Читать книгу Schlüsselbegriffe der Public History - Thorsten Logge - Страница 8
ОглавлениеNachdem im Frühjahr 2019 die Kathedrale Notre-Dame de Paris durch einen Brand in großen Teilen stark zerstört wurde, schien eines der Wahrzeichen der französischen Hauptstadt für unbestimmte Zeit verloren. Es war der Spieleanbieter Ubisoft, der in dieser Situation mit einer bis dahin beispiellosen Marketing-Strategie in die Öffentlichkeit trat und die Kathedrale interessierten Menschen zugänglich machen wollte: digital und in Form des Spiels Assassin’s Creed Unity. Das Spiel war 2014 auf den Markt gebracht worden, es ist der achte Teil der erfolgreichen Assassin’s-Creed-Reihe und ist im Paris der Französischen Revolution angesiedelt. Als Spieler_in bewegt und kämpft man sich durch die Stadt und versucht eine Verschwörung aufzudecken. Dabei wohnt der Avatar verschiedenen historischen Ereignissen wie dem Sturm auf die Bastille bei und begegnet auch historischen Persönlichkeiten. In diesem Spiel ist auch eine detaillierte Darstellung von Notre-Dame enthalten. Mit einem kostenlosen Download wollte Ubisoft nun für kurze Zeit „allen Spielern die Chance geben, die Schönheit der Kathedrale in Assassin’s Creed Unity auf dem PC zu erleben“.1 Damit betonte der Spieleanbieter erneut das besondere Spielerlebnis aufgrund der detailgetreuen digitalen Nachbauten von historischer Architektur.
Der Focus2 spekulierte in diesem Zusammenhang, dass die für die digitale Rekonstruktion im Spiel gesammelten Daten sogar beim Wiederaufbau der Kirche eine entscheidende Rolle spielen könnten – es sei die genaueste Rekonstruktion, die aktuell verfügbar sei. Es erschien dabei selbstverständlich, dass die in der Spielreihe dargestellte Architektur zentrale Merkmale einer historisch authentischen Darstellung von Geschichte erfüllte. Die Behauptung des Spieleanbieters wurde selbst nicht in Frage gestellt und erschien evident. Hier zeigen sich nicht nur die Effizienz einer langjährigen Marketingstrategie und die Potenziale einer Digital Public History; das Beispiel zwingt uns auch, über Authentizität als Garant und Kernmerkmal ‚echter Geschichte‘ nachzudenken.
Historische Themen faszinieren die Menschen, insbesondere wenn ihre Darstellungen mit dem Label der Authentizität etikettiert werden. Popularisierte Geschichte in Form von Melodramen, Theaterstücken, TV-Dokumentationen, Computerspielen oder etwa Comic-Historiografien bedient diese Faszination und perpetuiert damit das, was allgemeiner auch als Geschichtsboom bezeichnet wird. Das Versprechen von Geschichten als ‚wahre Geschichte‘ fungiert dabei auch als Werbefaktor, wodurch Authentizität zum Element von Branding wird.3
Als ökonomische Strategie hat sich dieses Phänomen längst etabliert4 und wurde bereits kritisch untersucht.5 Fast immer geht es dabei um Fragen des Produktdesigns: Einem ‚authentischen‘ Produkt sieht man seine Kommerzialisierung nicht an und es suggeriert gleichzeitig eine genaue Einpassung in den Lebensstil und Selbstentwurf der anvisierten Konsument_innen. Im Versprechen der Authentizität findet eine Verknüpfung von Objekt und Subjekt statt, wobei die Erzeugung von Nostalgie (vgl. Infobox) hierbei eine zentrale Rolle spielt, wie nicht zuletzt das Beispiel von Assassin’s Creed Unity zeigt.
Im Bereich der Public History ist oftmals unklar, was genau mit dem Verweis auf die ‚echte Geschichte‘ gemeint ist. Im weitesten Sinne geht es um einen referenziellen Bezug zur Vergangenheit, der anzeigt, dass die Darstellung authentisch ist. Gleichzeitig wird aber auch ein authentisches Erlebnis beim Konsumieren von Geschichte beworben. Das Versprechen von Authentizität bezieht sich also sowohl auf Darstellungen (z. B. im Museum oder Film) als auch auf die Wahrnehmung und Gefühle der Besucher_innen bzw. Teilnehmer_innen, wobei ein Zusammenhang zwischen beiden Aspekten besteht, auf den wir unten nochmals zurückkommen werden. In der Public History erscheint Authentizität insofern allgegenwärtig und bezieht sich auf ein semantisches Feld, in dem auch Qualitäten wie ‚glaubwürdig‘, ‚zuverlässig‘, unmittelbar‘ und eben ‚echt‘ angesiedelt sind.
Vielfältige Bedeutungen
Der Begriff Authentizität ist in mehreren Wissenschaftsfeldern, darunter in der Geschichtswissenschaft, der Kulturwissenschaft, den Critical Heritage Studies und der Medienwissenschaft, von zentraler Bedeutung. Ohne ihn lassen sich öffentliche Repräsentationen von Geschichte nicht analysieren. Dabei gibt es bis heute keine umfassende und eindeutige Definition von Authentizität, die die mannigfaltigen Bedeutungen in historischer und aktueller Perspektive einzufangen vermag.6 Lange wurde der Begriff in der Geschichtswissenschaft im Kontext von Quellenkritik verwendet oder galt anderen
Disziplinen wie der frühen Volkskunde, die sich der Suche und Bewahrung des Authentischen verschrieben hatten, als Ausgangspunkt für ihre fachliche Formierung.7 Inzwischen ruft er in wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Verhandlungen von Geschichte
Diskurse auf, die sich um Original, Kopie und Fälschung sowie Echtheit und Triftigkeit drehen, aber auch um Ursprünglichkeit im Sinne einer Unmittelbarkeit im Erfahren und Erleben einer Person.
Im Folgenden veranschaulichen wir das Bedeutungsspektrum von Authentizität, denn für die Interpretation von Angeboten öffentlicher Geschichte ist es unseres Erachtens hilfreich, Authentizität als Analysekategorie zu nutzen, jedoch zugleich auch nötig, den Begriff als Quellenbegriff zu verstehen. Darüber hinaus weisen wir auf spezifische Fragen an Authentizität bzw. ‚authentische‘ Repräsentationen von Geschichte hin, die in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gestellt werden. Ferner zeigen wir, dass Authentizität einerseits eine Konstruktion ist und sich andererseits auf die Qualität einer Relation zwischen Menschen und historischen Objekten bezieht. In der Public History ist der Begriff von Widersprüchen gekennzeichnet, denn er changiert zwischen der Beglaubigung von Echtheit einerseits sowie deren Simulation andererseits und ist zudem zwischen historischem Ereignis, repräsentiertem Objekt und Wahrnehmung des Objektes angesiedelt. Zugleich weist er eine paradoxale Struktur auf, insofern Authentizität immer medial vermittelt und damit auch medial hergestellt ist: Was als authentisch gilt, muss zunächst als solches ausgewiesen werden, sodass Authentizität immer eine Zuschreibung von außen ist.8 Zunächst werden wir Authentizität begriffsgeschichtlich verorten und dann auf gegenwärtige Verwendungsweisen eingehen, die wir schließlich exemplarisch an vier praxisnahen Fallbeispielen aus der Public History operationalisieren.
