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2 – „Drei Monate SKY-TV umsonst und Übernahme der Umzugskosten“
ОглавлениеDas Schild prangt auf jedem Dach. Wer möchte da nicht gleich in meine Nachbarschaft ziehen?
Gut, keiner, der nicht unbedingt muss.
Die Übernahme der Umzugskosten ist auch eher ein Witz. Wer hierhin kommt, der hat nicht mehr viel. Was wollen die da übernehmen? Die Busfahrkarte?
Ich wohne in Mühlenberg, am Westrand von Hannover, einer Art Trabantenstadt. Und – ob du es glaubst oder nicht – trotz dieses Wahnsinnsangebots sind bei uns in der Straße noch eine Menge Wohnungen frei. Tendenz allerdings sinkend.
Wir sitzen auf unserer Bank am Marktplatz, gegenüber der Bücherei. Unsere Räder mit den Sporttaschen lehnen an der Hauswand.
Auf dem Marktplatz kriegt man alles mit, was im Viertel passiert, und man kann gut über die Nerds von unserer IGS lästern. Und wenn wir nicht lästern, dann chillen wir einfach. Auf die Bank fläzen, Augen in den Himmel, und Musik an, Musik! Musik! Laut natürlich, so laut, dass du nicht mehr merkst, ob der Beat, der dir durch den Kopf knallt, von den Drums oder deinem Herz kommt. Energie, die durch deinen Bauch in die Beine fährt, bis du anfängst zu zucken und zu tanzen und alles andere um dich herum vergisst. Manchmal sehen wir ganz schön albern aus, wie wir da mit unseren Steckern im Ohr rumzappeln, meint Jamila, wenn sie mal wieder einen Anfall von Vernunft hat.
Mir ist das egal. Wenn ich Musik höre, vergess ich, was die anderen von mir denken, vor allem bei der Gossen Posse. Und bei manchen Songs werde ich einfach weich, und dann kullert mir auch schon mal eine Träne runter, na und? Die sind der Knaller und Saheed ist ein Gott von einem anderen Planeten.
Mittlerweile bin ich wieder abgekühlt. Überhaupt hat die Bank etwas Beruhigendes, zumindest nachmittags, wenn die Biersäufer, die erst gegen Abend kommen, noch nicht da sind. Neben unseren Füßen kleben die Kaugummibatzen der letzten zwei Jahre, und im Holz haben wir mehr als eine flüchtige Liebe verewigt und verflucht.
W-Lan sitzt links von mir im Schneidersitz und checkt auf ihrem iPhone die Messages bei Chitchatflat. Jamaika entknotet sich die Haarsträhnen, die sich bei der Fahrradfahrt verheddert haben. Ihre Haare glänzen schwarz in der Sonne, arabisch-schwarz. Was würde ich für ihre Haare geben.
„Das war auf jeden Fall voll korrekt von euch, dass ihr auch raus seid“, sage ich.
„Soli, ist doch klar“, meint Jamaika, die eigentlich Jamila heißt, und, während sie redet, konzentriert sie sich weiter auf ihre Haarspitzen, „Wie wäre das denn gewesen? Du gehst, und wir so: Tschö? Lasst uns ne Runde Siebenmeter werfen! Geht doch gar nicht.“
„Wie auch? Ist langweilig ohne Torfrau.“
Wir lachen dreckig.
„Du hast nur getan, was wir gedacht haben“, sagt W-Lan.
„Yeah“, sage ich, aber ich weiß, das stimmt so nicht, und sie weiß das auch, und sie weiß, dass ich weiß, dass sie weiß, dass ich es weiß. Verstanden? So ist das zwischen echten Freundinnen.
Sie heißt natürlich auch nicht W-Lan, sondern Lan. Ihre Eltern sind aus Vietnam, und ihr Name bedeutet etwas Hübsches, das hatte sie mir mal gesagt, aber ich habe es vergessen. W-Lan liegt bei ihr sehr nahe, denn sie hat immer die neuesten Smartphones mit Internetflat. Ihre Eltern legen auf ihre Zukunft großen Wert. Und sie hat Zukunft. Wenn eine von uns, dann sie. In der Schule fliegt ihr alles zu. Vielleicht übt sie zu Hause, anstatt zu schlafen. Denn wir hängen ja dauernd zusammen rum. Wann sollte sie sonst büffeln?
Der Asia-Shop ihrer Eltern in der Innenstadt geht wohl ganz gut. Sie arbeiten jeden Tag so lange, wie es gesetzlich erlaubt ist. Und sie sind stolz darauf, dass sie vor einem halben Jahr den Absprung aus dem Mühlenberg geschafft haben. Jetzt wohnen sie unten in Bornum, gleich um die Ecke, aber ganz anders, da steht ein Einfamilienhäuschen neben dem Anderen. Gutbürgerlich, darauf sind sie stolz, die Eltern. Gutbürgerlich über Nacht. Aber W-Lan muss jetzt immer ne Strecke fahren, bis sie hier ist, und zum Handball ist es noch weiter für sie. An sowas denken die Eltern natürlich nicht.
Klar, W-Lan hat jetzt auch ein eigenes Zimmer, wo wir öfter zu dritt abhängen, aber meistens treffen wir uns doch lieber hier am Markt. Hier ist einfach mehr los. Und die Nachbarn in Bornum gucken immer seltsam, wenn wir kommen. Dann schon lieber Mühlenberg, da fallen wir nicht so auf.
„Ich glaube, die Wettberger Weiber wollten uns einfach aus der Mannschaft raushaben, alle drei“, sage ich.
„Geht ja auch nicht anders“, sagt W-Lan.
Und Jamaika bestätigt, „So eine Freundschaft kennen die gar nicht.“
„Die wollen unter sich sein, und sie sind eifersüchtig, weil Markus immer mit Jamaika geflirtet hat, stimmts?“, frage ich zum Ende hin W-Lan, und sie nickt und guckt grinsend an mir vorbei zu Jamaika.
„Hat er überhaupt nicht“, protestiert die gleich und viel zu laut, „du spinnst, ihr spinnt.“
„Nee, echt. Der guckt dich immer voll geil an.“
„Quatsch.“
„Klar!“
„Nein!“
„Sabber-Sabber...“
„Hör auf!“, und sie schubst mich, so dass ich mit einer Schulter W-Lan anrempele, und sie gibt's mir zurück. Und ich fliege wie eine Flipperkugel zwischen den beiden hin und her, drei, vier Mal, bis ich jeweils einen Arm um die Hälse meiner Freundinnen schlinge. Wir lachen.
„Ihr seid die Besten“, sage ich.
„Und du solltest am besten besser auf dein Outfit achten“, sagt Jamaika.
Damit spielt sie auf mein Trikot an.
„Ach, ist der Ruf erst ruiniert ...“, und die beiden fallen in unseren Spruch ein, wie immer, und mit den Armen deuten wir eine La Ola-Welle an, „lebt es sich ganz ungeniert!“
Ein Ü40-Ehepaar in Joggingklamotten – beide Arme gestreckt von den prallen blauen Einkaufstüten – schaut zu uns herüber.
„He, was gibt’s zu glotzen?“, sage ich.
Sie gucken weg, nach vorne, gehen weiter, flüstern.
„Wer flüstert, der bettnässt.“
Getuschel.
„Hab ich gehört!“, rufe ich.
Keine Reaktion.