Читать книгу Wer's glaubt wird selig - Thorsten Reichert - Страница 4
Glauben heißt vertrauen
ОглавлениеWas ist das überhaupt: Glaube? Das Wort Glaube wird von uns in durchaus unterschiedlichen Zusammenhängen gebraucht, zunächst im Sinne von „an etwas glauben“, aber auch „jemandem glauben“ oder „einer Sache Glauben schenken“; im Sprachgebrauch ist uns aber auch das Verb glauben als „vermuten“ geläufig: „Ich glaube, dass es heute noch regnen wird.“ Gemeinsam ist allen Varianten, dass es um ein Vertrauen geht: ich vertraue meinem Gefühl, dass es heute noch regnen wird, ich vertraue der Technik, ich vertraue dir, dass du die Wahrheit sagst, ich vertraue auf Gott. Im englischen Sprachraum ist das noch deutlicher, dort ist das Wort „trust“ Vertrauen und Glaube zugleich, es ist abgeleitet vom Trotz, wir kennen es in alter Form zum Beispiel aus der „Trutzburg“, also eine Festung, die Angreifern trotzen soll und Sicherheit bzw. Verlässlichkeit bietet. Man sieht, dass das deutsche Wort Trost sprachlich und inhaltlich sehr nahe steht, der Trost ist letztlich auch der Versuch, gegen die Anfechtungen des Lebens anzukämpfen, gegen innere oder äußere Feinde und Ängste. Trost, Vertrauen und Glaube, diese drei Begriffe sind unmittelbar miteinander verknüpft und lassen sich nicht trennen. Wer an etwas glaubt, der vertraut darauf, der erhält dadurch Trost im Sinne von Schutz gegen die Angst.
Wenn Trainer oder Fans eines Vereins vor einem wichtigen Spiel gefragt werden, auf welches Ergebnis sie tippen, dann lautet die Antwort in den meisten Fällen ungefähr so: „Ich glaube, dass wir am Ende knapp gewinnen.“ Glaube ist immer eine Art Trotz, ein trutzen gegen die Angst man könne eine Niederlage erleiden. Glaube ist damit auch immer eine innere Motivation, denn nichts ist entmutigender als ein Trainer, der vor dem Spiel eine Niederlage prognostiziert.
Vor Jahren, als ich während meiner Ausbildung als Mitarbeiter auf einem Konfirmanden-wochenende zwei Tage mit Jugendlichen in einer Jugendherberge verbrachte, war das Interesse der meisten Jugendlichen, Jungen wie Mädchen, auf den Tischkicker gerichtet, der von früh bis spät von einer ganzen Traube Jugendlicher umringt war. Einige der Jungs schienen viel Übung im Kickern zu haben, sie gewannen ihre Spiele meist 10:5 oder noch deutlicher. Da beim Kickern gern das Prinzip „der Gewinner wird herausgefordert“ gilt, bleibt ein Siegerteam oft für mehrere Spiele am Tisch und erhält dadurch noch mehr Übung. Zwei Jungs waren letztlich unbezwingbar und besiegten reihenweise ihre Herausforderer, darunter auch einige Mädchen, die sich aus den 10:1 Niederlagen nicht viel zu machen schienen – vermutlich machte sich ihr Mut später vielfach bezahlt, schließlich imponiert es nicht wenigen 13-jährigen Jungs wenn die Mädchen beim Fußball antreten. Mit der Diakonin, die als Mitarbeiterin auf das Wochenende mitgereist war, kam ich in einer freien Minute am Tischkicker vorbei und sah, dass gerade zwei unerschrockene Mädchen die Herausforderung der „Champions“ wagten. Bei jedem Fehlschuss kicherten die beiden so herzhaft, dass sie innerhalb kürzester Zeit drei oder vier Tore eingefangen hatten. Durch ihr Lachen und Kichern aufmerksam geworden, gesellten sich noch einige Mädchen zum Kickertisch, und wir begannen, die beiden Mädchen kräftig anzufeuern. Die Diakonin ermutigte die Mädchen, ihre unterlegenen Genossinnen zu unterstützen, und auch ich konnte mich der Welle der Sympathie für die Außenseiterinnen nicht entziehen. Jeder gelungene Pass wurde von uns beklatscht und jede Torchance bejubelt. Tatsächlich fiel der erste Treffer im Tor der Jungs, und die Mädchen ließen sich kräftig feiern. Sie waren jetzt heiß auf mehr, umfassten die Griffe mit fester Hand und ließen kein Gekicher mehr über ihre Lippen kommen. Weiterhin wurde jede gute Aktion bejubelt, jeder Fehlschuss der langsam unruhig werdenden Jungs mit Gelächter quittiert. Die Jungs spielten gegen den sprichwörtlichen „zwölften Mann“ – und zeigten Nerven. Nach einigen voreiligen Aktionen ihrerseits und ein paar zugegebenermaßen recht glücklichen Toren auf der anderen Seite stand es auf einmal nur noch 6:7 und die Mädchen witterten endgültig ihre Chance auf die Sensation. Sie wurden getragen von einer Welle der Euphorie, der sich selbst einige der umherstehenden Jungs nicht entziehen konnten. Was zu Beginn wie eine Demütigung ausgesehen hatte, war nun auf einmal ein echtes Match auf Augenhöhe. Sicherlich, die Ballfertigkeit, die Präzision im Spiel und die Techniken den Ball nach vorn zu passen oder aufs Tor zu schießen, all das war bei den erfahrenen Jungs ausgeprägter, aber sie konnten es – mit der Stimmung gegen sie – immer weniger abrufen und verstrickten sich zusehends in gegenseitige Vorwürfe, wenn ein Schuss das Tor verfehlte oder ein Ball verloren ging. Auf der anderen Seite wuchsen die Mädchen über sich hinaus, ließen sich von keinem verlorenen Ball aus dem Konzept bringen und knallten ein ums andere Mal den Ball am immer hektischer agierenden Abwehrspieler vorbei ins Tor. Beim Stand von 9:8 für die Mädchen war praktisch die gesamte Konfirmandengruppe um den Tisch versammelt, alle wollten miterleben was hier passierte. Jungs, Mädchen, Mitarbeiter, alle schrien und peitschten die Mädchen nach vorn, bis mit einem krachenden Schuss aus dem Mittelfeld der zehnte Treffer fiel und die beiden Mädchen in einer Jubeltraube untergingen.