Nostalgie
Nostalgie bezeichnet eine besonders emotionale Form der Zugewandtheit zur Vergangenheit. Der Begriff stammt aus dem Griechischen (nóstos: Rückkehr, Heimkehr; álgos: Schmerz) und wurde vom 17. Jahrhundert bis weit ins 20. Jahrhundert hinein synonym zum neueren Begriff des Heimwehs gebraucht. Heimweh/Nostalgie ist durch eine zeitliche und eine örtliche Dimension gekennzeichnet. Heimweh ist das Sehnen nach einem Ort, der erst aus der zeitlichen Distanz, im Prozess der Entfernung, als Heimat und damit Ort der Zugehörigkeit erkannt wird. Nostalgie und Heimweh bezeichneten bis Ende des 19. Jahrhunderts eine Nervenkrankheit, an der insbesondere Soldaten teils schwer, in manchen Fällen sogar tödlich erkrankten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, im Zuge zunehmender sozialer und örtlicher Mobilität, wurde Heimweh/Nostalgie pädagogisiert. Das rückwärtsgewandte Sehnen nach einem verlassenen Ort war nun unreifen Kindern und Heranwachsenden vorbehalten, die erst lernen mussten, die Trennung von Eltern und Zuhause zu erdulden. Erst in den 1970er Jahren erfolgte in der Bundesrepublik eine Ausdifferenzierung des Heimwehbegriffes entlang der Raum- und Zeitdimension. Unter Nostalgie verstand man nun zunehmend die sehnsüchtige Zuwendung zur Vergangenheit, die zumeist als besonders harmonische Zeit erinnert wurde. Heimweh hingegen bezeichnete das sehnende Verlangen nach einem verlassenen Ort. Die 1970er Jahre gelten gar als nostalgisches Jahrzehnt. Als Reaktion auf die Erfahrung des beschleunigten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandels und auf die Strukturumbrüche, die den Übergang zur Postmoderne markierten, wurde die Zukunftszuversicht der Moderne abgelöst von der Sehnsucht nach der vorgeblichen Stabilität vergangener Zeiten. Der Nostalgie-Boom manifestierte sich in einer Wiederentdeckung von Vergangenheit, vor allem in Formen des Konsums, die Geschichte als wenig konfliktreich und identitätsfördernd für eine Mehrheitsgesellschaft präsentierte. Später wurden Gedächtnis und Erinnerung (vgl. Kap. 4) dann zu neuen Leitbegriffen einer verstärkt kulturgeschichtlich orientierten Geschichtswissenschaft. Mit der Temporalisierung des Nostalgiebegriffs erfolgte auch zunehmend seine Entpathologisierung. Nostalgie ist kein Leiden mehr, sondern bezeichnet die Fähigkeit der emotionalen Selbstregulation. Heute stehen technologische Retrotrends und Vintage-Designs für einen identitätsstabilisierenden Umgang mit Geschichte. Nostalgisch zu sein verweist auf das Bedürfnis nach besonderer Nähe zu einer als positiv erinnerten Vergangenheit und zugleich auf die Einsicht in deren mediale Vermitteltheit.
Leseempfehlung
Becker, Tobias: Rückkehr der Geschichte? Die „Nostalgie-Welle“ in den 1970er und 1980er Jahren, in: Fernando Esposito (Hg.): Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017, S. 93–117; Schrey, Dominik: Analoge Nostalgie in der digitalen Medienkultur, Berlin 2017.
Der Begriff der Authentizität speist sich aus verschiedenen Quellen und ist mit den Bereichen des Rechts, der Theologie, der Philosophie und der Künste verbunden; in der Geschichtswissenschaft spielt er erst seit wenigen Dekaden eine tragende Rolle. In einem Lexikoneintrag der Ästhetischen Grundbegriffe geben die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Susanne Knaller und der Germanist Harro Müller einen detaillierten Überblick über die verschiedenen Verwendungen und Veränderungen des Begriffs, der aus dem Griechischen stammt.9
Glaubwürdigkeit vs. Original
Wurde das Wort authentikós (echt, zuverlässig, richtig) zur Bezeichnung der Glaubwürdigkeit von Schriften in Bezug auf eine_n Urheber_in verwendet, beinhaltete das lateinische Wort authenticus darüber hinaus auch die Bedeutung ‚beglaubigt‘.10 Hier zeigt sich ein Zusammenhang von Authentizität, Autor_in und Autorität, der in verschiedenen Sprachen zu finden ist.11 Der lateinische Begriff bezeichnete außerdem auch ein ‚Original‘, das sich von einer Kopie unterscheidet.12 Einerseits geht es also um den Inhalt von Schriftstücken und andererseits um ein ganz bestimmtes Exemplar. Ähnlich lässt sich auch die Bedeutung des Begriffs in seiner weiteren Verwendung unterscheiden: Bezeichnete das Adjektiv ‚authentisch‘ im Mittelalter die Glaubwürdigkeit eines Textes,13 so wird es im 20. Jahrhundert im Sinne von original und echt verwendet.14 Im 18. und 19. Jahrhundert findet sich der Begriff hingegen nur selten, auch wenn in verschiedenen Bereichen Konzepte anzutreffen sind, die unser heutiges Verständnis von Authentizität vorbereitet haben.15
Kunst und Literatur
In seiner Schrift über die Nachahmung griechischer Kunstwerke (1755) konstatierte Johann Joachim Winckelmann, dass nur die „Nachahmung der Alten“ es möglich mache, in der Kunst Größe zu erlangen.16 Hiermit legte er den Grundstein für eine Theorie der Originalität und Echtheit, die später auch in die Geschichtswissenschaft hineinwirkte und deren Authentizitätsverständnis im 20. Jahrhundert mitbestimmte. Zugleich vollzog sich in der Literatur des 18. Jahrhunderts eine Hinwendung zur Empfindung und Sinnlichkeit, die – wie sich am Beispiel von Briefliteratur und Autobiografien zeigen lässt – auf einer Rhetorik der subjektiven Ausdruckssprache beruhte.17 Susanne Knaller verweist in diesem Zusammenhang auf die paradoxale Struktur, die sich später auch im Authentizitätsbegriff wiederfindet, denn die Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit der dargestellten Gefühle war Effekt einer literarischen Konstruktion.18 Die Empfindsamkeit, die in der Literatur zum Ausdruck gebracht wurde, bezog sich dabei sowohl auf die Gefühle der Autor_innen als auch auf die (Selbst-)Wahrnehmung der Leser_innen. Damit steht das Literaturverständnis im Zusammenhang mit moralphilosophischen Überlegungen, die sich mit dem Verhältnis des Menschen zu sich und zu anderen beschäftigen, wie diese beispielsweise bei Jean-Jacques Rousseau zu finden sind, der das Selbstverhältnis als Treue des Menschen zu seiner inneren Natur konzipiert.19 Mit dem Interesse für einerseits die Kunst ‚der Alten‘ und andererseits die Empfindungen von Autor_innen und Leser_innen deutet sich im 18. Jahrhundert eine Unterscheidung an, die heute begrifflich als Objekt- und Subjektauthentizität gefasst wird, d. h., Authentizität kann sich auf die Eigenschaft eines Objekts beziehen oder auf das Selbstverständnis von Personen bzw. den Selbstentwurf von Subjekten.
Realismus und Objektivität
Mit der Etablierung naturwissenschaftlicher Erklärungsmodelle im 19. Jahrhundert veränderte sich auch der Wirklichkeitsbegriff, der zunehmend mit dem Postulat des Objektiven einherging. In der Literatur des Realismus wurde die Welt dokumentierend beobachtet, wobei der Wahrheitsgehalt der Darstellung sowohl durch den Einsatz rhetorischer Mittel als auch durch die authentisierende Instanz der Künstler_innen garantiert wurde, deren Empfindungen jetzt nicht mehr von Interesse waren. Das Aufkommen der Fotografie ging dann mit der Vorstellung einer unmittelbaren Abbildung der Wirklichkeit einher, da fotografische Aufnahmen vermeintlich automatisch und ohne „schöpferische Vermittlung des Menschen“ zustande kommen.20 Auch wenn sich weder für literarische Werke noch für fotografische Abbildungen in der zeitgenössischen Diskussion der Begriff ‚Authentizität‘ finden lässt, tragen die Vorstellungen von Realismus und Objektivität zu unserer heutigen Konzeption von ‚Authentizität‘ bei.
Das authentische Kunstwerk
Erst Mitte des 20. Jahrhunderts hat Theodor W. Adorno ‚Authentizität‘ als ästhetiktheoretischen Begriff eingeführt. Gemeinsam mit Max Horkheimer diagnostiziert er in der Dialektik der Aufklärung (1947), dass es „mit fortschreitender Aufklärung […] nur die authentischen Kunstwerke vermocht [haben], der bloßen Imitation dessen, was ohnehin schon ist, sich zu entziehen“.21 In seinen späteren Schriften definiert er Authentizität als „Zauberwort“, das den Charakter von Werken bezeichnet, „der ihnen ein objektiv Verpflichtendes, über die Zufälligkeit des bloß subjektiven Ausdrucks Hinausreichendens, zugleich auch gesellschaftlich Verbürgtes verleiht“.22 An anderer Stelle beschreibt er authentische Kunstwerke als „ihrer selbst unbewußte Geschichtsschreibung ihrer Epoche“.23
Während Adornos Interesse der Authentizität von Kunstwerken gilt, verwenden Philosophen wie Jürgen Habermas, Jean-Paul Sartre oder Charles Taylor den Begriff mit Blick auf den Menschen und zur Auseinandersetzung mit dem menschlichen Selbst-Bewusstsein, der Lebensführung oder Lebensweise.24
2.3Gegenwärtige Begriffsverwendung
Auch gegenwärtig ist die Verwendung des Begriffs ‚Authentizität‘ vielgestaltig. Zur Systematisierung haben Knaller und Müller vorgeschlagen, heuristisch zwischen Objekt- und Subjektauthentizität zu unterscheiden,25 wobei sich Erstere auf die Eigenschaft eines Objekts bezieht, die empirisch überprüft werden kann, und Letztere als Form des Selbstverständnisses zu verstehen ist, das mit spezifischen Vorstellungen von Identität in Zusammenhang steht.26 Dass zwischen diesen beiden Formen von Authentizität eine Wechselwirkung besteht, haben unter anderem die Historiker Achim Saupe und Martin Sabrow mit Hinweis auf die Aneignung (vgl. Infobox in Kap. 8.2) von Geschichte angesprochen.27
Authentische Objekte
Objekte gelten dann als authentisch, wenn es sich um Originale handelt. Ihre Echtheit bezieht sich auf Urheberschaft oder Historizität, auf der ihre Aura (vgl. Infobox) oder pastness (vgl. Infobox in Kap. 11.1) beruht und durch die sie sich von Fälschungen, Imitationen und Kopien unterscheiden. Um ein Gemälde beispielsweise als ‚echten‘ Rembrandt oder ein Schriftstück als ‚historisches Dokument‘ anzuerkennen, bedarf es Expert_innen, die Objekte auf der Grundlage von wissenschaftlichen Methoden und spezifischen Bewertungskategorien authentifizieren. Es ist also die Autorität der Expert_innen, die Objekten Authentizität verleiht, wobei die Authentifizierung zugleich mit Hierarchisierungen einhergeht, denn letztendlich wird durch ihre Bewertung das Werturteil festgelegt, welche Objekte zu bewahren und zu schützen sind (vgl. Kap. 7 Heritage und Kulturerbe).
