliert. Unsere Feinde werden zurückschlagen. Mit Waffen, die diese Welt noch nie gesehen hat. Mit furchtbaren Waffen. Danach wird es Japan nicht mehr geben.“

„Glaubst du, deine Voraussage ist zutreffend?“

„Ich bin mir nicht sicher. Ich sehe nur furchtbares Leid und die komplette Zerstörung von allem, was das alte Japan einst ausgemacht hat.“

„Wenn das alte Japan nicht mehr existiert, muss man aus seinen Trümmern ein neues Japan bauen. Ein neues Japan, das nichts mehr von dem hat, was zur Zerstörung des alten Japans führte. Deine Gedichte werden dabei helfen. Du persönlich könntest dabei helfen. Möchtest du das?“

„Und wenn ich recht habe? Wenn die vollständige Zerstörung meines Landes unausweichlich ist?“

„Nichts ist unausweichlich. Nicht, solange es Menschen gibt, die bereit sind, sich der vollständigen Vernichtung entgegenzustellen und etwas Neues aufzubauen.“

„Ich kann helfen, ein neues Japan aufzubauen? Was muss ich dafür tun?“

Richard Sabota lächelte. Genau diese Frage wollte er hören.

Also erklärte er, was er vorhatte.

Ort: Psyche, Berlin, Parteizentrale der Nazis

„Du hattest wirklich vor, dich in diesem Aufzug bei ihnen einzuschleichen?“, fragte Takhtusho mehr verwundert, als erbost.

„Und du? Wie hast du von meinen Plänen Wind bekommen? Ich dachte, du liegst auf Sakania“, erwiderte il caskar mehr erbost als verwundert.

„Wer mir davon erzählt hat, sag ich nicht. Du glaubst es mir sowieso nicht.“

„Was gibt’s da schon groß zu rätseln. Es kann ja nur Sakania gewesen sein. Ich weiß, dass die nicht will, dass ich wieder mächtig werde. Ich will es aber.“

„Indem du dich als normaler Psychaner verkleidest und versuchst, an den Reichsmarschall ranzukommen?“

„Wie denn sonst? Hatten wir nicht ausgemacht, die Ereignisse zu unseren Gunsten zu nutzen? Genau das war mein Plan.“

„Denkst du auch nur ein paar Minuten über deine Pläne nach, nachdem du sie gefasst hast? Unter welchem Namen wolltest du dort erscheinen?“

„Als Krüger natürlich. Der Reichsmarschall ist dem noch was schuldig.“

„Das Einzige, was der dem schuldig ist, wäre ein Kopfschuss und das anschließende Verscharren im Wald. Du warst auf ihrer Todesliste. Sie haben dich erschossen. Hast du das vergessen? Wie wolltest du deine wundervolle Auferstehung erklären? Sie werden dich für einen Hochstapler halten. Wenn du Glück hast, wanderst du nur in die Klapsmühle. Hast du Pech, erschießen die dich nochmal.“

„Ich muss aber etwas tun, um wieder mächtig zu werden. Verstehst du das nicht? Ich muss. Dieses Nichtstun und das auf-Ereignisse-warten frisst mich auf.“

il caskars Wut hatte einen Punkt erreicht, bei dem man nur noch heulen konnte. Takhtusho spürte das. Er kannte sich da aus. Seine Wut hatte oft diesen Punkt erreicht. Und er hatte oft geheult. Meist seines Freundes il caskar wegen.

Nun war er froh, ihm in einer solchen Situation helfen zu können.

„Hast du nicht geglaubt, deinen Vater zu sehen? Ich habe mich kundig gemacht. Der Mann heißt wirklich General von Eberbach. Wir werden ihn sprechen. Mit seiner Frau habe ich bereits gesprochen. Sie hat mir gesagt, du wärst ihr Sohn.“

„Siehst du. Du hast mir nicht geglaubt. Ich wusste, auf meine Mutter ist Verlass.“

„Sie ist nicht deine Mutter. Ich habe sie gescannt. Aber sie hält dich trotzdem für ihren Sohn. Ich weiß zwar nicht, wie sie auf diese bekloppte Idee kommt, aber dir hilft es. Wir besorgen dir eine Uniform. Dann bist du halt nicht Oberstleutnant von Krüger, sondern Oberstleutnant von Eberbach. Was sind schon Namen, wenn sie eine Existenz verschaffen. Okay?“

il caskar hatte sich inzwischen beruhigt. Er sah Takhtusho anerkennend an. „Das hast du alles organisiert? Für mich?“

Hatte Takhtusho eigentlich nicht, sondern seine Schwester Bcoto. Ohne das Takhtusho herausgefunden hatte, warum sie das tat. Er vermutete, sie arbeite für den Hohen Rat. In wichtiger Position. Aber das konnte er il caskar nicht erklären. Der hätte das nicht verstanden und die Hilfe nicht angenommen.

„Ich weiß, wo die von Eberbach wohnen“, bot er statt einer Antwort an. „Es ist in der Nähe unserer Villa im Grunewald. Nehmen wir ein Taxi oder wollen wir durch die RaumZeit reisen? Auf Psyche kannst du das doch noch.“

il caskar nickte. Das und seine Unverwundbarkeit waren die einzigen Dinge, die ihm von seiner einstigen Göttlichkeit geblieben waren.

* lat.: Verleumdung, Vorwurf, Anschuldigung; Verbrechen

2 im Japanischen wird erst der Familien- und dann der Vorname genannt

Usus Belli

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