Ich habe damals für mich eine wichtige Lektion gelernt, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Die klar unterlegenen Mädchen hatten ihren übermächtigen Gegnern den Sieg abgetrotzt, nicht durch Spielstärke oder Technik, sondern durch den Glauben an sich selbst, durch Motivation von außen, durch die Welle der Euphorie, die sie zum Sieg getragen hat. Die konsternierten Jungs, die den Fehler bei sich selbst beziehungsweise vor allem beim Mitspieler suchten, konnten sich ihre Niederlage in keinster Weise erklären, zu sehr sprachen alle Fakten für sie. Es waren aber keine Fakten gewesen, keine Wahrscheinlichkeit, die dieses Spiel gegen sie entschieden hatte, es war der Glaube gewesen, das Vertrauen darin, das Unmögliche schaffen zu können. Dieser Glaube hatte nicht unmittelbar mit dem Vertrauen auf eine göttliche Macht zu tun, es war vielmehr eine innere Kraft, die aktiviert wurde, so wie bei einem Marathonläufer, der schon von der Spitzengruppe abgehängt wurde, aber dann eine Kraftreserve aktivieren kann, die ihm zuvor verloren schien. Gerade im Sport ist das häufig zu beobachten. Bei der Tour de France – wo trotz des schlechten Images vom Dopingsport noch immer spannende Rennen ausgetragen werden – erlebt man es immer wieder, dass ein Fahrer an einer steilen Bergprüfung beinahe vom Rad fällt, aber durch die frenetisch jubelnden Fans Kräfte mobilisieren kann, die jeglicher Vernunft widersprechen.
Glaube ist letztlich immer ein Anzapfen einer Kraftreserve, einer Energie, die einen voran treibt. Ob es der Glaube an sich selbst ist, der Glaube ans Team oder der Glaube, der einem von anderen entgegen gebracht wird so wie bei den Kickern-Mädchen – es wird eine ungeahnte Energie freigesetzt, eine Kraft, die an das Wort Jesu erinnert: „Alles ist dem möglich, der glaubt.“ Sicherlich ist dieser Satz nicht wörtlich zu nehmen, das zeigt gerade das Beispiel Sport: Wenn im amerikanischen Fernsehen die Spieler einer Mannschaft gern im Rudel beisammen stehen und ein Gebet gen Himmel richten (eine dort alltägliche Routine, die in Deutschland undenkbar wäre), dann kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen wenn ich daran denke, in welche Zwickmühle die Betenden ihren Gott da stürzen: rufen doch beide Mannschaften ihn gleichzeitig an, er möge ihnen die Kraft zum Sieg schenken. Vermutlich hat Gott – wenn es ihn gibt – seine eigenen Wege die Gebete der Menschen zu erfüllen oder wahrzunehmen, dazu später noch mehr. Fakt ist aber, dass eine der beiden Mannschaften zwangsläufig verlieren wird (im US-Sport gibt es in der Regel kein Unentschieden) und der Glaube daran alles schaffen zu können, so man nur genug glaubt, mächtig ins Wanken geraten müsste. Niemand glaubt daher ernsthaft, dass solch ein Satz wörtlich genommen werden kann. Und doch steckt – wie wir gesehen haben – ein wahrer Kern darin, denn es ist noch vor aller Kraft der Glaube an den Sieg, der einen Sportler zu eben diesem bringt. Würde im Sport immer derjenige gewinnen, der nach Lage der Fakten besser ist, niemand würde sich für Sport interessieren. Es ist der Kampf mit dem Gegner und sich selbst, die Überwindung der inneren Begrenztheit, die Aktivierung der versteckten Reserven, die nur durch den Glauben an sich selbst, die Unterstützung von außen und allzu oft die körperliche Erschöpfung als eine Art Trancezustand hervorgebracht werden kann, es ist diese innere und äußere Auseinandersetzung, die uns Zuschauer beim Sport so fasziniert, sei es Spitzensport auf Weltniveau oder ein Tischkickerspiel beim Konfirmandenwochenende.
Glaube ist also das Anzapfen einer Kraftquelle, ein über-sich-hinaus-wachsen aufgrund einer Gewissheit, die aus mir selbst kommt oder von anderen in mir geweckt wird.