Aura
Den Begriff der Aura hat Walter Benjamin in seinem Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1935) geprägt. Darin beschäftigt er sich mit der Veränderung der menschlichen Wahrnehmung durch die Einführung von Reproduktionstechniken, durch die Kunstwerke breiten Bevölkerungskreisen zugänglich gemacht werden. Benjamin definiert die Aura als „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“, und beschreibt damit die Einmaligkeit, die Kunstwerke auszeichnet, oder die „materielle Dauer“ und „geschichtliche Zeugenschaft“, die dinglichen Überresten eigen ist. Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, so Benjamin, verkümmere diese Aura, da das Einmalige durch die Vervielfältigung überwunden werde und man der Dinge aus nächster Nähe im Abbild habhaft werden könne. Diesen Verfall der Aura sieht Benjamin durchaus positiv, da sich Kunstwerke erstmals von ihrem Kultwert, der aus ihrer Unnahbarkeit resultiere, emanzipieren und andere soziale Funktionen übernehmen könne, die auf ‚die Massen‘ gerichtet sind.
Im Museumskontext findet sich der Aura-Begriff zur Beschreibung von historischen Objekten. Diesen wird die Fähigkeit zugesprochen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu vermitteln, indem sie das historisch Ferne räumlich nah präsentieren und dadurch gewissermaßen eine Brücke zwischen dem lebenden Individuum heute und der abgeschlossenen Vergangenheit schlagen. Eine Beschäftigung mit der Aura von Museumsdingen fand unter anderem im Zusammenhang mit einer an Objekten ausgerichteten Ausstellungsdidaktik statt, für die sich etwa Gottfried Korff ab den 1970er Jahren starkgemacht hat. Wie Roman Weindl in seiner Überblicksdarstellung erläutert, lag der Aufforderung, im Museum Originale zu präsentieren, die Annahme zugrunde, dass von der Aura der Museumsdinge eine positive pädagogische oder bildungspolitische Wirkung ausgehe, beispielsweise in Form einer ‚Ganzheitswahrnehmung‘. Diese Bewertung von Originalität steht Benjamins Begriff von Aura diametral entgegen. Gegenwärtig wird vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung und Virtualisierung das Potenzial von Originalobjekten besprochen. Auch wenn die Aura dieser Objekte an ihre Geschichtlichkeit gebunden wird, ist sie maßgeblich von ihrer Präsentation und Inszenierung abhängig. Insofern weist die Aura eine ähnlich paradoxale Struktur auf wie die Authentizität: Ihre Unmittelbarkeit ist medial konstituiert. Weindl kommt in seiner Analyse von geschichts- und museumsdidaktischer Literatur zu dem Schluss, dass viele Autor_innen den Begriff der Aura unscharf gebrauchen. Er stellt fest, dass er vor allem als Hilfsbegriff fungiert, da theoretische Überlegungen zur Wirkung von Museumsobjekten fehlen.
Leseempfehlung
Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M. 2010 (1935); Weindl, Roman: Die „Aura“ des Originals im Museum. Über den Zusammenhang von Authentizität und Besucherinteresse, Bielefeld 2019, S. 15–19.
Konstruktion und Medialität von Authentizität
Authentizität weist wie schon gesagt eine paradoxale Struktur auf, da sie immer konstruiert und medial vermittelt ist. Sie setzt die Kommunikation der durch Expert_innen vorgenommenen Authentifizierung voraus und geht mit einer spezifischen Präsentation der jeweiligen Objekte einher, auf die wir unten anhand von konkreten Beispielen zurückkommen werden. Die Verfahren und Strategien, mit denen die Authentizität von Objekten konstruiert und inszeniert wird, sind vielfältig. Sie unterscheiden sich je nach Medium und performativem Ansatz und werden in der Literatur-, Theater-, Kultur- und Medienwissenschaft aus verschiedenen Perspektiven analysiert und theoretisiert.28 Häufig stehen hierbei Fragen nach textuellen und paratextuellen Verfahren im Mittelpunkt, die Authentizitätseffekte erzeugen.
Diese mediale Konstruktion von Authentizität unterscheidet sich grundlegend von der wissenschaftlich untermauerten Authentifizierung historischer Objekte, weshalb Saupe und Sabrow zwischen wissenschaftlicher Authentifizierung einerseits und Authentisierung als Inszenierung andererseits differenzieren.29 In Disziplinen mit medienbasierten Forschungsgegenständen besteht diese begriffliche Differenzierung nicht.
Erleben von Authentizität
Die Konzeption von Authentizität als (diskursiv erzeugte) Eigenschaft eines Objekts oder als Effekt textueller Verfahren greift jedoch zu kurz. Authentizität resultiert vielmehr aus der Relation zwischen Objekt und Subjekt, denn sie muss als solche wahrgenommen bzw. erfahren werden (vgl. Kap. 5 Erlebnis und Erfahrung).30 Es kommt also nicht nur auf eine Fremdbeglaubigung (Heterologie) von Authentizität an, sondern auch auf eine Selbstbeglaubigung (Autologie).31 Mit Bezug auf Geschichte ist dabei Plausibilität von zentraler Bedeutung, die dazu beiträgt, dass Objekte als Originale wahrgenommen (vgl. Infobox pastness in Kap. 11.1) oder nachgestellte Handlungen und Situationen als authentisch erlebt werden.
Authentizität in der Geschichtswissenschaft
Als analytischer Begriff wird Authentizität in der Geschichtswissenschaft nicht systematisch verwendet; Eingang in das wissenschaftliche Vokabular fand er vor allem mit Bezug auf den Status von Objekten. Er markiert die Echtheit einer Quelle und zeigt an, dass diese zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort und von bestimmten Akteur_innen hervorgebracht wurde. Über den Wahrheitsgehalt der Quelle gibt die Authentifizierung hingegen nicht zwangsläufig Auskunft. Authentifizierungen sind grundlegende Voraussetzung jeder historiografischen Arbeit und Teil der Quellenkritik. Zudem gibt es wissenschaftliche Tätigkeitsfelder wie die Provenienzforschung, in denen die mit der Authentifizierung einhergehende Herkunftsforschung zu den Haupttätigkeiten zählt. Für die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Vergangenheit spielt der Begriff in der Geschichtswissenschaft hingegen bis auf wenige Ausnahmen keine Rolle.32
Typologisierung authentischer Darstellungen
Zu diesen Ausnahmen zählt die Typologisierung von Authentizität, die der Geschichtsdidaktiker Hans-Jürgen Pandel erarbeitet hat. Er legt dabei ein weites Begriffsverständnis zugrunde und versteht unter Authentizität „eine Eigenschaft, die Aussagen, schriftlichen und bildlichen Quellen, Dingen sowie Orten zukommt, um ihre Echtheit, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit zu kennzeichnen“.33 Dabei unterscheidet er zwischen Personen- bzw. Ereignisauthentizität, Typenauthentizität, Repräsentationsauthentizität und Erlebnisauthentizität.34 Unter der erstgenannten Form von Authentizität versteht er, dass eine Person tatsächlich gelebt bzw. ein Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Typenauthentizität bezeichnet den Umstand, dass eine dargestellte Person zwar fiktiv, ihre Figureneigenschaften jedoch als typisch für die dargestellte Zeit, soziale Stellung und Region sei. Repräsentationsauthentizität ist nach Pandel vorhanden, wenn die fiktiven Elemente einer historischen Narration für die dargestellte Epoche und Region nach aktuellem Forschungsstand repräsentativ sind. Und mit dem Begriff der Erlebnisauthentizität erfasst er, dass die „inneren Erfahrungen und Emotionen vom Erzähler in der betreffenden Situation tatsächlich so empfunden wurden“.35 In einer Ergänzung dieser Überlegungen hat Pandel darüber hinaus ein Koordinatensystem vorgeschlagen, anhand dessen die „Authentizitätsgrade“ von Quellen (in der Vergangenheit entstanden), Darstellungen (gegenwärtige Präsentationen von Geschichte) und Imaginationen (fiktionalisierter Geschichte) bestimmt werden können. Diese Systematisierung übersieht jedoch, dass auch Repräsentationen von Geschichte Quellen sein können, und kommt darüber hinaus ohne eine begriffliche Trennung von empirischer Triftigkeit und simulierter pastness (vgl. Infobox in Kap. 11.1) aus. Pandels Typologisierung ist vor allem dann hilfreich, wenn sie zur Analyse von medialen und performativen Repräsentationen von Vergangenheit herangezogen wird.36
Authentizität als Aneignungsmodus von Geschichte
Auch wenn Pandels Überlegungen kritisiert werden können, verweisen sie auf die Notwendigkeit, sich auch in der Geschichtswissenschaft mit Authentizität auseinanderzusetzen und den Begriff über die Qualifizierung von Quellen hinaus analytisch zu nutzen. Vor allem seine populäre Verwendung im Kontext von Public-History-Angeboten legt nahe, ihn weniger als Beleg für empirische Triftigkeit sondern als Aneignungsmodus von Geschichte zu konzipieren. Es gilt also, Authentizitätseffekte wie die bereits erwähnte pastness in den Blick zu nehmen.
Gerade im Bereich der Public History zeigt sich, dass Authentizität nicht zwangsläufig aus der inhärenten Qualität von Objekten oder der Glaubwürdigkeit von Zeugnissen abzuleiten ist. Neben authentischen Objekten oder Zeugnissen spielt hier auch das ‚authentische Erleben‘ eine zentrale Rolle. So stellen Living History oder Reenactments eine Aneignungsform von Geschichte dar, deren Authentizität auf dem Nacherleben von vergangenen Situationen oder Ereignissen beruht. Auch hier ist die paradoxale Struktur von Interesse, denn ‚authentisches Erleben‘ im Sinne einer Körpererfahrung (vgl. Kap. 5) wird dadurch ermöglicht, dass Repliken von historischen Objekten zum Einsatz kommen, die angefasst, getragen und sinnlich wahrgenommen werden können. Für dieses Erleben spielt die Herkunft der verwendeten Objekte, die aus Sicht der Provenienzforschung nicht authentisch sind, dabei eine untergeordnete Rolle.
Geschichtsangebote sind daher darauf hin zu befragen, wie sie ihre Referenz zur Wirklichkeit und gegebenenfalls Wissenschaft inszenieren. Das ökonomische Potenzial von Geschichte ergibt sich gegenwärtig nicht zuletzt aus dieser Dimension von Authentizität. Am Beispiel zahlreicher geschichtskultureller Produkte zeigt sich, dass die ‚Echtheit‘ der jeweils präsentierten Geschichte ein effektives Verkaufsargument darstellt,37 wobei Anbieter_innen häufig auch eine damit zusammenhängende spezifische ‚Atmosphäre‘ heraufbeschwören.
Atmosphäre
Insbesondere bei Videospielen und im Living-History-Bereich ist in Forschungskontexten zur Beschreibung von authentisierenden Arrangements von Atmosphäre die Rede. Der Begriff wurde vor allem von dem Philosophen Gernot Böhme geprägt. In der Geschichtswissenschaft finden sich erste Ansätze zur Nutzung dieses Zugriffs z. B. bei der Analyse touristischer Angebote, die unter Phänomenen wie (hi)storyscapes oder themed environments erfasst werden.
Als Konzept wird Atmosphäre seit wenigen Jahren genutzt, um ‚authentische Räume‘ zu beschreiben, also Räume, die (vermeintlich) historisch authentisch inszeniert sind und für einen bestimmten Zweck so erschaffen wurden. Dieser Ansatz hilft nicht nur, eine spezielle Objekt-Subjekt-Relation zu fokussieren, sondern das erlebende Subjekt in einem spezifisch gestalteten Raum zu beschreiben. Atmosphäre, genauer Vergangenheitsatmosphäre, ist dann ein analytischer Begriff, der es erlaubt, den Raum, in dem eine Performance stattfindet – sei es eine nachgestellte Schlacht, die Quest im digitalen Raum oder aber der Gang durch einen speziell gestalteten Ausstellungsbereich –, als Wahrnehmungs-und Empfindungsraum der Reenactors/Living Historians, von digital Spielenden oder aber von Besucher_innen zu beschreiben. Das Konzept berücksichtigt also dezidiert die Empfindungsebene der teilhabenden Subjekte und verharrt nicht bei der Anordnung von Objekten im Raum. Betrachtet wird auch die ästhetische Gestaltung des Raums im Hinblick auf seine Eignung, pastness (vgl. Infobox in Kap. 11.1) zu erzeugen. Der Rückgriff auf den Atmosphären-Begriff erlaubt somit stärker als etwa der Fokus auf Objektauthentizität, das Verhältnis von rezipierendem Subjekt und inszenierter Geschichte im Raum in den Blick zu nehmen. Solche Atmosphären sind zeitlich und kulturell gebunden. Das Beispiel der digitalen Spiele verweist aber auf deren (potenzielle) räumliche Entgrenzung. Da diese oftmals für den globalen Markt designt werden, können diese kosmopolitische Vergangenheitssettings etablieren, die dann gleichsam populärkulturelle Vorstellungen von Geschichte prägen.
Leseempfehlung
Kerz, Christina: Atmosphäre und Authentizität. Gestaltung und Wahrnehmung in Colonial Williamsburg, Stuttgart 2017; Zimmermann, Felix: Historical Digital Games as Experiences – How Atmospheres of the Past Satisfy Needs of Authenticity, in: Marc Bonner (Hg.): Game | World | Architectonics – Transdisciplinary Approaches on Structures and Mechanics, Levels and Spaces, Aesthetics and Perception, Heidelberg 2021, S. 19-34.
Authentizität ist ein kultur- und zeitgebundener Begriff. Er ist eng mit der westeuropäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte verbunden und lässt sich nicht als universelle Größe voraussetzen, wie wir im Beitrag zum Kulturerbe (vgl. Kap. 7) anhand des UNESCO-Welterbes kurz skizzieren. In der Geschichtswissenschaft gelangen die Praktiken der Authentisierung zum einen durch das zunehmende Interesse an Fragen der Performativität (vgl. Kap. 10) langsam in den Fokus der Forschung,38 zum anderen durch die Etablierung der Wissen(schaft)skommunikation als Forschungsfeld und als Praxisbereich. Und auch die Public History als neue Teildisziplin der Geschichtswissenschaft treibt die Auseinandersetzung mit Fragen der Authentizität an.
Im Folgenden zeigen wir exemplarisch, wie Authentizität in vier Feldern der Public History erzeugt wird, um zum einen das analytische Potenzial und zum anderen die semantische Vielfalt des Authentizitätsbegriffs zu demonstrieren.
2.4.1Authentische Geschichte im Museum
Authentizität ist ein Kernelement des musealen Ausstellungswesens, denn die ausgestellten Exponate sind in der Regel Originale und fungieren als Objektivationen vergangener Realität, die die im Museum erzählte Geschichte als wahr bekräftigen sollen. Authentizität bezeichnet im Museum somit die Echtheit des Dargestellten und ist eng mit der Aura des Exponats verbunden. Sie wird als Qualität des Objekts verstanden, die aus seiner Geschichte resultiert (womit sich das Exponat von einer Replik unterscheidet). Allerdings liegt die Authentizität von Objekten im Museum nicht nur in deren Originalität begründet, sondern auch in ihrer Präsentation und Rezeption.39 Stefan Burmeister spricht daher von einer Umwertung des Authentizitätsbegriffs, mit dem zunehmend das Echtheitserlebnis der Betrachter_innen, auf das wir noch näher eingehen, in den Blick genommen wird und der somit eine Qualität der Beziehung zwischen (inszeniertem) Objekt und Besucher_innen bezeichnet.
Präsentation von Exponaten
Hieran schließt sich die Frage an, wie es Museen gelingt, bei ihren Besucher_innen den Eindruck von Authentizität zu evozieren. Die Authentisierungsstrategien, die sich auf die Auswahl und die Präsentation von Objekten richten, sind dabei maßgeblich durch zwei Elemente geprägt: Zum einen determiniert die durch Expert_innen festgelegte Wertigkeit des Objekts die Art und Weise seiner Präsentation bzw. welche Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Zum anderen bestimmen aber auch die Erwartungen der Besucher_innen, wie ein Objekt ausgestellt wird (vgl. Kap. 11 Rezeption), wobei diese wiederum durch die Schaffung spezifischer Wahrnehmungsbedingungen von Museen mitgeprägt werden. In ihrer Architektur sind Museen als Schutzräume konzipiert. Abgehängte Fenster schützen die Exponate jedoch nicht nur vor zerstörerischem Tageslicht, sondern verdeutlichen auch, dass es sich bei den ausgestellten Dingen um schützenswerte, wertvolle, alte und echte Zeugnisse der Vergangenheit handelt. So erzeugt etwa die Platzierung bestimmter Objekte auf besonders edlen Stoffen in speziell ausgeleuchteten Vitrinen einen auratischen Effekt. Sichtbare Maßnahmen wie diese dienen also nie nur dem Schutz der Objekte als historischer Zeugnisse, sie erzeugen zugleich auch den Eindruck, dass diesen Objekten ein gewisser Wert zukommt. Somit ist es vor allem die Inszenierung, die ein Objekt in ein besonders wertvolles, authentisches und auratisch wirksames Exponat aus der Vergangenheit transformiert. Selbst archäologische Massenware, so Burmeister, kann auf diese Weise auratisch inszeniert werden.40 Darüber hinaus verstärkt auch die Beschriftung der ausgestellten Objekte deren Authentisierung und Auratisierung. Ist diese besonders knapp und verwendet gegebenenfalls nur Fachbegriffe, bietet sie keine Analogien an oder fehlen Hinweise zur Einordung in Wirkungszusammenhänge, trägt die Beschriftung zur Entrückung des Objekts sowie zur Erfahrung seiner Außeralltäglichkeit bei. Werden z. B. in einer Vitrine Fibelarten ausgestellt und in einer Auflistung als Triquetra-Fibel oder Peltafibel bezeichnet, aber weder erläutert oder im Schaubild gezeigt, wie der Schließmechanismus an Kleidung genau funktioniert, noch wie man beide Formen unterscheidet, so trägt das zwar zur Auratisierung, aber nur wenig zum Verständnis des Gezeigten bei.
Echtheitserlebnis der Museumsbesucher_innen
Um das Zusammenspiel von ästhetischer als auratischer Inszenierung, historischer Erfahrung (vgl. Kap. 5) und gesellschaftlichen Authentizitäts-Konventionen besser zu erfassen, wird in den Museum Studies vermehrt auf performative Erklärungsansätze zurückgegriffen. Denn wenn Authentizität nicht länger als Qualität des Objekts, sondern als Relation zwischen Objekt und Subjekt verstanden wird, gerät auch die körperliche Bewegung durch den inszenierten Ausstellungsraum in den Blick und erweitert das Verständnis dafür, wann die Darstellung von Geschichte als authentisch wahrgenommen wird.41
Die analytische Perspektive auf die museale Aura von Exponaten verändert zugleich den Diskurs über Repliken und Hands-on-Ansätze im Museum. Der mit der Aura von Objekten einhergehende Aneignungsmodus bestand im Museum über lange Zeit im An-Sehen. Mit der Einführung von Repliken und Tastmodellen, die zum Anfassen, zur multisensualen Annäherung einladen, findet eine Demokratisierung des Museums statt, insofern diese es ermöglichen, Geschichte barrierefrei und im besten Falle inklusiv zu präsentieren. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass der an das Museum herangetragene Begriff von Authentizität immer mit gesellschaftlichen Hierarchien verbunden ist, denn das anfassbare, nahbare Objekt galt und gilt als weniger wertvoll. Allerdings verändern sich diese Wertzuschreibun-gen, wenn das Museumserlebnis bzw. die (didaktisierte) Erfahrung von Geschichte im Mittelpunkt steht. Zwar ist durchaus zu beobachten, dass sich viele Ausstellungsorte darum bemühen, den Eindruck von Authentizität zu evozieren. Doch die musealen Praktiken zeigen, dass dies – wenn nötig – auch ohne Original möglich ist.42 Insofern können Museen als Seismografen für gesellschaftliche Authentizitätsvorstellungen verstanden und untersucht werden.
2.4.2Authentische Geschichte in Gedenkstätten
Gedenkstätten definieren sich über die Authentizität des Ortes. Sie unterscheiden sich von Denkmalen, indem sie den spezifischen Ort markieren, an dem etwas Bestimmtes stattgefunden hat. Dieses Kriterium lässt sich unter anderem in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes erkennen, die als förderwürdig nur die Gedenkstätten bestimmt, die an authentischen Orten existieren. Dabei ist eine „Authentizität des Ortes […] gegeben, wenn sich das historische Geschehen in einer für den Besucher sichtbaren baulichen Substanz manifestiert“.43 Dem Ort wird damit eine Aura zugesprochen, die aus seiner Geschichtlichkeit resultiert. Hinsichtlich des Authentizitätsbegriffs lassen sich damit deutliche Parallelen zwischen Gedenkstätten und Kulturerbe-Stätten (vgl. Kap. 7) erkennen.44
Orte und Zeitzeug_innen
Im deutschsprachigen Raum bzw. in Europa wird in Gedenkstätten gern mit einer doppelten Authentizität gearbeitet, insbesondere wenn sie an die NS-Terrorherrschaft und die SED-Diktatur erinnern: Am Ort des jeweiligen Geschehens beglaubigen zusätzlich Zeitzeug_innen aus eigener Anschauung die Echtheit der dargestellten Geschichte. Im Rahmen von Führungen, Gesprächen oder Workshops berichten sie in persona von ihren persönlichen Erlebnissen. Zudem können an Hands-on-Stationen Audio- und/oder Video-Ausschnitte aus digitalisierten Zeitzeug_innen-Interviews angehört bzw. angesehen werden. Sowohl die Orte als auch die Zeitzeug_innen versprechen Authentizität, jedoch sind dabei ganz unterschiedliche Aspekte betroffen.
Die Authentizität der Zeitzeug_innen geht dabei über die oben erwähnte Subjektauthentizität hinaus, denn es geht nicht nur um die ‚Echtheit‘ und Glaubwürdigkeit ihrer Performanz, mit der sie ihre individuellen Erlebnisse darstellen. Vielmehr kommt ihnen in Gedenkstätten die Autorität zu, das Wissen um die ‚ganze‘ Geschichte eines Ortes oder eines Geschehens zu repräsentieren. So führen beispielsweise Zeitzeug_innen nicht nur als Augenzeug_innen die Besucher_innen durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen, sondern auch als Expert_innen für die gesamte Geschichte der Unterdrückung, Verfolgung und Inhaftierung politisch Andersdenkender in der DDR. Diese Praxis ist hoch umstritten innerhalb der Gedenkstättenpädagogik. Was jedoch weniger beachtet wird, ist, dass Orte zur Diktaturgeschichte der DDR häufig auf bürgerliches Engagement zurückgehen. Die Männer und Frauen der ‚ersten Stunde‘ schrieben den Erinnerungsorten ihre eigene Deutung ein. Diese hidden agenda prägt bis heute Ausstellungskonzepte und pädagogische Arbeit. Aufgrund der mangelnden Transparenz ist jedoch kaum mehr erkennbar, dass es sich dabei ursprünglich um die Perspektiven von Zeitzeug_innen handelt und die Darstellung nicht ausschließlich auf historischer Forschung beruht.45 Diese Konstellation verdeutlicht die Machteffekte, die sich aus einer Verknüpfung von Authentizität und Autorität ergeben können.
Auch und gerade in Gedenkstätten lohnt es sich, zwischen Authentizität als Selbstbeschreibung und damit als Quellenbegriff und als Analysebegriff zu unterscheiden. Der analytische Zugriff ermöglicht es, Techniken der Authentisierung zu erforschen sowie Praktiken der Kommunikation von Geschichte systematisch in den Blick zu nehmen. So lässt sich bei einem authentischen Ort beispielsweise der Zusammenhang zwischen Konservierungstechniken und der dem Ort zugeschriebenen Aura analysieren oder die authentisierende Funktion, die Zeitzeug_innen zuerkannt wird. Dabei ist beispielsweise auch von Interesse, dass Gedenkstätten zunehmend auf mediale Formen von Zeitzeug_innenschaft zurückgreifen müssen, da Zeitzeug_innen aus gesundheitlichen oder Altersgründen immer seltener auftreten können. Kuratorische Eingriffe schränken die Autorität und Deutungshoheit der Zeitzeug_innen dabei deutlich ein, denn für gewöhnlich werden ihre Zeugnisse stark gekürzt und in eine geschichtliche Inszenierung eingebettet, die häufig auf die „Illusion vielstimmiger Erinnerungen“ abzielt.46 Zugleich kommen bei der medialen Präsentation von Zeitzeug_innen jedoch auch spezifische Verfahren zum Einsatz, die deren Authentizität betonen, beispielsweise indem Pausen, die Suche nach Worten oder das Ringen um Fassung in den geschnittenen Interviewaussagen belassen werden. Hierdurch entsteht der Eindruck von Unmittelbarkeit und Authentizität, der die historische Korrektheit der Aussagen jedoch nicht zwangsläufig belegt.
2.4.3Reenactment und Living History
Der Zusammenhang von Authentizität und Inszenierung wird auch im Bereich des Geschichtstheaters deutlich, welches Praktiken wie das Reenactment und die Living History umfasst.47 Hier hängt das jeweilige Verständnis von Authentizität nicht zuletzt vom Ziel der Aufführung ab: Die experimentelle Archäologie, die beispielsweise nachgebaute Objekte testet, um Erkenntnisse über deren Verwendung zu sammeln, benutzt den Begriff anders als Reenactors, die sich für das (Nach-)Spielen einer Schlacht möglichst authentisch einkleiden, um die Erfahrung eines Zeitsprungs, eines period rush, zu machen.48 Im Allgemeinen verstehen die Ausführenden, so Stefanie Samida und Miriam Sénécheau, Authentizität als Verweis auf empirische Belegbarkeit und Wahrheit.49
Nachgebildete Objekte und nachgespielte Ereignisse
Interessanterweise resultiert die Authentizität von Kleidung oder verwendeten Gegenständen hierbei nicht aus ihrer Geschichte, sondern bemisst sich an den zur Herstellung genutzten Materialien und Techniken, die denjenigen der nachgestellten Raumzeit möglichst entsprechen. Je stärker die Annäherung an die historischen Techniken und Materialien, desto größer ist die ‚Echtheit‘, die dem Objekt zugesprochen wird. Der Authentizitätsanspruch beruht dabei nicht nur auf der Qualität der Nachbildung, sondern auch auf ihrer Verwendung für spezifische Handlungen, wobei die Authentizität noch dadurch gesteigert werden kann, dass diese an einem als authentisch wahrgenommenen Ort durchgeführt werden.50
Im authentischen Erlebnis, auf das viele Reenactments zielen und das für Reenactors von besonderer Bedeutung ist, zeigt sich erneut die paradoxale Struktur des Authentizitätsbegriffs. Jede Repräsentation eines historischen Ereignisses ist eine Konstruktion, weil empirisch triftige Quellen zueinander in Beziehung gesetzt und unter bestimmten Fragestellungen betrachtet werden. Insofern ist eine unvermittelte Vergegenwärtigung der Vergangenheit unmöglich. Zudem impliziert die Vorstellung, dass beim Nachspielen von historischen Ereignissen authentisches Erleben (vgl. Kap. 5) möglich ist, einerseits, dass die ausgewählten Ereignisse überhaupt als solche wahrgenommen wurden. Sie setzt andererseits das Ausblenden des Wissens über den weiteren Verlauf der Geschichte voraus. Insbesondere Schlachten-Reenactments, deren Authentizitätswirkung explizit auf die gemeinsame Performanz zurückgeführt wird, unterscheiden sich von der vergangenen Realität in einem wesentlichen Punkt, der zumindest von außen betrachtet zunächst im Widerspruch zum Authentizitätsanspruch steht: Niemand wird auf dem Schlachtfeld tatsächlich getötet oder verletzt. Das heißt, dies ist weder für die Zuschauer_innen zu erleben noch für die Reenactors nachzuerleben.
Gettysburg 1863
Nutzen wir den Authentizitätsbegriff als Analysekategorie, so lassen sich im Geschichtstheater vielfältige Formen von Authentizität identifizieren und bei Mitwirkenden und Zuschauenden unterschiedliche Authentizitätserwartungen antreffen. Dies hat unter anderem Wolfgang Hochbruck in seiner Studie zu Reenactments der Schlacht von Gettysburg 1863 demonstriert, die sich seit 1888 nachweisen lassen.51 Er zeigt, dass zunächst teilnehmende oder zuschauende Veteranen als Verbindung zur Vergangenheit und damit Authentizitätsgaranten wahrgenommen wurden, wodurch Kleidung, Ausrüstung und Waffen nicht der damaligen Zeit entsprechen mussten, sondern aus der Gegenwart stammen oder fiktiv gestaltet sein konnten. Dies änderte sich jedoch, als keine Veteranen mehr an den Aufführungen teilnehmen konnten. Nun mussten Uniformen, Ausrüstungen und Waffen möglichst genaue Repliken sein und die authentische Erfahrung wurde mit der Verwendung von authentischen Objekten verknüpft. Als Garanten der Authentizität wurden die Zeitzeug_innen somit durch Objekte am historischen Ort ersetzt.
2.4.4Authentizität im Film
Filmische Medien gebrauchen vielfältige Strategien, um Authentizität zu erzeugen, wobei sich spezifische Verfahren für dokumentarische und für fiktionale Formen herausgebildet haben.
Dokumentarfilm
Im Bereich des Dokumentarfilms gelten beispielsweise Filme des Direct Cinema als besonders authentisch.52 Diese Filmrichtung hat sich in den 1960er Jahren im Zusammenhang mit der Einführung von leichten 16-mm-Kameras und tragbaren Tonaufnahmegeräten etabliert. Hierdurch wurde es möglich, den Protagonist_innen mit der Kamera auf Schritt und Tritt zu folgen und ihren Alltag zu dokumentieren. Prämisse des Direct Cinema war, nicht in die vorgefundene Situation einzugreifen und keine Veränderungen vorzunehmen, um der Kamera beispielsweise einen besseren Blickwinkel oder eine bessere Lichtsituation zu verschaffen. Daher sind in den fertigen Filmen oftmals Ansichten verstellt, Personen angeschnitten und die Bild- und Tonqualität variiert. Genau diese Elemente sind es, die den Eindruck von Authentizität erzeugen, denn sie behaupten, die vorgefundene Wirklichkeit unverändert abzubilden.53
Die sozialen Akteur_innen, die in Dokumentarfilmen auftreten, können mehr oder weniger authentisch erscheinen. Dabei lässt sich der Eindruck eines unverstellten Verhaltens oft darauf zurückführen, dass sich die Protagonist_innen, die von der Kamera begleitet werden, auch in ihrem Alltag häufig in Situationen befinden, in denen sie vor anderen sprechen oder agieren. Sie sind daher an ‚Auftritte‘ gewöhnt und in der Lage, sich vor einem Publikum ungekünstelt und authentisch zu präsentieren. Doch auch Personen, die in Dokumentarfilmen die Kontrolle über ihre Emotionen verlieren, werden als authentisch wahrgenommen.54 Dies lässt sich beispielsweise in Geschichtsdokumentationen beobachten, in denen sich Zeitzeug_innen an die Vergangenheit erinnern. Interviewpartner_innen, die schon häufiger von ihren Erlebnissen berichtet haben und die daher bereits geübt sind, diese als Erzählung zu präsentieren, wirken in Filmen und Fernsehsendungen deutlich weniger authentisch als emotional sprechende Zeitzeug_innen, die ins Stocken geraten, Grammatikfehler machen oder von ihren Erinnerungen überwältigt werden.55 Die Authentizität von Personen resultiert in Dokumentarfilmen also aus gegensätzlichen Eigenschaften: entweder aus ihrer Routine mit öffentlichen Auftritten oder aus ihrer Ungeübtheit beim Schildern von Erlebtem.
Spielfilm
Spielfilme greifen häufig auf dokumentarische Aufnahmen zurück, um ihrer Darstellung der Vergangenheit Authentizität zu verleihen. So sind Kulissen und Kostüme in fiktionalen Filmen an historischen Fotografien oder dokumentarischen Filmen orientiert oder es wird in Dokudramen historisches Bildmaterial in Spielszenen integriert.56 Die Differenz der Bildqualität markiert hier, welche der Aufnahmen die ‚historische Realität‘ zeigen. Durch diese Verknüpfung verlängert sich die Authentizität der dokumentarischen Bilder in die Spielhandlung hinein und verleiht dieser Glaubwürdigkeit. Requisiten, mit denen die Erzählung zeitlich verortet wird, haben einen ähnlichen Effekt: das Zeitungsexemplar, das auf dem Tisch liegt, oder die Nachrichtensendung, die über den Fernsehbildschirm flimmert, tragen zum Eindruck bei, die dargestellten Ereignisse seien historisch verbürgt.57
Auch die Kameraführung, Bildqualität und Montage können zum Eindruck von Authentizität beitragen. Anhand von Schindler’s List (USA 1993) und Saving Private Ryan (USA 1998) lassen sich exemplarisch einige der visuellen Mittel und Verfahren aufzeigen, die filmischen Darstellungen Authentizität verleihen. Beide Filme sind von Steven Spielberg und handeln von historischen Ereignissen der 1940er Jahre: Schindler’s List schildert, wie der Geschäftsmann Oskar Schindler jüdische Arbeiter seiner Fabrik vor der Vernichtung rettete, und Saving Private Ryan zeigt die Landung der Alliierten in der Normandie (1944). Beide Filme wurden von Filmkritiker_innen mit Bezug auf ihren Realismus bzw. ihre Authentizität besprochen,58 machen jedoch von ganz unterschiedlichen Verfahren Gebrauch. So ist Schindler’s List in Schwarz-Weiß gedreht und zeichnet sich damit durch eine Bildqualität aus, die im Allgemeinen als authentisch gilt, wobei die Filmaufnahmen nicht zuletzt durch die harten Kontraste an Wochenschauen aus den 1940er Jahren erinnern.59 Saving Private Ryan ist hingegen ein Farbfilm, dessen Anfangssequenz, in der alliierte Soldaten versuchen, den Strand von Omaha Beach zu erreichen, vor allem durch die Verwendung von Handkameras authentisch wirkt. Anders als ruhige Kamerafahrten lassen sich Aufnahmen mit Handkameras direkt an die eigene Wahrnehmung bei Bewegungen durch den Raum koppeln und erscheinen dadurch ‚echt‘. In Saving Private Ryan wird das dargestellte Chaos beim Versuch, trotz feindlichem Beschuss an Land zu gehen, zudem durch die Montage verstärkt. Die schnellen Schnitte und die flexible Kamera erzeugen den Eindruck, der Film zeige, wie die beteiligten Soldaten die Landung in der Normandie wirklich erlebt haben müssen.
Neben diesen filmästhetischen Elementen tragen auch Schrifteinblendungen, die das dargestellte Geschehen geografisch und zeitlich konkret verorten und dadurch eine historische Nachprüfbarkeit behaupten, zur Authentifizierung von fiktionalen Filmhandlungen bei. Und schließlich übernehmen auch die Werbung und die Filmkritik einen Teil dieser Funktion: Filmplakate kündigen eine „wahre Geschichte“ an, Regisseur_innen und Schauspieler_innen schildern in Interviews die Mühen, die sie auf sich genommen haben, um einen authentischen Film zu machen, und Kritiker_innen (und manchmal auf Historiker_innen) wägen in ihren Filmbesprechungen ab, wie nahe die Darstellung der historischen Realität kommt.
Der Eindruck von Authentizität entsteht im Film durch spezifische Strategien und Verfahren und ist immer eine Konstruktion. Aus analytischer Perspektive lassen sich diese Verfahren der Authentifizierung systematisch in den Blick nehmen, wobei der historische Vergleich zeigt, dass sich diese im Laufe der Zeit verändern. Der Film unterscheidet sich darin nicht von anderen Bereichen der Public History, in denen Authentizität eine zentrale Rolle spielt. Am Beispiel des Films wird jedoch die paradoxale Struktur des Authentischen besonders deutlich: Erst durch die mediale Vermittlung entsteht Authentizität.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Authentizität vielgestaltig ist und sich immer aus der Relation zwischen Objekten und Subjekten speist. Historische Exponate oder Repliken von Objekten können dann ein Echtheitserlebnis in Gang setzen, wenn Besucher_innnen bzw. Teilnehmer_innen bereit sind, dieses als Authentizität wahrzunehmen. Als analytischer Zugang zur Public History ermöglicht es der Begriff zum einen, die Strategien und Verfahren in den Blick zu nehmen, mit denen Geschichte präsentiert und inszeniert wird. Anhand von Fallbeispielen haben wir gezeigt, dass diese je nach Ort, Medium oder Darstellungsmodus stark variieren können. Zum anderen eröffnet der Begriff eine analytische Perspektive auf unterschiedlichste Formen der Aneignung von Geschichte – von der kontemplativen Andacht im Museum, der traumähnlichen Rezeption im Kinoraum oder dem Eintauchen in Literatur über das aktive Mitwirken an einem Reenactment bis hin zum virtuellen Erleben in Computerspielen.
Nicht nur am eingangs erwähnten Beispiel von Assassin’s Creed Unity zeigt sich, dass das Versprechen von Authentizität bei der Gestaltung von Public-History-Angeboten von zentraler Bedeutung ist. Damit machen Museen, Reenactment-Gruppen und Spieleanbieter von einer Strategie Gebrauch, die in der Werbung für Konsumgüter schon länger erfolgreich zum Einsatz kommt. Diesen ökonomischen Aspekt, der sich immer mehr mit dem Begriff der Authentizität verknüpft, gilt es unseres Erachtens auch für die Geschichtswissenschaft verstärkt in den Blick zu nehmen.
Einführende Literatur
Knaller, Susanne/Müller, Harro: Authentisch/Authentizität, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 7: Register und Supplemente, Stuttgart/Weimar 2010, S. 40–65.
Lethen, Helmut: Versionen des Authentischen. Sechs Gemeinplätze, in: Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe (Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 205–231.
Pirker, Eva Ulrike u. a. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld 2010.
Sabrow, Martin/Saupe, Achim (Hg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016.
Saupe, Achim: Authentizität (Version: 3.0), in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.8.2015, https://docupedia.de/zg/Saupe_authentizitaet_v3_de_2015, letzter Zugriff: 28.11.2020.
1 Zit. n.: Nach Notre-Dame-Brand: Ubisoft verschenkt „Assassin’s Creed Unity“, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 18.4.2019, https://www.haz.de/Nachrichten/Digital/Paris-Nach-Notre-Dame-Brand-Ubisoft-verschenkt-Assassin-s-Creed-Unity, letzter Zugriff: 20.10.2019.
2 Genaueste Nachbildung: Beim Wiederaufbau von Notre-Dame könnte ”Assassin’s Creed” helfen, in: FOCUS Online (bereitgestellt von Teleschau, 17.04.2019, URL: https://www.focus.de/digital/internet/kuenstlerin-verbrachte-zwei-jahre-in-gebaeude-wiederaufbau-von-notre-dame-mithilfe-von-assassins-creed_id_10602684.html (letzter Zugriff am 20.06.2021).
3 Vgl. Susanne Knaller: Original, Kopie, Fälschung. Authentizität als Paradoxie der Moderne, in: Martin Sabrow/Achim Saupe (Hg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 44–61, hier S. 44.
4 Vgl. James H. Gilmore/B. Joseph Pine: Authenticity. What Consumers Really Want, Boston 2007.
5 Vgl. Sarah Banet-Weiser: Authentic TM, New York 2012.
6 Vgl. Susanne Knaller/Harro Müller: Authentisch/Authentizität, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Ästhetischen Grundbegriffe, Bd. 7: Register und Supplemente, Stuttgart/ Weimar 2010, S. 40–65, hier S. 40.
7 Regina Bendix: In Search of Authenticity. The Formation of Folklore Studies, Madison (WI) 1997.
8 Jonathan Culler hat am Beispiel des Tourismus auf diese paradoxale Struktur hingewiesen, Jonathan Culler: Semiotics of Tourism, in: American Journal of Semiotics 1/1–2 (1981), S. 127–140, hier S. 139.
9 Vgl. Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität.
10 Tino Mager: Schillernde Unschärfe. Der Begriff der Authentizität im architektonischen Erbe, Berlin 2016, S. 20.
11 Vgl. hierzu auch Helmut Lethen: Versionen des Authentischen. Sechs Gemeinplätze, in: Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe (Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 205–231.
12 Mager: Schillernde Unschärfe, S. 21.
13 Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität, S. 41.
14 Ebd., S. 44.
15 Vgl. hierzu Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität.
16 Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst, 2. Aufl., Dresden/Leipzig 1756, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/winckelmann1756/0001, letzter Zugriff: 1.12.2020, S. 3.
17 Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität, S. 48.
18 Ebd., S. 47 f.
19 Dieter Sturma: Jean-Jacques Rousseau, München 2001, S. 183.
20 Vgl. André Bazin: Ontologie des photographischen Bildes (frz. Orig. 1945), in: ders.: Was ist Film?, Berlin 2004, S. 33–42, hier S. 37.
21 Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a.M. 1988, S. 24.
22 Theodor W. Adorno: Wörter aus der Fremde (1959), in: ders.: Noten zur Literatur, Frankfurt a.M. 2010, S. 216–232, S. 231.
23 Ders.: Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. 1995 (1970), S. 272.
24 Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität, S. 57–60.
25 Ebd., S. 45.
26 Dementsprechend beschreibt Achim Saupe Authentizität als Form der Selbstverwirklichung, die für die Hippie-Bewegung, aber auch die Neuen Sozialen Bewegungen zentral war, Achim Saupe: Authentizität (Version: 3.0), in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.8.2015, https://docupedia.de/zg/Saupe_authentizitaet_v3_de_2015, letzter Zugriff: 28.11.2020. Die Anthropologen Richard Handler und William Saxton haben die Subjektauthentizität im Zusammenhang mit Living-History-Phänomenen beforscht und als „authentic existence“ beschrieben, Richard Handler/William Saxton: Dyssimulation. Reflexivity, Narrative, and the Quest for Authenticity in „Living History“, in: Cultural Anthropology 3 (1988), S. 242–260.
27 Martin Sabrow/Achim Saupe: Historische Authentizität. Zur Kartierung eines Forschungsfeldes, in: dies. (Hg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 7–28, S. 14 f.
28 Eine solche Authentisierungsstrategie kann sich auch auf als traditionell geltende Wissensbestände beziehen. Beispielhaft lässt sich hierfür der Fall der norwegischen Nationaltracht bunad heranziehen: Ihre (kostengünstigere) Fertigung in südostasiatischen Textilfabriken warf die kontrovers diskutierte Frage auf, ob für die Herstellung eines authentischen bunad ein besonderes und lokal verortbares Wissen notwendig ist oder ob die Herstellungsart erlernt werden kann wie jede andere Technik. Der Konflikt zeigt auf, dass die Authentizität eines Objekts nicht nur aus seiner Materialität generiert wird, sondern auch aus dem Produktionsprozess und insbesondere dem Wissen der Produzierenden um die kulturelle Bedeutung eines Objekts. Vgl. hierzu: Thomas Hylland Eriksen: Traditionalism and Neoliberalism. The Norwegian Folk Dress in the 21st Century, in: Erich Kasten (Hg.): Properties of Culture – Culture as Property. Pathway to Reform in Post-Soviet Siberia, Berlin 2004, S. 267–286.
29 Sabrow/Saupe: Historische Authentizität, S. 10.
30 Vgl. Eva Ulrike Pirker/Mark Rüdiger: Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen: Annäherungen, in: Eva Ulrike Pirker u. a. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld 2010, S. 11–30, hier S. 21.
31 Vgl. Knaller: Original, Kopie, Fälschung, S. 45.
32 Pirker/Rüdiger: Authentizitätsfiktionen, S. 14.
33 Hans-Jürgen Pandel: Authentizität, in: Ulrich Mayer u. a. (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach i. Ts. 2006, S. 25–26, hier S. 25.
34 Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Die Wahrheit der Fiktion. Der Holocaust im Comic und Jugendbuch, in: Bernd Jaspert (Hg.): Wahrheit und Geschichte. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit, Hofgeismar 1993, S. 72–109.
35 Pandel: Authentizität, S. 26.
36 Vgl. hierzu Christine Gundermann: Inszenierte Vergangenheit oder wie Geschichte im Comic gemacht wird, in: Hans-Joachim Backe u. a. (Hg.): Ästhetik des Gemachten. Interdisziplinäre Beiträge zur Animations- und Comicforschung, Berlin 2018, S. 257–283.
37 Wolfgang Hardtwig/Alexander Schug (Hg.): History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009.
38 Einführend: Jürgen Martschukat: Geschichtswissenschaft und „performative turn“: Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur, in: ders./Steffen Patzold (Hg.): Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln 2003, S. 1–32.
39 Vgl. Stefan Burmeister: Der schöne Schein. Aura und Authentizität im Museum, in: Martin Fitzenreiter (Hg.): Authentizität. Artefakt und Versprechen in der Archäologie, Workshop vom 10. bis 12. Mai 2013, Ägyptisches Museum der Universität Bonn, London 2014, S. 99–108, hier S. 99.
40 Ebd., S. 102 f.
41 Einführend: Luise Reitstätter: Die Ausstellung verhandeln. Von Interaktionen im musealen Raum, Bielefeld 2015; Heike Buschmann: Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse, in: Joachim Baur (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 149–169.
42 Vgl. Burmeister: Der schöne Schein, S. 106.
43 Vgl. Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen, Drucksache 16/9875, 19.6.2008, S. 3, https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/098/1609875.pdf, S. 18, letzter Zugriff: 26.12.2020.
44 Als exemplarische Studie hierzu: Sybille Frank: Der Mauer um die Wette gedenken: Die Formation einer Heritage-Industrie am Berliner Checkpoint Charlie, New York/Frankfurt a.M. 2009.
45 Beispielhaft hierzu Christine Gundermann: „Die Quellen sprechen für sich!“ Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ in Leipzig als Lernort, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70/7–8 (2019), S. 418–435. Siehe auch Juliane Brauer/Irmgard Zündorf: DDR-Geschichte vermitteln. Lehren und Lernen an Orten der DDR-Geschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70/7–8 (2019), S. 373–389.
46 Saskia Handro: Musealisierte Zeitzeugen. Ein Dilemma, in: Public History Weekly 2/14 (2014), https://public-history-weekly.degruyter.com/2-2014-14/musealisierte-zeitzeugen-ein-dilemma, letzter Zugriff: 28.11.2020.
47 Vgl. Wolfgang Hochbruck: Geschichtstheater. Formen der „Living History“. Eine Typologie, Bielefeld 2013. Zum Zusammenhang von Authentizität und Inszenierung siehe: Sabine Schindler: Authentizität und Inszenierung. Die Vermittlung von Geschichte an amerikanischen historic sites, Heidelberg 2003.
48 Vgl. Stefanie Samida: Krieg(s)spiele(n), in: Forum Kritische Archäologie 4 (2015), S. 13–15, hier S. 13.
49 Vgl. Miriam Sénécheau/Stefanie Samida: Living History als Gegenstand Historischen Lernens, Stuttgart 2016, S. 46.
50 Vgl. Berit Pleitner: Erlebnis- und erfahrungsorientierte Zugänge zur Geschichte: Living History und Reenactment, in: Sabine Horn/Michael Sauer (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit, Göttingen 2009, S. 40–47, hier S. 46.
51 Vgl. Wolfgang Hochbruck: Reenacting Across Six Generations, 1863–1963, in: Sarah Willner u. a. (Hg.): Doing History. Performative Praktiken in der Geschichtskultur, Münster 2016, S. 97–116.
52 Siehe hierzu Monika Beyerle: Authentisierungsstrategien im Dokumentarfilm. Das amerikanische Direct Cinema der 60er Jahre, Trier 1997.
53 Vgl. Judith Keilbach: Authentizität als filmische Konstruktion, in: Christoph Classen u. a. (Hg.): Echt inszeniert. Historische Authentizität und Medien in der Moderne (im Erscheinen).
54 Ebd.
55 Vgl. Judith Keilbach: Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen, Münster 2008, S. 162 ff.
56 Tobias Ebbrecht: Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust, Bielefeld 2011.
57 Vgl. hierzu z. B. Derek Paget: No Other Way to Tell It. Dramadoc/Docudrama on Television, Manchester 1998, S. 69.
58 Siehe hierzu z. B. Barbie Zelizer: Every Once in a While. Schindler’s List and the Shaping of History, in: Yosefa Loshitzky (Hg.): Spielberg’s Holocaust. Critical Perspectives on Schindler’s List, Bloomington 1997, S. 18–35, hier S. 22 f.; Kenneth Turan: Soldiers of Misfortune, in: Los Angeles Times, 24.7.1998, https://www.latimes.com/archives/la-xpm-1998-jul-24-ca-6540-story.html, letzter Zugriff: 23.12.2020.
59 Yosefa Loshitzky: Holocaust Others. Spielberg’s Schindler’s List versus Lanzmann’s Shoah, in: Yosefa Loshitzky (Hg.): Spielberg’s Holocaust. Critical Perspectives on Schindler’s List, Bloomington 1997, S. 104–118, hier S. 109 f.